Literarische Haushaltsauflösung
Jürgen Borchert erzählt aus der Familiengeschichte seiner Tante
Als der Haushalt seiner gerade verstorbenen Tante Martha aufgelöst wird, und kaum noch etwas Brauchbares übrigbleibt, da schnappt sich der Schriftsteller Jürgen Borchert einen Schuhkarton voller vergilbter Fotos und Papiere: Briefe, Urkunden, Ausweise, Zeitungsausschnitte. „Das nehme ich mit", sagte ich.“ Und damit beginnt eine Art „literarischer Haushaltsauflösung“, in der Jürgen Borchert akribisch und detailreich wie immer die Dokumente aus diesem Schuhkarton zum Sprechen bringt. Aus ihnen rekonstruiert der Schriftsteller das knapp acht Jahrzehnte währende Leben einer Frau und ihrer Familienmitglieder – und macht zugleich ein ganzes Jahrhundert lebendig.
Nicht selten sind es die Umwege im Leben, die kleine und große Geschichte auch im Leben von Tante Martha miteinander verbinden und die Borcherts Buch so spannend lesbar machen. So ist unter anderem zu erfahren, dass Martha, eine begeisterte Stenografin, mehrmals Deutsche Meisterin sowohl in der Stolze-Schrey als auch in der Deutschen Einheitsschrift gewesen war, und deshalb gleich bei Ausbruch des Krieges „dienstverpflichtet“ und nach Kriegsende in einem dänischen Internierungslager festgehalten wurde, ehe sie wieder in ihre Heimat zurückkonnte. Und es ist zu erfahren, wie auch in sehr schwierigen Zeiten Mut aussehen konnte. Es sind diese Details, welche diese Spuren eines Lebens so hochinteressant machen. Hochinteressant und nachdenklich. Geschichte aus dem Schuhkarton.
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