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Morde in Leipzig, Herr Nepomuk, Dialektik und Vergnügen sowie Achterbahn und freier Fall – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 07. 07. 2017) Nicht selten geht es in der Literatur zu wie im richtigen Leben. Da hat einer einen Plan und einen Weg dahin im Kopf, und dann kommt ihm (oder natürlich auch ihr) etwas in die Quere – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Jedenfalls geht es Karsten Bredlow aus dem Roman „Achterbahn“ von Rudi Czerwenka so. Das Buch ist einer der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 07.07. 17 – Freitag, 14.07. 17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Dieser Karsten Bredlow sorgt sich unter anderem um die sozialistische Arbeitsmoral und ist gerade zur Zentralen FDJ-Leitung (was für ein schönes ostalgisches Wort) unterwegs und da passiert es: „Von vorn näherte sich eine Dieselameise. Die relativ kleinen Räder des Transportfahrzeuges registrierten jede Unebenheit der Fahrbahn. Der Fahrer war es gewöhnt, er konnte sich am Lenkrad festhalten. Die Rohrladung hinter ihm jedoch schepperte und tanzte. Karsten trat zur Seite, mitten in eine Pfütze, um den Karren vorbeizulassen. Auch der Kleintransporter scherte aus, vermutlich aber etwas zu plötzlich. Die Ladung kam ins Rutschen, ließ sich von den kurzen Seitenrungen nicht aufhalten, rollte und polterte auf die Betonpiste. Karsten sprang nochmals zur Seite, aber vergeblich. Die Rohre landeten vor, zwei sogar auf seinen Füßen.“ Und damit ist unserem Aktivisten eine Entscheidung abgenommen und der (Um)Weg für den weiteren Gang der Handlung geebnet. Beinahe logisch, dass er mit einer Frau zu tun hat. Und dass es seinen Gang geht. Seinen sozialistischen Gang, wie man wohl damals des Öfteren zu sagen pflegte. Viel Vergnügen mit diesem und den vier anderen Angeboten des aktuellen Newsletters. Ach übrigens, wissen Sie noch, was eine Jawa war und wie sie aussah?

 

Erstmals 2014 veröffentlichte Jan Flieger im fhl-Verlag Leipzig „Der Vierfachmord von Stötteritz. Neun Schüsse. Vier Tote. Viele Verdächtige: Schüsse zerreißen die Leipziger Nacht in Stötteritz und löschen vier Leben aus – doch der Täter flieht. War es ein Auftragsmord oder eine Verzweiflungstat? Wurde ein V-Mann liquidiert? Starben die anderen zur Ablenkung? Läuft gar einer der Verdächtigen Gefahr, das nächste Opfer zu werden? Und dann gibt es da noch die Spur zu einer jungen Frau, die in die rechte Szene führt. Für Thomas Tiller und sein Team der Mordkommission beginnt eine Suche, die sie tief in ein Labyrinth aus Hass und Rache führt, über die Grenzen Deutschlands hinaus bis in die Straßen Tokyos und die raue Ödnis Islands. Die Zeit rennt. Und die starren Augen der Toten treiben zur Eile …

 

Der erste Tag der Handlung dieses packenden Krimis ist ein Sonnabend: „Dunkle Wolken zogen der Stadt entgegen, die Leipzig heißt, Wolken, deren Schwärze nichts Gutes verhieß, ja, wenn man es genau besah, sogar Bedrohliches, ein Inferno aus Regen und Sturm. Aber noch ehe es über die Stadt hereinbrechen würde, sollte sich etwas anderes ereignen, weitaus Schlimmeres.

 

Die digitalen Uhren in Leipzig zeigten 23:12 Uhr an und noch wusste niemand in der Kriminalitätshochburg Sachsens, dass im schönen Stadtteil Stötteritz in drei Minuten etwas Furchtbares geschehen würde, ja, für viele Bewohner etwas nahezu Unfassbares. Viele Gehwege schienen dort leergefegt zu sein, denn das nahende Gewitter vertrieb die Menschen von den Straßen und aus den Freisitzen der Kneipen. Die einzelne Gestalt, die unterwegs war, vermied es offenbar, bemerkt zu werden, denn kam ihr wirklich jemand entgegen, trat sie rasch in das Dunkel eines Hauseinganges, um sich zu verbergen, was aber nur zweimal geschah. Die Gestalt im schwarzen Jogginganzug trug einen dunklen Plastikbeutel, in dem, verborgen unter einer schwarzen Kutte und einer weißen Gesichtsmaske, eine schussbereite Pistole lag, deren Magazin fünfzehn Patronen enthielt, und die Gestalt glaubte, sie alle abfeuern zu müssen. Sie lief nicht langsam, aber auch nicht schnell, sie war, so konnte man das mit ruhigem Gewissen sagen, der leibhaftige Tod, der zu seinen künftigen Opfern schritt. Denn in drei Minuten, nahe dem Wäldchen, in einem großen Hinterhof, würden mehrere Menschen ihr Leben verlieren, nur war noch nicht klar, wie viele es sein würden. Es konnten sechs sein, sieben, vielleicht sogar acht oder neun, aber die Patronen im Magazin würden in jedem Fall ausreichend sein.

 

Ein Paar Augen blickte flüchtig zum Himmel hinauf und zu den drohenden Wolken, aber das kommende Gewitter schien wohl noch abzuwarten, wann es beginnen sollte. Die Gestalt war völlig unbeeindruckt von dieser Situation und ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Und weiter feierten fünf Menschen ausgelassen in dem besagten, mit Bäumen bestandenen Innenhof, drei Männer und zwei Frauen, und eine Sängerin, die Andrea Berg hieß, ließ ihre durch Lautsprecherboxen noch verstärkte Stimme von der CD erschallen, ob man sie hören wollte oder nicht. Den Feiernden jedenfalls gefiel sie, die an einem Tisch saßen, auf dem eine weiße Decke lag und mehrere Weinflaschen standen, die, bis auf eine, schon geleert waren. Die Fünf feierten so laut und fröhlich, dass man den Lärm im gesamten Innenhof hören konnte, der umstellt war von vierstöckigen Häusern, die zu vier Straßen gehörten. Aber der leibhaftige Tod näherte sich schon den Feiernden, unablässig weiterschreitend. In drei Minuten würde er sich vier Opfer holen und dafür nicht einmal fünfzehn Sekunden benötigen. Aber der Tod konnte schnell sein, sehr schnell. Und unerbittlich.

 

Im „Conne Island“ sang noch immer Austin Lucas, ein Berg von einem Kerl voller martialischer Tattoos auf den Armen, mit seiner Gänsehautstimme, ›Run around‹ sang er gerade, ein Anti-Liebeslied erster Güte; flink flogen seine Finger über die Gitarre. Vielleicht hätte seine Stimme gezittert, wenn er wissen würde, was in zwei Minuten in Leipzig geschah, aber er wusste es nicht. Er war ja auch kein Hellseher. …

 

Es war 23:13 Uhr und verschiedene Personen in Leipzig erlebten diesen Zeitpunkt auf sehr unterschiedliche Weise. Einer von ihnen, Oberländer, der einmal vor sehr langer Zeit ein Oberstudienrat gewesen war und nun als Rentner lebte, blickte aus dem Fenster und musterte finster die Feiernden vor dem Nachbarhaus, die er hasste, denn sie feierten einfach zu oft und vor allem zu laut. Aber was half es, wenn man sich beschwerte? Heute mischte man sich nicht mehr ein, nirgendwo, es konnten einem sonst die Reifen zerstochen werden oder der Lack des Autos nahm Schaden. In einem Haus der Parallelstraße sah Oberländer einen rauchenden Mann am Fenster in der dritten Etage stehen, den er flüchtig kannte, er sollte, so wurde erzählt, einmal ein Polizist gewesen sein, ehe man ihn in Unehren entlassen hatte. Aber wo gab es noch Ehre in dieser Gesellschaft? Oberländer schloss das Fenster, aber sein grenzenloser Hass auf die Lärmenden wollte nicht weichen und so bebte er am ganzen Körper und krallte die Hände in die Handflächen.

 

Nahezu im selben Augenblick lag ein Mann im Stadtteil Leutzsch in einem Zimmer mit Stuck im Erdgeschoss, an Händen und Füßen gefesselt, auf einem sehr breiten Bett; wehrlos lag er da und völlig nackt und auf sein kalkiges Gesicht presste sich der pralle, schokofarbene Po einer jungen Frau, der alles verdeckte, seinen Mund, seine Nase und seine stets vorquellenden stahlblauen Basedow-Augen. Der üppige Po nahm dem Mann die Luft, und Lust und Angst waren Gefühle, die ihn nun erfüllten, aber die Lust überwog natürlich, sie war einmalig, denn Facesitting, wie man diese Art von Sex nannte, war für ihn wohl das größte Erlebnis, erst seit der Wende kannte er es. Vendys Po war ein herrliches Gefängnis, das einen Mann zur Raserei bringen konnte, und die Reiterin lachte schallend, so war es abgesprochen, dieses Lachen gehörte zu den Dienstleistungen der jungen Dame, die der Gefesselte sich gönnte, weil sie den Druck seines Berufes nahmen, wenn auch nur für eine Stunde, denn die Minuten verrannen nur einfach zu rasch, viel zu rasch, und sie waren auch wahrhaftig teuer, viel teurer als in Berlin.

 

Dieser genießende Nackte hieß Wolfgang Werner und befasste sich, wenn er nicht auf diesem Bett lag, mit Morden, die in Leipzig geschahen, und seine Kollegen hatten ihm den Spitznamen „Fischauge“ gegeben, obwohl sie nicht wagten, ihn so anzureden, denn Fischauge konnte buchstäblich zum angriffslustigen Pitbull werden und sehr nachtragend sein, er vergaß eine Beleidigung auch nach Jahren nicht und schlug irgendwann zurück, denn er besaß das Gedächtnis eines Elefanten.“

 

Bereits 1961 veröffentlichte im Mitteldeutschen Verlag Halle (damals noch ohne Leipzig) Gerhard Branstner seine „Unwahren Begebenheiten“ unter dem Titel „Zu Besuch auf der Erde“: In diesem Band, der Vermischtes enthält, geht es unter anderem um Utopie und Wirklichkeit. Und bereits damals tauchte in einem der Bücher von Gerhard Branstner, dem ebenso promovierten wie lebensklugen Humoristen des öfteren ein gewisser Herr Nepomuk auf – eine Art Branstnerscher Herr K. Eine Familie errichtet sich für eine sonntägliche Kaffeetafel einen kleinen Satelliten mit eigener Schwerkraft, Atmosphäre und Wetter nach Wunsch. In der Erzählung „Zu Besuch auf der Erde“ haben die Bewohner die Erde längst verlassen und sich einen Planeten ohne die Fehler der Vergangenheit eingerichtet. Die Erde ist ein großes Museum. Eine Führung durch die „Die Abteilung für abgeschaffte Wörter" so zum Beispiel in das Kabinett „Erziehung und Familie", wo solche Wörter wie Musterknabe, hoffnungsloser Fall, Maulschelle, Individualist, Ehekrüppel, Scheidungsgrund und Veilchen ausgestellt waren, oder in das Kabinett „Haushalt und Bekleidung“, mit solchen ausgestorbenen Wörtern wie Geschirrabwaschen, Kartoffelschälen, Käsemaden, Fensterkitt, Schnürsenkel, Kühlschrankreparatur, neue Mode und Reißverschluss zeigt Branstners vergnüglich-dialektisches Denken. Und so sieht es aus, dieses vergnüglich-dialektische Denken:

„kumpelfings im weltenraum

(MIT ANMERKUNGEN FÜR DAS INTERESSIERTE PUBLIKUM)

Familie Kumpelfing überprüfte zum letzten Male die Vollständigkeit ihrer Ausrüstung. „Fritzchen“, knarrte Vater Kumpelfing, „hast du das Wetter, und du, Karlchen, hast du das Schwerefeld?“ — „Ja, ja, ja“, murrten die beiden, Karl, der Zwölfjährige, und Fritz, der Jüngere. „Na, na, ihr Burschen, es wäre nicht das erste Mal, dass ihr was vergesst“, rechtfertigte sich Kumpelfing. Schließlich wandte er sich an Heinzelmann — so nannte Familie Kumpelfing ihren Jüngsten: „Und du, kleiner Hosenmatz, hast du die Bodenfarbe mit?“— „Ja, lieber Papa, schön grün.“

 

Anmerkung für das interessierte Publikum

Die Bodenfarbe ist, wie wir später sehen werden, nicht das wichtigste Requisit für eine Wochenendpartie ins Weltall. Ohne sie geht es sich auf dem Schwerefeld lediglich etwas unangenehm, da dieser, an sich farblos ist. Deshalb konnte man die Sorge darum auch dem Jüngsten überlassen, Gewöhnlich nimmt man grün.

 

„Ja, lieber Papa“, sagte also der kleine Heinzelmann. Aber Vater Kumpelfing hatte schon die Überprüfung fortgesetzt. Elli, die einzige Tochter und das älteste Kind überhaupt, hatte für die Gesellschaftsspiele und Hänschen, ihr Verlobter, für die Getränke zu sorgen. Mutter Kumpelfing war natürlich für das leibliche Wohl zuständig. Und Vater Kumpelfing schließlich, ja Kumpelfing selber hatte das Raumfahrzeug in persönliche Verantwortung genommen, den Flaschenkürbis, wie dieses interstellare Fortbewegungsmittel seiner volkstümlichen Form halber genannt wurde. Kumpelfings waren somit zu siebent, und in dieser Besetzung flogen sie fast jedes Wochenende in irgendeinen stillen Winkel des Sonnensystems, um die liebe Nachbarschaft mal aus Augen und Ohren zu haben. So auch heute. Familie Kumpelfing stieg in den Flaschenkürbis, Papa Kumpelfing stellte, nachdem die Tür geschlossen war, den automatischen Innendruckregler und den Paralysator ein, durch den die Massenanziehung aufgehoben wurde. Der Horizontalpropeller hob sie jetzt rasch und ohne Mühe auf die erforderliche Höhe, wo Vater Kumpelfing die Paralysierung unvermittelt wieder ausschaltete, so dass das Raumschiff zurück zur Erde fiel. Grienend blickte er dabei zu Mutter Kumpelfing, die es immer mit der Angst zu tun bekam, wenn er den Flaschenkürbis so weit zurückfallen ließ. Doch er wusste, was er tat. Stolzen Wagemut im Auge, wartete er bis zum letzten Augenblick (Mutter Kumpelfing kreischte schon geraume Zeit) — da endlich zog er den Hebel des Reflektors herab, der die Massenanziehung in ihr Gegenteil verwandelte, und wie von der Sehne geschossen, schnellte das Raumfahrzeug nach oben. Die Erde rutschte nach unten fort, als wenn sie auf den Grund des unendlichen Weltraums fallen wollte. Kumpelfing hatte bereits die Triebwerke eingeschaltet, denn die Reflexionswirkung ließ schnell nach. „Verflucht“, schimpfte er plötzlich, „was soll denn das schon wieder!“ Genau vor ihnen, wenn auch noch einige tausend Kilometer entfernt, lag ein Hindernis auf ihrem Weg, das sie vorige Woche noch nicht gesehen hatten.

 

Anmerkung

Die klare Luft, die außerhalb der Erdatmosphäre herrscht, verleiht dem Auge einen viel größeren Aktionsradius.

 

„Was soll denn das schon wieder werden?“, brummte Kumpelfing nochmals. „Da wollen sie wohl wieder so eine Industriestadt in die Gegend setzen. Bald wird es im ganzen Sonnensystem kein ruhiges Plätzchen mehr geben.“

 

Anmerkung

Das Publikum wird meinen, dass Vater Kumpelfing unbesorgt sein kann, denn da es im Weltraum keine Luft gibt, kann es auch keinen Lärm geben. Aber für so ungebildet darf man Kumpelfing nun auch wieder nicht halten. Natürlich weiß er, dass die Gesetze der klassischen Akustik im Weltall ohne Bedingung sind. Was Kumpelfing meint, ist, dass solche großen Industriestädte mit ihren gewaltigen Energieumsetzungen Störungen im Empfang des Rundfunks und anderer Sendungen bewirken, auch wenn man nicht in den Bereich ihrer Atmosphäre kommt. Diese Störungen sind bedingt durch eine Form der Materie, die zur Zeit des Herrn Kumpelfing endlich erkannt und mit dem Nomen „subtile Materie“ belegt wurde. Vor allem seitdem das Hundepolo im Fernsehen übertragen wurde, war Kumpelfing die subtile Materie ein Ärgernis.

 

Anmerkung zur Anmerkung

Das Hundepolo ist ein Spiel, bei dem zwei Mannschaften nach komplizierten Regeln einen riesigen Ball mit den Schnauzen ihrer Raumfahrzeuge durchs Weltall stoßen. Hundepolo wurde dieser Wettkampf deshalb geheißen, weil er an das Spiel erinnert, das Hunde mit einem Kinderluftballon treiben, wenn sie, nach ihm schnappend, ihn dabei mit ihren Schnauzen von sich stoßen.

 

„Aber Papachen“, sagte Elfi leise tadelnd, „du übertreibst. Wir müssen ja nicht immer in dieselbe Gegend fahren. Es gibt noch so viele nette Stellen im Sonnensystem, die noch keines Menschen Fuß betreten hat; und außerdem soll das keine Industriestadt werden, sondern das Vergnügungszentrum für die romanischen Sprachen. So kam es vorige Woche über den Ätherfunk.“

 

Anmerkung

Zwar lebten die Kumpelfings schon in einer Periode der menschlichen Entwicklung, da von der Zersplitterung der Menschheit in verschiedene Nationen kaum noch eine Vorstellung übriggeblieben war. Dagegen wirkte die ehemalige Vielfalt der Sprachen noch nach, so dass man beispielsweise die Einteilung der Menschen noch nach ihren früheren Sprachstämmen vornahm, obwohl die einheitliche Weltsprache längst die einzige lebende Sprache war. Der Name dieser Weltsprache kann leider nicht genannt werden. Da sie die einzige Sprache ist, heißt sie einfach Sprache; sie hat also den Namen ihrer Gattung.

 

Kumpelfing ließ sich jedoch nicht beruhigen. Im Gegenteil, die Tatsache, dass er sich eigentlich ohne Grund aufgeregt hatte, brachte ihn vollends auf. „Muss denn jeder Verein seine Vergnügungsecke haben? Ich möchte bloß wissen, was die da oben sich manchmal denken.“

 

Anmerkung

Die da oben, um es mit den uns geläufigen Begriffen zu erklären, sind das zentrale Verwaltungsorgan oder eine seiner Unterabteilungen. Wenn es zur Zeit Herrn Kumpelfings auch keinen Staat in der heutigen Form mehr gibt, so sind doch eine ganze Reihe zentraler Stellen notwendig, die für das reibungslose Zusammenspiel der vielfältigen ökonomischen und kulturellen Erfordernisse zu sorgen haben.

 

„Nun hör aber auf“, mischte sich jetzt Muttchen Kumpelfing ein. „Wenn du nie deine Meinung sagst, kann sie auch nicht berücksichtigt werden.“ — „Meine Meinung, meine Meinung“, balverte Kumpelfing, „wozu haben wir denn die da oben? Doch nicht, damit wir ihnen die Arbeit machen!“ „Dann meckere aber auch nicht, wenn du nachher nicht weißt, was gespielt wird“, gab seine Frau zurück und nahm die Führung der Gondel selber in die Hand. Kumpelfing bekam einen roten Kopf. „Kümmere dich nicht um solche Dinge“, fuhr er sie an, „davon habt ihr Weiber sowieso keine Ahnung, mit eurem verdrehten Gerede macht ihr einen ganz konfus.“ Mit einer eleganten Kurve leitete seine Frau jetzt das Haltemanöver ein, denn sie hatten den Rand des Sonnensystems gleich erreicht, wie eine Warnboje anzeigte. Als der Flaschenkürbis zum Stehen gekommen war, stellte Karlchen als erstes das Schwerefeld her. Er hatte es auf ungefähr 20 Meter im Durchmesser berechnet. Das reichte gewöhnlich hin. Wenn sie mit Pischkittels zusammen ihren Wochenendausflug unternahmen, rührte er um die Hälfte mehr an. Als das Schwerefeld erzeugt war (Papa Kumpelfing hatte der Sicherheit halber eine Konservendose hinausgeworfen, um zu sehen, ob es auch da war), als das Schwerefeld gebildet war, wurde die Atmosphäre ausgeströmt. Das war die einfachste Sache von der Welt, denn jedes Raumfahrzeug konnte aus dem Reservoir für die Regelung des Innendrucks eine genügende Menge Lebensluft abgeben, die durch einen einfachen Mechanismus nach draußen befördert wurde, wo sie sich auf das Schwerefeld lagerte.

 

Nun wäre es eigentlich an Heinzelmann gewesen, die Bodenfarbe über das Schwerefeld zu gießen. Er zappelte auch schon vor Aufregung, denn er nahm seine kleine Aufgabe sehr ernst und stritt sich daher ständig mit Elli, der ein farbloses Schwerefeld viel lieber war und die deshalb an jeder Farbe etwas auszusetzen hatte. Auch heute versuchte sie wieder, die Familie davon abzubringen, die Bodenfarbe zu benutzen. Aber selbst Mama Kumpelfing, die ihrer einzigen Tochter nicht gern etwas abschlug, schalt über Ellis Unverstand. Als sie einmal auf Ellis Verlangen eingegangen waren, hatte Mutter Kumpelfing die ganze Vanillesoße verschüttet, weil sie das Schwerefeld nicht hatte sehen können und deshalb den Topf einen halben Meter zu hoch hingestellt hatte. Als Elli sah, dass sie diesmal nicht durchkommen würde, beschränkte sie ihre Forderung darauf, wenigstens in das Schwerefeld springen zu dürfen, bevor es Heinzelmann färbte. Dieser Bitte konnte niemand etwas entgegensetzen, wenn auch Hänschen stille Bedenken hegte. Kaum hatte Elli die Erlaubnis erlangt, sprang sie auch schon aus dem Kürbis und landete mit hochflatterndem Petticoat im Schwerefeld. Sie kreischte auf, als sei sie vom Hahnenbalken in einen lockeren Heuhaufen gesprungen, überhaupt hatte dieses Vergnügen moralisch einiges mit seinem Vergleich gemeinsam, nur dass das Kribbeln, das den Körper durchlief, hier noch stärker war, weil man nicht genau wusste, wie man ankommen würde. Eben deshalb billigte Hänschen diese Sprünge nicht, denn er fühlte tief innerlich, dass sie eine Kritik an seiner Person waren.“

 

Um Höhenflug und freien Fall geht es in dem 2004 im Rostocker BS-Verlag veröffentlichten Roman „Achterbahn“ von Rudi Czerwenka: Sie heißen Karsten und Britta, Volker und Melanie und Günti und sind Menschen wie du und ich. Sie leben mitten unter uns, in den Nobelhotels und in den Obdachlosenasylen. Sie glänzen auf Promitreffen und Siegerpodesten oder verbergen sich in Abrissbauten und stillen Parkwinkeln. Sie tragen Kronen und Medaillen oder Plastebeutel und Lumpen. Sie sind ganz oben oder ganz unten oder auf dem Wege nach da oder nach dort auf der Achterbahn des Lebens. Karsten, Britta und Volker arbeiten in der Werft und sind im Großen und Ganzen mit ihrem Leben zufrieden. Sie beteiligen sich an den Demos zum Ende der DDR und fahren mit dem Trabi nach Lübeck, neugierig auf die Welt, in die sie vorher nicht reisen konnten. Karsten und Britta scheinen Gewinner der Wende zu sein und sind weit oben angekommen, Volker ganz unten. Doch ihr Leben ist wie eine Achterbahn ...

 

Und so beginnt das Achterbahn-Buch auch gleich mit dem ersten Kapitel „Achterbahn“, in dem wir den bereits weiter vorn erwähnten Karsten Bredlow kennenlernen und – Britta, Schwester Britta:

 

„Der Regenschauer war vorbei, es nieselte nur noch leicht. Karsten Bredlow benutzte den betonierten Mittelstreifen der schmalen Straße zwischen dem Rohrlager der Werft und den Konstruktionsbüros. Eigentlich hatte er bereits Feierabend, doch zuvor musste er noch zur Zentralen FDJ-Leitung. Was die wollten, würde er bald erfahren. Sicher ging es wieder mal um die Vorbereitung einer der vielen Veranstaltungen. Da war Karstens Organisationstalent gefragt. Die Natur hatte ihn zwar mit einer nur geringen Körperhöhe ausgestattet. Doch wie viele andere etwas zu klein geratene Leute versuchte er, den äußerlichen Größenmangel durch andere Auffälligkeiten wettzumachen. Seine Gedanken schweiften ab. Da war Jana, seine Derzeitfreundin, die auf dem Kabelkran arbeitete. Ihr Mundwerk war nicht totzukriegen, auch nicht nach längeren nächtlichen Strapazen. Sie hatte ihm erzählt, wie sich die Frauen auf der hohen Kranbrücke die Zeit vertrieben, wenn sie mal keine Schiffssektionen durch die Lüfte bewegten. Im Grunde ging ihn das nichts an, er saß schließlich in der Konstruktionsabteilung. Aber als Leitungsmitglied der Freien Deutschen Jugend fühlte er sich mitverantwortlich für die sozialistische Arbeitsmoral im Betrieb. Darüber hinaus hatte er einen weiteren Grund, sich gelegentlich ein bisschen hervorzutun.

 

Die Schuld lag bei seiner Mutter, bei Marta Sörgensen, geborene Schröder, verwitwete Bredlow. Sie zählte zu den Aktivistinnen der ersten Stunde, als das Prunkhotel des Seebades mit schwedischer Unterstützung konzipiert und errichtet worden war. Dabei hatte sie sich in einen der imperialistischen Aufbauhelfer verliebt, hatte ihn geheiratet und war nach mehrjähriger Wartezeit mit staatlicher Genehmigung ausgereist. Nun schickte sie Pakete, hatte ihren Sohn also beileibe nicht vergessen. Den Kaffee und andere hierzulande begehrte Luxusgüter übergab Karsten seiner Wirtin. Die Zigaretten verkaufte oder verschenkte er nur an zuverlässige Bekannte. Anderes Brauchbare wie den Bürokittel oder die Freizeitschuhe trug er selbst, weil er sicher war, dass seine Kontakte zu Personen im nichtsozialistischen, wenn auch befreundeten Ausland bekannt und registriert waren. Aus diesem Grund fühlte er sich verpflichtet, seine Treue zum Arbeiter- und Bauernstaat bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu demonstrieren. Diese Kranführerinnen aber auch! Das konnte man nicht durchgehen lassen. Er brauchte ja keine Namen zu nennen. Oder?

 

Die Ereignisse jedoch nahmen ihm eine Entscheidung ab. Von vorn näherte sich eine Dieselameise. Die relativ kleinen Räder des Transportfahrzeuges registrierten jede Unebenheit der Fahrbahn. Der Fahrer war es gewöhnt, er konnte sich am Lenkrad festhalten. Die Rohrladung hinter ihm jedoch schepperte und tanzte. Karsten trat zur Seite, mitten in eine Pfütze, um den Karren vorbeizulassen. Auch der Kleintransporter scherte aus, vermutlich aber etwas zu plötzlich. Die Ladung kam ins Rutschen, ließ sich von den kurzen Seitenrungen nicht aufhalten, rollte und polterte auf die Betonpiste. Karsten sprang nochmals zur Seite, aber vergeblich. Die Rohre landeten vor, zwei sogar auf seinen Füßen.

 

Dem Fahrer war die Sache außerordentlich peinlich. Er weigerte sich strikt, als Karsten ihm beim Wiederaufladen der langen und auch recht schweren Transportgüter helfen wollte. In der S-Bahn auf dem Heimweg betrachtete er seine guten Importschuhe. Sie waren ziemlich beschmutzt, aber heil geblieben. Der linke Fuß tat zwar ein bisschen weh, doch auch das würde sich geben. So hoffte er. Am nächsten Morgen beim Aufstehen sah die Sache leider anders aus. Den Fuß konnte er kaum bewegen und zwängte ihn nur mühsam, unter Schmerzen ins Schuhwerk. Später vor seinem Reißbrett konnte er sich kaum auf den Beinen halten und holte sich den Rollschemel heran, den er sonst nie benutzte. Der Abteilungsleiter schickte ihn zum Betriebsarzt. „Nur eine Prellung“, konstatierte der Mann im weißen Kittel nach der Röntgenaufnahme. „Drei Tage zu Hause bleiben, hochlagern und kühlen. Schwester Britta gibt Ihnen etwas mit. Und am Montag wieder vorstellen.“ So trat Britta in Karstens Leben.“

 

Im selben Jahr 2004 erschien in der Edition Ost Berlin auch die aufrüttelnde Untersuchung „Division Brandenburg. Die Rangers von Admiral Canaris“ von Hans Bentzien: Bevor Hitlers Wehrmacht fremde Länder überfiel, bereitete ein militärischer Verband den Boden dafür, indem er kriegswichtige Objekte besetzte - mit allen nur denkbaren verbrecherischen Mitteln. Man weiß heute wenig von den berüchtigten „Brandenburgern“, die unter Abwehr-General Wilhelm Canaris für dieses heimtückische Vorgehen in Hitlers Blitzkrieg ausgebildet wurden. Ihre Einsätze beruhten auf Tarnung, Täuschung, Sabotage, Terror, Mord; sie wurden geheim gehalten oder später in Landser-Manier heroisiert. Der Autor verfolgt die blutige Spur der nach ihrem ursprünglichen Ausbildungsplatz benannten Einheit. Ihre Wege führen durch ganz Europa, nach Afrika und Asien. Heute gilt ihre zielgerichtete Erstschlagtaktik und Ranger-Manier in Militärkreisen wieder als vorbildlich. Höchste Zeit, an das wahre Gesicht der „Brandenburger“ zu erinnern.

 

Bentziens Buch beginnt mit der scheinbar empörten Frage, ob es denn noch immer keine Ruhe gebe und einer langen Antwort des Autors darauf:

„Gibt es denn immer noch keine Ruhe?

 

Die erstaunte Öffentlichkeit erfuhr Anfang des Jahres 2004 davon, dass der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland einen General von Knall auf Fall entlassen hatte. Auch der Grund war ungewöhnlich. Dieser „oberste Geheimsoldat“ hatte sich in einem Schreiben mit einem CDU-Bundestagsabgeordneten solidarisiert, der die Juden als Tätervolk bezeichnet hatte. Der Minister wollte die Kritik von seiner Armee ablenken und opferte den bewährten Chef seiner Sondereinheit. Bei den vielen Presseberichten tauchte ein Bild auf, das den General vor einigen seiner Soldaten zeigte. Nicht sein hageres, asketisches Gesicht ist das Interessante an diesem Foto, sondern der Umstand, dass die Soldaten durch Masken und Tarnanzüge jedwede Identität verloren haben.

 

Seitdem und in Verbindung mit der Kriegsberichtserstattung über Afghanistan und Irak tauchen Presseberichte und Fernsehsendungen auf, in welchen einige Einzelheiten über diese Sonderkommandos mitgeteilt werden. Der Sender 3sat berichtet zur Mittagszeit darüber, dass nicht nur die Minentaucher der Bundesmarine absolute Spezialisten beim Legen und Beseitigen von Minensperren sind und dazu umfassende besondere ingenieurtechnische Ausbildung erhalten haben und ihre Kenntnisse souverän und aufopferungsvoll anwenden, sondern dass auch die Kampfschwimmer ausgebildet werden, um zu See, Luft und Land allseitig verwendbar zu sein. In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass die Zeit der alten Kriegführung vorbei ist und die Zukunft des Kriegshandwerks den flexiblen Sonderformationen gehört, die lautlos und überhaupt spurlos eingreifen können und verschwunden sind, bevor sie entdeckt werden. Bei der neuen Planung der Bundeswehr soll das alte Denken in den Kategorien Heer, Marine, Luftwaffe überwunden werden. Die traditionellen Strukturen sollen abgeschafft und an ihre Stelle eine neue Gliederung treten. Dabei kommt den Eingreifkräften die entscheidende Rolle zu. Im Umfange von 35 000 Mann sollen sie „vernetzte Operationen“ hoher Intensität ausführen, das heißt Kurzeinsätze jeder Art. Ihnen folgen nach „erzwungenem Frieden“ dann die Stabilisierungskräfte, fünf Einheiten zu je 14 000 Mann nach dem Muster der Bundeswehr-Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan, wo am Hindukusch die Freiheit der Menschheit verteidigt werden soll. Und die Logistik, immerhin 145000 Mann, sorgt für Verpflegung, Waffen und jederart von Material. Dazu kommen die Ausbildung der Rekruten und der Einsatz bei Rebellion im heimischen Territorium und schließlich auch bei Naturkatastrophen.

 

So erscheint die Bundeswehr gerüstet, in jeder Ecke der Welt eingesetzt zu werden. Aber auch die anderen, befreundeten Armeen sind mit ihren Sondereinheiten schon an Ort und Stelle, so der umfassende Einsatz der US-Armee mit ihrem Geheimdienst INSCOM, einer Einheit, die jederart verdeckte Operationen ausführt. Man wird sich abstimmen. In die Öffentlichkeit rückt zurzeit die israelische Eliteeinheit „Orev“, eingesetzt zur Aufspürung der palästinensischen Selbstmordattentäter und Liquidierung ihrer Leiter. Diese Soldaten sind die ausführenden Truppen des Abschirmdienstes und des Inlandgeheimdienstes, die mithilfe eines umfangreichen Netzes von Agenten und Kollaborateuren die Ziele ausmachen und bestimmen. Nur so ist zu erklären, wie es gelingt, mit einem Kampfhubschrauber einzelne Autos von der Straße zu schießen.

 

Jede der großen Armeen hat solche Spezialeinheiten, wie sie ganz allgemein genannt werden, um ihre eigentlichen Ziele, die Sabotage und Spionage, einschließlich der Gegenspionage, zu verschleiern. Diese Praktiken haben in der deutschen Armee eine lange Tradition. Schon König Friedrich II. bediente sich der Spione für Geld und der Freischaren, die später als Streifkorps im Kampf gegen Napoleon eingesetzt wurden. In der kaiserlichen Armee wurde ein systematischer Spionagedienst aufgebaut, in dem auch der Leiter des Amtes Abwehr der Naziwehrmacht, Admiral Canaris, seine erste Ausbildung bekam, die er unter Förderung Hitlers dann in der faschistischen Wehrmacht zur Perfektion brachte. Hitler fand in diesem Seeoffizier den Mann, der ihm bei der schnellen Erreichung seiner imperialistischen Ziele die größte Hilfe leisten sollte und förderte großzügig den Apparat der Abwehr und ihrer Einsatztruppe, genannt die „Brandenburger“.

 

Wie Hermann Rauschning in seinen Gesprächen mit Hitler berichtet, so äußert sich der „Führer“ bereits 1934 gegenüber seinem Gauleiter Förster, der in Danzig amtierte, über die bevorzugten Methoden der Kriegführung folgendermaßen: „Wenn ich Krieg führe, Förster, dann werde ich eines Tages mitten im Frieden etwa Truppen in Paris auftreten lassen. Sie werden französische Uniformen anhaben. Sie werden am hellen Tage durch die Straßen marschieren. Niemand wird sie anhalten. Alles ist bis aufs kleinste vorbereitet. Sie marschieren zum Generalstabsgebäude. Sie besetzen die Ministerien, das Parlament. Binnen weniger Minuten ist Frankreich, ist Polen, ist Österreich, ist die Tschechoslowakei seiner führenden Männer beraubt. Eine Armee ohne Generalstab. Alle politischen Führer sind erledigt. Die Verwirrung wird beispiellos. Aber ich stehe auch längst mit Männern in Verbindung, die eine neue Regierung bilden, eine Regierung, wie sie mir passt. Wir haben einen Friedensschluss, ehe wir den Krieg haben. Ich garantiere ihnen, dass das Unmögliche immer glückt. Das Unwahrscheinlichste ist das Sicherste. Wir werden Freiwillige genug haben, Männer wie unsere SA, verschwiegen und opferbereit. Wir werden sie mitten im Frieden über die Grenzen bringen. Allmählich, kein Mensch wird in ihnen etwas anderes sehen als friedliche Reisende ... Unsere Strategie ist, den Feind von innen zu vernichten, ihn durch sich selbst besiegen zu lassen.“ Der Mann, der ihm diese Strategie ausarbeiten sollte, Canaris, baute diesen Apparat auf. In heutiger Zeit, in der wieder mit solchen Idiotismen gespielt wird, ist es interessant, in die Theorien und Praktiken der „Brandenburger“ zu sehen. Die Unterlagen dazu sind verschwunden, wahrscheinlich gegen Kriegsende vernichtet, manche Kenner sprechen auch davon, dass sie unter Verschluss im amerikanischen Kriegsarchiv liegen. Wie auch immer, es ist inzwischen ein ungefähres Bild entstanden, mit dem der geheimnisvolle Schleier gelüftet werden kann, der über diese Rangereinheit gelegt worden ist. Beim Aufbau der Bundeswehr dienten sich die Abwehroffiziere den amerikanischen und englischen Armeen und ihren Spionageapparaten an, und die alten Nazispione wurden auch für den Bundesnachrichtendienst in Pullach gebraucht.

 

Es ist nichts Geheimnisvolles an diesem Geschäft, denn verdeckt ist nur der Betrug am Gegenstand der Spionage und Sabotage, offensichtlich aber die Methode, unter Missachtung aller zivilen Übereinkommen zwischen den Völkern, unter Verletzung der Würde der Person und aller dazu verfassten nationalen und internationalen Gesetze der größten Geißel der Menschheit, dem Krieg zu dienen. Der Krieg ist wieder aufgerufen in Afrika, im Nahen Osten, in Asien. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Welt kein Jahr zur Ruhe gekommen. Die Formen des Krieges haben sich geändert, aber es geht immer noch um die Reichtümer der Erde, die sich die Riesenkonzerne im Dienste der Führungsmacht aneignen wollen. Man nennt das Globalisierung. Dazu haben sie ihre Vertreter in Staat und Armee stationiert. Die Vertuschungen, die Lügen, die Anrufung Gottes sind geblieben, nur die Formen haben sich geändert. Und es finden sich noch immer Freiwillige, die sich bei diesen verbrecherischen Unternehmungen Abenteuer versprechen. Wie es diesen Männern ergeht, kann man lernen, wenn man einen Blick auf die nur fünf Jahre währende Existenz der „Brandenburger“ wirft.“

 

Zum Schluss des heutigen Newsletters soll noch ein spannendes Kinderbuch für Kinder ab 11 Jahren präsentiert werden. Vor nunmehr mehr als einem halben Jahrhundert schrieb Joachim NowotnyJakob lässt mich sitzen“. Es erschien erstmals 1965 im Kinderbuchverlag Berlin: Heiko steht am Zaun und wartet auf seinen großen Freund Jakob. Seit Tagen ist er nicht mehr nach der Arbeit an den Fischteichen vorbeigekommen und hat Heiko auf seiner Jawa mitgenommen. Jakobs Gedanken sind nur noch bei Manja, der hübschen Tochter des Försters. Für sie ist der Platz auf der Rückbank jetzt reserviert. Heiko kann nicht mehr schlafen und sich in der Schule nicht konzentrieren. Er müsste dafür sorgen, dass die beiden nicht zueinander finden. Wird er Jakob wieder ganz für sich haben? Hören wir Heiko einen Moment zu, was er gleich zu Beginn des 1. Kapitels zu sagen hat:

 

„Heut ist die ganze Welt gegen mich. Der Bussardvogel, der unter der Sonne und über dem Kiefernwald kreist, schreit mir ein höhnisches Piiäh zu. Der Storch tritt an den Rand des Nestes auf der Linde, er drückt den Kopf nach hinten und stößt den Schnabel in die warme Luft. Dann klappert er los. Es klingt, als würde er mich auslachen. Und die Sperlinge, die wie Lumpenbälle im Fliederbusch hängen, spektakeln, dass einem die Ohren wehtun. Die Hühner durchharken mit gekrümmten Pfoten das kurze Maigras auf der Wiese. Ab und an recken sie die Köpfe. Sie sehen zu mir her und quarren sich einen seltsamen Laut zu: Raaak-gack! Ich weiß schon, was das bedeuten soll.

 

„Seht euch den Heiko an!“, heißt das. „Er hockt den ganzen Nachmittag auf einem Fleck. Ist er vielleicht krank, dass er nicht wie sonst herumflitzt?“ Das Federvolk hat keine Ahnung. Ich muss hier auf dem Zaunpfosten sitzen. Auch wenn es Holzpantoffeln regnen sollte. Keine Macht der Welt bringt mich hier weg. Mag es ruhig aus dem offenen Küchenfenster nach frisch gebackenem Napfkuchen duften. Mir macht das nichts aus. Und wenn die Großmutter zehnmal die Teigschüssel auf dem Tisch hin und her schiebt, ich werd mich nicht verlocken lassen. Soll sie die Schüssel selber auskratzen.

 

Heute habe ich fast keinen Appetit darauf. Oder doch? Plötzlich schießt die Katze durch die Haustür auf den Hof. Ein Filzpantoffel taumelt durch die Luft und landet neben dem Hühnerhof im Sand. Während sich die Katze das Maul beleckt, höre ich die Großmutter schimpfen: „Hat der Mensch Töne? Nicht mal der Zuckerguss ist vor dem Biest sicher.“

 

Da läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Ich schmecke sofort die Süße des Zuckers und die prickelnde Säure des Zitronensaftes auf der Zunge. Nur einen Löffel voll jetzt! Danach könnte ich drei geschlagene Stunden hier hocken und warten. Schon will ich auf einen Sprung in die Küche, da fällt es mir wieder ein: Lieber nicht! Unsereins muss auf seinem Posten bleiben. Das meiste passiert sowieso immer gerade, wenn man nicht dabei ist.

 

Missmutig breche ich mir einen Zweig aus dem Fliederbusch. Dann umklammern meine Füße wieder den Zaunriegel. Ich zerfasere die Rinde mit den Zähnen. Brrr, das schmeckt bitter! Aber es vertreibt die Zuckersehnsucht aus dem Munde. Warum muss sie gerade heute backen? denke ich. Meine Augen wandern im Kreis. Hinter der Scheune erhebt sich der Kiefernwald. Die Bäume stehen schweigsam und reglos beieinander wie Leute, die auf eine Beerdigung warten. Nur die Blätter der Zitterpappel am Waldrand spielen nicht mit. Sie winken in einer Tour und tun so, als wehe wer weiß was für ein Wind. Dabei geht kein Lüftchen. Nicht einmal die Schmetterlinge über der Wiese werden abgetrieben. Und auch das dünnstänglige Gras am Feldwegrand bewegt sich kaum. Auf dem Sandweg geht die Langeweile spazieren. Kommt sie an einem Roggenschlag oder einem Kartoffelfeld vorbei, bläht sie sich mächtig auf. Aber das grüne Meer der kniehohen Halme und die gestreckten Furchen lassen sich nicht ausstechen: Ätsch, wir sind viel langweiliger als du!

 

Vor dem Dorf kehrt die Langeweile wieder um. Dort hat sie nichts zu suchen. Sie ist mehr hier draußen zu Hause. Wenn ich mich nicht täusche, dann wohnt sie hier bei uns in der Einsamkeit. Eine Weile wandert sie noch umher. Auf einmal macht sie einen Sprung in die finstere Scheunenecke. Der kleine Bulko kommt quer über die Wiese gerannt. Mit dem will die Langeweile nichts zu tun haben. Er ist ihr zu lebendig.

 

„He!“, ruft er schon von Weitem. „Heiko! Mach schnell, es brennt.“ Ich rutsche zweimal auf dem Zaunpfosten hin und her. Aber ich bezwinge mich und sage zu dem kleinen Bulko: „Dich werden sie schon noch mal kaschen, wenn du ihnen die Wiese zertrampelst.“ „Hach“, sagt er, „die kriegen mich nicht.“ Er stopft sich die Hemdzipfel in die Turnhose. „Niemals kriegen die mich.“

 

„Und der Schurig?“, frage ich. Der Schurig, das ist unser neuer Agronom im Dorfe. Vor drei Wochen kam er von der Schule weg zu uns. Noch niemand hat ihn rennen sehen. Aber der kleine Bulko weiß Bescheid.

 

„Der Agronom“, sagt er und schüttelt sich den Sand aus den Schuhen, „der Agronom latscht immer in Gummistiefeln rum. Wie wird er da vernünftig rennen können?“ Der kleine Bulko hat wieder einmal recht.“

 

Damit sind wir wieder einmal am Schluss des aktuellen Newsletters mit den Deals der Woche angekommen. Und wieder dürfte es dank des vielfältigen Angebotes schwerfallen, sich für ein Buch oder auch für mehrere Bücher zu entscheiden. Aber vielleicht hilft es weiter, wenn Sie sich einfach mal ganz spontan entscheiden – also ohne langes Überlegen. Eine gute Entscheidung treffen Sie auf jeden Fall. Und nehmen Sie noch drei ostalgische Wörter mit in die nächste Woche – Zentrale FDJ-Leitung, Derzeitfreundin und Agronom.

 

Ach so, fehlt noch Jawa. Eine Jawa war ein auch hierzulande begehrtes Motorrad eines tschechischen Herstellers, das durch seine schnittige Konstruktion auffiel. Die Marke „Jawa“ ist übrigens ursprünglich eine tschechisch-deutsche Kombination und leitet sich von den beiden Worten „Janeček“ und „Wanderer“ ab. Daraus wurde dann der Name „Jawa“ gebildet. Die so benannte Firma entstand im Jahr 1929 aus einer Munitions- und Waffenfabrik, als der Besitzer František Janeček die Lizenz zur Produktion eines Motorrads mit 500 Kubikzentimeter von der Wanderer-Werke AG in Schönau bei Chemnitz erwarb, welche die Produktion motorisierter Zweiräder aufgab. Soviel zur Geschichte. Und heute? Nach jüngsten Angaben sollen in Deutschland Anfang 2014 noch 6.806 Jawa-Krafträder zugelassen gewesen sein, was einem Anteil von 0,2 Prozent entspricht. Aber vielleicht haben Sie Glück und entdecken trotzdem eines. Dann wissen Sie immerhin, worauf der kleine Heiko gewartet hat. Vor allem aber natürlich auf seinen großen Freund Jakob. Das ist der mit der Jawa und einer neuen Derzeitfreundin …

 

 

DDR-Autoren: Newsletter 07.07.2017 - Morde in Leipzig, Herr Nepomuk, Dialektik und Vergnügen sowie Achterbahn