DDR-Autoren
DDR, CSSR, Sowjetunion, Polen ... E-Books, Bücher, Hörbücher, Filme
Sie sind hier: DDR-Autoren: Newsletter 09.02.2018 - Reisen nach Italien, Lob eines Lexikons, General Auburtin und zwei

Reisen nach Italien, Lob eines Lexikons, General Auburtin und zwei Vorkommnisse an einer Schule – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag

(Pinnow 09.02. 2018) Italien – das ist das Reiseziel von Waldtraud Lewin. Deren Reise- und Erlebnisbuch „Addio, Bradamante“ aus den achtziger Jahren des inzwischen vorigen Jahrhunderts ist der erste der fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 09.02.18 – Freitag, 16.02.18) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind.

 

Jürgen Leskien, der Angola-Fahrer, berichtet in „Das Brot der Tropen“ wieder einmal aus diesem afrikanischen Land – und über seinen Großvater, der sich gut auskannte zumindest von A bis Atlantiden. Und diese Kennerschaft hatte einen ganz bestimmten Grund. In 18 Erzählungen unter dem Titel „Ihr wilder Mut“ stellt Heinz Kruschel Menschenschicksale aus dem 20. Jahrhundert vor. Eine Auswahl der schönsten Feuilletons & Geschichten des bekennenden Auburtinisten Jürgen Borchert präsentiert der Band „Spiel gegen sich selbst“, der in einer Art Selbstvorstellung auch das größte menschliche Vergnügen lobt – das Denken. Um das Denken sowie um grundsätzliche Fragen von Entwicklung und Erziehung, um menschliches Verhalten zwischen Routine und Revolution geht es in der Erzählung „Zugespitze Situation“ von Albrecht Franke. Eigentlich schade, dass wir nicht wissen, ob die damalige DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker dieses brisante Buch jemals zu Gesicht bekommen hat und was sie darüber gedacht hat oder zumindest haben könnte. Vielleicht haben Sie eine Idee, wenn Sie das letzte der aktuellen fünf E-Book-Angebote der Woche gelesen haben.

 

Addio, Bradamante“ – unter diesem Titel veröffentlichte Waldtraut Lewin erstmals 1986 im Kinderbuchverlag Berlin „Drei Geschichten aus Italien“: Die Autorin hat berühmte und sehr verschiedene italienische Landschaften und Städte besucht. In die Toskana, nach Rom und Sizilien führen die drei Erzählungen dieses Buches, Reisebericht und mitreißendes Erlebnis zugleich. Zahlreich sind die Stationen und die Begegnungen mit den Bewohnern des Landes. Die toskanische Schäferin Cincia, die mit der Besitzerin des alten romantischen Turmes in Fehde liegt, Fortunata, die Tänzerin in Rom, deren Traum vom Aufstieg zur Primaballerina zerbrochen ist, vor allem aber Bradamante, den alten Rittergeschichten entstiegen: sie alle und andere mehr sind lebendig, liebenswürdig in ihrem Temperament und interessant in den Fragen, die sie beschäftigen. Spannende Abenteuer lassen nicht auf sich warten, und Geheimnisse wollen gedeutet sein. Das Buch beginnt mit „Der Turm und der Ölbaum. Eine Geschichte aus der Toskana“:

 

„Auf dem Lande wohnt man billiger als in der Stadt, hatte man mir gesagt. Außerdem sieht ein Hotel wie das andere aus. Ich aber wollte Dinge sehen und erleben, wie sie nicht jedem Touristen begegnen. Freunde hatten mir die kleine Herberge gleich an der Straße empfohlen, dort sei es preiswert, und man würde freundlich behandelt, als gehöre man zur Familie.

 

Aber es war Wochenende, und wider Erwarten gab es kein freies Bett. „Das Wetter war so lange schlecht“, sagte der geschäftige Wirt, „nun haben die Leute die ersten schönen Tage zu einem größeren Ausflug genutzt. Von hier aus sind es ja nur zehn Minuten bis zum See, wissen Sie, und vielleicht kann man sogar schon baden.“ Das war für einen Italiener eine kühne Vermutung. Ende Mai geht man hier gemeinhin noch nicht ins Wasser. Ein Bad unter zwanzig Grad wird als Martyrium angesehen, und der Trasimeno-See, von dem der Wirt redete, hatte höchstens achtzehn Grad zu dieser Zeit. Aber wie dem auch sei, es war kein Zimmer zu haben. „Versuchen Sie es doch im Ort“, sagte der Wirt in Eile.

 

Ein bisschen enttäuscht begab ich mich dorthin. Um diese Jahreszeit, so zwischen Frühling und Sommer, war es in der Toskana am schönsten, warm, aber nicht zu heiß, und das Grün der Landschaft noch nicht versengt von der glühenden Sonne des Juli und August. Ungefähr auf der „Wade“ des Stiefels Italien befand ich mich, an der Grenze der Provinzen Umbrien und Toskana. Hier gedeihen Wein und Oliven, die braunen Bauernhäuser liegen wie geometrische Figuren an die sanften Hügel geschmiegt, und die Zypressen säumen die Wege zu den Gehöften wie Ausrufezeichen. Es ist eine der schönsten Landschaften Italiens, die jedem etwas bietet: der große Trasimeno-See ist für alle, die gern am Wasser sind, die Ausläufer des Apennin mit dem Monte Amiata für die Freunde der Berge - man kann da sogar Ski laufen! Und wer sich für schöne Städte und Kunstschätze interessiert, für den sind von Florenz bis Assisi so viele da, dass einem der Kopf schwindeln kann.

 

Weiter oben auf den Hügeln, wo keine Felder mehr sind, beginnt die Macchia, der Buschwald aus Eichen, Weißdorn, Stechpalmen, wilden Rosen, Thymianbüschen und Ginster. Von dorther kam mir mit Glockengeläut eine Schafherde entgegen. Zwei schwarze Hunde umkreisten sie, der Schäfer ging am Schluss. Als sie näher herankamen, sah ich, dass es eine Schäferin war, eine zierliche junge Frau. Sie trug derbe Schuhe, ein buntes Halstuch und einen Schäferstab in der Hand. Aus ihrer Schäfertasche, die ihr an Bändern über der Schulter hing, ragte ein dickes in Leder gebundenes Buch mit Goldschnitt hervor, das sie, als sie meiner ansichtig wurde, tiefer in die Tasche hineinstopfte. Um ihr gebräuntes Gesicht war blondes Haar gescheitelt, geflochten und aufgesteckt, dass es fast wie eine Krone aussah.

 

Wie auf dem Lande üblich, grüßten wir einander freundlich. Die Schäferin blieb stehen, während ihre Herde rechts und links des Hohlweges das saftige Gras abzuweiden begann, und fragte: „Wollen Sie unser schönes Tal besuchen?“

 

„Ich wollte“, sagte ich, „aber es scheint, es gibt Probleme mit dem Quartier. Wenn ich im Ort nichts finde ...“

 

„Sie finden bestimmt etwas“, sagte die Schäferin lebhaft. „Fragen Sie nach einem Haus, das II Molino genannt wird. Es ist oft unbewohnt, weil ich im Sommer meist im Pferch bei meinen Schafen schlafe. Sie können hineingehen, es ist unverschlossen. Sagen Sie der Schwelle ein paar freundliche Worte.“

 

„Was soll ich tun?“, fragte ich verwirrt.

 

Nur ein paar Jahre vor dem Italien-Buch von Waldtraut Lewin, erstmals 1982, veröffentlichte Jürgen Leskien ebenfalls im Kinderbuchverlag sein Afrika-Buch „Das Brot der Tropen“: Mit seinem Großvater fängt es an - das Buch, das der Schriftsteller Jürgen Leskien über Afrika geschrieben hat, genauer gesagt über die Volksrepublik Angola. Großvater, der eigentlich ein Kutscher war, wusste viel, weil er immer genau zuhörte und weil er ein Lexikon besaß – zwar nur einen Band von zwanzig Bänden. Aber immerhin. Band eins von A bis Atlantiden. Und seinem Enkel erklärte er manches von Afrika. Als der Jahre später wirklich in Afrika ist, in der Volksrepublik Angola, lernt er dort zum Beispiel die Hafenstadt Lobito kennen, trifft einen Wachsoldaten, der ihm mit seinem Seitengewehr eine Kokosnuss öffnet – eine Kokosnuss, die vielleicht aus Brasilien über das Meer nach Angola geschwommen war. Viel erfährt Leskien während seines Aufenthaltes über das Leben und die politische Entwicklung in Angola von der Kolonialzeit bis zum Befreiungskampf, er erfährt von den mehr als hundert Stämmen, die sich untereinander nur schwer verständigen können, von der ersten Militärparade der Soldaten der angolanischen Volksarmee am 4.Februar 1976 über die Magistrale der Hauptstadt Luanda und von der großen Bedeutung von Sprichwörtern in der Kultur dieses Landes. Und erzählt, wie er als Mitglied einer FDJ-Freundschaftsbrigade half, junge Angolaner in der Reparatur von Lastwagen zu unterweisen und mit ihnen gemeinsam die Autos in Gang zu halten. Jürgen Leskien berichtet, wie er in Angola Freunde, schwarze Freunde findet, aber er berichtet auch von den Tagen, da er sich nach seinem 9.000 Kilometer entfernten grünen Heimatland sehnt. Er sieht Affenbrotbäume und Maniokfelder – das Brot der Tropen – und leider keine Elefanten. Und irgendwie ist in Afrika immer auch sein Großvater mit dabei. Sein Großvater aus dem fernen Berlin. Und als er wieder nach Hause kommt, da stellt ihm der Großvater eine wichtige Frage. Aber bevor es soweit ist, dauert es noch ein bisschen. Wir sind schließlich erst ganz am Anfang und bei dem bereits erwähnten Großvater, der ein außergewöhnlicher Mann war, wie man gleich hören wird:

 

„1. Kapitel

Am besten ist, ich erzähle gleich von meinem Großvater, dann wisst ihr, woran ihr seid; und warum ich nach Afrika gefahren bin, ist leichter zu verstehen. Also, mein Großvater! Mein Großvater ist Berliner, schon immer. Damals wohnte er mit seiner Frau und seinem Sohn, der, wie richtig vermutet, mein Vater ist, in der Blumenstraße. Das ist die Gegend um den heutigen Ostbahnhof, aber mehr zum Alexanderplatz hin.

 

Großvater, Großmutter und der Apfelschimmel Oskar betrieben zu dritt eine kleine Kohlenhandlung. Das war in der Zeit zwischen den beiden Kriegen. Wer die Blumenstraße heute sucht, bemüht sich vergebens. Die Blumenstraße ist im Winter neunzehnhundertvierundvierzig verbrannt. Was danach blieb, waren Berge verkohlten Gesteins, Menschen, die in den Trümmern nach Menschen suchten. Zu dieser Zeit war der Kohlenplatz schon lange ohne Kohlen, und Oskar lebte nicht mehr. Großvater hatte ihn, während ich mit Großmutter zitternd vor den Bomben im Hochbunker saß, mit der stumpfen Seite unserer alten Axt erschlagen und das Fleisch am gleichen Abend noch eingeweckt. Besser wäre gewesen, Großvater hätte unser Pferd an die Leute verteilt, die es kannten, an die Nachbarn zum Beispiel oder an die lange Schmidten von der gegenüberliegenden Straßenseite, die war immer auf Suche nach was Essbarem, die Schmidten hatte fünf Kinder. Aber nein, Großvater hatte eingeweckt. So kam es, dass vom toten Oskar so recht niemand etwas hatte. Die Einweckgläser standen nur drei Tage im Keller, am vierten Tag war das Haus darüber eingestürzt und mit ihm die ganze Blumenstraße. Ich selbst hatte von Oskar, den ich wirklich gut leiden konnte, nur drei Buletten gegessen, die Großmutter nicht einmal das. Aber vergessen, vergessen konnten wir den Apfelschimmel nicht.

 

Im folgenden Sommer dann, eigentlich blühte man gerade der Frühling, quengelte Großvater und schimpfte. Er müsse raus, müsse sich kümmern, er käme hier um. Also an einem Frühlingstag fuhr Großvater mit dem Zug in Richtung Luckenwalde. Er wollte ein Pferd kaufen. Natürlich lachten alle, und die Soldaten des Kontrollpostens der Roten Armee am Stadtrand hörten sich ziemlich ungeduldig Großvaters Gerede an, aber dann lachten auch sie. Woher jetzt ein Pferd nehmen! Bevor der Krieg die Menschen verschlungen hatte, hatten die Menschen die Pferde geschlachtet! Die Panjepferde der Soldaten mit dem hochaufgewölbten Kummet, die? Die meinte er? Dass ihnen ein Deutscher ein Pferd der Roten Armee abhandeln wollte, das war den Soldaten noch nicht untergekommen. Aber Großvater ließ nicht locker. Die Soldaten wurden ärgerlich. Um ihn loszuwerden, setzten sie ihn auf ein Auto, das in Richtung Stadt den Kontrollpunkt passierte. Später fuhr der Großvater immer wieder mit dem Zug in Richtung Luckenwalde, und die Soldaten staunten nicht schlecht, als er eines Tages mit einem Pferd vor dem Schlagbaum stand. Und so hatte ich das Glück, nicht nur mit drei Brüdern, sondern auch mit einem Pferd aufzuwachsen. Und das mitten in Berlin!

 

Doch das ist nun schon eine ganz andere Geschichte. Ihr versteht, was ich sagen will: hatte sich Großvater einmal etwas in den Kopf gesetzt, ließ er nicht davon ab. Diese Hartnäckigkeit hielt die Familie in schlimmen Zeiten zusammen, aber sie bescherte meiner Großmutter auch so manche schlaflose Nacht. Ja, was der Großvater wusste, dass wusste er! Leute, die diese Zeit von damals genauer kennen, werden sagen, na, mit dem Wissen kann es ja nicht weit her gewesen sein. Nun ja, wahr ist, Großvater hatte nur sechs Jahre die Schule besucht; das lag am deutschen Kaiser. In seinem Auftrag wurde dem Vater meines Großvaters eines Tages die Pickelhaube mit feldgrauem Überzug auf den Kopf gestülpt, und man hieß ihn in einen Militärwagen einsteigen. Der Zug, zu dem der Waggon gehörte, stand auf dem Wriezener Bahnhof, nicht weit weg von der Blumenstraße, und Großvater bekam aus diesem Anlass schulfrei. Doch schon am übernächsten Tag hatte er sich ganz und gar von der Schule verabschieden müssen, denn mit seinen zwölf Jahren war er recht kräftig und wurde in der Kohlenhandlung gebraucht. Dabei blieb es zeit seines Lebens - Arbeit auf dem Kohlenhof.

 

Trotzdem - Großvater wusste viel. Er war in Berlin herumgekommen, kannte viele Leute, hörte immer genau hin, wenn sie sich in der Kutscherkneipe an der Warschauer Brücke ihre Geschichten erzählten. Und Großvater besaß ein Lexikon! Ja, ein Lexikon. Wie er zu dem kam, ist schnell erzählt. Ihr könnt euch denken, dass nicht immer Kohlen zu fahren waren, auch später dann, im Frieden, als es wieder welche gab, war es in dieser Hinsicht nicht anders. Aber Felix, so hieß Oskars Nachfolger, sollte nicht kalt stehen, nicht nur das Futter in sich hineinmampfen. Außerdem musste ja auch die Familie ernährt werden. Und so fuhr Großvater für die Leute vom Friedrichshain ab und zu Möbel, half beim Umziehen. Eines Morgens, nach einem solchen Umzug, fand der Großvater in der Futterkiste des Wagens ein Buch. Das Buch war dick und schwer, ein richtiger Wälzer. Weiß der Teufel, wie es in die Futterkiste gekommen war, auf jeden Fall hing das mit dem letzten Umzug zusammen. Mehrfach versuchten wir, den Leuten das Buch zurückzugeben, doch vergebens. Großvater brachte aus der Markthalle am Alexanderplatz Kistenbretter mit und baute für das Buch ein Regal. Das musste sein, denn es war ein schönes Buch, so meinte die Großmutter. Goldene Buchstaben zierten einen breiten Lederrücken. Es war auch ein nützliches Buch, wie sich aber bald herausstellte, leider nur eins von zwanzig. Es war der Kopf einer Bücherschlange mit zwanzig Gliedern. Aber immerhin der Kopf - Lexikon Band eins von A bis Atlantiden. Die Ausgabe war in Großvaters Geburtsjahr erschienen, und das deutete er als gutes Zeichen.“

 

Erstmals 2001 erschien im Geest-Verlag Ahlhorn das Buch „Ihr wilder Mut“ mit Erzählungen von Heinz Kruschel: 18 Erzählungen aus dem Jahre 2001 zeigen mit psychologischer Gründlichkeit Schicksale, Fehler und Schwächen, die Wünsche und Sehnsüchte von Menschen im 20. Jahrhundert auf: Die Erinnerung des Großvaters an ein Ereignis in der Kindheit, für das er sich noch immer schämt; die infame Intrige einer 13-Jährigen, die sich in ihren Lehrer verliebt hat; die teilnahmslose Anteilnahme einer Bäuerin am langsamen Sterben des ungeliebten Mannes; die Liebe eines einsamen Kindes zum Hund der Tante; die Flucht eines Jungen aus einem zerstrittenen Elternhaus; die rührende Anteilnahme eines Mädchens an einem Verwahrlosten, der aus der Weihnachtsmesse geworfen wurde; der grenzenlose Mut eines glücklich verliebten Mädchens; ein die Angst besiegendes Mädchen; das Verhältnis der Menschen zu den Tieren, zu andersartigen Menschen, zu Älteren und Sterbenden. Die Erzählungen sind so vielschichtig und spannend wie das Leben. Hier der Anfang der ersten Erzählung, in der es um eine beschämende Erinnerung geht:

 

„Julitag in der Schulstraße

Nach fünfzig Jahren sehe ich die Stadt wieder und wundere mich, wie klein manches ist, das ich viel größer in Erinnerung hatte. Ich gehe in die Schulstraße und zeige dem Enkel mein Geburtshaus: schmal steht es zwischen sieben Reihenhäusern, die der Schacht erbaut hatte.

 

Die Zeit hat viele gelebte Jahre blass werden lassen, aber Bilder tauchen auf, die man vergessen hatte. Jede Straße hat eine Geschichte. Ich zeige dem Enkel die Ecke, wo der Kaufmann sein Geschäft hatte, in dem ich für einen Groschen bunten Puffreis kaufen konnte, und ich zeige ihm auch das Haus, wo der Jude Arend wohnte, der als Diener das Auto des Generaldirektors fuhr, und auch das Haus des Glasermeisters steht noch, der einen steifen Arm hatte und dessen Töchterchen vor der geöffneten Ofenklappe erstickt war. Jedes Haus hat auch eine Geschichte.

 

Ich gehe durch die Straße, als erwartete ich, erkannt zu werden, und ich versuche, in alten Gesichtern die Freunde der Schulzeit zu erkennen, und ich erinnere mich, weiß aber nicht genau, ob das, woran ich mich zu erinnern glaube, mir nicht von anderen erzählt worden ist. Ich denke in dieser Straße an einen bestimmten Tag, und nichts von diesem Tag hat sich abgeschwächt, und ich sage laut zu meinem Enkel: „Ich schäme mich heute noch, wenn ich an einen bestimmten Tag in dieser Straße denke.“

 

Der Enkel sieht mich erstaunt an.

 

Damals trugen wir die Ärmel hochgekrempelt, sodass man die festen Muskeln sah, und die Strümpfe runtergekrempelt, das war Mode in den vierziger Jahren. „Warum schämst du dich?“

 

„Das kannst du nicht verstehen.“

 

„Weil du es selber nicht verstehst, was? Erzähl einfach.“ Ich finde, dass die erzählte Erinnerung mich schwächen wird, und weiß nicht, ob sie für ihn wichtig ist.

 

„Es war Krieg und ich war dreizehn Jahre alt.“

 

„So alt wie ich.“

 

„So alt wie du heute, ich war nur viel dümmer.“

 

„Stimmt das? Das sagst du bloß so.“

 

Ich hole ein vergilbtes Foto aus der Brusttasche und zeige es dem Enkel. Es zeigt das einstöckige Schachterhaus, vor dem wir stehen. Aus den Fenstern im ersten Stock sehen Menschen herab. Eine Frau hält ein weißes Bündel im Arm. Die Frau ist meine Großmutter. Das Bündel soll ich sein.

 

In der Schulstraße war nur morgens Betrieb, wenn die Kinder zur Schule gingen. Hier spielten wir nicht, man konnte sich in der Straße nicht verstecken. Zum Spielen gingen wir auf dem nahen Feuerwehrplatz an der Salzrinne, wo schmutzig gelbes Wasser aus der Fabrik abfloss.

 

„Du wirst schon noch alles erzählen. Wer wohnte in dem Haus nebenan?“

 

„Die Hermanns. Er war Kommunist und sie eine ganz Strenge. Meine Großeltern trafen sich mit ihnen zum Skat. Die Hermanns wollten nicht, dass ihr Sohn die schwarze Kumalke heiratete.“

 

„Und warum nicht?“

 

„Die Kumalke verkaufte vom Karren herab grüne Heringe.“

 

„Na und, was ist schon dabei?“

 

Ich weiß nicht, warum das ihnen nicht passte, der alte Hermann hatte wohl einen Posten unter Tage, er vertrat den Steiger, wie soll man das alles heute einem Jungen erklären. Kommunisten hatten ihren eigenen Stolz. Hätte ich nur nicht gesagt, dass ich mich immer noch für einen ganz bestimmten Tag schäme, den ich vergessen hatte.

 

„Es war sehr heiß an diesem Tage.“

 

„Und warum seid ihr dann nicht schwimmen gegangen? Bis zum Strandbad ist es doch nicht weit.“

 

„Wir hatten Dienst.“

 

„Was ist das, Dienst haben?“

 

„Wir mussten marschieren üben, wie man sich dreht und die Beine wirft.“

 

„Marschieren? Drehen? Beine werfen? Das haut mich um.“

 

Ich lache, aber mein Lachen klingt verlegen und etwas gequält. Ich finde mein Lachen sogar dumm. Wie erkläre ich denn, was „Linksum“ bedeutete oder was ein Fähnleinführer war, wie erklärt man das einem Dreizehnjährigen heute, und muss man das überhaupt erklären?

 

„Es war ein Tag im Juli 1943.“

 

„Es war Krieg, stimmt’s?“

 

Der Enkel geht in die achte Klasse und weiß, von wann bis wann der Krieg gedauert hat, also muss mich die Feststellung nicht überraschen. Anderes müsste ich erklären: An die tausend Kilometer von der Schulstraße entfernt, nämlich in Italien, beschloss in eben diesem Sommer 43 ein Verwandter des italienischen Königs, vor den Engländern und Amerikanern die Waffen niederzulegen. Er sagte: Sollen doch die Deutschen allein weiterkämpfen, die gewinnen den Krieg sowieso so nicht mehr, das ist unser Krieg nicht länger. Das erzähle ich dem Enkel.

 

„Wie hieß dieser Verwandte?“

 

Es war ein Marschall, und er hieß Badoglio.“

 

„Und was hat er mit der Schulstraße zu tun?“

 

„Gar nichts, oder doch? Wenigstens in meiner Fantasie.“

 

„Die Uroma, was deine Mutter ist, die sagt, dass du schon immer viel geträumt hast, Großvater. Du sollst sogar aus dem Bett gefallen sein.“

 

„Wenn sie das sagt, wird es vielleicht stimmen.“

 

„Wer vergisst, was schlimm war, der wird dumm, sagt Töffel.“

 

„Wer ist denn Töffel?“

 

„Na, Herr Krüger, den kennst du doch, der hat bei dir das Abi gebaut.“ Der Krüger also, denke ich, eine Leuchte war das nicht, aber mit dieser Bemerkung hat er was Kluges gesagt.“

 

Erstmals 1987 legte Jürgen Borchert im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig unter dem Titel „Spiel gegen sich selbst“ Feuilletons & Geschichten vor: Dieses Buch ist eine freundliche Einladung, eine Einladung zu Jürgen Borchert und zu seinen Texten. Das „Spiel gegen sich selbst“, das mit ebenso überraschend kombinierten wie lesenswerten „Auskünften zur Person“ eröffnet wird, versammelt seine schönsten Feuilletons, Geschichten und Miniaturen aus seinen Bänden „Klappersteine“ (1977), „Elefant auf der Briefwaage“ (1979) und „Efeu pflücken“ (1982) sowie bis dahin unveröffentlichte Texte und Arbeiten für regionale Publikationen. Das bringt Aufklärung über den Schriftsteller selbst und seine Art zu schreiben, über das Feuilleton und über die Kollegen, denen er sich verwandt fühlte. Dazu lese man vor allem seinen wunderbaren Text „Wie ich Auburtinist wurde“, in dem er auch erklärt, aus welchem persönlichen Gründen ihm Victor Auburtin schon ein Begriff war, ehe er auch nur ein einziges Feuilleton geschrieben hatte. Und noch immer bemerkenswert ist nicht zuletzt der Schluss seiner „Auskünfte zur Person“, in denen Jürgen Borchert in dem erstmals 1987 im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig erschienenen Auswahlband schrieb: „Ich bin alt genug, um zu wissen, wohin ich gehöre. Ich mag es nicht, wenn man mir erklärt, wie ich denken soll. Ich schätze Brecht nicht sonderlich, halte aber seinen Satz aus dem Galilei, dass das Denken das größte Vergnügen der menschlichen Rasse sei, für einen der wichtigsten Sätze, die in diesem Jahrhundert gesagt worden sind. Ich wünsche, dieses Vergnügen würde zu einem allgemeinen Bedürfnis.“ Das Jahrhundert, von dem bei Borchert die Rede, ist allerdings inzwischen das vorige Jahrhundert. Als eine erste Leseempfehlung hier eine weitere Selbsterläuterung des Autors, der wusste, was er konnte – und was (noch) nicht:

 

„Wie ich Auburtinist wurde

Noch kein einziges Feuilleton hatte ich geschrieben, ich wusste überhaupt nichts vom Feuilleton und kannte nicht einmal das Wort, hätte es auch, falls es mir bekannt gewesen wäre, weder richtig aussprechen noch richtig niederschreiben können, und doch war mir Victor Auburtin schon ein Begriff. Das kam so: Ich hatte eine Tante in Berlin, die hatte eine Freundin, wie sie Tanten ja zu haben pflegen, und diese Tante wurde von uns Kindern so geliebt, dass wir auch ihre Freundin in diese Liebe einbezogen und sie nach Art der Kinder ebenfalls und kurzerhand zur Tante erhoben. Jene Nenn-Tante nun, eine schwarzgewandete Diakonisse mit weißer Haube, nicht unbeträchtlichen Leibesumfanges, auch ständig schwankend zwischen der Würde der Gewandung und dem Humor des Herzens (sie neigte meist dem letzteren zu und flüchtete sich ins erste nur, wenn wir ihr Nervenkostüm allzusehr zerrüttet hatten), war eine Tochter von dem Bruder der Frau jenes besagten Victor Auburtin, eine sogenannte angeheiratete Nichte also des Schriftstellers mit dem französischen Namen. Wenn von Schriftstellern die Rede war, assoziierte ich: Aha, so einer wie der Onkel von der Tante G. Auch ein Buch dieses geheimnisvollen Mannes hatte ich bei der Tante gesehen, hatte sogar den Versuch gemacht, darin zu lesen, dies jedoch bald wieder aufgegeben. Wer wird von einem vierzehnjährigen Abenteuergierling verlangen, er möge Feuilletons interessant finden? Immerhin erinnere ich mich genau an das Aussehen des schmalen broschierten Bändchens: eine Katze schritt erhobenen Schwanzes durch eine Arkade maurischer Bögen. Das Buch hieß „Seifenblasen“.

 

Erst viele Jahre später wies mich Heinz Knobloch, um feuilletonistischen Rat befragt, auf Auburtin hin, und da erst merkte ich, dass ich einen literarischen Lehrmeister, einen der „Kirchenväter des Feuilletons“, sozusagen in der Familie hatte. Mit ihm verbindet mich die „Kette der Händedrücke“, von der der „Einmenschdichter“ Eugen Roth geschrieben hat, und zwischen mir und Victor Auburtin steht nur ein einziges Zwischenglied: die dicke, gute, schwarze Tante G. Natürlich bemerkte ich die Armseligkeit meiner eigenen feuilletonistischen Bemühungen am Maßstab Auburtins sehr schnell. Seither benutzte ich den Meister als wirksames Dämpfungsmittel bei aufsteigender poetischer Euphorie. Man befördert eine Seite Manuskript leichteren Herzens in den Papierkorb, wenn man zuvor eine Seite Auburtinischer Prosa gelesen hat. Denn das ist eine Sprache, die über aller Grammatik zu schweben scheint wie Lerchengesang über dem Kohlfeld, eine disziplinierte Sprache, die kein Wort zu viel duldet und keine unnütze Silbe. Aus solcher Sprache webte Auburtin seine Netze und warf sie dem Bürger über den Kopf. Und dann die Pointen: Auf Katzenpfoten kommen sie einher, und bei der leisesten Berührung fahren sie messerscharfe Krallen aus. Auch heute noch haben sie nichts an Schärfe verloren.

 

Fünfzig Jahre nach Auburtins Tod hat man sein Grab in Garmisch-Partenkirchen eingeebnet. Weder die verkappte Weißwurstmonarchie an der Isar noch die ach so reiche Republik am Rhein hatten die Mittel flüssig, es ferner zu erhalten. Das hat er nun davon. General hätte er werden sollen.“

 

Im selben Jahr 1987 wie die Feuilletons & Geschichten von Jürgen Borchert gelang es Albrecht Franke erstmals seine Erzählung „Zugespitzte Situation“ im Union Verlag Berlin herauszubringen: Ob er den Verlag ruinieren wolle, das wurde der Autor von verantwortlichen Personen des Union Verlages Berlin gefragt, als er dort das fast fertige Manuskript dieser Erzählung präsentierte. Denn Literatur, die sich im Rahmen des DDR-Bildungswesens ereignete, bot Konfliktpotenzial, war doch die Frau des mächtigsten Mannes des Landes die zuständige Ministerin. Konflikte entstanden tatsächlich, aber Außengutachten führten dazu, dass das Buch 1987 und 1989 sogar in zweiter Auflage erscheinen konnte. Rezensenten bemängelten den fehlenden Optimismus und die Nichtanwesenheit eines Parteisekretärs, der sich der zugespitzten Situation annahm. Diese entsteht, als der Lehrer Christian Dannenberg das Ausmaß der indolenten Bequemlichkeit begreift, die sich seiner bemächtigt hat. Einst mit Begeisterung in seinen Beruf gegangen, hat er sich eine Hornhaut zugelegt, ist ein routinierter Stoffvermittler und Zensurengeber geworden. Und nun der Sturz: Ein vierzehnjähriges Mädchen seiner Klasse hat versucht, sich die Pulsader aufzuschneiden. Nach dem ersten Schreck beginnt bei Dannenberg das Nachdenken: über sich, seine Ehe, die Kollegen und Bekannten und darüber, wie er sich jetzt verhalten soll. Die Sache des Mädchens wird zu seiner eigenen, und er muss sich eingestehen, dass der Zweifel am eigenen Verhalten umfassender ist. Das Schulsystem, die Lebensentwürfe, die den Hintergrund dieser Erzählung bilden, gibt es schon lange nicht mehr. Und dennoch: die Fragen, die darin gestellt werden nach dem eigenen Versagen, der Risikobereitschaft, dem Verantwortungsbewusstsein, der Bereitschaft, Konventionen zu dehnen und zu strecken und vorgegebene Muster aufzugeben, die sind geblieben und wollen immer wieder beantwortet werden. Autor Albrecht Franke hat seinem Buch eine bemerkenswerte Vorbemerkung vorangestellt: „Ich versichere, dass Ähnlichkeiten nicht ausgeschlossen und nicht beabsichtigt sind.“

 

Im Unterschied zu anderen Gelegenheiten stammt die Leseprobe diesmal nicht vom Anfang des spannenden Buches, sondern von ein paar Seiten weiter. Lehrer Dannenberg ahnt nichts Gutes:

 

„Auf meinem Platz im Lehrerzimmer lag ein Zettel. Der Direktor ließ mir ausrichten, dass ich sofort zu ihm kommen solle. Die Aufforderung war rot unterstrichen. Ich nahm an, er hätte wegen der Aufsätze endgültig die Geduld verloren oder für meine Saumseligkeit einen Rüffel einstecken müssen, weil unsere Zensuren noch in der Statistik des Kreises fehlten. Wegen solcher Dinge waren wir uns in letzter Zeit immer öfter in die Haare geraten, an dem Tag legte ich mir ein paar Ausreden und Entschuldigungen zurecht – ich beharrte auf meiner frohen Stimmung.

 

Im Vorzimmer saß Frau Welter, die Sekretärin, vor ihrem mit Papier übersäten Schreibtisch und tippte eifrig. Sie machte mir ein Zeichen, dass ich zum Chef durchgehen solle. Den schien der Ordner mit den korrigierten Arbeiten nicht zu interessieren, er nahm ihn mir zwar aus der Hand, legte ihn aber ohne Weiteres zur Seite. Ich war für Sekunden irritiert, denn sonst pflegte er solche Konvolute unverzüglich und mit hoffnungsvollem Eifer durchzublättern. Ohne auf meinen Gruß geantwortet zu haben, wies er mir, nur mit einer Handbewegung, einen Platz in der Besuchersitzecke an. Als ich saß, blickte er mich aufmerksam an, gleichzeitig herrschte für wenige Sekunden eine für ein Schulhaus ganz ungewöhnliche Stille. Seufzend sagte er dann, dass großer Ärger im Anzuge sei. Nur selten lässt er seinen Stimmungen so freien Lauf. In solchen Momenten, wenn er einmal nicht den überlegenen, stets optimistischen Pädagogen mimt, finde ich ihn sympathisch.

 

Dass er mir einen saloppen Umgang mit Lehrplänen zum Vorwurf machte und mir nach seiner Meinung zu legere Umgangsformen ankreidete, war mir nicht nur einmal zugetragen worden. Während ich noch überlegte, was nun schon wieder gegen mich vorliegen könnte, war er längst offiziell geworden, hatte sich hinter seinem Schreibtisch zu gerader Haltung aufgerichtet und die Gummibandkrawatte zurechtgezerrt. Von zwei Vorkommnissen habe er mir Kenntnis zu geben. Ich befahl mir, ruhig zu bleiben, weil ich wusste, dass gleich die Wörter „Ihr Schüler“ oder „Ihre Schülerin“ fallen würden und dann Wut in mir aufstiege, weil diese Ausdrucksweise Mitschuld an zerbrochenen Fensterscheiben und bekritzelten Tischen unterstellt. Zu ähnlichen Gelegenheiten hatte ich schon Lust verspürt, ihm seine akkurat geordneten Signierstifte, mit denen er in pädagogischen Fachzeitschriften hervorhob, was er demnächst zitieren würde, vom Tisch zu fegen oder die Stundentafel, auf der ich von blauen Metallplättchen symbolisiert wurde, von der Wand zu reißen. Einmal hatte ich Eveline von meinen Anwandlungen erzählt. Sie war in Lachen ausgebrochen und hatte mir erwidert, dass man sich in Gerichtsverhandlungen noch ganz andere Sachen anhören und doch kaltes Blut bewahren müsse. Ich hatte mit der Frage die Oberhand behalten, ob kaltes Blut für einen Lehrer wünschenswert sei.

 

Dass ich angesichts der Wichtigkeit seiner Mitteilungen Notizen zu machen hätte, gehörte noch zu den Vorausschickungen des Chefs. Ich hatte kein Schreibzeug mitgebracht. Mit einer Geste, die Missbilligung und Hoffnungslosigkeit ausdrücken sollte, schob er mir Papier und Kugelschreiber zu und eröffnete mir, dass eine meiner Schülerinnen während einer Discoveranstaltung in der Schule mit einem Jungen in einem dunklen Raum „zugange“ gewesen sei. Nur durch das zufällige Erscheinen der Pionierleiterin hätte das „Ärgste“ verhindert werden können, immerhin hätten die Wolldecken der jungen Sanitäter ausgebreitet auf dem Fußboden gelegen. Ich versuchte, mich zu erinnern, was wir am Vorabend für Wetter gehabt hatten, ob, wie häufig in letzter Zeit, ein Gewitter niedergegangen war, sodass die beiden keinen anderen Platz für ihre Knutschereien gefunden hatten. Es fiel mir aber nicht ein, ich hatte Stunde um Stunde über den Aufsätzen gebrütet, der ganze Tag war in diesem Moment weg. Wie gelöscht. Aber war das wichtig? Wetter hin, Wetter her. Er musste doch auch wissen, dass sich derartige Kussszenen an anderen Schulen jeden Tag während der Hofpausen abspielten und dort niemand daran dachte, sie zu schweren Disziplinverstößen aufzubauschen. Er aber tat, als lebten wir hier auf einer Insel. Was wollte er konservieren, wenn er immerfort davon sprach, „dass man den Anfängen zu wehren habe.“´

Um zum Schluss noch einmal auf die vielleicht mächtigste und wie manche Leute sagen meistgehasste Frau der DDR zurückzukommen, die für eine sehr lange Zeit von 1963 bis 1989 „Ministerin für Volksbildung“ war, so soll hier nur noch eine ziemlich bissige Bemerkung des berühmten Gesellschaftswissenschaftlers und Historikers Jürgen Kuczynski über die in Anspielung auf ihre bevorzugte Haarfarbe insgeheim oft als „Blaue Eminenz“ bezeichnete Margot Honecker und ihren Mann Erich Honecker zitiert werden, der (also Kuczynski natürlich, nicht Honecker) über das prominente Ehepaar sagte: „Sie war klüger als er, aber ein Biest“. Und offenbar hatte sie ihre ganz eigenen Vorstellungen von dem, was unter einer „allseitig und harmonisch entwickelten sozialistischen Persönlichkeit“ zu verstehen und wie dieses Ziel zu erreichen sei. Und nicht von ungefähr gehörte gerade die Volksbildung zu den wohl umstrittensten Bereichen der DDR-Gesellschaft. Manche dieser durchaus kritischen Gedanken gelangten aber auch in die Literatur. Siehe die Erzählung von Albrecht Franke.

 

Spaß beim Lesen und Nachdenken über damalige und heutige Verhältnisse und bis demnächst. Und ein Wort zum Merken: Kussszenen.

DDR-Autoren: Newsletter 09.02.2018 - Reisen nach Italien, Lob eines Lexikons, General Auburtin und zwei