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Kurs eins-acht-null, zwischen Rokoko und Romantik und Magellan vor dem König – Sechs E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 27.12. 2019) Um nichts weniger als um die erste Weltumseglung geht es im letzten der diesmal nicht nur fünf, sondern insgesamt sechs aktuellen Angebote dieser Ausgabe, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 27.12.19 – Freitag, 3.1. 20) zu haben sind. Die Rede ist natürlich von dem Portugiesen Fernão de Magalhães, besser bekannt als Ferdinand Magellan, der im Auftrag der spanischen Krone einen Westweg zu den Gewürzinseln erkunden sollte. Der Start zu dieser ebenso mutigen wie waghalsigen Expedition jährte sich vor wenigen Wochen zum 500. Mal. In seinem spannend geschriebenen Buch „Magellans Page“ lässt uns Rudi Czerwenka an diesem Unternehmen teilhaben.

Eine Reise ganz anderer Art unternimmt ein junger Deutscher, der gerade in Schwierigkeiten ist, in dem Abenteuer-Tatsachen-Roman „Das grüne Ungeheuer“ (später auch unter dem Titel „Der grüne Papst“) von Wolfgang Schreyer.

Mit der Science-Fiction-Literatur der DDR vornehmlich der 1980er Jahre befasst sich Karsten Kruschel in seiner höchst aufschlussreichen, aber lange vergriffenen Doktorarbeit „Spielwelten zwischen Wunschbild und Warnung“.

Über eine ganz besondere Epoche der deutschen Kunst und Kultur im 18. Jahrhundert schreibt Renate Krüger in ihrer Überblicksdarstellung „Das Zeitalter der Empfindsamkeit“.

Um Gefahren in einer Welt der Zukunft und junge Leute, die etwas dagegen unternehmen, geht es in dem SF-Roman „Nimmerwiederkehr“ von Alexander Kröger.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. In dieser Woche stellen wir dazu ein Buch vor, dass schon von seinem Titel her recht interessant ist – es geht um das Jahr 2020, also um das nächste Jahr. Geschrieben wurde es allerdings vor nunmehr 47 Jahren, und sein Autor ging damals von einer großartigen Utopie und von der Vorstellung einer Welt aus, in der sich Frieden und Abrüstung durchgesetzt hätten. Und wahrscheinlich sah es – auch aus der Erinnerung an die politischen Kämpfe der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in Ost und West – damals so aus, als könne die Zukunft Anfang des neuen Jahrtausends eine ohne Waffen und ohne Kriege sein – auch wenn wohl damals noch niemand an einen Herrn Gorbatschow gedacht haben mag, der 1973 übrigens 42 Jahre jung war und noch im heimatlichen Stawropol als Erster Sekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) wirkte. Begriffe wie Glasnost und Perestroika tauchten erst sehr viel später öffentlich auf. Und damit, so überraschend das jetzt auch klingen mag, zurück ins Jahr 2020 – aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts betrachtet.

Erstmals 1973 veröffentlichte Alexander Kröger im Verlag Neues Leben Berlin als Band 119 der Reihe „Spannend erzählt“ seinen Science-Fiction-Roman „Antarktis 2020“. Dem E-Book liegt die überarbeitete Auflage zugrunde, die 2009 im Projekte-Verlag Cornelius Halle erschien: Praktikum im Jahr 2020. Als Thomas Monig, Absolvent der Bergakademie Freiberg, das Flugzeug besteigt, denkt er an die drei Einsatzorte: an das Großbergwerk in der Antarktis, die Meerwasser-Enterzungsanlage in der Südsee und das Bewässerungsprojekt Sahara. Er denkt an modernste Lasertechnik, blühende Städte im Eis, an erzsammelnde Mollusken im Ozean, Riesenbagger in der Wüste und an das büschelige Schnellwuchsgras, das bald den Sand bedecken soll. Noch weiß er nicht, dass nicht nur das Abenteuer Technik auf ihn wartet. In der Weißen Finsternis und im Schneesturm bei der Rettung eines Kollegen wird er sich ebenso bewähren müssen wie beim Streik der ehemaligen Soldaten in den Unterwasserfarmen, bei dem er und der hübsche Kapitän Ann von Mike Paterthick gekidnappt und von den Wasseratmern gesucht werden. Der Überfall der Tuareg auf die Baustelle, die Geschichte mit René Tours’ Freundin und der verderbenbringende Wassereinbruch lassen auch den Aufenthalt in der Sahara zu einer aufregenden Sache werden, und es ist gar nicht so gewiss, ob Thomas Monig rechtzeitig in Timbuktu sein kann, um Evelyn vom Flugplatz abzuholen. Thomas wird mit den unbegrenzten Möglichkeiten konfrontiert, die eine globale Abrüstung bietet, aber auch mit den Problemen für die davon Betroffenen. Alexander Krögers Vision - angedacht 1973 - von einer friedlichen, abgerüsteten Welt im Jahre 2020 war zu kurz gegriffen; dennoch haben seine Denkanstöße in unserer Gegenwart mehr denn je ihre Gültigkeit. Wir begleiten Thomas bei den ersten Schritten seines Praktikums:

„Nachdem Thomas seine Sachen verstaut hatte, machte er sich auf den Weg zu GEOMESS, unter deren Regie er diesen Teil des Intensivpraktikums ableisten sollte. Durch eine Schleuse verließ er den Wohntrakt. Ein Gang nahm ihn auf, kühl, an Stelle des Betons eine graue Plasteverkleidung, dahinter das Eis. Sicher mussten sich die einzelnen Bauabschnitte gegeneinander bewegen können. Die ungeheure Kraft des Eises würde nicht vor Eisenbeton kapitulieren.

Thomas Monig wurde es unheimlich. Er wusste: Auch das Inlandeis vermochte Dutzende Meter im Jahr zu wandern. Das musste beim Bau ebenso berücksichtigt worden sein wie das hohe Wärmeabstrahlvermögen der Gebäude, das das thermische Gleichgewicht beeinflusste. Und Thomas wurde sich einen Augenblick des Abenteuerlichen der Unternehmung bewusst. Das war schon etwas, was sie sich hier vorgenommen hatten!

Dann sagte er sich: >Mal sehen, was sie für mich haben, sicher eine Hilfsarbeit wie öfter in solchen Praktika.<

Am Ende des etwa 50 Meter langen Ganges betrat er wieder durch eine Schleuse den Verwaltungstrakt, der nüchterner, funktionell wirkte. Thomas fragte eine junge Frau nach den Zimmernummern der Abteilung, in die er wollte. Sie wies eine Treppe nach oben.

>Leiter der Abteilung GEOMESS, Dr. Lewrow, Organisatorin Nina Soredse< stand an der Tür. Thomas fingerte nach seinem Ankehrschreiben, klopfte und trat ein. „Guten Tag“, brachte er russisch hervor. „Mein Name ist Monig. Ich absolviere hier ein Praktikum und möchte mich bei Herrn Doktor Lewrow melden.“ Wie meist in dieser Sprache ging es langsam und hörte sich sicher furchtbar an.

„Aus Deutschland?“, fragte sie. Schon die zwei Wörter verrieten, dass sie Deutsch konnte.

Sie legte das Mikrofon beiseite, schwenkte ihren Sessel herum, sagte: „Moment“ und tastete weniges ein.

Thomas betrachtete diese neue Umgebung mit Skepsis und dem gleichen Misstrauen wie das gesamte Praktikum.

Sie war hübsch, die Nina und, allem Anschein nach, sich dessen bewusst: Perlmuttfarbene Haare, ebensolche Finger- und Zehennägel, allerdings mit roten Tupfen, dazu modern gekleidet. Das asymmetrisch geschnittene Dekolleté gewährte einen relativ tiefen Einblick. Sie ertappte Thomas beim Hinschauen, veränderte jedoch ihre Haltung nicht.

„Ja, der Chef erwartet dich“, sagte sie in fließendem Deutsch und warf ihm über die Schmuckbrille hinweg aus ihren wasserblauen Augen einen Blick zu. „Für Organisatorisches und Persönliches bin ich zuständig, ebenso für Beschwerden. Einweisung für die Neuen ist am Freitag, vierzehn Uhr. Dort stellst du dich bitte vor.“ Lewrow - >Nur etwas älter als ich<, schätzte Monig - war klein und trug einen Vollbart.

„Ich grüße Sie“, sagte er schnarrend, hinter seinem Schreibtisch stehend. Er bot Thomas keinen Platz an, hatte also nicht die Absicht, sich lange mit ihm zu befassen. „Freiberger?“, fragte er und fuhr gleich fort: „Ich war zu Tagungen dort - hübsche alte Innenstadt.“ Er machte eine Pause, wickelte einige Haare seines Bartes um den linken Zeigefinger, sah Thomas mit zwei listigen, kleinen Augen an, die als Einziges aus diesem Gestrüpp hervorlugten, und bemerkte: „Es trifft sich gut. Unser Kollege Kramer geht übermorgen in Urlaub. Heute und morgen wird er Ihnen seine Aufgaben übertragen. Ein wenig kurz, die Übergabezeit, aber wenn Sie Freiberger sind ...“ Dort, wo Thomas Lewrows Mund vermutete, sträubten sich Haare. Da sich gleichzeitig die Augen verengten, war zu vermuten, dass er lächelte. Thomas lächelte süßsauer zurück. Er wusste nicht, wie er die Bemerkung aufzufassen hatte - ihm klang sie ironisch. Lewrow drückte eine Taste und sagte leise, aber bestimmt: „Herr Kramer zu mir, bitte.“

Wenige Augenblicke später trat Kramer ein.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen Sonderangebote dieses Newsletters:

 

Erstmals 1959 erschien im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik „Das grüne Ungeheuer“ von Wolfgang Schreyer, im selben Verlag erstmals 1961 als überarbeitete Auflage unter dem Titel „Der grüne Papst“. Dem E-Book liegt eine nochmals überarbeitete Fassung von 1965 zugrunde: Karibisches Meer, Juni 1954: Ein junger Deutscher gerät in Not und schließt sich Männern an, deren Geschäfte er nicht kennt. Schmuggeln sie Rauschgift, plündern sie Schiffe aus, sind es Kidnapper? Die Bande fürchtet keinen Richter, sie hat einen langen Arm - und Flugzeuge, Schnellboote, Sendestationen. Er kann nicht mehr zurück. Von jener Insel auf der Mosquitobank, die ein Piratennest ist, gelangt er in die Hauptstadt einer kleinen Republik zum Haus eines Kaffee pflanzenden Greises, durch Urwälder, Tropenflüsse und über Kaktussteppen. Er lebt zwischen Gangstern und Landsknechten, trifft aufrechte Männer und Laffen, dient einem windigen General, dann einem frommen Obersten. Ihm begegnen Hafenpolizei, Indios, Mädchen, Papageien, Spitzel. Er trifft eine glutäugige Schönheit, die ihm die Haut ritzt und seine Spottlust weckt, bevor er sie liebgewinnt. Sie lehrt ihn ihre Heimat sehen; und im Lichte aufdämmernder Erkenntnis findet er sein Gewissen wieder. Wolfgang Schreyer gibt in diesem abenteuerlichen Roman dem Helden selbst das Wort. Darin liegt der besondere Reiz seiner Geschichte. Halb zeitgeschichtliche Reportage, halb Abenteuerroman, entstand dieses Buch zu einer Zeit, in der die cubanische Revolution noch nicht gesiegt hatte und niemand die Ereignisse in Chile voraussehen konnte. Der gesellschaftliche Hintergrund dagegen, den der Text auch da veranschaulicht, wo Figuren und Handlungen kühn erfunden sind, entspricht überall den Tatsachen. Der Wert des Romans liegt bei aller Unterhaltung, die er dem Leser bietet, in der Information über ein fernes kleines Land (Guatemala) und einen Vorgang scheinbar am Rande des Weltgeschehens, der nicht länger als zwölf Tage Schlagzeilen machte (der von der CIA organisierte Sturz von Jacobo Arbenz Guzmán). Heute erscheint uns dieser Vorgang in schärferem Licht; er gewinnt an Bedeutung, wenn man an die Verbrechen der chilenischen Konterrevolution denkt und an den Überfall der USA auf die friedliche Antilleninsel Grenada im Oktober 1983, der den Putsch der Bananengesellschaft in Guatemala auf erschreckende Weise wieder aktuell werden ließ. Das Buch war die Vorlage zu dem mehrteiligen Fernsehfilm „Das grüne Ungeheuer“ von Rudi Kurz (1962) mit Jürgen Frohriep in der Hauptrolle des Antonio Morena – in der DDR ein Straßenfeger. Schon der folgende kurze Ausschnitt lässt die Spannung spüren, die dem gesamten Buch innewohnt. Es erzählt der junge Deutsche, der einen neuen Auftrag hat und ein selbst ihm unbekanntes Flugziel:

„Der dritte Mann

Kurz vor vier trafen statt der erwarteten Schmuggelfracht in einer orangefarbenen Limousine, einem Mietwagen offenbar, zwei Passagiere ein, deren Namen ich erst später erfuhr: Dr. Luis Guerra, ein hochgewachsener vierzigjähriger Mann, und seine Tochter, die er Chabelita nannte - Klein Isabel. Mit flinkem Pilotenblick schätzte ich die Zusatzlast ab; er mochte neunzig Kilo wiegen, das Mädchen sicher kaum fünfzig. Sie war ein knabenhaft schlankes Wesen von höchstens siebzehn Jahren, mit schwach gebogener Nase, brennenden Augen, indianisch getönter Haut und blauschwarzem Haar. An jenem Tage bemerkte ich von alldem wenig, obwohl ihre Hand einen Augenblick auf meiner Schulter lag, als sie ins Flugzeug kletterte. Mochte sie noch so zauberhaft sein - nach dem fatalen Vorfall im „Charleston“ hatte ich von hübschen Mädchen genug.

Kaum angeschnallt, zog Dr. Guerra aus seinem Proviantkoffer eine Sodabombe hervor, gab jedem zu trinken und verteilte Apfelsinen, belegte Brote, Pfefferminzdrops und Kaugummi. Er war ein Mensch von angenehmen Umgangsformen, nicht ohne Scharfblick. „Sie sind Deutschamerikaner“, sagte er zu mir. „Ich kenne die Deutschen: sympathisches Volk, tüchtige Pflanzer und gute Soldaten, in Politik nicht sehr begabt.“

„Mit Politik, Señor“, entgegnete ich, „haben wir hier nichts zu tun.“

„Gott ist Zeuge“, antwortete er mit verhaltenem Lächeln. „Adelante! Caballeros, wir dürfen nicht zögern.“ Er sah er sich mehrmals nach der Limousine um, die, in eine Staubwolke gehüllt, nach Puntarasa zurückrumpelte, ganz als fürchte er, es könnten hinter den dürren Zedern- und Palmetosgruppen Verfolger auftauchen. Es war eine stille, eigentümlich tote Landschaft. Der Boden bestand aus Schwemmsand und Trümmern, die der Golfstrom in Jahrtausenden zwischen die Klippen geworfen hatte; Riedgras bedeckte ihn, von der Sonne gebleicht. Abseits überm Big Cypress Swamp tanzten Mückenschwärme in glasigem Dunst. Mir wurde unheimlich an diesem Ort; erst als das Fahrwerk abhob, atmete ich freier.

„Kurs eins-acht-null“, sagte Steve, und so steuerte ich genau nach Süden, aufs offene Meer hinaus. Nach vierzig Minuten sichteten wir die Perlenkette der Florida- Riffe mit der Marinebasis Key West an der Spitze; auch die imposante Eisenbahnbrücke, die vom Festland herüberführt. Es ist niemals ratsam, Militärstützpunkte zu überfliegen; wir wichen nach Westen aus, und eine halbe Stunde später schnitten wir die Küste Cubas nahe der Hauptstadt Habana. An dieser Stelle ist Cuba kaum dreißig Meilen breit. – „Wie soll's weitergehen?“, fragte ich. Steve antwortete: „Immer der Nase nach.“

Wir passierten die Ostflanke der Isla de Pinos, einer von Sumpfniederungen gesäumten Verbannungsinsel, auf der Cubas Diktatoren ihre Feinde zu verwahren pflegten. Dort wurde damals auch ein sechsundzwanzigjähriger Mann namens Fidel Castro in einem Zuchthaus gefangengehalten. Er hatte knapp ein Jahr zuvor, am 26. Juli 1953, mit 160 Gleichgesinnten vergebens versucht, die Moncada-Festung in Santiago de Cuba zu stürmen, die von 1000 Söldnern verteidigt wurde... Einige Zeit, nachdem wir den Verbannungsort überflogen hatten, ist Castro auf Grund einer allgemeinen Amnestie für politische Gefangene, die ein Wahlmanöver war, entlassen worden. Wie man weiß, ging er nach Mexico und bereitete sich dort von neuem darauf vor, seine Heimat von einem entsetzlichen Joch zu befreien.

Hinter der Fichteninsel, die trotz ihres Namens ziemlich kahl ist, kamen mir Bedenken. Blau dehnte sich das Karibische Meer, rosa und braun blinkten am Horizont ein paar Fischersegel, winzige Fetzen im Ozean. Jetzt war es sechs Uhr abends, die Sonne stach schräg zum Steuerbordfenster herein, unser Sprit reichte nur noch für zwei Stunden, mit etwas Glück hätten wir den Strand von Honduras oder Jamaica eben noch erreichen können. Die britische Zuckerinsel lag im Südosten, die Bananenrepublik in Richtung Südsüdwest. Steve Baxter aber, dieser merkwürdige Aeronaut, ließ mich unentwegt Südkurs halten. Ich machte ihn mehrmals darauf aufmerksam.

„Das Wasser wird badewarm sein“, sagte ich, „hier soll's auch 'ne Masse leckerer Haie geben.“

„Macht nichts“, sagte er, „auf dich, Don Antonio, haben sie keinen Appetit.“

„Bist du ganz sicher?“, fragte ich wütend.

„Du giltst seit Savannah als Mädchenschänder“, sagte er. „So was spricht sich auch unter den Fischen 'rum.“

Gegen acht Uhr wurde unsere Lage ernst. Laut Seekarte befanden wir uns hinter der Misteriosa-Bank, im Nordwesten rollte der Sonnenball herab, nach Cuba konnten wir nicht mehr zurück, Honduras war auch nicht zu erreichen; die Katastrophe bahnte sich an. Um zu verhindern, dass ich notfalls die britische Insel Grand Cayman anflog - die einzige, die, wie mir schien, noch in unserem Aktionsbereich lag -, schnallte Steve die Karte von seinem Knie los. Von nun an studierte er sie allein, bestimmte den Kurs, ohne dass ich ihm zusehen durfte. Mir lief ein Schauer über den Rücken. - Er hatte es damals in Augsburg nicht einmal fertiggebracht, den Lagervorrat an Grapefruit, Milchpulver und Kartoffelflocken fehlerlos zu addieren. Sobald es dunkel wurde, war es mit seiner Navigationskunst sowieso aus.

Plötzlich stieß er mich an und flüsterte: „Sag denen hinten, wir schaffen Honduras nicht mehr.“

Betroffen schüttelte ich den Kopf. Was sollte das bedeuten? Wir hatten Honduras nie angesteuert! Ich begriff nicht, was da gespielt wurde. Nun sah ich, wie er sich umdrehte, und hörte ihn sagen: „Mister Guerra“ - sonderbar, er bediente sich nicht der spanischen Anrede -, „Mister Guerra, wir stellen fest, dass wir Gegenwind haben. Wir können Honduras nicht mehr erreichen!“

In dieser Sekunde begann der Backbordmotor zu spucken, ich schaltete auf Reservetank um und konnte nicht verstehen, was unsere Passagiere antworteten. Die Sonne tauchte ins Meer; wie überall in den Tropen wurde es fast augenblicklich finster. Während der folgenden Minuten schwitzte ich mein Hemd durch, sie zählen zu den scheußlichsten meines Lebens. Steve gab mir munter Kursziffern an, er verstand nichts vom Fliegen und fürchtete sich nicht - ich wünschte ihm die Pest an den Hals. Heute besinne ich mich nur noch auf ein zuckendes, giftgrünes Lichtsignal, das ganz zuletzt, als wir kaum noch Treibstoff hatten, am Horizont über Wellenkämme geisterte. „Halt darauf zu“, befahl Steve, und dann glitt es unter uns heran: die phosphoreszierende Brandung, das schwarze Felsenufer, Palmenwipfel hinter einer spärlich beleuchteten Landebahn, ein burgähnlich düsteres Bauwerk. Mehr war nicht zu erkennen, auch als die Maschine stand.

Ich kletterte als erster aus der Kabine, lehnte mich gegen das Fahrwerk und würgte alles heraus, was mir Dr. Guerra offeriert hatte - die Apfelsinen, Sandwiches, Drops und Schokoladenriegel. Ich spuckte es in den Sand und schwor mir, einen anderen Job zu suchen. Wir waren dem Tod von der Schaufel gesprungen, aber es hatte wirklich nicht viel gefehlt... „Hör auf zu opfern“, sagte Steve hinter mir, „hast dich wacker gehalten.“ Und leiser, als sollte es außer mir niemand hören: „Wir sind am Ziel.“

 

Erstmals 1995 veröffentlichte Karsten Kruschel beim Ersten Deutschen Fantasy Club e. V. Passau die Buchfassung seiner Dissertationsschrift „Spielwelten zwischen Wunschbild und Warnung. Eutopisches und Dystopisches in der SF-Literatur der DDR in den achtziger Jahren“: Die lange vergriffene Publikation analysiert Texte von Peter Lorenz, Rainer Fuhrmann, Reinhard Kriese, Gert Prokop, Michael Szameit, Alfred Leman, Karl-Heinz Tuschel, Gottfried Meinhold sowie Angela und Karlheinz Steinmüller. Wie es in einer Rezension hieß, sei das interessante Buch für den Liebhaber von Science-Fiction-Literatur, aber ganz besonders für den Leser phantastischer Literatur aus der DDR eine große Fundgrube. So würden darin unter anderem sämtliche Science-Fiction-Bücher der DDR aufgelistet. Und Karlheinz Steinmüller merkte dazu in „Das Science Fiction Jahr 1996“ auf Seite 713 an: „Mit dem Spannungsfeld von Eutopien (positiven Utopien) und Dystopien (negativen) thematisiert er einen Zentralbereich der DDR-SF.“ Hier ein Beispiel für die Analysen von Karsten Kruschel, übrigens der Sohn des Magdeburger Schriftstellers Heinz Kruschel, der mit zahlreichen Titeln im Verlagsprogramm der EDITION digital vertreten ist:

„3.1.1 Die optimierte Welt

Peter Lorenz: „Quarantäne im Kosmos“

Peter Lorenz veröffentlichte 1981 den „wissenschaftlich-phantastischen“ Roman  Quarantäne im Kosmos. Dem Autor wurde von SF-Kritikern „gut gestaltetes Engagement für gesellschaftlich relevante Themen der Abenteuer-SF“ bescheinigt (Simon/Spittel 1988, 82), von dem Buch wurden in mehreren Auflagen eine hohe Zahl von Exemplaren verkauft, in der BRD erschien 1988 eine Lizenzausgabe (in einem Sammelband mit Romanen zur Umweltthematik von Ursula K. LeGuin und Alan Dean Foster). Für Lorenz war dieses Buch der Auftakt zur wegen der ignoranten Umwelt- und beschönigungsbedachten Kulturpolitik oft mit Schwierigkeiten verbundenen literarischen Auseinandersetzung mit der Umweltthematik.

Die von Lorenz geschilderte klassenlose Gesellschaft ist damit beschäftigt, die Folgen der jahrzehntelangen unbekümmerten Umweltverschmutzung, den totalen Zusammenbruch des ökologischen Systems der Erde, zu reparieren. Hauptmittel und grundlegendes Konzept dieser Reparaturarbeiten, die keine Wiederherstellungsarbeiten sind, ist das Prinzip der Optimierung. An die Stelle der natürlichen und unter zivilisatorischer Belastung zusammengebrochenen komplexen Ökosysteme werden künstliche Teilsysteme gesetzt, deren wenige Bestandteile aufeinander, hauptsächlich aber auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt sind. Die neu zu schaffende Ökologie soll stabil und nützlich sein, wird also mittels „genetic engineering“ (genetische Ingenieurskunst, Gentechnik) hergestellt, aus künstlichen, konstruierten Lebewesen zusammengesetzt. Das Konzept der Optimierung hat keinen Platz für die natürlichen Lebensformen, von denen vereinzelt kleine Populationen in ökologischen Nischen übriggeblieben sind; solche »Herde« werden automatisch und mit großem Aufwand ausgemerzt.

Da das Optimierungsprinzip zum grundlegenden Gesellschaftskonzept geworden ist, macht es auch vor den Menschen selbst nicht halt. Besatzungen für Raumschiffe werden, da nicht die Bewältigung von Extremsituationen, sondern reibungsloses Funktionieren des sozialen („ökologischen“) Organismus im Vordergrund der Aufmerksamkeit steht, von Computern optimal und optimiert zusammengestellt (im Buch selbstironisch als „Harmonieprogramm“ apostrophiert). Der einzelne Mensch, nicht per Gentechnik oder Computer optimierbar, wird gezwungen, sich selbst ─ zumindest physisch ─ zu optimieren. Wer seine jährlichen Leistungstests nicht besteht, darf nicht mehr arbeiten und landet auf einem Altersruhesitz.

Ich darf nur noch zwei Stunden in der Woche arbeiten, aber wenn ich die dreiundachtzig Prozent nicht schaffe, dann verliere ich die auch noch. Und irgendeine Aufgabe muß man doch haben als Mensch, oder? (S. 31 diese und alle folgenden Seitenangaben beziehen sich auf: Peter Lorenz: Quarantäne im Kosmos. Roman, Berlin 1981)

Diese menschenfreundlich gemeinten Regelungen sind ihrer Tendenz nach alles andere als Bestandteile einer Eutopie, weil sie auf Beschneidung individueller Entfaltungsmöglichkeiten hinauslaufen; eutopisch ist bestenfalls noch die Zielrichtung der geschilderten Gesellschaft: Sicherung eines lebenswerten Niveaus von Umweltbedingungen ist Primat der Gesellschaftsentwicklung.

Sogar die menschliche Fortpflanzung als einer der sensibelsten Bereiche der Privatsphäre wird von den auf Optimierung programmierten Computern mit‑, wenn nicht gar fremdbestimmt. So bekommt die weibliche Protagonistin des Romans, Lif Engen, nach einer einschlägigen Untersuchung von ihrem Bedienungs-Roboter den Rat:

„Es ist wahrhaftig eine Schande, sich mit solch günstigen Werten nicht schwängern zu lassen, Madame“, kommentierte ihr Servomat spitz ... „Immer dasselbe“, sinnierte er halblaut. „Erst wollen die Mesdames ewig nicht, Beruf, Figur, Lebensstandard, und wenn sie dann schließlich wollen, dann sind die Werte so schlecht geworden, daß sie nicht mehr dürfen.“ (34 f.)

Die geschilderte fiktive Gesellschaft ist bestrebt, möglichst alle Bereiche des Lebens möglichst perfekt zu organisieren, ebenso wie die alten simplifizierten Eutopien der frühen DDR-SF. Im Unterschied zu diesen hat die von Lorenz gezeichnete Gesellschaft auch die technischen und finanziellen Potentiale, diese Perfektion in die Tat umzusetzen (in Gestalt komplexer Computernetze, die kein SF-Requisit sind, sondern eine zur Zeit der Entstehung des Romans bereits entwickelte technische Möglichkeit).“

 

Erstmals 1972 erschien bei Koehler & Amelang in Leipzig „Das Zeitalter der Empfindsamkeit. Kunst und Kultur des späten 18. Jahrhunderts in Deutschland“ von Renate Krüger: Als Zeitalter der Empfindsamkeit, als ein Sammelbecken besonders empfindsamer geistiger Strömungen kann man mit gewissen Einschränkungen und unter bestimmten Vorbehalten die späten Jahrzehnte des so vielschichtigen 18. Jahrhunderts bezeichnen. Die Autorin beleuchtet dieses Zeitalter von allen Seiten: Geschichte und vor allem die deutschen Verhältnisse dieser Zeit, Literaten und Leser, Gartenkunst, Lebensgewohnheiten und Kunsthandwerk, bildende Kunst und Musik. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis belegt die gründlichen Studien der Autorin. Was aber ist genau mit dem Zeitalter der Empfindsamkeit gemeint? Im folgenden Ausschnitt erfahren wir noch etwas mehr dazu:

„Zwischen Rokoko und Romantik

Als Zeitalter der Empfindsamkeit, als ein Sammelbecken besonders empfindsamer geistiger Strömungen kann man mit gewissen Einschränkungen und unter bestimmten Vorbehalten die späten Jahrzehnte des so vielschichtigen 18. Jahrhunderts bezeichnen. Der Begriff des Zeitalters ist freilich mit Vorsicht zu gebrauchen, denn diese Zeit wird nicht nur von empfindsamen Strömungen bestimmt, und die Grenzen zwischen ihnen sind fließend. Das Zeitalter der Empfindsamkeit setzt nach verschiedenen Vorstufen in den späten sechziger Jahren ein, erlangt seinen Höhepunkt um die Mitte der siebziger Jahre und reicht mit seinen Ausläufern und Auswirkungen bis in die späten neunziger Jahre, auf einigen Gebieten sogar über das Jahr 1800 hinaus. Seine Struktur ist nicht einheitlich, und der Begriff Empfindsamkeit hat keineswegs dasselbe Gewicht, dieselbe Bedeutung wie der des Barocks oder Rokokos. Er wird vor allem von der allgemeinen Kulturgeschichte beansprucht, lässt sich als Stilbezeichnung auf die Kunst- oder Musikgeschichte nur bedingt anwenden, ist aber auch brauchbar zur Charakterisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Vernünftig und empfindsam - das waren die ideologischen Kampfparolen des Bürgertums gegen politische und geistige Bevormundung. Mit der besonderen Vorliebe für die rührenden und empfindsamen Züge in der zeitgenössischen Kunst erhob der Bürger den Anspruch auf Emotionen, die bisher ein Vorrecht vor allem der Fürsten und des Adels gewesen waren (Nach Friederici, Geschichte der deutschen Literatur von 1700 - 1770, Berlin 1965).

Die im eigentlichen Sinne herrschende und bestimmende Ideologie des Bürgertums war die Aufklärung. Mithilfe der immer höher bewerteten menschlichen Vernunft und des Verstandes bemühten sich die fortschrittlichsten Vertreter des Bürgertums in einem mitunter leidenschaftlichen kämpferischen Prozess, alte doktrinäre Anschauungen zu überwinden. Die Aufklärung förderte die Entwicklung von Wissenschaft und Kultur und belebte somit die eigentliche und wesentliche Selbstdarstellung des fortschrittlichen Bürgertums.

Empfindsamkeit und Aufklärung, Strömungen, die während der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts nebeneinander herlaufen, bilden keinen echten Gegensatz, obwohl sie auf manchen Gebieten zu gegensätzlich scheinenden Formen führen. Die Empfindsamkeit ist eine Seite der Aufklärung, die mit ihrer antifeudalen Haltung wichtige Voraussetzungen zur Herausbildung einer deutschen Nationalkultur schuf, allerdings ist die Empfindsamkeit gerade die Richtung, an der die Schwäche des deutschen Bürgertums, seine Ohnmacht bei der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und Widersprüchen besonders deutlich wird. Das deutsche Bürgertum, dessen Schwäche sich insbesondere in der Unfähigkeit zur Herausbildung eines einheitlichen Nationalstaates zeigte, flüchtete in die Innerlichkeit, in die Empfindsamkeit. Insofern charakterisiert das Zeitalter der Empfindsamkeit auch einen ausgesprochen reaktionären Aspekt der deutschen Geschichte am Ausgang des 18. Jahrhunderts.

Dennoch soll der Versuch unternommen werden, dieses Zeitalter zu beschreiben, weil es reich an interessanten Einzelheiten ist, weil sich eine Beschäftigung mit dieser kurzen Kulturperiode lohnt. Wenige Beispiele mögen dies erläutern. Nach wie vor sind die großen Parkanlagen aus jener Zeit gern besuchte Erholungsstätten für Touristen und Spaziergänger. Ein aus der Kenntnis der Zeitverhältnisse heraus gewonnenes Verständnis für diese Art der Naturgestaltung vertieft das Kunsterlebnis. Auch das Betrachten und Sammeln von schönen Gegenständen, vor allem von Antiquitäten, gehört bei vielen heutigen Kunstfreunden zur Freizeitbeschäftigung. Gerade aus dem Zeitalter der Empfindsamkeit haben sich viele Zeugnisse erhalten. Damals aber wurde auch der Kitsch zu einem Phänomen, das bis in unsere Tage hineinreicht und dessen Einschränkung und Bekämpfung dadurch erleichtert wird, dass man einige Bedingungen, unter denen er einst entstand, erkennen und analysieren kann. Im Zeitalter der Empfindsamkeit entstand in größerem Umfang die Andenkenindustrie, die darauf gerichtet war, erwünschte Assoziationen zu wecken und zu pflegen, dem Menschen die ersehnte bleibende Verbindung mit seiner durch Reisen beträchtlich erweiterten Umwelt zu ermöglichen. Diese Tendenz ist bis zur Gegenwart hin immer stärker geworden. Es ist wichtig, sie zu fördern, aber auch, sie zu steuern und, wenn erforderlich, zu korrigieren, und auch zu diesem Zweck ist eine genaue Kenntnis der Entstehungszeit unerlässlich. Und schließlich ist das Zeitalter der Empfindsamkeit ein Teil des Lebensraumes der großen deutschen Klassiker, es war ihre Umgebung, ihre Umwelt. Dieser Umwelt, die es hier vorzustellen gilt, entnahmen sie das Material für ihr literarisches Schaffen. Eine Kenntnis der zeitgenössischen Kulturgeschichte lässt ihre Werke lebendiger werden.

So hat sich vorliegendes Buch zur Aufgabe gestellt, die Kultur dieses kurzen Zeitalters in einem möglichst weiten Rahmen zu skizzieren und den Begriff der Empfindsamkeit analysierend und differenzierend an den verschiedenen Künsten zu messen. Es verarbeitet die Einzeluntersuchungen zahlreicher Kenner des späten 18. Jahrhunderts, bei denen meist die literarischen Probleme im Vordergrund stehen, während die bildenden und verwandten Künste oft mit dem Odium der Dekorations- oder gar Verfallskunst umgeben und somit abgewertet werden. Auch in diesem Buch soll keine Ehrenrettung der bildenden Kunst um jeden Preis unternommen werden, denn damit müsste man zwangsläufig die Qualitätsmaßstäbe herabsetzen, vielmehr sollen die Wachstumsbedingungen für die bildende Kunst in dieser Zeit untersucht werden.

Die Empfindsamkeit - eigentlich ein psychologischer Begriff - wird nicht nur in ihrer engen Bedeutung eines übertriebenen Gefühlskultes und dubioser Sentimentalität, sondern auch als eine Kategorie angesehen, an der andere Bezeichnungen für die zeitgenössischen Kunstrichtungen, wie Louis Seize, Frühklassizismus, Goethezeit oder Zopfstil, gemessen und mit der sie verglichen werden können. Auf dem Gebiet der bildenden Kunst, aber auch der Architektur hat gerade der Begriff des Zopfstils eine besondere Bedeutung. Mit dieser Bezeichnung charakterisiert man, mit unter ein wenig geringschätzig und durchaus nicht übereinstimmend, gewisse Erscheinungsformen insbesondere in der deutschen Kunst zwischen Rokoko und Klassizismus, etwa zwischen 1760 und 1780, wobei die Zopfmode der männlichen Frisur den Namen bergab. Mit dem Begriff Zopf belegt die Kunst- und Kulturgeschichte das Nüchterne, Trockene, Stimmungslose, den Mangel an Kraft, Größe und Tiefe des Empfindens in manchen Bereichen insbesondere der bildenden Kunst des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Diese Erscheinungen findet man vor allem in der Malerei, der Grafik und im Kunstgewerbe. Der Zopf wurde zwar zum Symbol für Unnatur, Steifheit und lehrhafte Pedanterie, ging aber oftmals eine sehr liebenswerte Verbindung mit den Tendenzen der Empfindsamkeit ein.“

 

Erstmals 2009 erschien im Projekte-Verlag Cornelius Halle „Nimmerwiederkehr“ von Alexander Kröger – der 3. Teil der Reihe „Das zweite Leben“: Die von Menschen gemachte Apokalypse (beschrieben in „Der erste Versuch“) ist überstanden, die Überlebenden bemühen sich, drei Jahrzehnte später eine neue und friedliche Welt aufzubauen, die beinahe ein Utopia zu sein scheint. Doch es gibt auch in der Idylle der freundlichen, sauberen und gebildeten Menschen Unzufriedene und Renegaten, sogar Terroristen! Es gibt Menschen, die ohne jeden Skrupel ihre persönlichen Ansichten durchsetzen wollen - wie auch sonst, denn der Mensch bleibt, was er ist. Außerdem nähert sich der gerade noch einmal davongekommenen Menschheit nun eine Gefahr aus dem All, diesmal jedoch keine Invasion Außerirdischer (beschrieben in „Falsche Brüder - Die Engel in den grünen Kugeln“), sondern ein Planetoid auf Kollisionskurs. Während die „akorrupte Regierung“ zögerlich und bürokratisch erscheint, begibt sich eine Gruppe junger Leute auf die Suche nach Mitteln zur Rettung der Erde. Hier ein Auszug, in dem geschildert wird, wie es plötzlich zu einem totalen Chaos kommt:

„Im Laufe des Tages wurde klar, dass ein außergewöhnliches Ereignis alle Technik, in der Elektronik steckte, auf das Heftigste störte. Es betraf dies nicht nur das örtliche Netz und Einrichtungen der Kommunikation wie Television, Funkverkehr jeglicher Art, sondern auch umfassend die Datenverarbeitung und sogar die Steuereinrichtungen in Kraftfahrzeugen, Waschmaschinen, Kühlschränken und anderen Geräten. In wenigen Stunden herrschten chaotische Zustände. Notrufe konnten nicht abgesetzt werden, maschinenbetreute Kranke verstarben, die Verbindungen zu Flugzeugen brachen ab, Produktionsanlagen fielen vollständig aus. Waren, insbesondere Lebensmittel, verdarben, und stillliegende Fahrzeuge verstopften die Straßen. Erst ab dem dritten Tag schwanden die Störungen. Zunächst funktionierten die weniger empfindlichen Systeme wieder. Andere wiesen irreparable Beeinträchtigungen auf. Es dauerte dann noch drei Tage, bis sich das Leben wieder normalisierte. Vom persönlichen Ärger und Leid Betroffener abgesehen - immerhin fanden 43 Menschen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ereignis den Tod -, ging der materielle Schaden ins Unermessliche. Die zwei anderen Wohnzentren, sogar die Orbitalstation, waren gleichermaßen betroffen. NEW-WORLD-nord meldete außerdem in diesen Breiten höchst ungewöhnliche, intensive Polarlichterscheinungen. Ein globales Phänomen also. Experten und Rat wurden sich deshalb schnell schlüssig, als es die Ursache zu ermitteln galt: Der Gedanke, Einflüsse Außerirdischer - in Erinnerung an die verheerende Invasion vor 153 Jahren - könnten eine Rolle spielen, wurde verworfen. Man einigte sich auf eine Sonneneruption, allerdings ungeahnten Ausmaßes. Jedenfalls ließen die wenigen nicht aktuellen einschlägigen Daten aus dem Netz keinen anderen Schluss zu. Ein wirklicher Experte befand sich unter den Zeitzeugen, die das HAARP-Inferno überlebt hatten, nicht. Man rekapitulierte lediglich aus dem Schulwissen, dass derartige Ereignisse in einem Zyklus von etwa 11 Jahren auftreten und mit entsprechenden Störungen einhergehen können. Bisher in diesem Zusammenhang Registriertes hielt sich allerdings - was die Auswirkungen anbetraf - in Grenzen. Gleichzeitig aber tat sich mit diesen Erkenntnissen ein weiteres Manko in der neuen Gesellschaft auf: Die ständige Beobachtung von Naturerscheinungen bedrohlichen Potenzials war noch nicht wieder umfassend Bestandteil der Forschung - aus zweierlei Gründen: Der Alltag erforderte den Einsatz aller verfügbaren Leistungsträger, und speziell ausgebildetes, insbesondere auch erfahrenes Personal gab es nicht - noch nicht wieder. Dennoch beschloss der Rat einmütig, diesen Zustand in Bezug auf die Beobachtung der Sonne, als Spenderin allen Lebens, aber auch - wie sich gezeigt hatte - als Gefahrenquelle, zu verändern und ihr künftig die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. Eine ad hoc gebildete Gruppe von geeignet erscheinenden Leuten sollte sich unverzüglich dem Problem widmen.

„Zuletzt nachgetragen am dritten März - warte - vor einunddreißig Jahren.“ Pleja tippte mit dem Zeigefinger an den Monitor, zuckte mit den Schultern und blickte hilflos zu Hal.

„Na, prima! Aber nach Lage der Dinge werden wir etwas Aktuelleres nicht finden. Du weißt, wie beschränkt der Zugriff noch ist“, bemerkte dieser. „Wo? Druck‘s aus!“

„Und es ist außerdem das uns nächstgelegene Observatorium, das ausschließlich auf Sonnenbeobachtungen spezialisiert war, Izana auf Teneriffa.“ Pleja ließ die Datei langsam scrollen und verfolgte konzentriert die Eintragungen. „Ja“, bestätigte sie sich dann. „Das sollten wir uns als Erstes vornehmen.“

„Teneriffa! Hoffen wir, dass wir dabei sind. Dort soll es ja recht angenehm sein.“

„Na, hoffen wir es!“ Plejas nachdenklich-traurigem Gesichtsausdruck war nicht anzumerken, ob sie ihr Hoffen auf eine Teilnähme oder das Angenehme der Insel bezog. Ihr war nicht bekannt, dass die Kanaren nach der Apokalypse jemals wieder aufgesucht worden wären.

Hal überflog eine papierene Liste. „Ja“, informierte er dann, „Izana hat Satu hier mit vermerkt. Also, ich werde ihn sofort unterrichten. Und als Fachmensch wird er wohl bei der Auswahl der Leute, die sich dorthin begeben, ein Mitspracherecht haben.“ Er zwinkerte Pleja zu. „Kann nicht schaden, an ihm dran zu bleiben. Vielleicht brauchen sie auch einen Piloten.“ - >Schön<, dachte er, >es ist wohl nicht uninteressant, und es macht Spaß, an der Planung und Projektierung der neuen Wohnanlagen mitzuwirken. Pleja ist völlig vernarrt in ihr Bepflanzungskonzept. Aber einmal raus zu kommen, vielleicht gemeinsam, und ein Projekt globalen Ausmaßes zu bearbeiten.< Er seufzte, entnahm dem Drucker das Papier und wandte sich zur Tür.

Pleja sah zur Uhr. „Das hätte auch bis morgen Zeit gehabt. Und vergiss nicht, wir wollen nach Feierabend zum Schwimmen!“

„Ich beeil’ mich!“

Pleja blickte ihm nach. >So ist er eben<, dachte sie. >Hat er einen Gedanken einmal gefasst, muss dieser sofort umgesetzt werden<, sie lächelte, >auch wenn er sich manchmal verrennt. Umsicht und Spontaneität, wo wären beide Wesenszüge je in einem Menschen so vereint gewesen wie in Hal.<

Der Neubeginn benötigte Städteplaner. Auf einem Lehrgang hatten sie sich kennengelernt. Pleja mochte den großen, etwas behäbigen Jungen mit dem runden Gesicht, dem breiten Stand der blauen Augen und der bereits im frühen Mannesalter angedeuteten natürlichen Tonsur im dünnen braunen Haar. Im dem Rat direkt unterstellten Zentralen Institut für Bauen traten sie ihre Tätigkeit an, quartierten sich in derselben Wohngemeinschaft ein.

Ohne Zweifel fühlte sich Hal zu Pleja hingezogen. Aber, so zielstrebig er seiner Arbeit nachging, so wenig verstand er die Signale zu deuten, die von der jungen Frau ausgingen. Es blieb trotz aller Vertrautheit beim Kumpelhaften.

>Teneriffa! Es wäre fantastisch, wenn wir, Hal und ich ... gemeinsam in kleiner Gruppe aufeinander angewiesen ... eine neue Nähe ...< Pleja seufzte und schloss die Datei.“

 

Erstmals vor nunmehr sechs Jahrzehnten, also 1959, veröffentlichte Rudi Czerwenka im Prisma-Verlag Zenner und Gürchott Leipzig den Roman „Magellans Page“ unter dem Pseudonym Rudolf Wenk: Am 20.September 1519 verließen fünf Karavellen mit 265 Mann an Bord unter dem Kommando des Portugiesen Fernando de Magellan den südspanischen Hafen Sanlucar. Ihr Auftrag war, auf dem Westkurs über den Atlantik über eine angeblich schiffbare Passage von Südamerika (die spätere Magellan-Straße) und den Pazifik zu den Molukken, den „Gewürzinseln“, vorzudringen und nach deren Annektierung über den Indischen Ozean, das „Kap der Stürme“ entlang der Westküste Afrikas heimzukehren. Unterwegs hatte man jedoch ungewohnte Stürme und Flauten, Hitze und Kälte, Hunger und Durst, bisher unbekannte Krankheiten, Meutereien, Havarien und kriegerische Auseinandersetzungen zu bewältigen. Als der Rest der Flotte schließlich auf dem kleinsten der Schiffe, der „Victoria“, nach 1124 Tagen Seereise am 7. September 1522 wieder im Heimathafen anlegte, befanden sich nur noch 18 Mann an Bord. Auch Admiral Fernando de Magellan hatte nicht überlebt, im Gegensatz zu seinem Pagen Vasco Gomez Gallego. Der rettete auch das von seinem Freund Antonio Pigafetta sorgfältig geführte Logbuch für die Nachwelt. Dieses in Teilen erhalten gebliebene Bordbuch und andere Dokumente über die erste Weltumseglung lieferten die Grundlage für das überaus spannend geschriebene Buch. Im folgenden Ausschnitt begegnen wir Magellan und seinem Pagen in einer entscheidenden Szene der Verhandlungen mit dem spanischen König. Und Vasco durfte dabei sein:

„Vasco starrte den König an. Doch der merkte nun nichts von den erstaunten Augen, die über ihn glitten. Er folgte dem Vortrag Magellans. Und Vasco konnte den Herrscher ungestört betrachten. Der König von Spanien war kaum älter als er. Das war sonderbar, so jung und schon König, Herr über Krieg und Frieden, über Glück und Elend so vieler Menschen. Danach sah er nicht aus. Vasco war enttäuscht. Er wusste nicht recht warum, aber er hatte sich einen König anders vorgestellt. Der König folgte dem Gespräch der Männer nur mit den Augen. An seinem Gesichtsausdruck war keine Regung zu erkennen. Zuweilen rückte er auf seinem Stuhl herum, als ob ihm die Verhandlungen, das Für und Wider der Meinungen langweilig wären. Schließlich öffnete er den Mund. Seine Rede glitt langsam und überlegt über die Lippen und passte nicht zu der jugendlichen Erscheinung. „Diese Reise, die Ihr vorhabt, Magellan, kostet Geld. Alle unsere Bedenken habt Ihr zerstreut. Nur das Geld bleibt. Dieses Geld soll ich geben!“

„Eure Majestät können beruhigt sein“, erwiderte Magellan höflich, „die Gewürze, die diese Flotte mitbringen könnte, würden die Kosten des Unternehmens bei weitem aufwiegen.“

Der Kardinal äußerte Bedenken. „Der Heilige Vater hat die Welt geteilt zwischen Spanien und Portugal. Dem Lande, das diese Grenze verletzt, droht der Bann der Kirche. Der Weg zu den Molukken führt an Indien vorbei, und das Meer um Indien ist Portugal zugewiesen. Wenn Ihr zu den Molukken segelt, verletzt Ihr die Grenze, die der Papst festgesetzt hat.“

„Hochwürden mögen verzeihen, wenn ich widerspreche“, entgegnete Magellan. Er trat an den Globus heran, der vor dem König auf dem Tisch stand. „Hier ist ein Abbild der Erde, eine Kugel nach der Meinung der Gelehrten. Wollte man eine Kugel teilen, so müsste man die Grenze rundherum ziehen. Man hat noch nicht die Hälften, wenn man bei einer Apfelsine den Schnitt des Messers einmal von der Blüte zum Stiel führt.“

Der Kardinal folgte aufmerksam den Erklärungen Magellans, der ihn genau beobachtete und seine Worte vorsichtig wählte. Nun fuhr er fort:

„Und weil die Erde eine Kugel ist, wird der Heilige Vater bald eine zweite Grenze angeben, die die Erde auf der anderen Seite zwischen Spanien und Portugal teilt. Wo diese Grenze liegen wird, hängt auch von den Bemühungen Spaniens ab!“

Das war zu viel! Magellan merkte es; aber das letzte Wort war ihm schon über die Lippen gesprungen. Das Gesicht des Kardinals hatte sich verdunkelt. Hasserfüllt war die Stimme, die durch die Zahnlücken stieß: „Es ist gefährlich zu behaupten, die Erde sei eine Kugel. Dieses Wort hat schon manchen auf das Schafott gebracht. Die Wissenschaft denkt, aber wie sie denkt, gibt ihr entweder Gott ein oder der Böse. Was der Heilige Vater sagt, das gilt. Wer anderes verkündet, kann Ketzer genannt werden und ein schlimmes Ende finden!“

Die Worte des Kardinals hallten im Raume nach und blieben in den Ohren hängen. Der Scheiterhaufen drohte. Eine Zeit lang war es totenstill.

Dann sprach wieder der König.

„Alles mag stimmen! Aber Zweihunderttausend kann Spanien nicht zahlen für eine Reise, deren Erfolg immerhin zweifelhaft bleibt. Ich habe im Augenblick Wichtigeres zu tun und zu bedenken. Vor Toledo kämpfen meine Soldaten seit Monaten gegen aufständische Bürger, die mir die Steuern verweigern. An andern Orten sieht es ähnlich aus. Die Expeditionen des Kolumbus haben Geld verschlungen und nichts eingebracht. Und der Weg, den Ihr nun zu den Molukken nehmen wollt, diese Durchfahrt westlich hinter dem Meer, ist doch eine ungewisse Sache!“

Ablehnend schüttelte der König den Kopf.

Vasco war den Tränen nahe. Alles war zerschlagen. Der Traum der vergangenen Monate zerstob in ein Nichts. Er würde wieder nach Huelva zurückkehren und die großen Schiffe nur von weitem sehen. In Vasco wuchs eine Wut auf, eine Wut über den König und über die Langbärte hier. Was waren denn das für Menschen? Sogar Vasco, obwohl er Magellans Pläne schon kannte, war angesteckt worden von der Begeisterung, mit der sein Herr eben gesprochen hatte. Und diese hier rechneten und bangten um ihr Geld. Besonders erbost war Vasco über Espinoza, der seinem Herrn Unterstützung versprochen hatte. Nicht ein einziges Mal hatte er den Mund geöffnet. Warum blieben sie überhaupt noch hier? Magellan wusste wohl selbst weder Rat noch Ausweg. Mit gesenktem Kopf stand er da. Die Gesichter der Gelehrten drückten ebenfalls Unzufriedenheit mit dem Ausgang der Audienz aus. Der König erhob sich.

Da unterbrach ein kräftiges Räuspern die unangenehme Stille. Van Geerden, der „König des Geldes“, schob sich nach vorn.

„Gestattet, König von Spanien! Ich werde die Flotte ausrüsten. Auf mich allein falle der Verlust!“

Karl von Spanien kniff die Augen zusammen. Er überlegte. Was bedeutete das? Der Kaufmann warf sein Geld nicht zum Fenster hinaus! Was war also zu tun?

Kardinal Ebora hatte schneller begriffen.

„Das ist nicht nötig“, sagte er scharf, „der König hat soeben beschlossen, drei Viertel des gebrauchten Geldes zu geben. Herr van Geerden kann den Rest übernehmen.“

Der Kaufmann senkte den Kopf. Der Kardinal hatte ihn durchschaut. Aber er war noch gut gefahren und konnte zufrieden sein. Diese Fahrt nach den Gewürzinseln würde das große Geschäft seines Lebens werden.

Es wurde ein Vertrag aufgesetzt. Der König nahm das Pergament und las aufmerksam den Text. Er war zufrieden, nahm die Feder und setzte seinen Namen darunter.“

 

Nun, das ist ja noch einmal gut gegangen für Magellan und damit auch für Vasco, seinen Pagen. Und so konnten die fünf Karavellen des Portugiesen am 20.September 1519 den südspanischen Hafen Sanlucar verlassen. Und das wiederum war vor nunmehr ziemlich genau 500 Jahren – also ein kleines oder sogar ein großes Jubiläum.

Leider kam Magellan wie die meisten seiner Leute von dieser großen Reise – der historisch belegten ersten Erdumseglung – nicht wieder zurück. Mehr Glück hatte Vasco, der nicht nur überlebte, sondern der sogar das so wichtige Logbuch mit nach Hause brachte.

Viel Spaß beim Lesen dieser spannenden historischen Geschichte, noch ein paar schöne Tage bis Silvester und auf ein Neues demnächst – im Jahr Zweitausendundzwanzig. Guten Rutsch!

DDR-Autoren: Newsletter 27.12.2019 - Kurs eins-acht-null, zwischen Rokoko und Romantik und Magellan vor dem