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Der große Teufelsrochen von Heinz Kruschel
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
20.10.2014
ISBN:
978-3-95655-098-0 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 109 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Action und Abenteuer
Abenteuerromane, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane
2. Weltkrieg, Sachsen-Anhalt, Bombenangriff, Manta, Jude, Albrecht von Habsburg, Heinz Israel, Maler
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ER WAR SEHR ALLEIN AUF DER WELT

Die riskante Landung gelang dem Piloten Daniel Rosebush nicht besonders gut, aber eben ausreichend genug, obwohl er dachte, sich nicht mehr konzentrieren zu können.

Er fühlte sich sehr träge und ausgelaugt, wie nach einem langen Arbeitstag oder nach einer just überstandenen Krankheit, und er lächelte krampfhaft, um sich nicht übergeben zu müssen, und er war allein und er wäre jetzt auch gerne lange ganz allein geblieben.

Das aber war natürlich Illusion.

Eine Stimme fehlte ihm, eine Stimme wünschte er sich heran, ihre Stimme, die von Lady Day, die ihn von Deutschland an begleitet hatte, durchdringend, bebend, thrill und aufregend zugleich. Ein Song wie ein Schlagzeug, das wäre ein schönes Wunder gewesen.

Swingen bis zur Sucht, Swingen bis zum Krankwerden: Vielleicht tun wir das Richtige, vielleicht tun wir auch das Falsche.

Und wer besitzt eigentlich unsere Seelen.

Nun erst kam sich Daniel ganz einsam vor.

Dabei war er stundenlang allein geflogen. Das war ihm nie so schwer gefallen wie heute. Sie sollen kommen, sie sollen ihn zur Rede stellen und von ihm Rechenschaft verlangen. Er wusste, wer sein größter Gegner war: er selber.

Er war aber nicht allein auf der Welt. Das sah er bald.

Daniel Rosebush stieg auf steifen Beinen aus dem Flugzeug und schob den feuchtkalten, ledernen Helm vom Schädel und schwankte auf weichen Knien. Zwei, drei Autos rasten heulend auf ihn zu, viel zu schnell, als müssten sie ein Wettrennen fahren und gewinnen, um von ihm eine Rechtfertigung zu verlangen.

Die Schraube drehte sich immer fester.

Er war verdammt allein auf dieser Welt hier.

Wen gab es denn noch. Und was gab es zu tun?

Es fand sich keine Höhle für ihn. Aber auch keine Höhe.

Fallen lassen, einfach stürzen.

Nicht einmal die Stimme der Holiday hatte ihm geholfen, jetzt auf der Erde gerade zu stehen und aufrecht zu gehen oder sich zu bücken, denn es gab fortan die Stimme der Frau nicht mehr, deren Augen von vielen Leuten aufrührerisch genannt wurden, und niemand half ihm, und er spürte, wie ihn immer mehr die Kraft verließ, wie Bilder in ihm auftauchten, die er, wenn überhaupt, sehr unbewusst wahrgenommen hatte.

Er versuchte, sich gegen seine Gedanken zu stemmen und sich auf die beiden Zivilisten zu konzentrieren, die sich ihm näherten, wie auch auf die drei uniformierten Offiziere, die ihn steif erwarteten und kein Wort miteinander sprachen. Zwei von ihnen kannte er: Captain Trapp und Colonel Stewart, den Group Leader. Sie trugen noch ihre dienstliche Kleidung, sie hatten sich nicht die Zeit nehmen können oder dürfen, sich umzuziehen. Es hatte einen Befehl gegeben, und dieser Befehl hatte mit ihm zu tun.

Und mit seinem Ungehorsam.

Seine ‘Mosquito’ wurde untersucht und überprüft, und keine Holiday sang mehr und verkündete, dass bald die tiefe blaue See rufen werde.

Nun rasten in Daniel die Bilder und Erinnerungen heran: Da gab es einen reißenden Schmerz auf dem Leib, da sah er Wasser im Mühlgraben, das sich rot färbte von seinem Blut, da trug ihn ein Bär von einem Kerl, der muskelstarke Klabauter, bis nach Hause, da weinte die Lehrerin Miss Blade über seinen Aufsatz, da strafte ihn Vater damit, dass er ihn ständig in die Schule bringen und abholen ließ, da sah er den blinden Hans ununterbrochen spielen, und da blaffte es aus dem roten Kopf des Mannes, der einen Schmerbauch unter brauner Uniform trug, aber man hörte keinen Laut, denn alle Erinnerungen kamen tonlos heran. Es gab weder gesprochene Worte noch jazzige Musik oder verzweifelte Schreie, und darum konnte er auch nicht das Weinen der kleinen Frau Schikora hören, sondern nur sehen, wie auch ihre hervorquellenden Augen, als ihr betrunkener Mann, der eine prallsitzende Uniform über dem Schmerbauch trug, sie niederwarf, auf das Wasserufer, wo schon die schöne mulattenbraune Ebba regungslos lag, die Füße und die Beine steif im Mühlgraben.

Nichts kann uns versklaven, hatte seine Lehrerin gesagt, die zarte Frau, die Miss Blade genannt wurde, nichts kann uns versklaven, es sei denn, wir selber lassen es zu.

Wortfetzen erreichten ihn. Er konnte sie nicht einordnen. Wem gehörten sie nur, wem denn nur ?

Befehle zweifelt man nicht an. Du darfst nur sitzend schlafen.

Die Liebe ist die herrlichste Sache auf Erden.

Der blinde Hans imitiert Hans Albers. Die alte Sarah lächelt.

Schwarze Leichname baumeln in der Brise. Tod kommt zu Tod.

Es gibt kein Flakfeuer, sie wehren sich nicht. Und keine Sirene zu hören.

In Mondscheinkneipen, wo man heimlich Alkohol trinkt. Vielleicht das Richtige, vielleicht das Falsche, wer weiß das schon. Ich bin voll Elend.

Siehst du die schwarzen Leichname baumeln?

Klebe mir noch eine Wurzel auf die Wunde, Klabauter.

Wo liegst du, Ebba, komm zu mir, nun komm doch nur, lass dich eisgekühlt lieben, wie die Holiday, mal silberhell und unnahbar und mal glühend vor Liebe und vor Zorn.

Ein Hund bleibt immer ein Hund, ein Pferd immer ein Pferd und eine Blume immer eine Blume, das ist richtig, das ist schön, aber wer hat dieses Schöne gesagt oder geschrieben oder gedacht, wer denn nur?

Daniel fiel der Name nicht ein, er wusste aber noch, dass der Mann, der sich das ausgedacht und aufgeschrieben hatte, aus Eastwood bei Nottinghamshire stammte und mit dem ‘weißen Pfau’ und der ‘gefiederten Schlange’ einer der besten Dichter seiner Zeit war. Und das hatte ihm alles die kleine Lehrerin beigebracht, wie hieß sie doch gleich wieder, die Frau, die nicht böse sein konnte, die kleine, zarte Miss Blade, bei der sie die schönen Texte gelernt hatten, sogar freiwillig, ein Hund bleibt immer ein Hund.

Und während Daniel Rosebush in den Wagen stieg, er selber wortlos, wie auch seine Begleiter stumm waren und keinen Satz sprachen, während die Wagen wie gehetzt davonrasten, einem Gespräch entgegen, das man vielleicht Verhör nennen musste, während dieser Zeit verlor Daniel die meisten unwichtigen, kreisenden, stürzenden Gedanken, die er in sich getragen hatte, und sagte laut und so langsam vor sich hin, als müsste er die Wörter erst gründlich kauen, weil er, vorsichtig geworden, ihnen misstraute: „Aber ein Mensch? Bleibt er immer ein Mensch? Nein, er ist noch gar keiner, er ist noch gar keiner, er ist noch gar nicht, er ist noch gar kein Mensch, dieser Mensch.“ Die Offiziere sahen sich vielsagend an. Einer legte dem Deutschen die Hand um die Schulter und spürte das Zittern seines ganzen Körpers.

„Stimmt“, sagte einer der Begleiter, der ein Arzt war, „nur hat der Mensch das noch gar nicht begriffen, mein Junge, darum lebt er schlechter als ein Tier.“

Daniel dachte: Weil er durch das Leben geführt wird, weil er es nicht selber führen darf, weil er eine Rolle spielt, wie ich, ich, ich habe eine Rolle gespielt …

„Wir kriegen dich schon wieder hin“, sagte der Arzt, „nur noch ein paar Augenblicke Geduld.“

Er verlangte, die Geschwindigkeit zu erhöhen, in den nächsten Minuten müsse dem jungen Deutschen geholfen werden.

Träge flappten draußen große Vögel mit den Flügeln, aber sie stiegen nicht auf, sondern bewegten sich kaum von der Stelle.

Der deutsche Pilot konnte sich in diesem Augenblick nicht länger aufrecht halten. Er rutschte zusammen, unternahm aber noch einen Versuch und lächelte schräg, wie mechanisch und verkrampft und verlegen.

Dann hielt er es nicht länger aus.

Sie stützten ihn und erhöhten das Tempo, während sich seine Augen verdrehten. Es war ihm, als wäre sein Gehirn ferngelenkt und er selber ein unbekanntes Wesen. Aber er hörte noch die Worte des Arztes: „Vielleicht stimmt das Wort des Dichters, dass die Welt noch in Ordnung war, bis die Saurier ausstarben ….“

 

Der große Teufelsrochen von Heinz Kruschel: TextAuszug