Freund Georg
Walter Kaufmann schreibt über die frühen Jahre seines Lebens
Am Anfang dieses seiner Tochter Rebekka gewidmeten, erstmals 1966 unter dem Titel „Stefan – Mosaik einer Kindheit“ erschienenen und 1985 unter dem Titel „Jenseits der Kindheit“ in einer ergänzten Fassung herausgebrachten Buches fragt sich der Autor, ob es bereits zu spät sei, so zu schreiben: „Jetzt, da ich dies niederschreibe, liegen eine Welt und die Hälfte meines Lebens zwischen mir und Georg, zwischen mir und dem vom Krieg zerrütteten Deutschland. Ist es bereits zu spät, so zu schreiben? Ich weiß es nicht. Oder sage ich gerade zur rechten Zeit aufrichtig, wie ich es fühle: Georg ist noch immer mein Freund, und auch die Menschen, die Georg großgezogen haben, sind meine Freunde. Es gibt Dinge, die man lernt, wenn man klein ist, und die in einem bleiben und mit den Jahren wachsen. Und es sind stets die einfachen Dinge. Sie wiederholen sich, sie verbinden sich und werden bedeutungsvoll - sie bilden eine Kette, die von der Kindheit bis in die Mannesjahre reicht.“
Nein, es war nicht zu spät. Und es ist wichtig, dass die nachfolgenden Generationen wissen, was damals in Deutschland Menschen passierte, die als Juden geboren wurden waren. Und dass sie wissen, wie es genau geschehen ist. Und wichtig ist auch, wie sehr den Erzähler noch viele Jahrzehnte später seine Freundschaft zu dem gleichaltrigen Jungen Georg berührt, der zu ihm hält, obwohl Stefan ein Jude ist und er nicht: „Und dies ist in mir lebendig geblieben, mir selbst unbewusst, bis heute, da ich es erzähle und mein Gedächtnis auf den Augenblick der Begegnung konzentriere: Die ruhige Sicherheit von Georgs Mutter, ihr Stolz, der auch in Georg war, der prüfende Blick, mit dem sie mich ansah, die Vorbehaltlosigkeit, mit der sie mich dann aufnahm als einen der ihren, der an allem, was sie besaßen, teilhaben durfte. Hier zählten weder mein gesellschaftlicher Stand noch meine Religion. Von Anfang an wusste ich, dass hier nur der Freund etwas galt, Georgs Freund, sonst nichts. Das war ein gutes Gefühl.“
Ein wichtiges, ein schönes, ein unbedingt lesenswertes Buch. Gerade auch heute. Und auch künftig.
Walter Kaufmann, der eigentlich Jizchak Schmeidler heißt und am 19. Januar 1924 in Berlin geboren wurde, ist ein deutsch-australischer Schriftsteller. Der in Duisburg aufgewachsene Adoptivsohn eines jüdischen Anwaltsehepaars hatte als 14-Jähriger mit einem Kindertransport über die Niederlande nach Großbritannien fliehen können und wurde so vom Schicksal seiner im KZ Auschwitz ermordeten Adoptiveltern verschont. Mit 15 als „feindlicher Ausländer“ nach Australien deportiert, musste er sich dort ganz auf sich allein gestellt seinen Lebensunterhalt verdienen – als Obstpflücker, Landarbeiter, Straßenfotograf, Werftarbeiter sowie als Arbeiter im Schlachthof, als Freiwilliger in der Australischen Armee und als Seemann. 1953 erschien in Melbourne sein erster Roman „Voices in the storm“. Ihm folgten seit seiner Übersiedlung in die DDR 1957 mehr als 30 Bücher. Deren Mehrzahl hat Kaufmann, der noch immer die australische Staatsbürgerschaft besitzt, in englischer Sprache geschrieben, anschließend selbst übersetzt oder übersetzen lassen. Sein bewegtes Leben als jüdischer Emigrant, seine Reisen als Seemann, sein Leben in Australien und die Ereignisse im faschistischen Deutschland thematisierte der Autor in vielen seiner Romane, Erzählungen in der Tradition der amerikanischen Short Story und Reportagen.
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