Wo Manfred Krug seine Kindheit verbrachte, Konspiration in Prag an der Seine und der Preis der Wahrheit - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 07.02.025) Wer in Deutschland, in der neuen Bundesrepublik, in der alten DDR sowieso, kennt ihn nicht, dieses wunderbare Großmaul, das nicht unbedingt vor Bescheidenheit strotzte, diesen schauspielerischen Alleskönner und begnadeten Jazz-und-Chanson-Sänger, diesen für seine Telekom-Aktien-Werbung-sich-Entschuldigenden und diesen Tagebuch- und Memoirenschreiber, als hätte er zuvor nie etwas anderes gemacht?
Gemeint ist natürlich Manne, Manfred Krug, der auch neun Jahre nach seinem Tode noch immer sehr präsent ist - als würde er noch leben. Apropos Leben. Was wissen wir über Mannes Leben, über seine Frauengeschichten und über seine frühen Jahre? Wussten Sie schon, wo er zum Beispiel seine Kindheit verbracht hat, nachdem seine Familie zunächst von Duisburg nach Georgsmarienhütte und vor dort kurze Zeit später noch einmal umgezogen war.
Aber bevor diese Frage beantwortet wird, sei hier noch eine längere Passage aus dem sehr lesenswerten Buch Im Gespräch. Knut Elstermann befragt ostdeutsche Filmstars zitiert, in dem es auf den Seiten 202 bis 206 um Manfred Krug geht, den der bekannte Filmjournalist Elstermann eingangs sehr treffend so charakterisiert:
Das Geheimnis seines Erfolges bestand in der Verweigerung. Manfred Krug hat es immer geschafft, sich der totalen Vereinnahmung, sei es durch die Propaganda, sei es durch die Kulturbürokratie zu entziehen, aber auch durch seine Fans. Etwas in seinem Wesen blieb immer widerspenstig, unangepasst und eigensinnig. Er konnte es sich immer wieder leisten, Kritiker und Bewunderer gleichermaßen zu verprellen und dabei seine Popularität noch ein Stück zu steigen. Die Zuschauer seiner Filme im Kino und im Fernsehen spürten, dass diese proletarische Rauheit Teil des Kunstwerkes Manfred Krug war, dass sie ihn vor allem Unechten bewahrt hat. Mit gutem Recht konnte er für sich in Anspruch nehmen, stets er selbst gewesen zu sein, ein unverstelltes Raubein auf der Leinwand und im Leben, ein ehrlicher Typ voller Kraft und mit Selbstbewusstsein.
Manfred Krug gehörte in der DDR zu den wenigen Schauspielern, die als Stars galten. Was immer er bei der DEFA oder im Fernsehen spielte, wurde von den Zuschauern angenommen, denn sie sahen in ihm einen, der wie sie war. Das Publikum in der DDR hatte ein sehr genaues Gespür für das Subversive an Krugs Eigensinnigkeit. Soweit die Einschätzung von Knut Elstermann.
Aber bevor Krug groß war, war auch Krug mal klein ein Kind.
Als Dreijähriger kam der kleine Manfred 1940 mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder an die Havel. Sein Vater hatte eine Stelle als Oberingenieur im hiesigen Stahlwerk bekommen. Eine Dreizimmerwohnung in der Marwitzer Straße 50 wurde das Heim der Familie Krug, lesen wir auf der Website der offenbar kulturfreundlichen Hennigsdorfer Wohnungsbaugenossenschaft (https://wohnen-in-hennigsdorf.de/manfred-krug-in-hennigsdorf/).
Mit seinem Freund Udo Kuffel plünderte er im Sommer Obstbäume in den Schrebergärten an der Feldstraße. Im katholischen Kindergarten zog ihm Schwester Theresita öfter mal eins mit dem Handfeger über. Bei einer der zahlreichen Nächte im Luftschutzbunker versuchte er seine heimliche Liebe Petronella Fabisch die eigentlich Petra hieß mit Grammophonnadeln, seinen neuen Zähnen und einem Hirschkäfer in einer Zigarettenschachtel zu beeindrucken. Vergeblich. Als sein Vater in den Krieg musste, bekam Manfred von ihm nicht nur den Rechenschieber, den der Ingenieur stets in seiner Hemdtasche bei sich trug, sondern auch die Rolle des Familienoberhauptes aufgebürdet. In den Nachkriegstagen erlebte er den täglichen Überlebenskampf um ein Stück Brot oder ein paar Kartoffeln als Herausforderung und Abenteuer gleichermaßen. Wie ein Indianer auf dem Kriegspfad fühlte er sich, als er den Russen einen Schweinekopf klaute. Von der Sülze, die Fräulein Rogalla daraus kochte, mochte seine Mutter aber nichts essen. Das erfährt man aus seiner spannenden Autobiografie Mein schönes Leben.
Außerdem erfährt man von den Henningsdorfer Wohnungsbaugenossenschaftern, dass in ihrer Havelstadt seit Februar 2020 eine Bronzetafel am damaligen Wohnhaus seiner Familie an der Marwitzer Straße an den in Ost und West erfolgreichen und beliebten Künstler erinnert.
Und nach diesem zugegeben sehr langen, aber doch auch sehr informativen Anlauf sind wir nun langsam, aber sicher beim vierten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote angelangt, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 07.02. 2025 bis Freitag, 14.02. 2025) zu haben sind. Die beiden entsprechenden Stichworte lauten: Hennigsdorf und Stahlwerk.
Denn der Untertitel für die 1931 von Friedrich Wolf Nach Idee und Entwurf von Hans Richter gestaltete und geschriebene Filmerzählung Metall lautet Hennigsdorf. Daring ging es um den Pulsschlag der Schmiede Deutschlands. Inmitten glühender Hochöfen, dampfender Maschinen und einer ruhelosen Belegschaft erzählt Wolf die Geschichte des Widerstands der Stahlarbeiter, die sich mutig gegen Ausbeutung und Rationalisierung stellen. Diese Filmerzählung ist mehr als eine Reise in die Industrielandschaft von Hennigsdorf der 1920er Jahre - sie ist ein mitreißendes Zeugnis der Arbeitskämpfe und der Kraft des Zusammenhalts. Metall verbindet die historischen Details des Industriezeitalters mit einer spannenden Erzählung über Mut, Solidarität und die Frage: Für wen wird wirklich geschmiedet?
Der Arbeitsplatz des Vaters von Manfred Krug war das Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf, das 1917 als Teil des AEG-Werks gegründet worden war und zu DDR-Zeiten mit über 8500 Beschäftigten der wichtigste Industriebetrieb der Stadt war. Ab 1931 hatte der Betrieb zum Flick-Konzern gehört. Heute ist davon nur noch ein mittelständisches Unternehmen übrig, das seit 1992 die Bezeichnung H.E.S. Hennigsdorfer Elektrostahlwerke GmbH trägt und zum Riva-Konzern gehört. Und noch ein Stück Industrie- und DDR-Geschichte: Schon seit 1913, also vier Jahre vor der Gründung des Stahl- und Walzwerkes, wurden und werden in Hennigsdorf auch Lokomotiven gebaut. Dazu noch eine Zahl zum Staunen, ehe wir uns den anderen vier Sonderangeboten dieses heutigen Newsletters zuwenden, die ebenfalls alle von Friedrich Wolf stammen: Von 1913 bis heute wurden in Hennigsdorf etwa 21.700 Lokomotiven und Triebwagen gebaut, die weltweit zum Einsatz kamen beziehungsweise noch kommen. Und damit nun endgültig zurück zu Friedrich Wolf und seinen Büchern.
Kennen Sie aus dem Geschichtsunterricht vielleicht noch den Begriff der Maschinenstürmer? Etwas Ähnliches ist Thema in dem um 1925 geschriebenen Entwurf zu einem Großfilm, aus einem brennenden Problem unserer Zeit Kraftwerk Russelaar: In einer Zeit, in der die mächtige Maschine Kraftwerk Russelaar das Leben einer ganzen Stadt prägt, erzählt diese spannende Filmerzählung von Aute, einem Arbeiter, der zunächst stolz auf das beeindruckende Werk ist. Doch bald wird ihm klar, dass diese Maschine nicht nur das Leben erleichtert, sondern auch viele seiner Freunde arbeitslos macht. Ein bewegender und packender Blick auf das Ringen zwischen Mensch und Maschine, erzählt in einer Weise, die zum Nachdenken anregt. Ist die Technik tatsächlich unser Freund - oder doch eher unser Feind? Und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?
Eine sehr berührende Liebesgeschichte hat Friedrich Wolf 1944 mit Lucie und der Angler von Paris aufgeschrieben. Es ist eine außergewöhnliche Geschichte über Liebe und Politik, über die Leidenschaft für Kunst und über die Leidenschaft fürs Leben und über die Verbindung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen, die aber zwei Dinge einen die Liebe zur Kunst und die Liebe zum Leben.
Im Auftrag des Deutschen Fernsehfunks (der DDR) wurde Lucie und der Angler von Paris 1963 in Schwarz-Weiß von der Künstlerischen Arbeitsgruppe Berlin der DEFA unter der Mitwirkung der Filmstudios Barrandov in der Regie von Kurt Jung Alsen mit der damals 26-jährigen Annekathrin Bürger als Kunststudentin Lucie, die sich neben der Malerei für Schwimmwettkämpfe und Autorennen begeistert, und dem britischen Schauspieler John Rees (1927 bis 1994) als Henri verfilmt (Synchronsprecher: Eberhard Mellies). Henri arbeitet als Kommunist im Untergrund, und das Angeln dient ihm als Tarnung für konspirative Treffs.
Gedreht wurde allerdings nicht an der Seine in Paris, sondern an der Moldau in Prag. Seine Erstausstrahlung erlebte Lucie und der Angler von Paris am 10. November 1963 im Deutschen Fernsehfunk. Die zeitgenössische DDR-Fernsehkritik lobte die Produktion: So meinte Werner Schwemin in der Berliner Zeitung, dass dieser Film nicht nur einfach vom Fernsehen gesendet wurde, sondern er sei für den Bildschirm geschaffen worden. Weiter hieß es: Hier versuchte man uns nicht einzureden, daß etwas vor sich geht, sondern hier ging etwas vor sich zwischen zwei Menschen. Das war eine Liebesgeschichte, innig und zart, herb und kraftvoll, in der der tiefe Zusammenhang zwischen dem Glück des einzelnen und dem Kampf für das Glück des Volkes deutlich wurde.
Die Jungens von Mons lautet der Titel der 1931 in Stuttgart geschriebenen Komödie, in der es um Mut, um Loyalität und um den Preis der Wahrheit geht. In der turbulenten Zeit der späten 1920er Jahre, geprägt von wirtschaftlicher Not und gesellschaftlichen Umbrüchen, nimmt die Kriegerwitwe Ellen Celloc eine außergewöhnliche Identität an: Sie wird Captain Collen Campell, charismatische Anführerin des Klubs der Jungens von Mons. Doch diese Entscheidung und die damit verbundene Täuschung haben weitreichende Folgen
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. In dem heutigen Text geht es um eine große Bedrohung und um Widerstand dagegen, um Menschlichkeit und um Tapferkeit.
1942 schrieb Friedrich Wolf die Erzählung Das Thermometer. Aus den Tagen der Verteidigung Moskaus 1941. Wie viele Texte von Friedrich Wolf, der oft operative Literatur lieferte, spielt die Handlung in Das Thermometer nur kurze Zeit vor der Veröffentlichung dieser Erzählung in diesem Falle ein Jahr früher: Im Winter 1941, während die deutsche Armee vor den Toren Moskaus steht, entfaltet sich eine berührende Geschichte im Zug von Pensa nach Moskau.
Der Zug ist voller verwundeter Rotarmisten, die zurück an die Front eilen. Mit im Zug ist auch die achtjährige Galja, die mit hohem Fieber kämpft. Ein einfaches Thermometer, das ein Fliegerkapitän bei sich trägt, wird zum Symbol für die Tapferkeit und für den unerschütterlichen Willen der Menschen in dieser dunklen Zeit. Das Thermometer erzählt von der Widerstandskraft der Frauen und Männer, die trotz aller Widrigkeiten Moskau verteidigen - und von einer Mutter, deren mutiger Einsatz über die Grenzen des Schlachtfeldes hinausgeht.
Hier der Anfang dieser besonderen Erzählung, die geschrieben wurde, als der Rückzugsbefehl Hitlers vom 15. Januar 1942 nur wenige Monate zurücklag. Erstmals seit Kriegsbeginn 1939 erlitt die sieggewohnte deutsche Wehrmacht eine schwere Niederlage, die den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit zerstörte. Das Kriegsziel, die Hauptstadt der Sowjetunion und des Weltproletariats zu erobern, wurde nicht erreicht nicht zuletzt dank solcher Menschen wie des hilfsbereiten Fliegerkapitäns:
Im Zug Pensa Moskau.
Der Zug ist voller Kommandeure und Rotarmisten, die meisten früher Verwundete, die wieder zur Front fahren. Alle fiebern vor Ungeduld, Moskau nach den letzten schweren Wochen wiederzusehn. Die kleine Galja, das achtjährige Töchterchen eines Artilleriemajors, glaubt schon bei Rjasan die Kremltürme zu sehen; bei jeder Haltestelle hat sie sich hinaus ins Freie geschlichen. Und jetzt liegt sie mit heftigem Husten und knallroten Bäckchen da. Bestimmt hat sie Fieber.
Man fragt die Schaffnerin des Zuges nach einem Thermometer. Sie hat einen Teekessel, Hammer und Zange, ein Schachspiel, einen Feuerschürer, einen Band Tschechow und einen Band neuer Kriegserzählungen, aber keinen Fiebermesser. Schließlich gehört Fiebermessen nicht zu den Aufgaben einer Schaffnerin. Doch die Anfrage ist durch den Wagen weitergegangen.
Plötzlich steht ein Fliegerkapitän vor dem Abteil der kleinen Galja. Ein Thermometer? Bitte! Er zieht aus seiner äußeren, oberen Rocktasche eine Hülse mit einem Thermometer, als habe er es dort ständig griffbereit.
Sie sind nebenbei Arzt?, fragt Galjas Vater. Der Flieger lächelt. Das grade nicht. Und dann fügt er hinzu, während Galjas Mutter das Thermometer einlegt: Darf ich bloß bitten, etwas vorsichtig mit dem Instrument umzugehen!´
Die Filmerzählung Metall von Friedrich Wolf zeichnet ein eindrucksvolles Panorama der deutschen Schwerindustrie in den 1920er Jahren. Mit dokumentarischer Präzision und filmischer Dynamik schildert Wolf den harten Arbeitsalltag in den Hochöfen und Walzwerken, die Auswirkungen der Rationalisierung und die wachsende soziale Unruhe unter den Arbeitern. Die Leseprobe nimmt den Leser mit auf eine nächtliche Fahrt durch das Ruhrgebiet eine Landschaft aus feuerspeienden Schloten und dampfenden Hütten, die das Herz der deutschen Industrie formen. Doch hinter der imposanten Maschinerie stehen Menschen: Gießer, Former, Schmelzer, die um ihre Existenz kämpfen. Mit rhythmischen Schnitten, grellen Kontrasten und der Perspektive aus Arbeitersicht verdichtet Wolf die soziale Realität der Zeit zu einer Anklage gegen Ausbeutung und Unterdrückung.
Die folgende Szene führt in das Spannungsfeld zwischen Industrie, Arbeiterbewegung und kapitalistischen Interessen ein ein erbarmungsloser Kampf um Arbeit, Lohn und Würde.
Nächtliche Fahrt. Duisburg Essen Hamm. Vom D-Zug aus überall feuerspeiende Essen der Hochöfen, Martinöfen, Hütten Kurze Einblicke in die Schmelzen: Metall Metall flüssiges Eisen Im Flugzeug über dem Kohlenpott ein Schornstein am andern, eine Esse an der andern, die Schmiede Deutschlands
Wer schmiedet? Schichtwechsel vor dem Tor einer Hütte. Gießer, Former, Schmelzer bei der Arbeit. Mietskaserne
Klebekolonne schlägt im Umkleideraum, an Fabrikmauer das Ruhrecho an:
Herabminderung der Belegschaft! Rationalisierung!
Im Jahre 1914
Arbeitszeit: 10 Std.
Zahl der Hochöfen: 9
Arbeiterzahl: 1925
Produktion: 59 000 t
Stundenlohn: 0,66 M
Nominallohn = 100
Lebenshaltungsindex = 100
Im Jahre 1926
Arbeitszeit: 8 Std.
Zahl der Hochöfen: 4 bis 5
Arbeiterzahl: 1285
Produktion: 77 000 t
Stundenlohn: 0,70 M
Nominallohn = 50 bis 60
Lebenshaltungsindex = 1500
18 Prozent allein der gewerkschaftlich organisierten Metallarbeiter erwerbslos! 1928!
Klebekolonne wird vom Werkschutz überrascht, muss türmen. Anschläge werden hier und da entfernt. Es bleiben aber immer noch einige kleben: auf der Latrine, im Geräteraum, dort werden sie eifrig gelesen und diskutiert; oft auch nur die Fetzen an der Mauer der Gießerei. Ein Arbeiter soll den festklebenden Anschlag abkratzen, markiert, liest vor allem. Es kommen immer mehr Arbeiter und lesen den klebenden Restfetzen, ergänzen das Fehlende aus ihrer Erfahrung! Sehr wichtig diese Anschläge innerhalb der Betriebe, der Zellenzeitung! Vergleiche hierzu: Maschinenfabrik N. & K. Zudem: Diese Klebeoffensive ist eines der neuen Kampfmittel, auch bildhaft filmisch. Dann Übergang zu den Forderungen der Metallarbeiter und der Aussperrung infolge solcher Klebepropaganda.
Für wen wird geschmiedet? Direktor zeigt einer Kommission das Walzwerk Musterbetrieb, erstklassige Maschinen von nur wenigen Arbeitern bedient Besprechung im Direktionszimmer, Aufsichtsräte, Direktoren, einer zeigt Ruhrecho, das Hetzblatt; dort Artikel:
Früchte der Rationalisierung
Laut Kölnischer Zeitung vom 3. 9. 1927 folgende Abschreibungen und Dividende der Schwerindustrie:
Vereinigte Stahlwerke: 52,2 Millionen Abschreibungen; 6 % Dividende
Krupp: 17,6 Millionen Abschreibungen; keine Dividende
Mannesmann: 7,3 Millionen Abschreibungen; 8 °/0 Dividende
Zeitung wird durch verschiedene Hände der Direktoren weitergereicht Hände, Hände der Direktoren.
Das Antreibersystem
= Unfälle nach derRationalisierung:
Sektion Düsseldorf 1922:
Arbeiterzahl: 54 123
Unfälle: 1589
Pro 1000 versichert: 46,57
1926:
Arbeiterzahl: 20 534
Unfälle: 2553
Pro 1000 versichert: 124,31 (!)
Sektion Bochum 1922:
Arbeiterzahl: 38 754
Unfälle: 3413
Pro 1000 versichert: 92,86
1926:
Arbeiterzahl: 25 837
Unfälle: 3 887
Pro 1000 versichert: 163,06 (!)
Zeitung geht durch verschiedene Arbeiterhände, Hände, Hände: Formerhände, Gießerhände, Hände alter Frauen, junger Arbeiter, eine Hand wird zur Faust, zerknüllt die Zeitung, eine andere nimmt sie weg, glättet sie, schlägt sie mit vier Stiften an der Tür zur Gießerei an
Viele Köpfe davor; sie lesen, Köpfe, Köpfe, junge, alte, mutige, zweifelnde. Das Ruhrecho auch in der Mietskaserne; Arbeitsinvaliden, die lesen, Frauen, Mädchen Köpfe im Parteibüro, jetzt in der Redaktion, in der Setzerei, Druckerei das Ruhrecho, groß:
FORDERUNGEN DER ARBEITER DER RHEINISCHEN STAHLINDUSTRIE
1. Restlose Durchführung des Achtstundentages
2. Voller Lohnausgleich; weitere 0,15 RM Lohnerhöhung pro Stunde bis zur Erlangung des Friedensreallohns
5. Regelung des Akkordsystems
4. Abschaffung des Prämiensystems, der Lohnabzüge und der Strafen
5. Gegen weitere Arbeiterentlassungen und Feierschichten!
Kollegen und Genossen in Süddeutschland und Mitteldeutschland übt Solidarität!!
Walzwerk Hennigsdorf. Im Betrieb: Die Säuberung.
Großartige Maschinenhalle, modernste Maschinen, alles blitzt und blinkt; Tempo, mörderisches Arbeitstempo Alte 50- bis 60-jährige Arbeitsinvaliden können nicht mehr mit: Schneck, Karsch, Malez von der alten Schmelzgarde zu langsam, zu schwach; der Werkmeister kommt, schüttelt den Kopf; er sieht nach der Uhr, denkt an seine Tonnenprämien, Gasersparnisprämien, lässt sich das Werkbuch vorlegen; Ingenieur Box kommt hinzu, die Alten schaffen es nicht mehr, Säuberung! Der ganze Betrieb kann nicht darunter leiden, wir müssen heut mit Rücksicht auf die Konkurrenz rationell arbeiten. Die drei Alten werden ins Büro gerufen. Also, am Ersten ist Ihre Zeit um. Ich habe den Auftrag, Ihnen zu kündigen! Nach 30-jähriger Arbeit im Werk.
Die drei Alten gehen wie gehenkt durch die Schmelzerei an Schnurr und Moldenhauer vorbei, berichten ihre Kündigung; Lohmann, der Gewerkschaftler: Das kommt daher, weil ihr nicht organisiert seid! Schnurr: Und wenn wir organisiert sind Blitzend laufen im Walzwerk die Maschinen
In den Wellblechbaracken daheim: Elend, Feuchtigkeit, Überfüllung Wellblechbaracken, eine Kegelbahn, ja bloße Korridore und Ställe dienen zur Unterkunft und als Heim der Mehrzahl der 1700 Hennigsdorfer Arbeiter! Der alte Karsch zeigt seiner Frau den Kündigungsschein; die Alte liest ihn ungläubig. 30 Jahre im Betrieb, und jetzt, wo er verbraucht ist, einfach auf die Straße geworfen; und bis das Reich im 66. Lebensjahr die paar Groschen Invalidenrente zahlt, bis dahin sind es noch 10 Jahre und man ist verhungert. Hilft uns denn niemand?! Schnurr kommt mit dem jungen Karsch; beide sind Kommunisten, sie bringen den Alten ein paar Lebensmittel. Der junge Karsch zeigt dem Vater das Volksecho der Provinz Brandenburg; hierin: Forderungen der Arbeiter der Rheinischen Stahlindustrie, genau wie im Ruhrecho. (Hierdurch schon ein Zusammenhang des großen Kampfes RheinRuhrMitteldeutschland.) Der alte Karsch will von Politik nichts wissen, schiebt die Zeitung weg. Die beiden andern ab. Der Alte sitzt da, betrachtet seine Invalidenkarte, Entlassungsschein, Klebemarken.
Im Walzwerk. Schon im Umkleideraum ist ein Ausschnitt des Volksechos angeklebt mit den Forderungen der Ruhrarbeiter, dort diskutierende Gruppen. Auch im Walzraum selbst sind solche Anschläge an den Türen und Mauern; auch dort wird diskutiert und gelesen. Lohmann, ein SPD-Gewerkschaftler, meint: Quatsch! Radikale Phrasen! Steckt nichts dahinter! Moldenhauer: Recht haben die! Wartet nur bis zum nächsten Lohnabbau auch bei uns! Knipp, Schneck kommen hinzu, stimmen Moldenhauer zu Werkmeister kommt, alle schnell an ihre Arbeit, er sieht den Anschlag, lässt ihn abkratzen
(Das Einbeziehen des beginnenden Ruhrkampfes ist schon deshalb nötig, damit man erkennt, welch gewaltige Massen hier aufmarschieren: 213 000 Arbeiter bei dieser einen Aussperrung! Hennigsdorf ist kein isoliertes, zufälliges Ereignis! Grade die Zeitung, die Kleberei als illegaler Nachrichtendienst schlagen hier sichtbar die Verbindung, wo die Gewerkschaft versagt.)
Wieder das gesteigerte Arbeitstempo unter dem Antreibersystem der Meister und Vorarbeiter Die Maschinen laufen, die glühenden Eisenblöcke kommen zwischen die Walzbacken, das Blech bäumt sich in mächtigen Stahlwellen hervor, wird gepackt, herausgezogen, in großem Schwung beiseitegeworfen Ein Arbeiter wird in eine Transmission geschleudert, Arm abgerissen, verblutet Die Arbeiter über ihm, es ist umsonst; wütende, ängstliche, gleichgültige; der Ingenieur, der Betriebsleiter Er wurde ein Opfer der Arbeit! Ehre seinem Andenken! Der vierte in einem Monat!, sagt Schnurr.
Schnurr gibt dem jungen Karsch und Knipp ein Zeichen. Sie treffen sich auf der Latrine einer Massenlatrine wie im Felde. Dort halten sie Sitzung und besprechen die Lage, lesen den neuesten Bericht von der Ruhr! Auch bei uns stinkts! So kann es nicht weitergehn! Wir müssen verlangen:
1. Lohnerhöhung. Reallohn auf Friedenshöhe!
2. Bessere Arbeitsbedingungen! Sonst hängt jede Woche einer in der Transmission.
Betriebsratssitzung!
Antrag, diese Forderungen sofort der Zentrale des DMV Berlin zu überbringen. Antrag angenommen! Die Sitzung wird aufgehoben! (Die Sitzung kann so sein, dass jeder seinen Kopf aus der Tür der Latrine heraussteckt. Vergleiche auch hierzu Maschinenfabrik N. & K.!)
Erste Betriebsratssitzung. Die verschiedenen Arbeitertypen:
Schnurr und Moldenhauer: KPD
Rädisch und Jobbke: SPD
Lohmann: SPD
Griese: Christlicher Gelber
Buck: Nazi, Stahlhelm
Die Resolution wird angenommen; Schnurr, Rösler, Lohmann und Griese werden beauftragt, sie dem DMV Berlin zu überbringen.
Das Zentralbüro in Berlin. Der Gewerkschaftsapparat. Bei Lehmann, dem Gewaltigen! Die Gewerkschaftsbürokratie!!
Der Anmarsch der vier Hennigsdorfer durch die Vorzimmer der Stenotypistinnen, der Sekretäre pp; der ganze bürokratische Apparat, der genauso verstaubt, anmaßend und reaktionär ist wie die Justizsekretäre und die Schalterbeamten an der Post. Man wird die Sache (wohlwollend) prüfen.
Abmarsch genau wie Anmarsch.
Im Direktionsbüro Hennigsdorf. Die Gewerkschaft hat den Antrag schließlich weitergegeben; sie stellt der Werkleitung anheim, sich darüber zu äußern. Direktor Goebel, der kaufmännische Leiter, Direktor Moll, der technische Leiter, Ingenieur Box beraten: Frechheit! Kommunistische Verhetzung! Man muss gleich mal energisch durchgreifen! Exempel statuieren! Diesen Angriff sofort mit Gegenstoß beantworten! Sehr richtig! Die beste Parade ist der Hieb! Wir beantworten diese Frechheit, diese kommunistische Forderung, indem wir 200 Arbeiter entlassen und Feierschichten einlegen! Ausgezeichnet, Box! Man merkt doch bei Ihnen: alter Soldat! Fräulein Knipp! Sofort ein Stenogramm! Die Gegenmaßnahme wird diktiert. Die Herren unterhalten sich ungeniert in Gegenwart der Sekretärin über die Vorteile des Ruhrstreiks für Hennigsdorf, das jetzt mit neuen großen Aufträgen zu rechnen hat, da die Ruhr nicht liefern kann. Unsre Sache blüht! Es lebe der Ruhrkampf!
Box ist die Aufmerksamkeit Fräulein Knipps aufgefallen. Wie die Direktoren hinaus sind. Wo stehen Sie eigentlich, Fräulein? - Dort, wo es mir gut geht, Herr Ingenieur.
Bekanntmachung der Betriebsleitung am Fabrikeingang, im Umkleideraum, im Maschinensaal, im Schmelzraum:
Hennigsdorf, den 21. 8. 1928
Die Betriebsleitung des Stahl- und Walzwerks Hennigsdorf gibt bekannt:
Der schlechte Geschäftsgang, die allgemeine Wirtschaftskrise und die notwendige Rationalisierung zwingen die Betriebsleitung:
1. ab 1.9. Feierschichten einzulegen, und zwar
2. einen Teil der Arbeitskräfte abzubauen. Die zu entlassenden Arbeiter werden in den einzelnen Abteilungen bekanntgegeben.
Schmelzerei. Der Meister kommt und berichtet die notwendigen Entlassungen, macht unter Werkbuch Abschluss zieht das Werkbuch und das Arbeitsbuch von Schnurr ein. Entlassen!
Knipp und Schneck aus der Formerei und Walzerei kommen erregt; auch sie sind entlassen. Fast alle Mitglieder der KPD, kein einziger Hirsch oder Christlicher, kein einziger Stahlhelm! Erregte Aussprache in den einzelnen Abteilungen, die sich fortpflanzt durchs ganze Werk: in die Umkleideräume, in die Kantine, verstohlen in die Büros, die Lohnabteilung, auf die Verladeräume, in die Latrinen Immer die verschiedenen Arbeitertypen: SPD KPD Hirsche Christliche Stahlhelmer.
Direktionsbüro. Man beobachtet von oben den Schichtwechsel der erregten Arbeiter. Direktor Moll zu Ingenieur Box: Das war eine Lektion für die Moskowiter! Noch gibt es mehr Ketten als tolle Hunde! Box dreht sich schnell um. Grete Knipp tippt eifrig ein Stenogramm.
Mit Kraftwerk Russelaar entwirft Friedrich Wolf eine visionäre Filmerzählung, die sich mit der Ambivalenz des technischen Fortschritts auseinandersetzt. Im Mittelpunkt steht eine gigantische Elektrizitätsmaschine, die eine Millionenstadt mit Licht und Energie versorgt ein Symbol für die Kraft des menschlichen Erfindergeistes, aber auch für die soziale Verwerfung, die der rasante technologische Wandel mit sich bringt.
Wolf schildert eindrucksvoll die Faszination der Maschine: riesige rotierende Generatoren, brennende Schweißflammen und das gleichmäßige Pulsieren des elektrischen Stroms durch die Metropole. Doch zugleich entfaltet sich ein menschliches Drama: Während das neue Kraftwerk Effizienz und Fortschritt verspricht, werden Tausende von Arbeitern überflüssig. Der Held der Geschichte, Aute, durchlebt einen inneren Konflikt zwischen technischer Begeisterung und wachsender Skepsis.
Die folgende Leseprobe zeigt, wie der Bau der riesigen Anlage zur Bühne eines dramatischen gesellschaftlichen Wandels wird einer Entwicklung, die Fragen aufwirft, die auch heute nichts an Relevanz verloren haben.
Riesige moderne Elektrizitätsmaschine, die eine ganze Stadt von fünf Millionen mit elektrischem Licht und Kraftstrom speist, soll Menschen entlasten, da sie ihnen Arbeit abnimmt. Sie nimmt ihnen die Arbeit ab, macht aber außerdem auch Menschen überflüssig und arbeitslos. Doppelgesicht der Maschine: Helfer Maschine! Vernichter Maschine! Brotbringerin Maschine! Menschenfresserin Maschine!
An einem Arbeiterschicksal versinnlicht und abgewandelt.
Dies Thema entspricht in besonderer Weise dem Formelement des Films:
1. Raumgrößen Riesenmaschine: Winziger Mensch, der dies Ungeheuer doch beherrscht und ihm sinnlich Licht abzwingt.
2. Besondere Bewegungsmomente: Arbeitermassen im Kraftwerk, rotierende Dynamos, Laufbänder, Transmissionen. Jagd durch Großstadt!
Fortrollendes Leuchten des elektrischen Stroms durch alle Stationen der Millionenstadt.
Flüssiges, vom Strom durchglühtes Quecksilber der Russolex-Lampen.
3. Durch die Lichtstationen hindurchgejagte Handlung, die zentralisiert ist im Kraftwerk Russelaar.
Siehe folgenden Entwurf.
Elektrizitätswerk, Halle. Arbeiter an großer Wechselstrommaschine. Auch Aute daran beschäftigt. Kommission kommt mit Vorarbeiter und Direktor zur auffälligen Besichtigung des Werks. Am anderen Morgen Anschlag: Großes Wiederaufbauwerk sei im Gange. Riesenelektrizitätswerk. Ein Neubau, um Fünfmillionenstadt mit stündlich 180 000 Volt durch eine Maschine mit Licht zu versorgen. - Deutschland in der Welt voran usw. Arbeitergruppe diskutiert. Da Schichtwechsel, lesen alle den Anschlag. Die meisten sind Feuer und Flamme, auch Aute.
Rohbau. Riesennachtmontage. Schweißen der T-Träger mit Autogensauerstoffgebläse in 50 bis 80 Meter Höhe. Absturz eines Arbeiters bei Nacht im Licht der großen Scheinwerfer. Keimender Widerspruch. Groll der Arbeiter wird vom Vorarbeiter Wiesenauer unterdrückt. Er nimmt sich Joe Hiller zum Aufpasser. Bei Tag erneuter Zusammenbruch eines Baugerüstes, da der Bau eine Hetzarbeit, um Konkurrenz zuvorzukommen. Wiesenauer sucht dies den sich zusammenrottenden Arbeitern nach Gerüsteinbruch klarzumachen. Dagegen opponierende Arbeiter werden entlassen. In Aute, der wortlos dabeisteht, erste Zweifel.
Fertigstellung des Werkes pompös. Ein Regierungsbeamter spricht pathetisch: Ihr habt Wundervolles vollbracht. Diese gewaltige Maschine, deren Herz und Geäder die Fünfmillionenstadt durchblutet, ist eine Großtat des Menschengeistes; dieser gewaltige Dämon Maschine ist von zwei Menschenhänden bedienbar. Ihr habt geschaffen für eure Brüder in der Stadt. Diese Maschine arbeitet rationell. Wo bisher 2 000 Menschen sich mühen mussten, genügen heute zwei Mann. Die Arbeiter schwenken Mützen, Mitteilung der Direktion: Freibier.
Rummelplatz. Hede, Tochter von Aute, im Tanz von lüstern-frommem Joe Hiller beobachtet und bedrängt. Während Aute immer denkt: Zwei zu zweitausend. Er hat Vision: Wimmelnde Halle des Alten Werkes und als Gegensatz gespenstig leere, spiegelglatte Riesenhalle des Neuen Werkes mit nur zwei totenkopfartigen Mechanikern auf hohen eisernen Flaschenzügen vor Schaltbrettern
Gruppe Arbeiter sammelt sich um Aute. Er teilt scheu und besessen seine Befürchtung mit: Zwei zu zweitausend. Er wird verlacht. Steht einsam.
Riesendynamo macht nachts langsame Probetour nur in Anwesenheit von Betriebsleiter, Wiesenauer und Joe Hiller. Wirkung auf besondere Lampe als neue Lichtquelle, die sogenannte Russolex-Riesenbirne.
Arbeitertrupps vor Werktoren. Anschlag des Betriebsrats und der Direktion: Infolge Vervollkommnung und Fortschritt der Maschine erübrigen sich Menschenkräfte. (Arbeiter mit offenen, ratlosen Mäulern.) Die Betriebsleitung zahle aber noch vierzehn Tage Lohn über ihre Pflichtzeit
Entlassene Arbeitertrupps stoßen draußen auf einen: Aute. Er hat doch recht gehabt.
In Lucie und der Angler von Paris entwirft Friedrich Wolf ein atmosphärisch dichtes Porträt des Sommers 1939 einer Zeit der scheinbaren Ruhe, in der die dunklen Schatten des heraufziehenden Krieges bereits spürbar sind. Vor der Kulisse der Seine begegnen sich zwei junge Menschen wieder: Henri, der stille, nachdenkliche Angler, der sich längst dem politischen Kampf verschrieben hat, und Lucie, seine lebensfrohe Freundin, die ihn zurück in die Welt der Kunst ziehen möchte.
Was als zufälliges Wiedersehen am Flussufer beginnt, entwickelt sich schnell zu einer Auseinandersetzung über Kunst, Politik und persönliche Ideale. Während Henri sich der antifaschistischen Bewegung angeschlossen hat, bleibt Lucie überzeugt, dass er seine wahre Bestimmung als Maler verrät. Ihre Debatte spiegelt nicht nur einen persönlichen Konflikt, sondern auch die Zerrissenheit einer Generation wider, die sich zwischen künstlerischem Schaffen und politischem Widerstand entscheiden muss.
Die folgende Leseprobe führt in diese faszinierende Begegnung ein und fängt die Widersprüche einer Epoche ein, in der unbeschwerte Sommernachmittage an der Seine längst von der Unruhe der Zeit überschattet werden.
Der Angler nimmt unter seinen Mitmenschen eine besondere Stellung ein, insofern die anderen Menschen für ihn nicht vorhanden sind und er selbst nicht existiert für seine Mitmenschen. Er ist der anerkannte Einsame auf dieser Erde, wenn er mit seiner Angelrute an einem Fluss sitzt, unbewegt wie eine Statue, den Blick auf das still dahinfließende Wasser gerichtet und auf den Schwimmer, der aus einem Korken und einer künstlichen Fliege bestehend in der leisen Strömung treibt. Niemand wird einen Angler ansprechen oder mit Fragen zu belästigen wagen, vor allem nicht in Frankreich. Eher wird man einen Toten um eine Auskunft bitten, als einen der tausend Männer, die um Paris an den Ufern der Seine, die Pfeife im schweigsamen Mund, dem zarten Zittern des Schwimmers mit ruhigem Blick folgen.
Mit stiller Aufmerksamkeit schaut Henri der kleinen künstlichen Fliege nach, die an der dünnen Leine in der graugrünen Seine abwärts treibt. Henri ist ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mensch, schlank, sehnig und worauf sein langer Rücken auch im Sitzen schließen lässt hochgewachsen. Er hat die kurze Pfeife im Mundwinkel, wie es zu einem richtigen Angler gehört. Rucksack und Baskenmütze hängen an dem Fahrrad, das neben ihm an einem Weidenstumpf lehnt. Sein dichtes dunkelbraunes Haar, sein gebräuntes Gesicht lassen die hellgrauen Augen noch auffallender erscheinen. Sonst aber ist an dem Menschen nichts Besonderes. Er ist einer der Tausende Franzosen, die an einem Sonntagnachmittag mit der Rute an den Flüssen Frankreichs sitzen und die sich weder durch das Autohupen der benachbarten Chaussee noch durch die vielen kleinen Boote mit fröhlichen Menschen stören lassen.
So hat Henri sich platziert, an der Seinekrümmung zwischen Sartrouville und La Frette, gegenüber dem Park von Maisons Laffitte und dem Wald von Saint-Germain.
Damals im August 1939 gab es in diesem gesegneten Land noch Millionen fröhlicher Menschen, denen das Leben und das savoir-vivre als das höchste Gut galten. Die Menschen ließen diesen Lebensanspruch allerdings meist nur für das eigene menschliche Dasein gelten. Ob Henri wohl darüber nachdachte, dass er den lustig dahinschwimmenden Fischlein mit der mörderischen Angelspitze das Leben raubte? Über was er wohl nachdachte, während die weißen Sommerwolken über den mattblauen Himmel segelten, die silberne Luft über dem Wasser zitterte und er die kleinen Rauchkringel aus seinem Pfeifchen von sich stieß?
Mit einem Ruck reißt er die Angel jetzt hoch und schaut zornig auf das Wasser, wo ein Mensch mit langen Kraulstößen den Kopf unter der Flut an das Ufer schwimmt.
Sie haben wohl keine Augen im Kopf!, ruft er unwirsch dem Störenfried zu, der das heilige Recht der Angler so grob verletzt. Aber wie der Mensch prustend das Ufer erreicht und ans Land sich emporstemmt, sagt er erstaunt, noch immer die Angelrute in der Hand: Lucie
Henri?, erwidert die Schwimmerin nicht weniger überrascht. Hier muss man dich also suchen! Seit zwei Monaten
Still!, unterbricht sie der andere. Nicht mehr: Henri! Meinetwegen Pierre oder Jean
Ach so!, lächelt das große Mädchen. Immer noch streng geheim. Kannst du wirklich dein altes Laster nicht lassen?
Der Mann hat die Angel wieder ausgeworfen und sich auf seinen Stein niedergesetzt; scheinbar ruhig bläst er den Rauch seines Pfeifchens in die Luft.
Und höflicher bist du auch nicht geworden, meint Lucie, die sich in ihrem dunkelblauen, weiß gestreiften Schwimmtrikot auf den sonnenwarmen Steinen ausgestreckt und die weiße Gummihaube von ihrem aufgebundenen hellen Haar heruntergestreift hat. Musst du dich immer noch kaschieren?
Lass das, bitte!, sagt er, ohne von dem Wasser wegzublicken.
Huhu, stets das alte Parteipferd, Henri! Verzeih, also Pierre oder Jean! Aber gestatte, dass ich dich dann schon lieber: mon petit gars nenne! Und dass ich nach wie vor es für einen barbarischen Unsinn halte, wenn ein begabter Maler, der die bunten Wunder dieser Welt auf ein Rechteck von ein mal einem halben Meter zu zaubern vermag, sich von der Politik auf Schwarz und Weiß reduzieren lässt!
Es ist zwecklos, mit dir hierüber zu diskutieren.
Diskutieren? Nein! Aber du bist viel zu schade hierfür, mon petit!
Es ist der alte Streit zwischen den beiden Schülern der Kunstakademie. Als die Schlägertrupps der reaktionären Croix du feu die Bilder von Picasso, Braque und Matisse in den Salons des Boulevard Raspail und gegenüber dem Café Les Deux Magots herunterzureißen suchten, da hatte Henri mit einigen Freunden einen ständigen Wachtdienst dort eingerichtet. Mehrfach war es zu blutigen Schlägereien zwischen den beiden Gruppen gekommen; dabei war Henri zum ersten Mal verhaftet worden und hatte eine bestimmte Abteilung der Préfecture kennengelernt. Hier traf er mit Kameraden der Partei zusammen. Er besuchte später eine antifaschistische Kundgebung in der Mutualité am Boulevard St-Germain, wo man einen neuen Russenfilm zeigte. Auf der Straße wurde ein Referent der Gruppe überfallen. Henri war mit zwei Kameraden hinzugesprungen, durch einen Dolchstich in die Brust verletzt und in einen politischen Prozess verwickelt worden. Das verband ihn noch enger mit den Genossen.
Lucie hatte ihn damals mehrfach im Krankenhaus besucht, Blumen und die neuesten Kunstjournale gebracht, ihn zugleich beschworen, endlich die Hände von der Politik zu lassen und sich seinem eigentlichen Beruf als Maler wieder zuzuwenden. Doch ebenso leidenschaftlich hatte Henri der Freundin klarzumachen versucht, dass heute die Politik die Umformung des lebendigen Menschen die höchste und notwendigste Kunst sei und das Menschenhirn die edelste Materie darstelle.
Überlass das den anderen, die hierzu berufen sind!, entgegnete Lucie erregt. Du bist bei deiner Begabung der geborene Maler! Das andere ist nicht deine Sache!
Gerade das ist meine Sache! Doch das wirst du nie verstehen!
Ja, ich werde und will das nie verstehen!
Aber bei jedem Zusammentreffen fing Lucie wieder mit dieser Sache an. Ja, sie ging noch weiter. Eine Meisterklasse der Akademie leitete ein fünfzigjähriger bekannter Maler nennen wir ihn Professor Bastanier , ein Sybarit, rund und schmerbäuchig wie der alte trunkene Faun auf dem Rubensbild mit dem Früchtekranz und den kleinen Putten. Henri hasste den Wanst. Doch Lucie, die trainierte Sportlerin und akademische Schwimmmeisterin des Departements Seine et Oise, begann plötzlich mit dem dicken Professor einen Flirt. Henri war wütend. Er fragte, ob Lucie dieses feiste Rubensmodell vielleicht als Akt malen wolle? Lucie überhörte die Geschmacklosigkeit und freute sich der erregten Eifersucht des Freundes, weil sie hoffte, Henri von seinem gefährlichen Wege wegzubringen.
Und plötzlich war Henri völlig verschwunden, wortlos, spurlos. Es waren die Monate kurz vor dem Kriege, da die beunruhigte Daladier-Regierung eine unterirdische, aber um wütendere Jagd auf alle linken Aktivisten durchführte, vor allem auf jene Gruppen, die dem Terror der faschistischen und halbfaschistischen Banden wenn nötig mit geeigneten Mitteln entgegentraten.
In Die Jungens von Mons schildert Friedrich Wolf eindringlich die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs auf die britische Gesellschaft. Die einstigen Soldaten, die mit Heldenliedern gefeiert wurden, sind heute oft nur noch Schatten ihrer Vergangenheit versprengt, vergessen, oder in prekären Lebensverhältnissen gefangen.
Die Geschichte beginnt mit einem Lied über die legendäre Kavallerieattacke von Mons, das die patriotische Erzählung der Kriegshelden beschwört. Doch schnell wird deutlich, dass diese alten Mythen im harten Alltag der Nachkriegszeit keinen Halt bieten. Im Zentrum steht Ellen Celloc, eine kriegserfahrene Frau, die sich und ihren Sohn Jim in einer von Arbeitslosigkeit und sozialer Not geprägten Welt behaupten muss. Als sie verzweifelt nach einer Anstellung sucht, stößt sie auf eine absurde Realität: Für kriegsverdiente Herren gibt es noch Chancen für Frauen wie sie hingegen nicht.
Die folgende Leseprobe zeigt eindrucksvoll, wie Ellen, getrieben von Überlebenswillen und gesellschaftlichem Druck, zu einem drastischen Entschluss kommt. In einer Zeit, in der Kriegsveteranen verehrt, aber kaum unterstützt werden, wird ihre Geschichte zu einer Reflexion über Identität, Gerechtigkeit und die Illusion von Heldentum.
Aus dem Dunkel heraus, während der Vorhang langsam aufgeht, der erste Vers des Liedes der Jungens von Mons, dazwischen Kommandorufe, Signale.
STIMMEN:
Jungens, jetzt legt die Ohren zurück!
Jungens, den Helm jetzt ins Genick!
Zügel lang, Karabiner frei,
Jungens von der Bengalreiterei,
Bill! Teddy! Joe!
Lasst die Gäule flitzen
Über die Gräben bis zu den Geschützen!
Wisst ihr noch: Mons, Arras, La Bassée?
Das waren noch Tage, verdammtjuchhe,
Ihr Jungens von Mons
Während das Lied leiser wird, tritt aus dem Dunkel
Der SPRECHER mit einer Zeitung, er liest: The Evening News, London, vom 5. März 29 berichtet: Das in Erstaunen setzende Leben einer Frau als Mann! Unter dem Namen eines Captain Campell war sie Führer der ,Nationalfaschisten in London. Sie hatte in der Krise Existenz und Arbeit verloren. Als Captain Campell wurde sie Empfangssekretär im Palace-Hotel. Sie gründete den Klub der Jungens von Mons, organisierte den faschistischen Werkschutz und war mit einer Dame der Gesellschaft verlobt. Schließlich wurde sie verhaftet
Der SPRECHER verschwindet.
Bei den letzten Worten hat der zweite Vers des Mons-Liedes eingesetzt.
STIMMEN:
Vorbei die Zeit, vorüber der Ritt,
Versprengt, was mit uns kämpfte und stritt,
Der steht am Schalter, der hockt im Büro,
Der dritte pennt irgendwo im Stroh
Alle STIMMEN schmetternd, dazwischen eine helle KnabenSTIMME:
Aber Bill! Teddy! Joe!
Wenn ich heut wieder das Kommando hörte: Bengalreiter,
auf die Pferde
Es wird hell. Wohnküche der Ellen Celloc. Kleiner Raum mit Tisch, Stühlen, Schrank, Gaskocher, an der Wand Bild des im ersten Weltkrieg gefallenen Sergeanten Celloc, darüber gekreuzt Säbel und Säbelscheide mit Regimentsabzeichen und Nummer der 3. Bengalreiter. Am Tisch sitzen die Großmutter, sechzigjährig, mit Brille, Strümpfe stopfend, ein Schullesebuch vor sich; seitlich Jim, ihr zwölfjähriger Enkel, Ellen Cellocs Sohn. Jim hat gerade den Schluss des Mons-Liedes gesungen.
JIM: Aber Bill! Teddy! Joe!
Wenn ich heut wieder das Kommando hörte:
Bengalreiter, auf die Pferde
GROSSMUTTER im Lesebuch kontrollierend, streng: Wo steht das, Jim?!
JIM: Na, wo Ellen mir doch von der Schlacht von Mons erzählt hat na, und das Lied der Jungens von Mons gehört doch nun mal dazu.
GROSSMUTTER über die Brille: Jim! Man sagt seine Schulaufgaben richtig her; sag es richtig auf, wie es sich gehört.
JIM beleidigt, monoton: Schon begannen die englischen Linien unter dem Ansturm der feindlichen Übermacht zu wanken, schon bereiteten sich unsere britischen Grenadiere
GROSSMUTTER schlägt mit dem Stopfei auf den Tisch: schon hatten unsere tapferen Grenadiere ihre letzte Patrone verschossen und bereiteten sich zum Todeskampf vor
JIM: schon sprang der übermächtige Gegner aus dem grauen Trichtergelände in unsere Gräben, da ein Signal, Pferdegeschnauf, ein donnerndes Hussa Er stockt.
GROSSMUTTER aus Lesebuch, mit Stopfei und Schere auf den Tisch trommelnd: ein donnerndes Hussa, die 3. Kavalleriedivision: die 6. Lancer und 3. Bengalreiter stießen in sausender Attacke in die Flanke des Feindes
JIM: viele tapfere Reiter blieben auf der Walstatt, viele Söhne Britanniens deckte der grüne Rasen. Großmutter! Wieso grüner Rasen, wo doch eben stand aus dem grauen Trichtergelände? Steht auf.
GROSSMUTTER: Wohin?
JIM: Raus, bis Mamm kommt Autobewachen, Türöffnen, make moneys.
GROSSMUTTER: Hierher, Jim! Das ist eine Schande, Jim! Bei Mons fiel dein Vater; bist du noch der Sohn des Sergeanten Celloc, Jim? Du bist jetzt zwölf Jahre und sollst begreifen, dass dein Vater den Tod für sein Land starb, dass wir die Hunnen sonst im Lande hätten, verstehst du?
JIM: Klar, Großmutter! Und stolz bin ich auf Pap kannst du glauben! Ellen hat mir seine Orden gezeigt, Ellen war doch auch
GROSSMUTTER: Jim, man sagt zu seiner Mutter nicht Ellen.
JIM: Ellen ist mein Freund, bitte; Ellen ist meine smarte Mamm; Ellen war doch auch an der Front.
GROSSMUTTER: Als Lorrieführerin für Verwundete.
JIM: Nicht bloß als Karbolschlange, Spaß! Er hat aus seiner Brusttasche ein Foto gezogen. Ist das Ellen oder nicht?
GROSSMUTTER hinzu: Woher?
JIM zurückweichend: Hab ich! Foto betrachtend. Wie sie auf dem Gaul sitzt Sache! Wie ein CowBOY, mit Schnürgamaschen und der Coltpistole
Ellen Celloc, eine etwa dreißigjährige, sportliche und doch weibliche Erscheinung, tritt von rechts ein, in Hut und Mantel, mit Einkaufstasche. Jim wirft das Foto auf den Tisch und springt auf sie zu.
JIM: Ellen! Ellen! Hast du die Radiolampe?
Ellen gibt ihm die Tasche: Da schau!
JIM auspackend, enttäuscht: Tee Brot nen Klecker Marmelade.
ELLEN: Anständig, Jim!
JIM: Klar, Mamm!
Jim bekommt von Großmutter ein Marmeladenbrot gestrichen; Ellen setzt Tee auf.
GROSSMUTTER leise zu Ellen: Nun?
ELLEN: Wieder nichts.
JIM hellhörig: Wie lange soll Ellen noch rennen um die blöde Stelle?
GROSSMUTTER: Jim! Ein Kind spricht nicht dazwischen!
JIM erregt: Weil sie nicht glaubt, dass du an der Front warst, Mamm, weil ich wissen will, weshalb wir so splendid siegten, und jetzt haben wir kaum Brot und Marmelade, und Ellen rennt um die blöde Stelle Mit Foto gegen Großmutter. Sag ihrs, Ellen, warst du bloß Karbolfähnrich oder Soldat?
ELLEN lächelnd: Lorrieführerin beim Roten Kreuz siehst doch die Armbinde!
JIM: Aber zu Pferd?
ELLEN: Ich musste doch die Verwundeten holen hinter den Gräben. Nun aber ins Bett, Jim!
JIM: Noch eins, Ellen, noch eins! Sagt ihr etwas ins Ohr.
ELLEN: Heute nicht.
JIM vor ihr: Du kennst mich, Ellen!
Ellen lacht, streicht ihm übers Haar, dann holt sie aus dem Schrank ein dunkles HERRenjackett mit Ordensschnalle.
JIM triumphierend gegen Großmutter: Hatte Pap drei Orden?
ELLEN dreht ihn herum: Kehrt! Ab!
JIM: Ellen, du bist richtig! Er springt an ihr hoch, gibt ihr noch einen Gutenachtkuss, dann zu Großmutter. Bye, bye!
Jim links ab zur Schlafkammer. Die Großmutter schüttelt missbilligend den Kopf; Ellen hat das Jackett ihres Mannes über einen Stuhl gehängt; sie packt noch Seife und Streichhölzer aus. Die Großmutter gießt Tee auf und gibt Brot.
GROSSMUTTER: Er war wieder da.
ELLEN: So?
GROSSMUTTER: Der VERWALTER.
ELLEN: Er soll sich was blasen.
GROSSMUTTER: Wir werden noch auf der Straße sitzen.
ELLEN: Kann ich mehr als herumrennen ist alles besetzt, kein Bedarf, sie stELLEN nur männliche Kräfte ein, selbst in den Hotels sind statt Aufwaschfrauen jetzt Aufwaschfritzen, für n Hundegeld.
GROSSMUTTER: Und auf dem Sparbuch?
ELLEN: Kein Schilling, Null gleich Null.
Die Großmutter geht müde in die Schlafkammer. Ellen sitzt am Tisch; sie nimmt das Zeitungspapier, darin die Sachen gewickelt waren, glättet es, liest, jetzt gespannt, sie tritt ans Licht.
ELLEN: Bande! Liest. Palace-Hotel sucht Empfangssekretär, repräsentative Erscheinung zuverlässige, kriegsgediente HERRen. Sie kaut ein Brotstück. Zuverlässige, kriegsverdiente HERRen
Es klopft. Ein tritt der Hausverwalter, ein vierschrötiger, asthmatischer Mensch, der von der Unentbehrlichkeit seiner Existenz fest überzeugt ist, er zieht aus seiner Mappe einen Zettel, legt ihn vor Ellen auf den Tisch, wischt sich den Schweiß von der Stirn, setzt sich breit hin.
VERWALTER: Hocherfreut, Sie anzutreffen, Mrs. Celloc, hocherfreut.
ELLEN: Bitte?
VERWALTER mit Zettel: Zwei Monate mit der Miete im Rückstand!
ELLEN: Sie wissen
VERWALTER: Natürlich, Sie sind arbeitslos, wie jeder vierte Mensch. Bedauerlich, mehr als bedauerlich. Aber vom VERWALTER Donnog verlangt man höheren Orts die Miete auf Pence und Cent.
ELLEN: Vierzehn Tage renne ich um ne Stelle.
VERWALTER: Als Empfangsdame?
ELLEN: Als Zimmerfrau, Aufwäscherin, Büglerin.
VERWALTER: Ein Fehler, Mrs. Celloc, ein grober Fehler, denn dafür haben Sie nun wieder zu nen scharfen Schmiss; Sie müssten in ne Bar!
ELLEN: Meinen Sie?
VERWALTER: Ich hätte ne Empfehlung; aber da muss man nun wieder Näheres wissen. Fasst sie.
ELLEN zieht seine Hände herunter: Sie irren, Mr. Donnog!
VERWALTER sich das Handgelenk reibend: nen Griff hat sie!
ELLEN: War nicht umsonst zwei Jahre VERWALTERin auf ner Pferdefarm.
VERWALTER: Wohl die Biester zugeritten? Na, dass Sie mal die Nase hochgetragen haben, merkt man: Pferdefarm, Sergeantenwitwe, schnittiges Muster aber heute spielen wir anders; die Miete, bitte!
ELLEN: Morgen.
VERWALTER: Heute!
ELLEN: Woher?
VERWALTER: Ihre Rente!
ELLEN: Die geht für den Jungen drauf.
VERWALTER: Soll wohl studieren?
ELLEN: Er soll wohl als ungelernter Arbeiter Schlange stehen?
VERWALTER: Recht haben Sie! Das heißt, wenn die Arbeiter wirklich arbeiten wollten; aber die bringen das Land ja an den Abgrund streiken, demonstrieren, debattieren, machen Sauhund, und wo bleibt das Pflichtbewusstsein? Sehen Sie, der VERWALTER Donnog könnte sich ja auch auf seine Bude setzen und warten, bis die Miete von den dreißig faulen Kunden von selbst hereinspaziert. Schlägt an seine Brust. Aber da, da ist noch was drinnen, das ruht und rastet nicht, das alte Soldatenherz, das ist eisern, das ists, was all den Nichtstuern und Schwätzern draußen fehlt. Das Land geht vor die Hunde! Wissen Sie, im Kohlenrevier von Cardiff und Leeds wird wieder gestreikt!
ELLEN: Interessiert mich nicht.
VERWALTER: Interessiert Sie nicht? So! Bis wir die Roten auch hier auf dem Hals haben und man Ihnen das Bett unterm Hintern wegzieht!
ELLEN: Dann schlafen wir auf dem Boden.
VERWALTER: Dann schlafen Sie auf dem Boden? Und wenn man Ihnen das Dach überm Kopf abbrennt? Sie kommen, die Roten, sie kommen in Cardiff haben sie die Arbeitswilligen gehindert, in die Gruben zu fahren, zwei Mann vom Werkschutz sind verwundet, sie wollen nen Hungermarsch machen.
ELLEN: Da können wir uns ja anschließen.
VERWALTER: Da können Sie sich anschließen? Ihr Mann wird im Grabe rotieren, wenn er das hört! Kommen Sie zu sich, Mrs. Celloc! Auf den Stuhl mit Cellocs Jackett zeigend. Hier sehen Sie das Ehrenkleid von Mr. Celloc! Jeder dieser Orden kann erzählen von den Taten unsrer Jungens, die für ihr Land standen und stritten bis zum letzten Atemzug!
ELLEN: Wo standen Sie im Felde, Mr. Donnog?
VERWALTER stolz: Wachtmeister bei einer Feldbäckereikolonne! Nimmt das Jackett und betrachtet die Ordensschnalle. Kinder, das war ne Zeit die Monsmedaille, der Orden of the British Empire, das Croix de guerre ein ausgezeichneter Mann, Ihr Gatte, befühlt den Rock und am Rande bemerkt, ein tadelloses Jackett.
ELLEN: Lassen Sie die Finger davon!
VERWALTER: Ein Tönchen! Sie haben wohl auch mal kommandiert? Er gießt sich eine Tasse Tee ein. Sie gestatten?
ELLEN mit Nerven: Schlürfen Sie nicht so!
VERWALTER trinkt: Na, nichts für ungut! Die Miete!
ELLEN: So werfen Sie uns doch auf die Straße!
VERWALTER: Pst, langsam; Sie hatten doch immer was auf der Sparkasse?
Ellen schweigt.
VERWALTER: Los, schreiben Sie einen Scheck, wie früher!
Ellen zögert.
VERWALTER: Greifen Sie mal in die Geheimkiste. Frauen haben stets so nen Fonds; lehren Sie den Donnog das kennen. Vorwärts, oder das Schicksal nimmt seinen Lauf!
Ellen hat aus der Schieblade ihr Sparbuch genommen, sie zögert; dann schreibt sie im Scheckbuch schnell einen Scheck; sie gibt ihn Donnog.
VERWALTER liest: Sparkasse dreiundzwanzig Scheck über vierzig Schilling. Sehen Sie Donnog, der Höllenhund, der Wauwau was aber noch die Frage ist. Könnten Sie so ins Innere des Menschen blicken wie ich na, wie war mein Rat? Schlafen Sie wohl, Mylady! Ab.
Ellen steht zögernd da. Aus der Schlafkammer kommt die Großmutter.
GROSSMUTTER: Müssen wir raus?
ELLEN: Nein.
GROSSMUTTER: Hast du gezahlt?
ELLEN: Weck den Jungen nicht!
Großmutter in die Kammer. Ellen steht am Tisch; sie räumt auf, nimmt vom Boden die Zeitung, erinnert sich, liest, tritt mit der Zeitung ans Licht.
ELLEN halblaut: Palace-Hotel sucht Empfangssekretär repräsentative Erscheinung zuverlässige, kriegsgediente Herren Sie überlegt, sieht das Jackett ihres Mannes mit der Ordensschnalle, nimmt es, legt es wieder hin; dann geht sie zum Spiegel, streicht sich das Haar zurück, betrachtet sich prüfend jetzt nimmt sie das Jackett, zieht es mit einem Ruck an, knöpft es zu, geht wieder zum Spiegel, prüft, betastet sich schnell und nervös isst sie ein Stück Brot. Es klopft. Sie nimmt ein Umschlagtuch, schlägt es sich um die Schultern und setzt sich an den Tisch, so dass sie der Tür den Rücken zudreht. Der VERWALTER tritt noch einmal kurz ein, den Scheck in der Hand.
VERWALTER: Hören Sie der Scheck ist doch gut?
ELLEN: Wenn Sies nicht glauben, geben Sie ihn mir doch zurück!
VERWALTER lachend: Das sollte Ihnen passen! Ab.
DER SCHLUSSTEIL
Zum guten Schluss der heutigen Post aus Pinnow erlauben wir uns noch zwei wahrscheinlich sehr überraschende Fragen an unsere Abonnentinnen und Abonnenten: Wie gut kennen Sie sich eigentlich mit den beiden ungleichen Schwestern Astronomie und Astrologie aus? Und wenn wir schon von der Astrologie reden, da sind Horoskope nicht weit entfernt jedenfalls näher als viele Sterne in den Weiten des sich unglaublicherweise immer weiter in die Unendlichkeit ausdehnenden Kosmos.
Trotz dieser teils sehr großen Entfernung sollen die Sterne oder genauer die Konstellation, unter der der eine oder die andere geboren wurden, viel über dessen oder deren Charaktereigenschaften sowie über dessen oder deren Schicksal aussagen können. Nicht selten wird man oder auch frau daher gefragt, was für ein Sternzeichen man oder frau denn sei. Oft ist die Antwort vielsagend, mitunter auch vielversprechend.
Und mit dieser eleganten Umleitung sind wir schon wieder bei Manfred Krug angekommen. Denn der wurde am 8. Februar 1937 in Duisburg geboren, hätte also am morgigen Sonnabend seinen 88. Geburtstag feiern können und ist ein Wassermann. Und was gehört wohl zu den typischen Charaktereigenschaften und Berufswünschen von Wassermännern?
Genau: Typische Eigenschaften und Charakterzüge von Wassermännern sind zum Beispiel der unbedingte Ausdruck seiner Individualität und ein starker Wunsch nach Unabhängigkeit auch wenn sie dafür gewisse Umwege in Kauf nehmen müssen. Wassermänner bezaubern mit ihrem sehr eigenen Humor und versuchen immer ein bisschen anders als alle anderen, etwas seltsam, aber auch deutlich eigener Meinung zu sein. Wassermänner sind freiheitsliebende Visionäre.
Das gilt auch für das Berufsleben, wo die Wassermänner ebenfalls die Freiheit und Unabhängigkeit brauchen wie der Fisch das Wasser oder die Vögel die Luft. Für seine Berufswahl stehen Flexibilität und Kreativität im Mittelpunkt. Und so verwundert es schon nicht mehr, dass im Zeichen des Wassermanns geborene Menschen sich für kreative Berufe interessieren wie Künstler und Regisseur, Schriftsteller und Drehbuchautor oder eben auch Schauspieler mit einem Hang zum Eigensinn. Denn ihre ausgeprägte Individualität und ihr Ideenreichtum sind eine wunderbare Grundlage für eine erfolgreiche Karriere in der Film- und Fernseh-Branche
An dieser Stelle können wir die weitere Beschreibung von Manfred Krug abbrechen und nutzen stattdessen die Gelegenheit Gisela Pekrul, der Verlagschefin von EDITION digital, sehr herzlich zu gratulieren, die an einem 10. Februar geboren wurde ebenfalls im Zeichen des Wassermanns und wünschen ihr, dass ihr die Ideen nicht ausgehen mögen.
Und Sie? Bleiben Sie weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die Stapel mit den nächsten Sonderangeboten der zweiten kompletten Februarwoche beanspruchen schon viel Platz im Verlagsgebäude in Godern und warten schon ungeduldig auf ihren Abtransport zu Ihnen, liebe E-Book-Leserinnen und E-Book-Leser. Auch die nächste Bücherladung stammt wieder komplett von Friedrich Wolf.
Dazu gehört sein 1939 geschriebenes Filmexposé Der Soldat Gottes welches seine Leserinnen und Leser in die dramatischen Lebenswege des Leutnants Wendt entführt, dessen Glaube und Integrität ihn durch die Wirren zweier Weltkriege führen. Vom Helden in den Schlachten von Verdun über die Konflikte in den Freikorps bis hin zur Rolle als Pfarrer in einem zunehmend militarisierten Nazideutschland, ringt Wendt mit seiner Vergangenheit, seiner Treue zu seinen Kameraden und seiner moralischen Verantwortung. Diese Geschichte erleuchtet die innere Zerreißprobe eines Mannes, der sich schließlich gegen die totalitären Strukturen erhebt und als Soldat Gottes seinen ganz eigenen Weg der Gerechtigkeit beschreitet. Eine packende und zeitlos relevante Reflexion über Mut, Glauben und Widerstand inmitten einer gefährlichen Zeit.
Inspirationsquelle und reales Vorbild für diesen Text von Friedrich Wolf war der evangelische Theologe und mutige Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus Martin Niemöller (1892 bis 1984), der zunächst Offizier bei der Kaiserlichen Marine gewesen war. Einer der bekanntesten Predigttexte Niemöllers ist der folgende aus dem Jahre 1976:
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.