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Ein junger Mann will groß rauskommen, ein Land geht unter und Vera ist schwanger- Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 07.06. 2024) – Mehr denn je sind die unterschiedlichen Auffassungen von Mann-Sein und Frau-Sein in der Diskussion. Dazu kommen noch Menschen, die sich als nicht-binär verstehen wie der Sieger des kürzlichen Eurovision Song Contest (ESC) 2024 Nemo, der weder er noch sie ist. Das sind neue Entwicklungen, die höchstwahrscheinlich noch nicht absehbar waren, als erstmals 1987 das dritte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters erschienen war, die eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 07.06. 24 – Freitag, 14.06. 24) zu haben sind. In „Endlich ein Mann sein“ von Heinz Kruschel geht es um „Nickel“. Nickel möchte groß herauskommen in diesem Sommer. Zunächst aber fällt er durch die Matheprüfung und tritt seine Lehre nicht an. Wer keiner geregelten Arbeit nachgeht, der fällt in der DDR auf. Und so kümmert sich der Abschnittsbevollmächtigte (ABV) schon um ihn, mehrmals wird er vom Amt für Arbeit vorgeladen. Da hilft ihm auch nicht der gute Ruf der Eltern und Großeltern. Groß und stark (wie ein Mann) fühlt er sich an der Seite des Mädchens Kora, aber sie sagt ihm, dass sie nicht nur ihn liebt. Was wird aus Nickel werden?

Die DDR ist auch Thema in dem erstmals 2015 als Eigenproduktion von EDITION digital veröffentlichten Buch mit dem eigenartigen Titel „Fliegenragwurz“ von Stefan Eikermann. Darin geht es um das Gedeihen des Fliegenragwurz unter seltsamen Bedingungen eines in die Jahre gekommenen Experiments. Und dieses in die Jahre gekommene Experiment steht auch für den Sozialismus in einem Land, das kurz vor seinem Untergang steht. Und das hat ganz marxistisch nicht zuletzt mit einem Mangel an Kapital zu tun. Der Fliegenragwurz (oder auch Fliegen-Ragwurz) gehört übrigens zu den Orchideengewächsen.

Weitere spannende Lebensgeschichten junger Menschen aus den achtziger Jahren in der ostdeutschen Provinz erzählt Siegfried Maaß in seinem erstmals 1986 veröffentlichten Buch „Abschied von der Lindenstraße“. Stuck ist aus der Armee entlassen und hat Pläne für die Zukunft. Natürlich gemeinsam mit Vera. Die aber hat eine Vergangenheit, eine kriminelle Vergangenheit. Und außerdem ist sie schwanger.

Ebenfalls von Siegfried Maaß stammt „Keine Flügel für Reggi“ von 1984: Ein junger Lehrer verursacht einen Motorradunfall und ist danach querschnittgelähmt. Ein einziger Augenblick der Unachtsamkeit hat ihn im wahrsten Sinn des Wortes aus der Bahn geworfen. Mit seinem Überleben weiß er zunächst nichts anzufangen. Welchen Sinn hat sein Leben noch?

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit.

Erstmals 1999 erschien beim Scheffler-Verlag Herdecke „Deines Nächsten Haus“ von Holda Schiller: Nach fast acht Jahrzehnten wird uns durch diesen sich auf Tatsachen stützenden Roman noch einmal die ganze zwiespältige Situation der Rumänien-Deutschen vor Augen geführt.

Zwangsweise 1940/41 in den polnischen Warthegau umgesiedelt, werden ihnen dort polnische Bauernhöfe „zugewiesen“. Auch Mutter Rebekka Rebe und deren Tochter Malve erhalten zur Bewirtschaftung des „Nächsten Hauses“ - Vieh und Feld.

Nicht viele wissen heute noch, welche Tragödien von biblischem Ausmaß sich dort ereigneten. Aber hier erzählt eine Autorin über diese Zeit.

Über Glück und Schmerz und sie deckt die Widersprüche auf, die zu einer zweifachen Flucht vor den Russen führte und für die Familie Rebe 1945 an der Havel endet.

Hier wird Vergangenheit zwischen Bibel und Hakenkreuz, zwischen mitleidendem Menschsein und anmaßendem Herrentum glaubhaft dargestellt.

Von allumfassender Liebe getragen, zweifelnd und stark die geschundenen Menschen, erzählt in einer Prosa allerersten Ranges.

Ein großes Buch: schlicht und ergreifend.

Und noch ein wichtiger Hinweis: Vom 31. Mai bis zum 28. Juni kann das E-Book „Die Abenteuer der Kriegskinder. Geschichten von Mut und Magie“ von Gisela Pekrul kostenlos heruntergeladen werden: Komm mit ins kleine Dorf Wolteritz, das ganz in der Nähe von Leipzig liegt. Unsere Geschichten beginnen im Jahr 1943, mitten im schrecklichen 2. Weltkrieg. Fast alle Männer waren entweder im Krieg oder schon im Himmel. Die Frauen und alten Männer mussten ganz schön schwer arbeiten, in Fabriken, die Dinge für den Krieg herstellten, oder auf den Feldern.

In der Leseprobe aus "Endlich ein Mann sein“ von Heinz Kruschel folgen wir Nickel und Kora, die mit tiefen persönlichen Reflexionen und Erinnerungen an Jans Leben konfrontiert werden, während sie das Haus durchstreifen, das mit den Hinterlassenschaften und Geschichten einer vergangenen Zeit gefüllt ist. Durch Jans persönliche Gegenstände, von der Mandolinenschleife bis zur Hobelbank, wird das Leben eines Mannes nachgezeichnet, der Liebe und Streit gleichermaßen erlebt hat, und durch die Augen seiner Familie betrachtet.

Der Wind pfeift aus Wolkenlöchern, als sich die Verschwörer treffen.

Nickel kommt sich nicht gemein vor, weil er zu James, den Kora doch bestellt hat, sagt: „Wir brauchen dein Motorrad nicht, eine Taxe wird kommen.“

Kora protestiert, aber James sagt: „Lass, es ist besser so, und ich muss mich ohnehin noch spritzen, habe es einmal heute vergessen.“

Nickel bekommt einen kleinen Schreck. Spritzen? Also süchtig?

Die Taxe kommt. Der Fahrer ist ungeduldig, er hat noch andere Bestellungen. Oma klettert gleich nach hinten.

Nickel verstaut mit dem Fahrer die Koffer und Taschen. Und James sagt zu Kora: „Fahr mit, hab dich nicht so, eine alte Frau auf dem Motorrad, was soll das.“

Primasz steht im Tor und hebt die rechte Hand zu einem magischen Zeichen und macht ein trauriges Gesicht.

Sie sind schnell auf dem Spionskopf. Als sie ankommen, bricht die Sonne durch die Wolkendecke, ein guter Wink, der Himmel blinkt seine Zeichen: In Ordnung, willkommen, alles okay, die Welt ist offen.

Oma bemerkt nicht einmal, dass Nickel gestern die Kachelöfen geheizt hat. Sie geht, als müsste das so sein, in der wohligen Wärme durch ihr Häuschen, von Zimmer zu Zimmer.

„Wie durch ihr Leben geht sie“, flüstert Kora.

Ist auch so. Überall sieht sie Bilder, erinnert sie sich. Das Foto. „Goldene Hochzeit, da hat Jan mit allen Frauen getanzt, nur mit mir nicht, ich konnte schon damals mit den Beinen nicht mehr so richtig.“

Ein Kistchen aus Sperrholz. „Hat er gemacht, für sein Rasierzeug, das gehört nun dir, Nickel.“

Darüber kann Kora nur lachen, denn Nickel ist glatt im Gesicht, zu seinem Kummer.

Jans Schnitzmesser, Jans Handwerkszeug, Jans Abschiedsgeschenk von der Reichsbahn, Jan mit seinem Vater in der Uniform eines Infanteristen des ersten Weltkrieges. „Zwei Wochen später fiel sein Vater, und Jan wurde achtzehn Jahre alt und erhielt das Eiserne Kreuz zweiter Klasse.“

Der vertrocknete Hochzeitsstrauß. „Es war so kalt, dass es hier oben kein Wasser gab und Spatzen steif von den Ästen fielen.“

Kora und Nickel folgen Henny und unterbrechen sie nicht. Ihnen ist zumute, als tappe einer mit ihnen durchs Haus, Opa Jan.

Eine Hose, die sie glättet, Bügelfalte auf Bügelfalte. „Die muss in die Reinigung.“ Das karierte Hemd auch. Seine Uhr, die sie ins Fach, und das Halmaspiel, das sie in die Schublade des Küchentisches legt. In dieser Lade liegen Skatkarten, Würfel und Mikadostäbchen geordnet neben klein geschnittenen Zetteln, auf denen die Punkte des Siegers und die des Verlierers notiert wurden. Jan war meistens der Verlierer.

Eine Mandolinenschleife. „In der Jugendbewegung habe ich ihn kennengelernt, er kam aus einer Sekte zu uns.“

Henny stützt sich auf Kora. „Lebt euer Leben, seid riesengroß und zwergenklein, hat er gesagt, oder hieß es riesenklein und zwergengroß ..." Sie bittet Kora, einen Schrank aufzuschließen, in dem eine Kassette steht. Dieser Kassette entnimmt sie ein Buch und gibt es Nickel. „Für dich.“

Nickel liest: „Klabund. Bracke. Ein Eulenspiegelroman. Deutsche Buchgemeinschaft.“

„Das will ich gar nicht lesen“, sagt er. Oma lächelt nachsichtig.

Überall Jans Spuren. Ein Schaukelgerüst im Garten, das er für Hannchen, die in einem Wüstenland lebt, und für Nickel, den Helden, gebaut hat. Die alten Rosen, zwischen denen er gelegen hat. Die vielen kleinen Tellerchen für die wilden Katzen, die jeden Abend kommen. Der Arbeitsschuppen, in dem die Hobelbank steht. Die hölzernen Tiere, die Schnäbel und Mäuler aufreißen und deren Beine gerissen sind. Auf ihren Rücken grünt es moosig. Am Zaun lehnt eine Harke. Vielleicht hat Jan sie hingestellt, als ihm schlecht wurde.

Nickel will einkaufen gehen. Kora bringt ihn zur Gartentür und sagt: „Das muss eine große Liebe gewesen sein, Mann, an solcher Liebe muss man ja sterben können.“

„Aber die haben sich fast jeden Tag gezankt, sage ich dir.“

Kora schüttelt den Kopf, Nickel sieht ihr an, dass sie über das Gehörte und Gesehene nachdenken möchte.

In dem Auszug aus Stefan Eikermann Roman "Fliegenragwurz" verfolgen wir das Schicksal von Anne Tilbert, die nach ihrer Entlassung aus dem VEB Großküchen und Bevölkerungsversorgung bei dem Kombinat Dienstleistungen "Aktivist" stundenweise Arbeit findet. Trotz der ständigen Konfrontation mit der trostlosen Umgebung und den prekären Arbeitsbedingungen, kämpft Anne weiter um ihre berufliche und finanzielle Unabhängigkeit in einer von politischen und ökonomischen Umbrüchen geprägten DDR.

Seit ihrer Kündigung durch den VEB Großküchen und Bevölkerungsversorgung steht Anne Tilbert nicht mehr in einem geregelten Beschäftigungsverhältnis, sondern arbeitet stundenweise im Kombinat Dienstleistungen „Aktivist.“ Als sie sich im vergangenen Winter über die glasigen, weil auf der Verladerampe bei Minustemperaturen erfrorenen Kartoffeln bei der Leitung beschwerte, sah diese sich genötigt, das Beschäftigungsverhältnis zu lösen, und auf Anweisung übergeordneter Stellen die Kaderakte einzubehalten. Trotz mehrmaliger Vorsprache beim Rat des Bezirks wurde ihr keine neue Stelle zugewiesen und die Tilberts vermuteten schon, ihre Ausreise könne bevorstehen. Doch die Wintertage vergingen, es wurden Wochen und nichts geschah. In verschiedensten Betrieben, auch so kleinen privaten, versuchte sie Arbeit zu bekommen und war überall umworben, bis das Gespräch auf die Kaderakte kam. Später hat sie von sich aus andersherum angefangen und nur noch gefragt, ob sie jemanden mit Ausreiseantrag und ohne Akte gebrauchen könnten. Einzig dem Dienstleistungskombinat war der Mangel an beschriebenem Papier egal, statt einer Festanstellung bot man ihr im Bereich Gebäudereinigung Objektverträge. Der Kaderleiter hier, ein kleines zerbrechliches Männlein undefinierten Alters, blickte nicht aus seinen Unterlagen auf, als er Anne Tilbert die Vertragsbedingungen hersagte und schloss auch gleich noch an, dass die Flutaktion bei ihnen groß sei, kaum einer bleibe länger als ein halbes Jahr und da sei ein Ausreiseantrag ja schon fast eine stabile Größe, und das sprach er mit einem kaum deutbaren Lächeln um die schmalen Lippen. Frau Tilbert verdient mehr als ihr Mann. Sie arbeitet sich durch die langen Flure muffiger Bürobaracken und die Verwaltungsetage eines Krankenhauses.

In einem Industriegebiet inmitten der Stadt liegt, einem hohlen Zahn gleich, der bombenversehrte Materialstützpunkt des Kombinates „Aktivist“, der gleichfalls die Buchhaltung mit zwei ältlichen Weibern beherbergt. Auf der Ziegelmauer vor dem Tor steht auf rotem Grund: „Wir erfüllen den Plan schon heute.“ Das Treppenhaus endet nach fünf halben Treppen im Nichts, umgeben von drei düsteren brandvernarbten Außenwänden. Über die Decke der zweiten Etage ist ein Pappdach mit einer Neigung zur fehlenden Außenwand gezogen und als Frau Tilbert das Gebäude zum ersten Mal betrat, schwebte pestilenzartiger Gestank aus der nebenliegenden Gerberei in der Luft. Frau Körner, eine der Buchhalterinnen sagt, dass man sich daran gewöhnt mit den Jahren. „Seit siebenundfünfzig sitze ich hier und jedes Jahr soll die Ruine abgerissen werden, in einen Neubau am Stadtrand sollen wir ziehen“, und Frau Brettschneider, die füllige Kollegin, braust auf: „Was der VI. Parteitag beschloss wird sein, - nur wann weiß keiner“, und Anne Tilbert erfährt, dass die VEAB hier Kruppons lagerte und das Teerdach provisorisch über die Ruine legen ließ, sechsundvierzig war das. An verschiedenen Stellen kann man den Weg des Wassers durch die marode Teerpappe verfolgen, doch alles ist trocken. Jetzt im Sommer bei fast dreißig Grad könnte man sie für einen Tick der beiden Frauen halten, die aufgestapelten Emaileimer neben dem Ausguss. Drei verschiedene Objekte muss Anne Tilbert zweimal wöchentlich fegen und monatlich einmal bohnern. Fünfzig Mark bekommt sie pro Reinigungsgang am Freitag bar ausgezahlt, den Gestank hier inklusive. Warum sie jahrelang in ihrem Beruf als Erzieherin für einen Bruchteil dessen tätig war, ist ihr nicht mehr klar, die Zeit in der Kindereinrichtung Hans Beimler scheint wie aus einer anderen Welt mit Rechenschaftsberichten über die geleistete Arbeit mit den Kindern. Nur manchmal überlegt sie, was aus ihren Knirpsen geworden ist, die Großen kommen im Herbst zur Schule, und sie drückt den Gedanken weg, bevor ihr Tränen in die Augen steigen. Brigadeversammlungen gibt es bei Saisonkräften wie Anne Tilbert nicht, sie arbeiten allein und nur die zuverlässige Erledigung der Reinigungsaufgaben zählt.

Da sie das Ostgeld nicht mitnehmen können, geben die Tilberts es aus. Eine Kamera aus Dresdner Pentacon Produktion hat Herr Tilbert sich für tausendreihundert Mark gekauft, genau genommen erlaufen. Fast täglich hat er seit April im Fotooptikgeschäft vorbeigeschaut. In der Premiere eines vielbeachteten Theaterstückes, der Pförtner hatte ihnen die Karten überlassen, trafen Tilberts die Verkäuferin. Sie grüßten sich schon wie alte Bekannte. In dem abgewetzten Quellekatalog ist der Apparat für dreihundertneunundneunzig Westmark zu haben. Beinahe eins zu drei, ein guter Kurs, findet Herr Tilbert und die Kamera kann er mitnehmen.

„Initiative für Menschenrechte“, stand über dem Informationsblatt einer Kirchengruppe, welches beim Weihnachtsgottesdienst neben den Arbeitsmaterialien des INKOTA Arbeitskreises der hiesigen Gemeinde auslag.

In "Abschied von der Lindenstraße" von Siegfried Maaß werden wir Zeugen eines tief bewegenden Moments im Leben von Stuck, einem Mann, der sich mit seinen Vorurteilen und Ängsten auseinandersetzt. Hier beginnt eine entscheidende Szene, als er und Cornelia das Krankenhaus erreichen, um von einer traurigen Wahrheit über den Zustand eines geliebten Menschen zu erfahren.

 „Behinderte? Disco für Behinderte? Vielleicht Rollstuhlfahrer?“ Cornelia sieht ihn zweifelnd an. „Die können doch nur zuhören.“

„Glaubst du!“ Stuck lächelt. Genauso hatte er auch einmal gedacht. Aber dann kam dieses Mädchen Karen, die Vera seit der Schulzeit kennt, und hat ihn für den Behindertenklub geworben, den sie leitet, obwohl sie gesund ist. Aber ihr Freund ist querschnittsgelähmt.

Stuck versucht, ihr seine Eindrücke und Erlebnisse von und mit den Behinderten zu schildern. Währenddessen erreichen sie das Krankenhaus, und plötzlich spürt Stuck sein Herz heftig schlagen. Gut, dass das Mädchen ihn so lange abgelenkt und auf andere Gedanken gebracht hat.

Im langen Gang, in dem er am Vormittag Vera angetroffen hat, versucht sich Stuck zu beruhigen. Das ist Angst, sagt er sich, pure Angst, und ich hab sie bisher überhaupt nicht gekannt, nicht einmal vorm Härtetest, der anderen schon Bauchschmerzen und Übelkeit bereitete, ehe er begann.

Es ist dieses Mal eine andere Schwester, die nach seinem zaghaften Läuten die Stationstür öffnet; auch sie kennt ihn schon, erschrickt bei seinem Anblick und sagt hastig: „Einen Augenblick, bitte! Ich hole Frau Doktor!“

Stuck kann jetzt nicht denken, nur warten. Alles, was er genau weiß, ist: Er muss warten.

Die Stationsärztin, eine zierliche Frau mit kurz geschnittenem Haar, die einen Gehfehler hat und darum nicht lautlos auftreten kann, ist zur Tür gekommen und bittet Stuck und Cornelia in den Stationsflur, wo ein kleiner runder Tisch und einige Stühle mit Armlehnen stehen. Was hat ihm die Frau zu sagen? Wie geht es Thomas? Soll sie doch anfangen, endlich anfangen ...

„... schon ein Telegramm geschickt, vor einer halben Stunde vielleicht, Herr Stuckmann, Sie können es also noch nicht erhalten haben ...“ Sie breitet ratlos ihre Hände aus. „Wir konnten leider nichts mehr machen. Herr Stuckmann. Der kleine Körper war zu sehr geschwächt. Es kam nun noch eine Rippenfellentzündung hinzu ...“

Ohne die Armlehnen, glaubt Stuck, wäre er jetzt vom Stuhl gerutscht. Aber so kann er sich festklammern. Seine Fingergelenke schmerzen. Gut, der Schmerz!

Konnten nichts mehr machen.

Rippenfellentzündung dazugekommen.

Schon ein Telegramm geschickt.

Mit anderen Worten: Thomas ist tot.

Tot.

Aus ...

Stucks Blick irrt von der Ärztin zu Cornelia. Das Mädchen weint, reibt mit dem Handrücken über ihr Gesicht. Weinen ist gut. Warum weint er denn nicht?

Thomas ... An Lungenentzündung stirbt man doch nicht. Heute nicht mehr.

Nicht?

Kein Leben mehr in ihm. Nicht mehr da.

„Wann?“, fragt er und sucht die Augen der Frau, die sie von ihm abwendet und auf irgendeinen Punkt hinter ihm richtet.

„Vor einer Stunde. Er hat sich aber nicht gequält, keine Schmerzen gespürt. Es ist kein Trost für Sie, ich weiß, wollte es Ihnen aber trotzdem sagen. Möchten Sie ihn sehen?“

Möchte er das?

„Mach’s nicht, Stuck! Mach’s nicht!“ Cornelia fasst seinen Arm und zieht ihn weg, heraus aus dieser Station, in der ein Stück seines Lebens unwiederbringlich zurückbleiben muss.

Er folgt dem Willen des Mädchens, hält aber an der Tür inne, sieht zu der Ärztin, die noch immer an dem Tisch sitzt. „Vielleicht komme ich noch einmal mit meiner Frau“, sagt er. Dann schließt er geräuschlos die Tür.

In der folgenden Leseprobe aus "Keine Flügel für Reggi" von Siegfried Maaß begleiten wir die tiefgründige Unterhaltung zwischen Reggi und Wilfried, zwei Freunden, die sich in ihren Rollstühlen im Park treffen. Hier reflektieren sie über die vergangenen Zeiten in der Burg, wo sie sich einst unbesiegbar fühlten, und konfrontieren die aktuellen Herausforderungen ihres Lebens mit Behinderung.

"Sag mir nur mal, warum du in der Burg ganz anders warst. Da konnte dich nichts erschüttern. Oder war das Täuschung, hast du uns allen etwas vorgemacht?"

Wir stehen inzwischen mit unseren Rollstühlen im Park. Der Blätterdom einer mächtigen Eiche ragt in den Himmel, jahrhundertealtes knorriges Holz, und die Naturschützer haben den Baum in ihre Obhut genommen, einen Teil des Stammes mit Zement ausgegossen und das Schild mit der Eule angebracht.

Ich fahre aus dem Schatten der Eiche, und Wilfried folgt. Vor dem abschüssigen Uferstreifen halten wir.

"Vorgemacht? Keine Spur. Ich war damals wirklich so, kannst du mir glauben. Ich hatte mich ganz schnell mit der neuen Situation abgefunden."

"Und jetzt?", frage ich. "Man müsste doch annehmen, je größer der zeitliche Abstand zum Unfall wird, desto eher und leichter ist alles zu ertragen... Von 'abfinden' will ich gar nicht reden. Mich damit abzufinden wird mir wahrscheinlich nie gelingen. Aber ich habe jetzt eine gewisse Klarheit gewonnen, weiß, was mir möglich ist und was nicht. Illusionen habe ich nicht."

"Illusionen! Hatte ich die?" Wilfried zuckt die Schultern. "Glaube ich nicht", sagt er nach einer Weile. "In der Burg war nur alles einfacher. Da habe ich nicht an die Schwierigkeiten gedacht, die später auf mich zukommen könnten."

"Siehst du", erkläre ich und komme mir augenblicklich wie ein besserwissender Lehrer vor einer Klasse vor, "bei mir war es umgekehrt. Ich habe immer nur die Schwierigkeiten gesehen, die mich außerhalb der Burg erwarten."

"Und kommst jetzt viel besser zurecht als ich."

"Möglich."

"Möglich?" Wilfried sieht mich aufgebracht an. "Du brauchst mir nichts vorzuspielen, Reggi! Ich habe doch Augen im Kopf."

"Dann reiße sie weit auf, Wilfried! Sieh bloß zu, dass du bald aus deinem Tief herausfindest!"

"Ich habe keine Karen an meiner Seite, vergiss das nicht."

Damit nimmt er mir die Chance einer Antwort. Wie oft habe ich mir selbst schon gesagt - was wäre ohne Karen aus mir geworden?

Mein Vater ist nicht der Mann, sich immerzu um Dinge zu kümmern, die mein Leben vereinfachen könnten. Als er damals seine Briefe an den Bürgermeister schrieb, hatte es ihn viel Überwindung gekostet... Anders wäre es vielleicht gewesen, wenn meine Mutter noch lebte. Sie hatte sich meistens behaupten und durchsetzen können, und mein Vater hatte sich auf das Geschick meiner Mutter verlassen.

"Ich wollte weg, verstehst du?", höre ich Wilfried sagen. "Das Abi machen und dann weg von zu Hause, zur Armee oder sonst wohin."

Er starrt auf das trübe Flusswasser, als spiegele sich darin seine ganze Vergangenheit mit den vielen guten Vorsätzen fürs Leben.

"Weißt du, woran ich denken muss?", frage ich und will keine Antwort, was Wilfried zu spüren scheint, denn er wartet auf meine Erklärung. "Ich habe dich damals beneidet, schon am ersten Tag in der Burg. Deine Eltern wichen nicht von deiner Seite, man konnte annehmen, sie wären an deinen Rollstuhl gekettet. Mein Vater dagegen... Er war von der anstrengenden Busfahrt so erschöpft, dass er sich sofort irgendwo niederließ. Ich fuhr darum allein los und sah mir die neue Umgebung an."

"Mich haben immer alle beneidet", erwiderte Wilfried. "Schon in der Kindheit. Meine Alten, besonders mein Vater, konnten wunderbar tun, als..." Er winkte mürrisch ab. "Lass uns das Thema wechseln, Reggi. Heute ist ein so schöner Tag für mich, endlich mal raus aus dem Kaff und den eigenen vier Wänden..."

Er schweigt. Aber Sekunden später fügt er hinzu: "Er hat allen die Augen verkleistert, seinen Leuten im .Betrieb, den Nachbarn und auch meinen Lehrern. So aktiv wie er ist kaum noch einer gewesen, ob in der Gewerkschaft oder dem .Elternbeirat... 'Immer mit dem Rücken an die Wand, Wilfried', hat er mir eingetrichtert und mich sogar erinnert, dass ich zum Fahnenappell in der Schule oder zum Maiumzug das Blauhemd anziehen müsse. Aber lief ich dann zu Hause auch nur fünf Minuten länger als nötig damit umher, schrie er mich an, ich solle bloß schnell den blauen Fummel vom Leib kriegen... Vielleicht wäre er früher, als es noch möglich war, nach drüben gegangen, wenn er nicht so an dem Haus hängen würde, das er von seinem Vater geerbt hat. Selbst diese Courage hat er nicht gehabt, weil er eher auf den Pfennig scheißt, als irgendwas zu riskieren."

In der folgenden Szene aus "Deines Nächsten Haus“ von Holda Schiller entfaltet sich eine tiefgreifende Geschichte der Menschlichkeit und des stillen Widerstands während einer Zeit der Unterdrückung und des Gesetzesbruchs. Rebekka, eine zentrale Figur im Roman, nutzt ihre alltäglichen Aufgaben, um in einer von Verzweiflung geprägten Welt heimlich Nahrung und Hoffnung zu spenden, eine Handlung, die sowohl Risiken als auch stille Anerkennung mit sich bringt.

Dass Rebekka in letzter Zeit oft und viel Brot backte, war Malve aufgefallen. Sie hatte sich aber nie darum gekümmert, wo all das Brot geblieben war. Heute nun entdeckte sie in der Speisekammer einen Henkelkorb voll geschnittenen Brotes und stutzte: "Warum hast du jetzt schon Brot geschnitten? Und so viel? So viel brauchen wir doch gar nicht, es trocknet ja auch bis zum Abend."

Rebekka, die gerade Kartoffeln schälte, antwortete nur: "Ja, meinst du?" Nach dem Mittagessen sah Malve dann, wie Rebekka den Korb nahm und auf die Scheune zuging. Erstaunt darüber lief sie hinterher, wollte fragen, was die Mutter vorhabe, doch die verließ inzwischen die Scheune durch die hintere Tür und steuerte auf die Gruppe straßepflasternder Juden zu. Sie schritt an ihnen vorbei, ohne jemanden anzusehen, als gehe sie ihres Weges, und ließ dabei Brotscheiben fallen. Deutscher sah ihr versonnen nach. Anstatt sie zu hindern, tat er so, als nehme er gar nicht wahr, dass da jemand vor seinen Augen gegen das Gesetz verstößt. Man konnte viel eher den Eindruck gewinnen, er genieße den Auftritt der Frau, es beeindrucke ihn, was sie tat und wie sie es tat. "Herr Born, warum lässt Deutscher das zu?", fragte Malve empört.

Es hatte sich so eingeschlichen. Als Rebekka zum ersten Mal mit dem Brotkorb vorüberging und ihn, Deutscher, flüchtig grüßend den Juden überaus geschickt Brot abwarf, dass selbst er es zunächst nicht bemerkte, war er so verblüfft gewesen, dass er ihr nur sprachlos hinterhersah und erst als alles vorüber war, im Stillen aufbegehrte: Das soll sie noch einmal wagen! Als sie es dann wieder wagte, beobachtete er sie verstohlen aus den Augenwinkeln, vergaß alle Vorsicht, war fasziniert von der Art, wie sie auftrat, von ihrem Gang. Das Bild der vorüberschreitenden Frau war in den romantischen Winkel seiner Seele gefallen, hatte ihn entrückt und ihn für Momente die traurige und schimpfliche Pflicht, mit dem Gewehr verhungernde Juden zu bewachen, vergessen lassen. "Er muss doch wissen, dass sie beide, meine Mutter und er, in Teufels Küche landen, Herr Born."

Rebekka benahm sich jedoch nicht ganz so leichtsinnig, wie es den Anschein hatte. Die Lange Straße war über weite Strecken unbebaut und führte an ihrem Haus vorbei. Gleich dahinter reihten sich die Grundstücke aneinander, auf denen zu beiden Seiten keine Häuser standen, und an diesem Abschnitt arbeiteten die Leute gerade. Jedes Mal, wenn sie mit dem Brotkorb loszog, hatte sie vorher von hinter der Scheune her die Straßen nach beiden Seiten abgespäht, ob ein Deutscher in Sicht sei. Polen würden sie nicht anzeigen, das wusste sie. Außerdem hatte sie einen zuverlässigen Verbündeten: Wazek.

In "Die Abenteuer der Kriegskinder. Geschichten von Mut und Magie“ von Gisela Pekrull entfaltet sich eine Welt, in der das Alltägliche auf wunderbare Weise mit dem Magischen verschmilzt. Folgen Sie der jungen Gisela, deren einfache Sonntagsroutine durch einen unerwarteten Tintenklecks auf ihrem Kleid zu einem zauberhaften Abenteuer wird, das die Grenzen der Realität sprengt.

Das Geheimnis der Tintenkleckse

Als Gisela klein war, gab es an Sonntagen immer diese unbequemen Sonntagskleider, die man tragen musste. Gisela fand das total langweilig, denn sie durfte darin nicht einmal richtig spielen. Aber an einem ganz besonderen Sonntag, als sie ihr brandneues, helles Kleid trug, passierte etwas Magisches.

Gisela war gerade dabei, einen Brief mit Tinte und Federhalter zu schreiben. Sie war so vertieft in ihre Schreiberei, dass sie nicht bemerkte, wie der Tintenklecks langsam, aber sicher auf ihr neues Kleid zurollte. Plötzlich landete der Klecks auf dem Stoff und hinterließ eine dunkle Spur. Oh nein! Gisela hatte das nicht mit Absicht gemacht, aber Mutti, die das Kleid mit viel Liebe genäht hatte, war mächtig wütend.

„Zur Strafe bekommst du Stubenarrest!“, schimpfte Mutti. Doch Gisela, die ein richtiger Bücherwurm war, freute sich innerlich. „Super! Dann kann ich mein spannendes Buch zu Ende lesen!“, dachte sie. Stubenarrest war für sie keine Strafe, sondern eher eine Belohnung.

Aber Mutti merkte schnell, dass Gisela sich so überhaupt nicht bestrafen ließ. Sie änderte ihren Plan und sagte: „Zur Strafe bleibst du jetzt eine Stunde draußen und spielst mit den anderen Kindern.“ Gisela war enttäuscht. Draußen spielte keiner, weil sie alle in ihren schicken Sonntagskleidern sich nicht schmutzig machen durften. Da konnte sie ja genauso gut drinnen bleiben und weiterlesen.

Enttäuscht ging Gisela nach draußen, doch sie war ganz allein. Ihre beste Freundin Christina war verreist, und die anderen Kinder waren nicht zu sehen. Alle versteckten sich wahrscheinlich, um ihre schönen Kleider zu schonen. Nach wenigen Minuten war Gisela schon wieder zurück zu Hause. „Es ist niemand da, mit dem ich spielen kann“, sagte sie zu Mutti.

Inzwischen war Muttis Zorn verflogen, und sie konnte Giselas Enttäuschung verstehen. „Na gut“, meinte sie lächelnd, „dann darfst du doch drinnen bleiben und weiterlesen.“ Gisela strahlte vor Freude. „Danke, Mutti!“

Aber das war noch nicht alles. Als Gisela ihr Buch wieder aufschlug, passierte etwas Unerwartetes. Der Tintenklecks auf ihrem Kleid begann zu schillern und zu glitzern. Er wurde größer und größer, bis er plötzlich leuchtende Buchstaben formte. „Komm mit mir auf ein Abenteuer!“, stand da geschrieben.

Gisela konnte es kaum glauben, aber sie war zu neugierig, um nein zu sagen. Sie streckte ihre Hand aus, und plötzlich wurde sie in den Tintenklecks hineingesogen. Sie fand sich in einer zauberhaften Welt wieder, in der Tintenkleckse lebendig wurden und Abenteuer erlebten.

Gisela tanzte mit bunten Tintenklecksen, flog auf einem Klecksdrachen durch den Himmel und tauchte in ein Meer aus funkelnder Tinte ein. Es war ein unglaubliches Abenteuer, und sie vergaß völlig die Zeit.

Als eine Stunde vorbei war, fand sich Gisela wieder in ihrem Zimmer, das Buch immer noch vor sich. Sie hatte tatsächlich nur eine Stunde gelesen, aber in der Tintenklecks-Welt waren Wochen vergangen.

Von diesem Tag an hatte Gisela noch mehr Lust zu lesen. Denn wer wusste schon, welche fantastischen Abenteuer sie noch in den Büchern entdecken würde? Und wenn sie mal wieder aus Versehen einen Tintenklecks machte, lächelte sie nur und freute sich auf das nächste magische Abenteuer.

Das erschütterndste und berührendste sowie zugleich am meisten (Lebens)Mutmachende Buch der heutigen Post aus Pinnow ist wohl „Keine Flügel für Reggi“ von Siegfried Maaß, in dem ein junger Mensch im wahrsten Sinne des Wortes von einer Minute zur anderen mit völlig veränderten Lebensumständen konfrontiert wird und in den ersten Momenten danach keinen Sinn mehr in seinem Leben sieht – eine nach einem solchen Schicksalsschlag mit irreparablen Folgen auch völlig verständliche Reaktion.

Und wer sich weiter mit Erinnerungen an die DDR befassen möchte – Anfang Oktober dieses Jahres wäre der kleinere deutsche Staat 75 Jahre alt geworden -, der sollte auch zu „Fliegenragwurz“ von Stefan Eikermann und „Endlich ein Mann sein“ von Heinz Kruschel greifen. Darin kann man noch einmal nachvollziehen, wie es damals gewesen war und zumindest einige Gründe spüren, weshalb die DDR 1989/90 untergegangen war. Vielleicht lassen sich daraus auch einige Erkenntnisse ableiten, woran das einst mit so vielen Hoffnungen begonnene sozialistische Experiment gescheitert ist. Steckte möglicherweise auch ein Generationenkonflikt dahinter? Und welche Rolle spielten eigentlich Gorbatschow und seine von der Partei- und Staatsführung so vehement abgelehnten Reformideen? In der inzwischen historischen Entfernung wird manches klarer …

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die neue Sendung liegt schon auf der digitalen Verladerampe.

Für die Sonderangebote der nächsten Woche wurde auch „Ein Fingerhut voll Zuversicht" von Christa Grasmeyer aus dem Jahre 1980 ausgewählt. Durch den plötzlichen Tod der Mutter sieht sich die sechzehnjährige Fanny Schill vor die Aufgabe gestellt, deren Platz in der Familie zu übernehmen. Der Vater ist völlig hilflos. Er will die drei jüngeren Geschwister trennen - zwei sollen in ein Heim und der jüngste zu seiner Schwägerin. Fanny jedoch möchte die Familie erhalten. Und da ist auch noch Sascha …

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