DDR-Autoren
DDR, CSSR, Sowjetunion, Polen ... E-Books, Bücher, Hörbücher, Filme
Sie sind hier: Das Ende der Basmatschen von Heinz Kruschel: TextAuszug
Das Ende der Basmatschen von Heinz Kruschel
Format:

Klicken Sie auf das gewünschte Format, um den Titel in den Warenkorb zu legen.

Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
23.10.2014
ISBN:
978-3-95655-116-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 138 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Action und Abenteuer
Abenteuerromane, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane
Usbekistan, Konterrevolution, Taschkent, Buchara, Samarkand, Ferganatal, Theater
Zahlungspflichtig bestellen

Akramow ging so schnell, dass Ulug Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Akramow war groß und stiernackig, er wirkte nicht wie ein Dramatiker, jedenfalls hatte sich Ulug einen Dramatiker anders vorgestellt, nicht so schwergewichtig, stark wie ein Lastträger.

Sie überquerten den Registan-Platz. Ulug war überrascht von der Schönheit der drei Medressen, die den Platz säumten.

»Hier verkündeten die Herolde der Timuriden ihre Schlachten und Siege«, sagte Akramow mit dröhnendem Bass, »hier beteten zehntausend Moslems, hier sprach auch Kalinin vor fünf Jahren, ich habe ihn gesehen und gehört ...« Er führte Ulug in den Innenhof der Medresse Schir-Dor, bat den Jungen um einen Augenblick Geduld und ging noch einmal zu dem löwenbemalten Portal zurück. Kein Mann war ihnen gefolgt, nur eine alte Blumenfrau, tief verschleiert und krumm, stand vor der Medresse, eine stumme Larve. Akramow sah sie aufmerksam an, dann ging er schnell zurück, durchquerte mit Ulug den verwilderten Garten, schlug einen großen Bogen hinter dem Gebäude und führte ihn hinter die Tillja-Kari-Medresse. Sie stiegen die Stufen einer Treppe empor. Im Kreuzgang saß ein junger Mann mit angezogenen Knien am Boden und lächelte breit, als er Akramow erblickte. Die Schneidezähne des Mannes standen schief, er trug eine mit silbernen Ornamenten bestickte Tjubetejka, sonst aber Hemd und Hose wie ein Europäer. »Die Blumenfrau, glaube ich«, sagte Akramow zu ihm, »sie wirkt wie ein Mann.«

»Das werden wir bald haben.« Der Mann erhob sich und schüttelte Ulugs Hand. Er war groß und hager. »Ich bin Murat. Geht schon zu ihm hinein.«

Hamsa saß in einer Zelle und schrieb, die Besucher traten ein und blieben eine Weile an der Tür stehen. Ulug sah sich den Mann genau an, dessen Gedichte er auswendig kannte. Mit Sawrija zusammen hatte er sie aufgesagt. Seine Stücke hatten sie im Unterricht behandelt.

»Ich grüße euch. Setzt euch doch. Dich kenne ich auch, du bist der Bruder Scharafats, sie wird bald in Samarkand Theater spielen.« Hamsa sprach schnell und schien nervös zu sein. Akramow hatte Ulug erzählt, dass Hamsa nur wenig schlafe.

»Scharafat? Hier?«

Hamsa nickte. Dann wandte er sich an Akramow: »Was macht dein Stück?«

Ulug erhob sich. Hamsa möge verzeihen, aber er hätte ihm noch etwas Wichtiges zu sagen.

»Sprich, Junge.«

Ulug erzählte von Sawrija, von seiner Flucht und von der Begegnung mit dem Mädchen auf dem Markt von Buchara. Das Zusammentreffen mit Georgi verschwieg er. Und auch das Gespräch mit Anatol in Samarkand erwähnte er nicht. Anatol hatte dafür gesorgt, dass Akramow ihn aufnahm. Und der Dramatiker kannte seine Schwester Scharafat.

»Ich danke dir«, sagte Hamsa, »du vergisst, dass wir gemeinsame Bekannte haben. Anatol hat mich informiert.« Ulug wurde rot, das hätte er sich denken müssen. »Nein, du brauchst nicht verlegen zu sein, im Gegenteil, es ist gut, wenn du schweigen kannst. Aber sie wollten mich schon vor der Revolution umbringen, und es ist ihnen nicht gelungen. Manchmal streite ich mich mit Anatol. Er kann mich nicht wie einen Hasen versteckt halten, das weiß er auch. Nun, er hat seine Aufgabe, ich habe meine. Ich muss auf den Basar und in die Fabriken gehen können ...«

»Trotzdem solltest du dich in acht nehmen«, warnte Akramow, »gewiss, man wird bald auch die letzte Bande ausgeräuchert haben, aber zurzeit sind die Basmatschen noch immer gefährlich. Wie Tiere, die auf den Tod verwundet worden sind.«

»Nein«, antwortete Hamsa, »wenn ich ständig daran dächte, könnte ich nicht mehr arbeiten. Lasst uns von deinem Stück reden.«

»Es ist fertig. Ich habe es nach unserem letzten Gespräch überarbeitet. Aber ich glaube nicht, dass es aufgeführt werden kann.«

»Warum denn nicht?« '

»Die Hauptrollen müssen von Frauen besetzt werden, die Lola und ihre Mutter, aber bei uns wagt es noch immer keine Frau, Schauspielerin zu werden und eine Bühne zu betreten.«

»Das sollte kein Hinderungsgrund sein«, meinte Hamsa, »wir könnten es uns einfach machen und das Stück nach Taschkent geben. Vielleicht könnte auch Scharafat die Rolle der Lola hier übernehmen, aber es dauert zu lange, Scharafat kann erst in der nächsten Spielzeit kommen, nein, ich sehe da andere Möglichkeiten ...« Er lächelte spitzbübisch.

»Welche denn?«

»Wie alt ist dein Bruder?«

»Neunzehn.«

»Hat er schon einen Bart?«

»Nein, das ist sein großer Kummer.«

»Na bitte, dein Bruder müsste die Rolle der Lola übernehmen und du selber, Akramow, die Rolle der Mutter!«

Akramow prustete los, seine Augenlider flatterten. »Ich? Ich in Weiberkleidern? Ein Witz ist das, Hamsa!«

»Nein«, sagte Hamsa, »es ist mein Ernst. Das Stück ist wichtig«, er wandte sich an Ulug, »weißt du, es geht um ein junges Mädchen, das verkuppelt werden soll und das nun aber den Kampf aufnimmt, denn es will den Jungen heiraten, den es liebt. Das ist so wichtig für uns! Soll es nicht aufgeführt werden, nur weil du es unter deiner Würde findest, in Frauenkleidern auf der Bühne zu stehen? Du bist als Lolas Mutter sogar verschleiert! Und was ist das für eine Auffassung, Akramow? Du trittst für eine Gleichberechtigung ein, nicht wahr? Aber wohl nur in deinen Stücken? Urtok Akramow, du bist ein Genosse ...!«

»Ich bin kein Schauspieler!«

»Du hast schon oft auf der Bühne gestanden. Und dein Bruder ist seit Jahren Mitglied der Truppe.«

»Ich brumme, bin ein Bass.«

»Dann wirst du in deinem Stück nicht brummen.«

Akramow schüttelte den Kopf.

Hamsa sagte ernst: »Die Schauspielerinnen sind Heldinnen. In Mittelasien sind viele getötet worden, manche sogar von den eigenen Verwandten. In Taschkent ist Asimowa an den Folgen einer Verwundung gestorben. Diese Frauen wagen ihr Leben.«

Ulug sah Akramow an. Der schien alles einzusehen. Er nickte. Aber er sagte nichts, und Hamsa wartete auch keine Antwort ab, sondern redete über einen Regisseur, den er empfehlen würde. Da erst sagte Akramow: »Ich hatte an dich gedacht.«

»Gern, aber ich gehe auf einige Monate in die Berge. Und dein Stück müssen die Menschen früher sehen.«

Ulug dachte: Es stimmt also, dass er in die Berge will, um ein Buch über die Basmatschen zu schreiben, er lässt sich nicht davon abbringen. Hoffentlich schicken sie mich nicht nach Taschkent zurück, ohne Sawrija gehe ich nicht ...

Der lange Murat kam in die Zelle und sagte zu Hamsa: »Ein Blumenweib haben sie dir nachgeschickt, aber unter der Parandscha kam ein Männerbart zum Vorschein. Der Kerl wird gerade abgeführt, zum Gaudium der Schulkinder, ein Bart in Frauenkleidern ...«

»Ist ja gut«, meinte Hamsa unwirsch.

»Nein«, sagte Akramow, »das habe ich mir vorzuwerfen. Sie wissen auf alle Fälle, dass sie dich am Registan suchen müssen, ich habe gedacht, klug zu sein, aber nun ...«

Hamsa unterbrach ihn: »Ich habe schon einmal gesagt, ich will nicht, dass man mich abschirmt und beschützt, ich will leben wie jeder andere Usbeke, auf den Basar gehen, in einer Tschaichana sitzen, durch die Straßen schlendern, und ihr werdet mich nicht daran hindern können!«

»Natürlich nicht«, sagte Murat, »aber wir tun, was wir können.«

Er verwünschte diese Aufgabe, einen Mann zu bewachen, der sich nicht bewachen lassen wollte. Aber er verstand auch Hamsa. Blass ist er, dachte Murat, er hat Schatten und Ringe unter den Augen, die rot gerändert sind, er sollte wegfahren und ausspannen. Übertreiben wir nicht? Mit den Basmatschen werden wir fertig, sie wagen schon keine großen Angriffe und offenen Kämpfe mehr. Und dass sie eines ungeschriebenen Buches wegen Hamsa umbringen wollen, das glaube ich nicht. Was ist schon ein Buch. Die Leute lernen ja erst lesen und schreiben. Sollen sich die Basmatschen vor einem Buch fürchten?

 

Das Ende der Basmatschen von Heinz Kruschel: TextAuszug