Zarenmörder und Flugzeugmotor, ein Offizier und Pfarrer sowie Hoffnung nach der Niederlage - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 14.02.025) Über Bertolt Brecht gibt es ein interessantes Buch, das seine Beziehung zum Kino beleuchtet. Film bei Brecht lautet sein Titel. Eine ähnliche Publikation mit dem Titel Film bei Friedrich Wolf gibt es jedenfalls bisher nicht. Ein solches Buch könnte aber durchaus geschrieben werden, wie nicht zuletzt die Auswahl der heutigen insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote beweist, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 14.02. 2025 bis Freitag, 21.02. 2025) zu haben sind. In diesem Buch Film bei Friedrich Wolf würde man nicht nur über die Verfilmungen von Texten und vor allem von Stücken Wolfs lesen sowie von einer Reihe von Filmen über Leben und Werk des Arztes und Kommunisten, des Schriftstellers und Dramatikers Friedrich Wolf wie den noch kurz vor dem Ende der DDR 1988 in der Regie von Lew Hohmann produzierten Dokumentarfilm Verzeiht, daß ich ein Mensch bin. Friedrich Wolf. Fragen an seine Kinder. Erinnerungen von Zeitgenossen. Die Doku erzählt das Leben von Friedrich Wolf von seiner Geburt an. Der Film blickt bis auf seine Großeltern zurück und zeigt sein ganzes Leben, durch viele Fotografien und durch eigene Texte aufgelockert, die durch Thomas Langhoff vorgetragen werden. Auch die Kinder erzählen noch viel über sich und ihren Vater. Da Konrad Wolf zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nicht mehr lebt, werden Interviews aus den vergangenen Jahren herangezogen.
Ein Buch zum Thema Film bei Friedrich Wolf müsste und würde Friedrich Wolf auch als Autor für den Film zeigen, der sich schon früh dieser Kunst zuwandte, die übrigens Lenin einmal als die wichtigste aller Künste bezeichnete. Denn schon früh hatten die Bolschewiki die propagandistischen Möglichkeiten des Films erkannt. Und in der frühen Sowjetunion entstanden filmische Meisterwerke.
Ob Friedrich Wolf diesen Leninschen Gedanken von der besonderen Bedeutung der Filmkunst gekannt hat? So oder so hat er jedenfalls danach gehandelt.
Bereits 1934 schrieb er die packende Filmerzählung Der Sprung über den Pol. In memoriam Fedossejenko, Wassenko, Ussyskin Stratostat Ossaviachim, 1934
Diese Filmerzählung fängt die technische Meisterleistungen und den Mut der Pioniere in den eisigen Weiten der Arktis. Die Geschichte folgt Professor Chelesnow und seinem Team, die den ersten Stratoflug von der Sowjetunion nach Amerika wagen, und dem kanadischen Piloten Tom Kelley, der um das Prestige des Ersten kämpft. Inmitten von Intrigen, dramatischen Rettungsaktionen und internationalen Spannungen werden wissenschaftliche Ambitionen, menschlicher Ehrgeiz und die Risiken des Fortschritts eindrucksvoll beleuchtet. Fesselnd und visionär, ist diese Erzählung eine Hommage an Pioniere, deren Träume über die Grenzen der bekannten Welt hinausreichen.
Gleich zu Beginn des Textes sieht der Leser ein überraschendes Bild:
Kader: Ein Mann, in einer Zelle der Schlüsselburg sitzend, zeichnet mit einem spitzen Nagel die Konstruktion eines merkwürdigen Gebildes auf die Wand der Gefängniszelle, eines Gebildes, das einer Rakete gleicht, und zugleich die Flugparabel zwischen den Koordinaten.
Darüber jetzt Schrift: Kibaltschitsch, der bekannte Revolutionär und Zarenmörder, erfindet im Februar 1881, kurz vor seiner Hinrichtung, den ersten Flugraketenmotor; er konstruierte diesen Motor im Gefängnis "
Kader: Man sieht Kibaltschitsch auf seine Pritsche steigen und durch die Gitter des Fensters zum Himmel schauen und wieder, jetzt klarer, an der Gefängniswand neben dem Motormodell die Flugbahn der ersten Rakete aufzeichnen
Aus dem Jahre 1939 stammt das Filmexposé Der Soldat Gottes, das seine Leserinnen und Leser in die dramatischen Lebenswege des Leutnants Wendt entführt, dessen Glaube und Integrität ihn durch die Wirren zweier Weltkriege führen. Vom Helden in den Schlachten von Verdun über die Konflikte in den Freikorps bis hin zur Rolle als Pfarrer in einem zunehmend militarisierten Nazideutschland, ringt Wendt mit seiner Vergangenheit, seiner Treue zu seinen Kameraden und seiner moralischen Verantwortung. Diese Geschichte erleuchtet die innere Zerreißprobe eines Mannes, der sich schließlich gegen die totalitären Strukturen erhebt und als Soldat Gottes seinen eigenen Weg der Gerechtigkeit beschreitet. Eine packende und zeitlos relevante Reflexion über Mut, Glauben und Widerstand inmitten einer gefährlichen Zeit.
Reales Vorbild für das 1939 in Paris veröffentlichte Filmexposé war der antifaschistische Kampf des evangelischen Theologen Martin Niemöller (1892 bis 1984), der nach seinem Abitur zunächst die Offizierslaufbahn bei der Kaiserlichen Marine eingeschlagen hatte und unter anderem U-Boot-Kommandant war. Anfang der 1920er Jahre begann er ein Theologiestudium und wurde im Sommer 1924 in Münster als Pfarrer ordiniert. Nachdem er sich anfangs nationalsozialistisch engagiert hatte, geriet er zunehmend in Opposition zu den Nazis und wurde 1935 zum ersten Mal verhaftet und später als persönlicher Gefangener Adolf Hitlers ins KZ Sachsenhausen gebracht.
1934 war sein Erinnerungsbuch Vom U-Boot zur Kanzel erschienen, das Friedrich Wolf gekannt und genutzt haben dürfte. Im selben Jahr war es in Berlin zu einer direkten Konfrontation von Hitler und Niemöller gekommen.
1941 schrieb Friedrich Wolf das ergreifende Filmszenarium Die unsichtbare Brigade, das die Situation der ehemaligen Mitglieder der Internationalen Brigaden beschreibt, die nach der furchtbaren Niederlage im Spanischen Bürgerkrieg unter entsetzlichen Bedingungen in französischen Lagern gefangen gehalten werden. Das Buch beginnt an der spanisch-französischen Grenze noch auf spanischer Seite und einer kurzen Ansprache des Kommandanten an eine Gruppe von Interbrigadisten: Ihr versteht, diese Epoche unseres Kampfes ist zu Ende, die Waffen müssen drüben an die französische Grenzwache abgegeben werden, die Interbrigaden sind aufgelöst. Achtung! Stillgestanden!
Salutierend: Es lebe das republikanische Spanien! Es lebe das spanische Volk!
Mit dramatischen Szenen, bewegenden Charakteren und einem unvergleichlichen Gespür für menschliche Schicksale zeichnet der Autor das Porträt einer unsichtbaren Armee von Freiheitskämpfern, die trotz Leid und Entbehrung ihren Glauben an Gerechtigkeit und Freiheit nicht verlieren.
Inmitten von Hunger, Zwangsarbeit und unmenschlicher Behandlung entstehen Momente der Menschlichkeit und Solidarität, die die Essenz menschlicher Widerstandsfähigkeit verkörpern. Ein Werk voller Intensität, das die tiefsten Werte von Mut, Hoffnung und unerschütterlicher Kameradschaft zelebriert.
Im Jahre 1946, als Friedrich Wolf schon wieder in Deutschland, in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) lebte und arbeitete, verfassten Friedrich Wolf und Slatan Dudow nach einer Idee von Friedrich Wolf das Literarisches Szenarium Kolonne Strupp. Die Handlung spielt zwischen dem 24. April und dem 14. Mai 1945 in Berlin: In den letzten Kriegstagen tobt der verzweifelte Überlebenskampf unter der zerstörten Stadt. In den überschwemmten Tunneln und provisorischen Büros des Berliner U-Bahn-Netzes begegnen sich Arbeiter und Soldaten zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Hilde Domke, eine junge Sekretärin, wird in ein beklemmendes Katz-und-Maus-Spiel gezogen, in dem Loyalitäten auf die Probe gestellt und Überzeugungen infrage gestellt werden - nicht zuletzt durch den geheimnisvollen Ingenieur Strupp, der selbst von Schuld und Misstrauen gezeichnet ist. Gemeinsam mit seinem Freund Robert kämpfen sie inmitten einer zerfallenden Stadt gegen die einbrechenden Wassermassen und die drohende Zerstörung. Friedrich Wolfs meisterhaftes Werk zeigt ein düsteres Bild von Menschlichkeit und Mut in einer Welt, in der die Grenze zwischen Erlösung und Untergang zunehmend verschwimmt.
Dieses Filmszenarium entstand nach wirklichen Ereignissen, fand damals bei den Verantwortlichen der DEFA wenig Interesse und wurde nicht verfilmt.
Die erste Szene sollte in einem Unterirdischen Ausweichbüros im U-Bahnhof Alexanderplatz spielen:
Während eines schweren Fliegerangriffes. Aus dem Radio, mit den jeweiligen Zeitansagen es ist gegen vier Uhr morgens , die deutsche Luftlagemeldung, eine nüchterne, gleichgültige Mädchenstimme.
Im Raum ganz allein Hilde Domke, die etwa 25-jährige Sekretärin. Sie ist unruhig, hält es auf dem Stuhl vor der Schreibmaschine nicht länger aus, springt auf, wendet sich zur Tür, öffnet.
Die Tür geht direkt auf den dunkel gähnenden Fahrtunnel hinaus. Hilde blickt gespannt die gleißenden Schienenbänder entlang
Aber den einsamen Mann auf der Strecke bemerkt sie nicht, so rasch gleitet er, wie ein Schatten, hinter einen Pfeiler.
Beruhigt schließt Hilde die Tür, läuft zum Radioapparat, dreht am Einstellknopf. Der russische Sender in deutscher Sprache, eine männliche Stimme, leise, aber ungeheuer eindringlich: Die wahre aussichtslose Lage der Stadt.
Slatan Theodor Dudow (1903 bis 1963), der Co-Autor von Kolonne Strupp, war wie schon sein ausländisch klingender Name vermuten lässt, ein bulgarischer Filmregisseur und Drehbuchautor, der hauptsächlich in Deutschland tätig war. Der Sohn eines Eisenbahners kam im Herbst 1922 nach Berlin, um dort Architektur zu studieren. Laut Wikipedia nahm er 1923 den Unterricht an Emanuel Reichers Schauspielschule auf und studierte ab 1925 als Werkstudent Theaterwissenschaft bei Max Herrmann. Er hospitierte bei Fritz Langs Metropolis sowie bei Theaterinszenierungen von Leopold Jessner und Jürgen Fehling. Von 1927 bis 1928 war er Chormitglied am Theater Erwin Piscators.
Im Jahr 1929 unternahm Dudow im Auftrag Herrmanns eine Hospitationsreise nach Moskau, wo er Sergei Michailowitsch Eisenstein und Bertolt Brecht kennenlernte. Brecht nahm ihn in seinen Arbeitskreis auf, und Dudow inszenierte 1929 für das Theater der Arbeiter Anna Gmeiners Heer ohne Helden sowie Brechts Die Maßnahme. Im selben Jahr war er Regieassistent bei verschiedenen dokumentarischen Agitationsstreifen.
Höhepunkt seines Schaffens wurde der proletarische Propagandafilm Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? (1932), der die elenden Lebensbedingungen der Arbeiter in der Zeit der Weltwirtschaftskrise veranschaulicht. Dies ist der bedeutendste kommunistisch-proletarische Film Deutschlands. Die Filmzensur gab ihn erst im dritten Anlauf zur öffentlichen Vorführung frei. Bereits im März 1933 wurde er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wieder verboten. Dudow emigrierte nach Frankreich, wo er 1934 den unangemeldet noch in Deutschland begonnenen Film Seifenblasen fertigstellte.
Im Oktober 1937 führte er zusammen mit Exilschauspielern in Paris das Brecht-Stück Die Gewehre der Frau Carrar mit Helene Weigel auf auch wenn sich die Weigel nicht gut mit Dudow verstand, wie wir wissen. Als einen der engsten Freunde Brechts lud sie ihn allerdings zu dessen Begräbnis 1956 ein. Nach der Ausweisung aus Frankreich fand er mit Frau Charlotte und Töchterchen Katharina sein Exil in der Schweiz. Bereits in Frankreich war sein Bühnenstück Der Feigling entstanden, in der Schweiz schrieb er Der leichtgläubige Thomas, Das Narrenparadies und Der Weltuntergang, die er nach dem Krieg unter dem Pseudonym Stefan Brodwin veröffentlichte. Der Feigling kam 1948 am Deutschen Theater Berlin unter der Regie von Ernst Legal auf 57 Vorstellungen.
1948 kehrte er in den Osten Deutschlands zurück und zählte dort mit den Filmen Unser täglich Brot (1949), Frauenschicksale (1952) und Verwirrung der Liebe (1959) zu den wichtigsten Regisseuren der Anfangszeit der DEFA. Bei der 1948/49 geplanten sozialen Komödie Weltuntergang sollte Dudow Regie führen, jedoch kam der DEFA-Film angesichts der Währungsreform nicht zustande.
Zu seinem 60. Geburtstag wurde er vom DDR-Kulturministerium mit dem Professorentitel geehrt. Wenige Monate später starb Slatan Dudow im Juli 1963 während der Dreharbeiten zu dem Film Christine an den Verletzungen eines Autounfalls, als er von Fürstenwalde/Spree nach Bad Saarow fahren wollte und am Lenkrad eingeschlafen war. In Christine wird gleich mehrmals eine Formulierung August Bebels aus Die Frau und der Sozialismus von 1879 zitiert: Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter. Der unvollendet gebliebene Film war 2021/2022 von der DEFA-Stiftung in einem mühevollen und aufwendigen Verfahren als Fragment digital rekonstruiert worden. Auch Hauptdarstellerin Annette Woska war bei dem Autounfall schwer verletzt worden, lag viele Wochen im Koma und konnte deshalb für lange Zeit nicht filmen. Sie heiratete den Regisseur Dieter Roth und spielte später als Annette Roth noch in mehreren DEFA-Filmen.
Der Lyriker Jens Gerlach widmete Dudow ein Gedicht in seinen Dorotheenstädtische Monologen.
Und nach diesem Ausflug in die Filmgeschichte und in die Lebensgeschichte eines großen Künstlers sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. In dem heutigen Text geht es erneut um die Schrecken des Krieges und um Mitgefühl und Menschlichkeit in Zeiten, wo man sie kaum für möglich hält. Besser wäre es natürlich, man brauchte diese schrecklichen Rahmenbedingungen nicht.
Aus dem Jahre 1947 stammt die Erzählung Mutter ein Akt der Barmherzigkeit, die während des Zweiten Weltkrieges spielt. Im bitterkalten Februar 1943, mitten in der eisigen Wintersteppe Russlands, begegnet ein Arzt der Roten Armee deutschen Soldaten, die nach Tagen des Umherirrens erschöpft und verzweifelt sind. Während er einen schwer verwundeten jungen Soldaten versorgt, entfaltet sich eine Geschichte von Mitgefühl und Menschlichkeit inmitten des Krieges. Diese tief berührende Erzählung zeigt, dass selbst im größten Leid und in den schrecklichsten Momenten des Krieges eine einfache menschliche Geste von unschätzbarem Wert sein kann. Friedrich Wolf gelingt es, die Leser mit diesem Text in den Bann zu ziehen und die Zeit des Krieges auf eindrucksvolle Weise lebendig werden zu lassen.
Auf der breiten Ofenbank lag ein dritter sehr junger Landser, der leise stöhnte. Die deutschen Soldaten, die an der Wand standen und an Brocken dunklen russischen Brotes kauten, waren recht erstaunt, wie ich sie in ihrer Heimatsprache anredete. Sie erklärten mir, dass man sie als vorgeschobene Horchposten beim fluchtartigen Rückzug glatt vergessen habe. Nun seien sie fünf Tage lang in der Wintersteppe umhergeirrt. Nachts hätten sie sich Schneelöcher gegraben, so gut es ging.
Und weshalb habt ihr euch nicht gefangengegeben? Schweigen. Sie schauten einander an.
Nun, ich weiß schon.
Ja, Herr , man sagte, der Russe legt jeden Gefangenen um.
Wer sagt das?
Der Divisionsbefehl. Alle.
Und was sagt ihr dazu?
Die eisige Weite der Arktis unberührt, gewaltig, geheimnisvoll. Der Wind fegt über das Schneefeld, treibt Eisschollen gegeneinander, während in der Ferne ein Sturmvogel durch das Grau flattert. Doch hinter dieser urtümlichen Naturkulisse entfaltet sich eine Vision, die die Grenzen des Bekannten sprengt: Der Mensch wagt sich über das Eis hinaus in die Stratosphäre, über den Nordpol hinweg.
Friedrich Wolf entwirft in seinem Werk Der Sprung über den Pol eine packende, bildgewaltige Szenerie, die zwischen den extremen Bedingungen der Arktis, revolutionären Ideen und der rasanten Entwicklung der Raumfahrtvision wechselt. Vergangenheit und Zukunft verschmelzen: Von Kibaltschitsch, der im zaristischen Kerker die Grundlagen des Raketenflugs erdachte, bis hin zu den ambitionierten Pionieren der Luftfahrt, die den Traum eines Stratosphärenfluges über den Pol verwirklichen wollen.
Zwischen eisigen Weiten, technischen Meisterleistungen und politischen Interessen entfaltet sich eine Geschichte voller Dynamik und Spannung ein Wettlauf um die Zukunft der Luft- und Raumfahrt beginnt.
Eisfeld in der Arktis: Schneewind fegt, Schneestaub, riesige Fläche
Ein Polarhase sitzt in seinem Schneeloch, schreckt auf, fegt über die endlose Fläche, verschwindet
Und wieder Eisfelder. Eismeer. Langsam schwimmende Eisschollen, die sich übereinanderschieben, sich stauen zu einer mächtigen Eisbarriere, hoch, berghoch, grauweiß, mit gewaltigen dunklen Schatten
Und jetzt, mit dem Wind, dessen hoher, ferner, geheimnisvoll drohender Ton die erste Grundmelodie bildet, sehr ähnlich dem Ton eines Flugzeugmotors mit hoher Tourenzahl jetzt mit diesem fern pfeifenden Wind ein großer Polarvogel (Sturmvogel), unter den Schneewolken, mit mächtigem Schwingenschlag durch das Schneegestöber sich den Weg bahnend zum immer klareren Polarhimmel, höher und höher, bis zur wolkenlosen Klarheit
Und jetzt
Kader: Ein Mann, in einer Zelle der Schlüsselburg sitzend, zeichnet mit einem spitzen Nagel die Konstruktion eines merkwürdigen Gebildes auf die Wand der Gefängniszelle, eines Gebildes, das einer Rakete gleicht, und zugleich die Flugparabel zwischen den Koordinaten.
Darüber jetzt
Schrift: Kibaltschitsch, der bekannte Revolutionär und Zarenmörder, erfindet im Februar 1881, kurz vor seiner Hinrichtung, den ersten Flugraketenmotor; er konstruierte diesen Motor im Gefängnis "
Kader: Man sieht Kibaltschitsch auf seine Pritsche steigen und durch die Gitter des Fensters zum Himmel schauen und wieder, jetzt klarer, an der Gefängniswand neben dem Motormodell die Flugbahn der ersten Rakete aufzeichnen
Kader: Und jetzt wieder der Sturmvogel im klaren Polarhimmel. Und höher noch am klaren Himmel eine Stratoluftsonde: ein kleiner Stratoversuchsballon mit seitlichen periskopartigen Augen; wir sehen aus 15 000 Meter Höhe wie auf einer riesigen Landkarte etwa im Maßstab 1:500 000 ein Televisorbild des ganzen Polarkreises, kraft dieser kosmischen Augen; mächtige Horizonte enthüllen sich, wie ein Kartenbild und doch anders, wirklicher In die erdferne Stille summt ganz leise das Geräusch eines Motors Und hinter diesem seltsamen, erdfernen Bild hört man über das leise Motorgeräusch hinweg eine Stimme: Der Sowjetaviatiker Fedossejenko der im Februar 1934 nach einem Stratosphärenaufstieg in 22 000 Meter Höhe beim Niedergehen des Ballons den Tod fand behauptete schon 1930 in einem Gespräch mit dem französischen Forscher Edmond Tranin: ,Die zukünftige reguläre Flugroute zwischen der Sowjetunion und Amerika führt im Stratosphärenflug über den Nordpol. Die bisherige transatlantische Entfernung beträgt 10 000 bis 12 000 Kilometer, der Sprung über den Pol die Entfernung von Igara an der Mündung des Jenissei bis zur amerikanischen Hudsonbay dagegen bloß 3 000 Kilometer. Ein Stratosphärenflugzeug fliegt mit einer Mindestgeschwindigkeit von 1000 Kilometern die Stunde. Der Sprung über den Pol von der Sowjetunion nach Amerika beträgt demnach drei Stunden Stratoflug.
Kader: Schon während der Worte: Die bisherige atlantische Entfernung beträgt 10 000 bis 12 000 Kilometer eine Anzahl von arktischen Riesenaeroplanen, die wie Vögel mit weit ausgebreiteten Schwingen auf einem vereisten Hangar stehn. Eine weitere Drehung des Apparats: Noch zahlreiche Aeroplane, und weiter: Motorschlitten, und weiter: Kamtschatkaschlitten, Rentierschlitten, Hundeschlitten Überall reges Leben. Die Leute arbeiten an den Fahrzeugen und Flugzeugen, Rufe, Signale, Lachen, Kommandos: Hallo, Serjoscha das Kühlwasser ablassen willst wohl Eismarmelade in deiner Maschine verarbeiten? Keine Angst, mein Junge, unsre Motoren haben elektrische Heizung. Hundegebell Grom! Molnie! Raus aus den Riemen, werdet morgen schon Arbeit bekommen, Freundchen!
Ein Lappe prüft die Hufe seines Rentiers, reinigt sie mit einem Eisenhaken. Zeig her, Natascha, saubere Hufe, das gehört zum Meeting, bist doch auch eine Delegierte, selbstredend!
Etwas seitwärts stehen schnell aufmontierte Notbaracken, wie zu einem Fest, lang, geräumig: Massenbaracken. Eine ist breiter und höher: Auf ihr flattert in der hellen arktischen Luft eine Sowjetflagge
Schrift: Von allen Gegenden der Sowjetunion
Bild (unter der Schrift aufblendend): Aeroplane, Motorschlitten, Rentierschlitten, Hundeschlitten, Schneeschuhe in Massen an den Außenwänden der Baracken
Schrift: sind Delegierte zusammengekommen, hergeflogen
Bild: Bei der Baracke steht ein alter Mongole mit runzligem, aber kräftigem Gesicht. Er beobachtet, lacht erfreut über das brodelnde Leben auf dem Eishangar, klopft am Türpfosten seinen Pfeifenkopf aus.
Kader: Zwei Mädchen in Sportsweater sitzen auf dem Bett der Baracke. Die eine: Das sind ja 1000 bis 1500 Kilometer Geschwindigkeit in der Stunde! Die andre: Klar! Wenn sie in drei Stunden von Igara nach Amerika fliegen soll. Die eine: Soll! Die andre: Wenn Professor Chelesnow es sagt! Die eine: Hast du sie schon gesehen?
Kader: Ein kräftiger 50-jähriger Mann, im Typ halb Gelehrter, halb Brigadier, ist soeben auf Schneeschuhen gekommen, schnallt sie ab, blinzelt in die Sonne.
Schrift: Alle sind gekommen, um den ersten Start der Flugrakete von der Sowjetunion nach Amerika zu beobachten.
Kader: Großer hölzerner Hangar. In ihm ein mächtiges glänzendes Stahlgehäuse: der Körper der Flugrakete. An der Rakete arbeitet ein Dutzend Monteure unter der Leitung des Pilot-Konstrukteurs Sawin. Sawin ist ein sehniger Bursche, schnell, etwas zu schnell in seinen Bewegungen. Tempo vorlegen, Jungens, Tempo!, feuert er seine Monteure an, er greift selbst überall mit an. Tempo, Jungens!, ist sein Lieblingswort. Nina, eine Pilot-Konstrukteurin, steht an einem kleinen Zeichentisch; sie prüft nach der Konstruktionszeichnung die Form und Stromlinien des eben aufmontierten Raketenkörpers.
Nina: He, Sawin, die Spitze etwas flacher
Sawin, nach vorn zur Spitze springend, zu den Monteuren: Wie die Maulwürfe arbeitet ihr! Mit seiner Handzeichnung: Hier, seht ihr nicht! Diese Naht muss viel flacher anliegen scharf auf Taille, versteht ihr?! Er hat einem der Monteure den Schweißapparat das Sauerstoffgebläse weggenommen und beginnt, eine vordere Aluminiumplatte neu zu schweißen Zu Nina, ohne den Apparat abzusetzen: Na, Nina, richtig jetzt?
Nina kommt mit einer größeren Zeichnung zum Vergleichen.
Sawin, ungeduldig: Hörst du nicht, Nina?!
Er wendet sich ärgerlich nach ihr um. In diesem Augenblick gibt er zu viel Sauerstoff ins Gebläse eine starke Stichflamme fährt heraus, direkt auf die Aluminiumkante des Raketenkopfes, Metall spritzt in die Flamme, gegen Sawin. Sawin fährt zurück, der Apparat fällt hin, Sawin greift nach seiner rechten Schulter, seinem rechten Oberarm, knickt kurz zusammen vor Schmerz, richtet sich schnell wieder auf: Monteure halten ihn, ziehen ihm die verbrannte Jacke aus, das Hemd ist schon durchblutet. Nina ist auch hinzugesprungen; sie reißt vorsichtig Sawins Hemd auf, legt die Wunde am Schultergelenk-Oberarm frei, eine große blutende Wunde, verbindet sie notdürftig mit dem Rest des Hemdes. Ambulanz!, ruft sie. Unsinn!, sagt Sawin und versucht, sich auf Ninas Arm zu stützen, aber der Arm sinkt schlaff herab.
Nina: Immer dein: Tempo! Tempo!
Sawin, der seinen einen Arm um des Monteurs, den andern um Ninas Hals gelegt hat, unter dem Schmerz doch lächelnd: Ninuschka, gibt es einen Flieger ohne Tempo!
Die ganze Szene bei der Rakete spielt unter dem Geräusch der anlaufenden, geprüften Flugzeugmotoren, das sich wieder entwickelte aus dem Sausen des Windes des ersten Kaders.
Während Sawin mit dem Monteur und mit Nina den Körper der Riesenrakete entlanggeht, streichelt er noch einmal mit der gesunden linken Hand die Flanken dieses neugeborenen Tieres aus Stahl; sie gehen vorbei an der kleineren Modellrakete und Sawin sagt jetzt: Sei unbesorgt, Nina, in fünf Tagen werden wir in die Stratosphäre hinausdonnern!
Und sofort
Kader: In die arktische Härte tönen fremde Stimmen, helltönendes urbanes Geräusch, und jetzt schreiende Kinderstimmen: In the next days our celebrated rocket pilot, Tom Kelley, shall fly what do you think, Kitty in three days the famous rocket pilot Tom Kelley shall Did you read the ,Evening Post to-day?
Und sofort Amerika, Kanada: Die Stadt Montreal. Wolkenkratzergebäude der Evening Post, dort oben laufende Lichtreklame, zugleich Lautsprecher, und an der Ecke des Riesenbaus ein gewaltiger, sich langsam drehender Globus, auf dem mit elektrischen Lämpchen die Distanzen der transatlantischen und der polaren Flugroute angezeigt sind; und darüber im Lautsprecher Wortfetzen: Ladies and gentlemen Tom Kelley wird in wenigen Tagen seinen todesmutigen Flug antreten durch die Stratosphäre von Montreal, Kanada, nach der Sowjetunion in der von der ,Evening Post hierzu konstruierten Flugrakete auf dem von der ,Evening Post über den Nordpol bestimmten Flugweg Ladies and gentlemen, die Rakete ist startbereit
Kader: Viele Köpfe, die in dem tosenden Geräusch der amerikanischen Großstadt nach oben auf die Lichtreklame schauen, mit englischen Wortfetzen: Damned, a gigantic project if they would succeed Tom Kelley, thats a gun-boat of a man
Und während der Film die Köpfe entlangläuft, flammt schon das Nachbarbuilding der Daily News auf, ebenfalls ein Zeitungspalast. Dort im stillen Privatbüro des Chefs des konkurrierenden Zeitungskonzerns Mr. Wood der Direktor der Daily News und Ito, ein anglisierter Japaner, Sportsmanntyp. Sie beobachten mit einem Televisor die kolossale Lichtreklame der Evening Post: Ladies and gentlemen Tom Kelley hat soeben die Ladungen in der Rakete angebracht zwei Tonnen eines speziellen hochbrisanten Pulvers nur die temperierte Zündung wird eine Totalexplosion dieser riesigen Pulvermenge verhindern
Wood und Ito beobachten im Televisor den Eindruck dieser Sensationsreklame auf die Massen.
Wood, scharf zu Ito: Und wir?
Ito: In vier bis sechs Wochen.
Wood, erregt: Also ausgeknockt! Also ,Evening Post' wird zwei Monate wunderbares Futter haben! Riesenauflagen! ,Tom Kelley, der Spitzenflieger der Evening Post, als erster mit seiner Flugrakete über dem Nordpol nach der Sowjetunion
Ito: Geduld!
Wood, krebsrot: Geduld?!
Ito, steht auf, strafft sich militärisch: Ja, Geduld, Mr. Wood.
Kader: Aerodrom Tom Kelleys bei Montreal. Eine enorme zigarrenartige Maschine in grauem Aluminiumstahl. Tom probiert grade die Zündungen der Rakete aus, ob die temperierten Reihenzündungen geordnet nacheinander anspringen und Funken geben. Aber sowohl der Funkenprüfer ähnlich wie der Zündkerzenprüfer eines Autos als auch die direkte Probe funktionieren plötzlich nicht zuerst ungleiche Schläge, dann völliges Versagen Tom, im blauen Monteuranzug, ruft seinen Flugmonteuren, dem Elektromonteur zu. Unfassbar, die Zündung arbeitet nicht! Tom nimmt sie selbst auseinander. Elektromonteur, ihn beobachtend: Sie sind vom Fach, Mr. Kelley, das merkt ein Blinder.
Tom, die Zündkerzen mit Stahlbürsten bürstend: Wenn man zehn Jahre als Autoschlosser in den Werkstätten war Wendet sich erregt. Den großen Kontrollmotor!
Kader: Ito in seinem Laboratorium. Vor ihm stehen der Televisor und die großen Elektronenröhren. Mit dem Televisor sucht er Tom, langsam erscheint Toms Hangar, die Flugrakete mit Tom und den Monteuren. Sowie das Bild scharf ist, schaltet Ito die Elektronenröhren ein, mächtig flammen die Röhren mit ihrer großen Funkenstrecke auf; er konzentriert mit einem Reflektor die Wellen auf das Televisorbild
Kader: Tom hat den Kontrollmotor an die Raketenzündung angeschlossen; auch er arbeitet nicht Sabotage?, sagt der Elektromonteur. Tom schaut ihn an, blickt dann nachdenklich einen Augenblick vor sich hin: Unsinn!
Kader: Ito sendet methodisch und mit eisiger Ruhe seine Elektronenwellen, die jeden Funkensprung, die jede Zündung unmöglich machen; zugleich hat er immer noch Toms Hangar im Televisor. Ganz ausgezeichnet; noch einige Details, und niemand wird den Polflug machen, wenn ich nicht will.
Kader: Tom in seinem kleinen Konstruktionsbüro auf dem Hangar. Nacht. Tom hat vor sich das Zündungsrelais und den vollständig auseinandergenommenen Motor liegen. Er grübelt über den Fall nach, prüft die einzelnen Teile; er ist furchtbar müde, ruft mit Lichtzeichen den Elektromonteur.
Mac, diese Nacht Starkstrom in die nähere Umgehung der Rakete; und doppelte Wachen! Monteur: Sie glauben also auch Tom, hart: Ich glaube gar nichts. Stimmengewirr draußen
Tom dreht schnell das Licht aus. Aber schon kommt mit elektrischer Lampe eine vom Alkohol animierte Gesellschaft ins Zimmer: Mr. Lister, der Direktor von Evening Post, seine Tochter Hope und Mr. Ramsbotton, der Hauptaktionär der Aluminium Steel Company.
Lister, Licht andrehend: Tom richtet sich auf Nachtflüge ein! Haha, finster ist das hier wie in einem Bärenmagen! Klopft Tom auf die Schulter. Also, Tom, old bloody boy, in ein paar Tagen fliegen wir!
Tom, sich zur Ruhe zwingend: Seit heute Störungen in der Zündung.
Lister: Werden bis morgen Mittag behoben sein! Kopf hoch, junger Mann! Der Motor ist der beste auf der Welt, sichrer als ein Scheck von Rothschild und treuer als ein Schäferhund!
Ramsbotton, mit saftiger Bassstimme: Klar, wo wir ihn geboren haben! Störungen bei einem echten Aluminium-Steel-Co.-Motor ausgeschlossen!
Lister, packt Tom unter: Also los, wir wollen die Kiste uns ansehn!
Hope, leiser: Tom, Sie wissen, in vier Tagen ist mein Geburtstag in vier Tagen müssen Sie mein Patenkind starten, Tom! Die Maschine trägt meinen Namen, Tom; das verpflichtet!
Tom, trocken: Wir werden die unsichtbaren kosmischen Kräfte verpflichten, Ihren Geburtstag zu respektieren, Miss Hope.
Ramsbotton, wichtig: Vor allem verpflichtet Sie unser Trust, der in erster Linie diese große Sache finanziert hat, den Flugtag einzuhalten: spätestens in drei Tagen, Ende der Woche. Wir erwarten in vier Tagen Funkspruch Ihrer Ankunft in der Sowjetunion! Sich an seinen Worten berauschend: Verstehen Sie, junger Mann, der Sieg unsrer Rakete, das bedeutet einen Sieg des alten Ikarustraumes der Menschheit, das bedeutet den Sieg unsres Trustes über die Haifische um uns herum, das bedeutet einen Monopolauftrag von jährlich fünfhundert bis tausend Flugraketen! Begreifen Sie das, Mann?!
Tom, mit Nerven: Ich bin weder ein Spekulationsobjekt noch ein Versuchskaninchen, Mr. Ramsbotton.
Ramsbotton, wütend: Aber Sie sind im Vertrag! Verstehen Sie das, Herr!
Tom, statt einer Antwort, packt Ramsbotton am Mantel, zieht ihn mit sich. Hope läuft ihnen erstaunt nach. Mr. Lister keucht asthmatisch hinterher. Tom will ihnen den verdorbenen Zündungsapparat zeigen; aber, wie sie jetzt im Scheinwerferlicht der nächtigen Rakete stehen, wie er jetzt die Zündungen anstellt funktionieren sie. Die einzelnen Versuchsladungen brennen mit kräftigen Feuerstößen, Explosionen ab; hinein schallen die Lachsalven von Ramsbotton, Wood, Hope.
Ramsbotton, sich schüttelnd vor Lachen: Die Sache funktioniert nicht?! Eine Sache von Aluminium Steel Company funktioniert nicht!
Wood, Tom auf die Schulter schlagend: Hallo, old fellow, sehen Sie immer noch Gespenster!
Tom steht schweigend und verwirrt da.
Hope, zärtlich, dicht bei ihm: Tommy, Darling, du wirst Glück haben, mit meiner Rakete, an meinem Geburtstag, mit meinem Namen am Bug der Rakete
Tom, sich befreiend, nachdenklich an der Schaltung der Zündungen: Eh das hier nicht geklärt ist, fliege ich nicht.
Ramsbotton, alkoholisiert, hemmungslos: Sie fliegen nicht?! Sie sind sich wohl nicht klar, junger Mann, was Sie als Angestellter der Aluminium Steel Company zu tun und zu lassen haben! Muss ich noch deutlicher werden, Mann?!
Hope, schnell dazwischen: Unsinn, old Rams! Einem guten Rennpferd muss man Zucker geben vor dem Start, nicht wahr, Tommy! Streichelt Tom. Keep smiling, Darling, und lass die Alten brummen!
Hope steht ganz dicht vor Tom und nimmt seinen Kopf hoch, bis er ihr in die Augen sieht, dann lacht sie ihn an, während sie mit beiden Händen seinen ernsten Kopf hält
Danke sehr!, sagt Mr. Lister, der grade eine Aufnahme der beiden vor der Rakete im Scheinwerferlicht geknipst hat. Und jetzt noch ein Bild von Hope allein vor ihrer Rakete! Er hat Hope so hingestellt, dass sie genau neben dem Bug der Rakete steht, neben der großen weißen Aufschrift Hope. Während es dunkel wird, hört man nur noch Hopes Lachen, ein leeres, inhaltloses Keepsmiling-Lachen, wie wenn ein Frosch lacht
Kader: Aus der Finsternis erscheinen wie ein im ersten Tageslicht erstrahlender Gipfel des Himalaja die höchsten Etagen des Wolkenkratzergebäudes der Evening Post: Wieder der Riesenglobus mit der Flugroute, langsam sich drehend, und darunter ebenfalls im Maßstab von vier bis fünf Stockwerken ein Lichttransparent: das Foto Hopes und Toms, vor der Rakete stehend, als Liebespaar, und dann Hope allein vor der Rakete Hope, und darunter mit Leuchtschrift: Hope Lister unsre Mitarbeiterin vor der startbereiten Rakete.
Kader: Tom in seinem kleinen Konstruktionsbüro. Er gleicht einem gehetzten Tier. In seinen Händen hat er ein Zeitungsbündel des Evening-Post-Konzerns. Auf jeder Vorderseite große Fotos von Hope und ihm, von Hope allein vor der startbereiten Rakete. Er geht aus dem kleinen Raum ins Freie; es ist Nacht. Er tritt zurück ins Zimmer, überlegt, schaut nach der Uhr: Erst fünf Uhr früh. Er schaut wieder auf die Zeitungen mit den Fotos, spricht zu sich selbst: Idiotie oder Sabotage oder beides! Während er seinen kurzen Fliegerpelz anzieht: Wahrscheinlich beides!
Und jetzt schon draußen, auf dem Weg zu der Riesenrakete, die beim Herangehen immer deutlicher wie ein ungeheures Gespenst aus dem Halbdunkel ragt: aber ich werde schneller sein als ihr alle!
Jetzt steht er vor der Riesenrakete. Zu dem einen Wachthabenden sagt er: Die elektrische Absperrung des Aerodroms kontrollieren! Zu dem andern: Rauchschleier gegen Sicht um das ganze Aerodrom, innerhalb fünf Minuten, Befehl an die Platzzentrale! Beide Wachthabenden schnell ab. Jetzt ist Tom allein. Er prüft die Zündungen, dann stellt er sie auf Fahrt, steigt schnell in die Rakete, reißt nervös beim Überziehen des Fliegerdresses das Foto von Hope aus der Evening Post, steckt es vor sich hin an den Höhenmesser, winkt dem Foto spöttisch zu: Nun also, meine Schöne, jetzt werden wir fliegen! Er wirft die hermetische Tür zu, verbindet die Fahrt-Zündungsrelais, stellt Kontakt her für die ersten zwei Raketen, ein gewaltiger Feuerstrahl blitzt aus dem Schweif der Maschine, die Rakete reißt sich von der Erde; unter Brausen, Feuer, Blitzen und Zischen durchschneidet sie den Rauchschleier, der von ringsum schon das Lager umgibt. Sie verschwindet wie ein nach oben sausender Komet in der Finsternis der Nacht.
Zwischen den Feuerwalzen von Verdun und den politischen Kämpfen der Nachkriegszeit entfaltet sich das Drama eines Mannes, dessen Soldatenehre auf eine harte Probe gestellt wird. Friedrich Wolfs Der Soldat Gottes beleuchtet den Widerspruch zwischen blindem Gehorsam und moralischer Verantwortung, zwischen Kriegsheldentum und den Wirren einer neuen Zeit.
Während Leutnant Wendt 1916 noch als pflichtbewusster Offizier für das Vaterland kämpft, steht er wenige Jahre später an der Fabrikmauer inmitten des Kapp-Putsches diesmal auf der anderen Seite der Front. Doch als er seinem einstigen Retter Münzner gegenübersteht, wird aus dem gnadenlosen Befehlshaber ein Mensch, der noch einmal gegen das Schicksal ankämpft.
Wolf skizziert in scharfem Kontrast den Wandel einer Epoche: vom mörderischen Stellungskrieg des Ersten Weltkriegs zur erbitterten Auseinandersetzung um die Zukunft Deutschlands. Ein Filmexposé, das den Leser in die Abgründe militärischer Loyalität und politischer Verstrickung führt.
1. Bataillonsunterstand vor Verdun (1916). Im engen Gefechtsbunker Major von Hartmann mit Artilleriebeobachter Leutnant Tümmler und Gefechtsordonnanz Münzner, Telefonisten Sich jagende Nachrichten über den Sturm auf den Douaumont, daneben: Verbindung zum rechten Nachbarbataillon abgerissen, Leutnant Wendt schwer verwundet. Münzner muss die Verbindung zum rechten Abschnitt herstellen: Wo liegt rechtes Bataillon? Wie weit vorgerückt? Es ist ein früher Morgen im April, kaum etwas zu sehen vor Nebel und Pulverdampf. Münzner findet den Leutnant Wendt mit einem Brustschuss in einem Granattrichter; er stellt die Verbindung her zum Bataillon, schafft den Leutnant ihn auf seinem Rücken schleppend durch das Artilleriefeuer, wird selbst dabei verwundet; jetzt stützt Leutnant Wendt den Münzner. So kommen beide in den Gefechtsstand des Bataillons, wo sie zusammenbrechen. Der Major empfängt von Münzner noch die Meldung, ehe er ohnmächtig wird. Wie man Wendt verbinden will, sieht man, dass er eine schwarz-weiß-rote Kriegsflagge um seine Brust gewickelt hat, die er als erster auf dem Fort aufpflanzen wollte.
2. Fabrikmauer in einer Arbeiterstadt Deutschlands (1920). Kapp-Putsch: Eine Anzahl Gefangener, zum Teil leichtverwundeter Arbeiter, werden von einem Kommando des Freikorps Lützow herangeführt und vor die Mauer gestellt. Es kommen im Gespräch die beiden Kriegskameraden Leutnant Tümmler und Leutnant Wendt, beide jetzt Lützower; sie tragen den Totenkopf als Freikorpsabzeichen auf dem Stahlhelm. Ein Unteroffizier meldet Wendt: Herr Leutnant, Kommando angetreten! Alles fertig! Wendt geht mit Tümmler die Reihe der gefangenen Arbeiter entlang; plötzlich sieht er ein bekanntes Gesicht: die Ordonnanz Münzner, die ihn bei Verdun aus dem Feuer trug! Wendt inszeniert ein erneutes Verhör; er entlässt die Arbeiter wegen Mangels an Beweisen. Heftiger Zusammenstoß Wendts mit Leutnant Tümmler, der diese seltsame Milde melden wird.
Der ehemalige Major von Hartmann ist nunmehr Oberst; er ignoriert die Meldung Tümmlers, schätzt Wendt zu sehr als ehrlichen Soldaten. Wie er jetzt dem Freikorps seinen Dank abstattet und die Offiziere des Freikorps in die reguläre Truppe übernommen werden sollen, weigert sich Leutnant Wendt, die Fahne der Republik zu grüßen. Er muss seinen Dienst quittieren.
Die Geschichte der Interbrigadisten endet nicht mit ihrer Entwaffnung an der spanischen Grenze ihr Kampf setzt sich im Exil, im Untergrund und in den Wirren der kommenden Kriege fort. Die unsichtbare Brigade von Friedrich Wolf erzählt von jenen, die sich nach der Niederlage der spanischen Republik nicht geschlagen geben, sondern weiter für ihre Ideale kämpfen auch wenn sie nun heimatlos, entrechtet und verfolgt sind.
Zwischen Paris, den Lagern der Internierten und der drohenden Kriegsgefahr entfaltet sich das Schicksal von Jan Brosek und seinen Kameraden. Ihr Überleben wird zu einem Akt des Widerstands, ihre Hoffnung ruht auf der Solidarität derer, die an eine gerechtere Welt glauben.
Wolf zeichnet mit eindringlichen Szenen ein Bild von Mut und Entwurzelung, von Kameradschaft und Verrat eine Chronik des Exils, in der die Kämpfer von gestern zu den Schatten einer kommenden Auseinandersetzung werden.
Spanische und französische Grenzpfähle, Abenddämmerung, eine Gruppe der Interbrigadisten mit ihrem Kommandanten noch auf spanischer Seite, der Kommandant mitten in kurzer Ansprache: Ihr versteht, diese Epoche unseres Kampfes ist zu Ende, die Waffen müssen drüben an die französische Grenzwache abgegeben werden, die Interbrigaden sind aufgelöst. Achtung! Stillgestanden! Salutierend: Es lebe das republikanische Spanien! Es lebe das spanische Volk! Alle heben die Faust in Stirnhöhe. Es lebe Frankreich! Es beginnt der Grenzübertritt und die Waffenübergabe an die französische Grenzwache. Die Entwaffneten werden sofort von der Garde mobile, der faschistischen Gendarmerietruppe, in Empfang genommen, in Dreierreihen eingeteilt, gestoßen und angeschrien: Allez, allez reculez! Man sieht, wie bei der schnellen Leibesvisitation auch Fotoapparate, elektrische Taschenlampen und Feldstecher von den Garden konfisziert werden. Noch auf spanischer Seite nimmt Milan Tschochik, ein republikanischer Offizier, aus seiner weiten Reithose eine republikanische Fahne, die um einen abgebrochenen kurzen Fahnenstock gewickelt ist; er reißt sie vom Stock, tritt zu einem älteren Kameraden, Jan Brosek von der Dombrowskibrigade, der einen Hand- und Armverband hat. Sie wickeln schnell den Verband auf, wickeln die Fahne um die verwundete Hand und darüber wieder die Mullbinden. Auch andere suchen, was ihnen wertvoll scheint, noch zu verbergen; der junge Berthel Tanner zieht schnell einen Stiefel aus und legt ein kleines Notizbuch mit Gedichten und einer gepressten Rose hinein; schon geht es über die Grenze. Die Bevölkerung des französischen Grenzortes schaut sich die Behandlung der Interbrigadisten durch die Garden schweigend, aber mit deutlicher Missbilligung an. Frauen und Männer reichen den spanischen Freiheitskämpfern Brot und Wein; die Garden drängen immer wieder: Allez, allez reculez! Der verwundete Jan Brosek, auf Willi Hoff und den jungen Berthel Tanner gestützt, kann kaum mehr; er bricht zusammen. Die Garden: Allez, allez reculez! Der halbohnmächtige Jan wird außerhalb der marschierenden Kolonne an den Straßenrand gelegt. Eine alte Frau und ein etwa 15-jähriges Mädel, die französische Katalanin Peppa, beugen sich über Jan, sie geben ihm zu trinken. Vorn ist eine Stockung, alle Garden rennen dorthin. Berthel und Milan sagen zu Peppa und der alten Frau: Schnell, bringt ihn weg! Aber zu euch, nicht in ein Hospital! Sie erzeugen ein Durcheinander, währenddessen Jan von Peppa über den Straßenrand auf das schon dunkle Feld gezogen wird. Eine marschierendeGruppe summt leise im Marschtempo den Refrain des Liedes:
Die Heimat ist weit,
Doch wir sind bereit,
Wir kämpfen und siegen für dich,
Freiheit!
Einige freiwillige Helferinnen, unter ihnen die etwa 25-jährige Modellzeichnerin Madeleine Cerval am Verteiler. Sie fragt Jan, der jetzt einen festen Seidenhandschuh um den Handstumpf trägt: Worin besteht Ihre Verwundung? Abschuss der Finger zwei bis fünf im Grundgelenk, Verlust eines Mittelhandknochens. Sind Sie beschränkt arbeitsfähig? Teilweise. Ihr Beruf, bitte? Arzt. Ehemals Chirurg. Madeleine schaut ihn an. Welche Nationalität, bitte? Vordem Pole, das heißt durch Teilnahme an dem spanischen Feldzug ohne Nationalität; das heißt ehemals Österreicher, in Lemberg geboren. Sie wollen als Arzt weiterarbeiten? Jawohl. Mich hier auf das französische interne Doktorat vorbereiten. Zögernd: Nur Madeleine: Nur? Jan: Ich brauchte einen kleinen Raum, um zu arbeiten, um mich vorzubereiten. Madeleine, überlegt: Wenn Sie mit einer kleinen Kammer vorliebnehmen wollen, die ich zur Zeit nicht brauche, gleich neben meinem Atelier? Jan, erfreut: Mit der kleinsten Kammer. Madeleine, schreibt: Hier ist die Adresse; Sie können die Kammer heute Mittag besichtigen.
Jakob, der Rabe, und Kiki, der kleine Hühnerhund, wandern mit. Kiki an Berthels Seite, Jakob auf der Schulter Milans.
Durch ein schräges, breites Giebelfenster sieht man über die Dächer von Paris mit ihren vielen Schornsteinen. Jan sitzt vor einem Tisch und schreibt. Madeleine tritt leise ein, in der Hand eine Zeitung. Madeleine: Störe ich dich? Aber du musst das lesen! Gibt ihm Paris Midi. Die Lage ist sehr gespannt, sie verschlechtert sich von Stunde zu Stunde. Frankreich heute zwischen drei Fronten: SpanienDeutschlandItalien. Madeleine: Glaubst du, es kommt zum Krieg? Ich weiß nicht. Jedenfalls hätte es nicht dazu kommen müssen. Wirst du für Frankreich kämpfen? Ich habe für Frankreich gekämpft, damals, vor Madrid! Unsre Niederlage war eine Niederlage Frankreichs! Man hätte sie verhindern können. Man? Du meinst wir. Jan schweigt. Madeleine: Und heute? Wirst du auch für Frankreich kämpfen? Für das französische Volk, ja; aber Aber? Für diese Regierung, die Zehntausende meiner Kameraden in den KZ hält " Zehntausende? Noch als wir diesen Winter über die Grenze kamen, da waren wir über 300 000 Mann, 15 bis 20 kriegserfahrene Divisionen
Madeleine küsst ihn. Was fehlt dir, mein Lieber? Jan, streichelt ihre Hand. Du weißt Madeleine: Ich weiß, Jan, ich weiß aber heute Abend wollen wir draußen essen, darf ich dich einladen, irgendwo draußen, an der Seine, im Grünen, nur wir zwei, ja? Sie zieht ihn zu sich hoch, nimmt seinen Mantel vom Haken, wirft ihn Jan über die Schulter und geht mit ihm hinaus.
Berlin, die letzten Kriegstage: Der Untergrund der Stadt wird zum Schauplatz eines verzweifelten Überlebenskampfes. In den U-Bahnschächten, den Kommandozentralen und hinter verriegelten Türen entfaltet sich ein Drama zwischen Loyalität und Verrat, zwischen Opportunismus und Widerstand.
Kolonne Strupp erzählt von Ingenieur Strupp, einem Mann, der sich zwischen den Fronten bewegt beobachtend, zweifelnd, berechnend. Doch in einer Stadt, die im Chaos versinkt, reicht Neutralität nicht aus. Als die Machthaber in ihrer letzten Raserei zur Selbstzerstörung greifen, steht Strupp vor einer Entscheidung: sich fügen oder handeln?
Friedrich Wolf zeichnet mit beklemmender Intensität ein Bild vom inneren Zerfall des Dritten Reiches. Menschen, die sich bisher arrangiert haben, werden in einem Strudel aus Angst, Gewalt und Intrigen mitgerissen. Die Leseprobe führt mitten hinein in dieses düstere Szenario ein Kammerspiel des Untergangs, in dem es kein Versteck mehr gibt.
Während eines schweren Fliegerangriffes. Aus dem Radio, mit den jeweiligen Zeitansagen es ist gegen vier Uhr morgens , die deutsche Luftlagemeldung, eine nüchterne, gleichgültige Mädchenstimme.
Im Raum ganz allein Hilde Domke, die etwa 25-jährige Sekretärin. Sie ist unruhig, hält es auf dem Stuhl vor der Schreibmaschine nicht länger aus, springt auf, wendet sich zur Tür, öffnet.
Die Tür geht direkt auf den dunkel gähnenden Fahrtunnel hinaus. Hilde blickt gespannt die gleißenden Schienenbänder entlang
Aber den einsamen Mann auf der Strecke bemerkt sie nicht, so rasch gleitet er, wie ein Schatten, hinter einen Pfeiler.
Beruhigt schließt Hilde die Tür, läuft zum Radioapparat, dreht am Einstellknopf.
Der russische Sender in deutscher Sprache, eine männliche Stimme, leise, aber ungeheuer eindringlich: Die wahre aussichtslose Lage der Stadt.
Zu Stein erstarrt, nur die Augen unheimlich lebendig, steht das junge Mädchen in der kalten Helle des Deckenlichts, ein Gesicht wie Millionen anderer Gesichter, blühend in frischer Jugend, und doch wie verwelkt eine Maske bangen Grauens.
Dann geht die Tür, und das junge Mädchen fährt herum, starrt wie gelähmt in die sie kühl beobachtenden Augen eines Mannes des Ingenieurs Strupp.
Strupp, etwa 30 Jahre alt, das, was man einen Intellektuellen nennt, schließt die Tür, geht zum Apparat, schaltet wieder auf die deutsche Luftlagemeldung. Wieder die Mädchenstimme: Abflug der feindlichen Verbände, bevorstehende Entwarnung.
Stumm, unzugänglich sitzt Strupp hinter seinem Schreibtisch. Dann sagt er plötzlich: Schreiben Sie, Fräulein Domke.
Mechanisch spannt Hilde einen Bogen in die Maschine.
Als handele es sich um einen gleichgültigen Brief, diktiert Strupp: Meldung. Während des Angriffs in der Nacht vom 24. zum 25. April überraschte ich die Stenotypistin, Hilde Domke, beim Abhören eines feindlichen Senders
Hilde hat aufgehört zu schreiben, sitzt, die Hände im Schoß, wie eine Tote.
Gleichmütig wiederholt Strupp: Haben Sie? beim Abhören eines feindlichen Senders.
In einer dumpfen Ergebung schreibt Hilde die letzten Worte, zieht das Blatt aus der Maschine, legt es vor Strupp auf den Schreibtisch.
Draußen schwach eine Sirene, Entwarnung.
Strupp unterschreibt, legt mit einer Geste, die etwas Abschließendes hat, den Federhalter zurück. Dann hebt er den Blick, sucht im Gesicht des Mädchens zu lesen. Und dann knipst er sein Feuerzeug an und hält das Papier an die kleine Flamme, sieht, mit dem Anflug eines kleinen Lächelns um die Mundwinkel, wie es zu schwarzer Asche wird.
Nur langsam weicht aus den Zügen des Mädchens die furchtbare Spannung. Dann fragt sie plötzlich und wirkt jetzt genauso gleichmütig, so kühl beherrscht wie er: Soll ich jetzt weinen oder vor Freude außer mir sein?
Er zerreibt die verkohlten Reste des Papiers nachdenklich zwischen den Fingern, und plötzlich ist sein Gesicht ganz anders: Es ist, als hätte er das Visier geöffnet und zeige nun das Gesicht eines leidenden, allzu tief mitempfindenden Menschen.
Aber Hilde scheint das nicht zu merken, in einem aufreizenden Hohn spricht sie weiter: Nur eins möchte ich nicht! Dass Sie mir jetzt gleich einen Heiratsantrag machen.
Ehrlich erschrocken blickt er auf, fragt: Woher wissen Sie, dass ich die Absicht habe, Sie zu heiraten.
Plötzlich schlägt ihr Ton um, gibt viel mehr von ihrem eigentlichen Wesen preis, als sie wahrhaben möchte: Glauben Sie, es gibt eine einzige Frau in der Welt, die nicht merkt, wenn ein Mann sich für sie interessiert?
Er rührt sich nicht, aber dann fragt er sie gerade heraus: Warum mögen Sie mich nicht? Liegt es an meinem Aussehen? Oder an meinem Charakter?
Nachdenklich blickt sie ihn an. Es gibt hässlichere Männer Nein, das ist es nicht!
Er muss wider Willen lächeln und verbirgt doch eine heimliche Angst dabei. Oder warten Sie auf einen Prinzen?
Und jetzt sagt Hilde Domke genau das, was sie denkt: Ich kann aus Ihnen nicht klug werden, Herr Strupp
Er ist gar nicht sehr erstaunt, scheint etwas Ähnliches erwartet zu haben, nickt trübe. Wenn ich das selber könnte. Dann sagt er: Ich weiß nur eins: Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich mit dem Rücken gegen die Wand stehe
In diesem Augenblick wird die Tür aufgerissen. Im sausenden Fahrwind des vorüberdröhnenden ersten U-Bahn-Zuges steht der Diplomingenieur Eichhorst. Ein etwa 50-jähriger kleiner Mann mit Kloßgesicht, ein Strebertyp. Er quert den Raum, betritt sein eigenes, nebenan liegendes Büro, wirft den schweren Koffer, den er schleppt, auf das in der Ecke stehende Bett.
Der Koffer springt auf, ist prall gefüllt mit Zigaretten, Schnaps, Schokolade, Räucherwürsten und Konservenbüchsen.
In einer krampfhaften Aufgeräumtheit sagt Eichhorst zu dem ihm nachgekommenen Strupp: Den Letzten beißen die Hunde! Der Rest aus der Kantine.
Dann reißt er aus Regalen, Schränken und Fächern Akten und Formulare, beginnt, sie in größter Hast in den Ofen zu stopfen. Strupp und Hilde müssen bei der Vernichtung dieser Betriebspapiere helfen. Obwohl Eichhorst misstrauisch aufpasst, gelingt es Hilde, einen Kasten, der Karteikarten enthält, in dem Bett, das in Strupps Büro steht, zu verstecken.
Eigentlich erwartet sie Strupps Eingreifen, denn er muss den Vorgang bemerkt haben, aber sonderbar er verhält sich jetzt völlig passiv.
In einer steigenden Zerfahrenheit gießt Eichhorst zwei Wassergläser mit Kognak voll, sieht dabei Hilde an, sagt: Sie können jetzt nach Haus gehen, brauchen nicht wiederzukommen vorläufig nicht.
Unruhig, mit dem Ausdruck echter Sorge, sieht Strupp, wie Hilde ihr persönliches Eigentum einpackt, fremd, gleichgültig.
Aber dann hebt Hilde den Kopf, sagt leise, als gäbe es doch so etwas wie ein Einverständnis zwischen ihnen: Ich warte auf einen Prinzen.
Dann steht Eichhorst in der Tür mit Schokolade, einer Wurst und einigen Büchsen Konserven. Aber sie dankt gleichmütig und ihrer selbst völlig sicher.
In aufschießender Wut blickt Eichhorst ihr nach
Im Radio eine kreischende Männerstimme, die zum Kampf auffordert, zum Ausharren, und wieder das Märchen von der bevorstehenden Befreiung der Stadt, vom Anmarsch einer Panzerarmee.
Plötzlich übermannt Eichhorst eine sinnlose Wut, er packt einen auf dem Tisch stehenden schweren Aschenbecher, schmettert ihn in den Apparat. Dann fällt er drüben auf sein Bett, vergräbt das schweißige Gesicht in die Kissen, schluchzt verzweifelt.
Völlig unbeeindruckt sieht Strupp von der Tür her zu. Aber dann geht er, wie unter einem fremden unentrinnbaren Zwang, plötzlich auf das Bett los, kalten Mord in den Augen, beugt sich über den Zusammengebrochenen. Doch es scheint nicht seine eigene Stimme zu sein, mit der er jetzt spricht, es klingt wie eine ausgeleierte schartige Grammophonplatte, abgehackt, hohl und phrasenhaft: Die letzte Schlacht das letzte Bataillon, ein deutsches! Mein Führer, wir schwören bis zum letzten Atemzug Sieg oder Untergang!
Abwehrend den Arm vor dem Gesicht, als drohe ihm ein tödlicher Schlag, ist Eichhorst aufgesprungen, schreit in einer panischen Furcht vor den unerbittlichen Augen und dem hassverzerrten Gesicht des jungen Ingenieurs: Wer hat denn diesen gottverdammten Unsinn verzapft?
Plötzlich ist Strupp wieder ganz ruhig. In einem Ton, aus dem eine ungeheuere Genugtuung spricht, sagt er leise: Sie, Herr Eichhorst.
Eichhorst ist aufgesprungen, steht jetzt ganz dicht vor Strupp, greift in einer großen Angst, wie ein Ertrinkender, nach ihm. Strupp, verstehen Sie doch! Sie haben ja recht jeder muss jetzt bei der Stange bleiben! Und flehend spricht er weiter: Sie müssen das vergessen! Strupp, ich habe eine Frau und eine unschuldige Tochter zu Hause
In kaum verhehlter Verachtung löst Strupp sich. Machen Sie sich keine Kopfschmerzen. Ich bin kein Spitzel von der Gestapo.
Irgendwie erleichtert, greift Eichhorst nach einem der gefüllten Gläser, will mit Strupp anstoßen, aber scheinbar sitzt ihm jetzt eine unsichtbare Faust an der Gurgel. Als Strupp das ihm hingehaltene zweite Glas übersieht, kämpft er rasch einen Wutanfall nieder, beginnt dann tastend: Strupp, wir arbeiten seit Jahren zusammen, aber ich weiß so gut wie nichts von Ihnen. Sie sind so so geheimnisvoll
Ein flüchtiges Lächeln umspielt Strupps Mundwinkel, und diesen Augenblick richtig genießend, sagt er: Vielleicht habe ich Ihnen eine jüdische Großmutter unterschlagen "
Erschrocken blickt Eichhorst auf. Machen Sie keine schlechten Witze! Dann sagt er, unsicherer denn je: Was sind Sie für ein aalglatter, kalter Hund. Er reißt eine Packung Zigaretten auf, hält sie Strupp hin. Aber Strupp langt in die Tasche nach seinen eigenen, knipst sein Feuerzeug an, hält es an seine Zigarette. Dann erst bemerkt er, dass Eichhorsts Zigarette noch nicht brennt. Er hält seinem Chef die kleine Flamme vor das Gesicht und sagt nun mit einem gewissen Einlenken im Ton: Ich bin nur ein ganz gewöhnlicher Fall von gesundem Menschenverstand.
Wieder die Wut in Eichhorsts Augen, aber er hält es doch für geraten, sich ein Lächeln abzuringen.
Draußen vor der Tür die Schritte schwerer Stiefel. Die Tür wird aufgerissen, ein Mann in der Uniform eines SS-Obersturmführers tritt ein. Massig, das, was man eine Herrennatur nennt, eitel, brutal, gemildert durch die Höflichkeit einer gewissen Bildung der Abteilungsdirektor Wollank.
Die Tür zu Eichhorsts Büro schließt sich hinter Eichhorst und seinem Besucher. Strupp aber tut etwas an ihm eigentlich sehr Überraschendes. Er geht lautlos zu dieser Tür, lauscht, das Ohr dicht ans Holz gepresst.
In Bruchstücken ist die heisere Stimme des Obersturmführers zu hören: Führerbefehl Ein Chaos Zerstörung aller lebenswichtigen
Dann ist Strupp plötzlich mit ein paar wieder lautlosen Schritten am Schrank, greift nach Hut und Mantel, läuft zur Außentür, reißt sie auf
Draußen auf dem Gleiskörper des Tunnels steht eine Gruppe von etwa sechs SS-Leuten. Die Augen der Männer sind in einer drohenden Stummheit auf Strupp gerichtet.
Äußerlich völlig ruhig kehrt Strupp in sein Büro zurück, steht nun, den Hut noch auf dem Kopf, den Mantel um die Schultern, wie ein Mann, der sein Urteil erwartet.
Die Tür zu Eichhorsts Büro. Hinter dem massigen Rücken des Obersturmführers der jetzt völlig ernüchterte Eichhorst in einer noch viel stärker spürbaren nervösen Zerfahrenheit, aber zugleich mit dem Ausdruck eines höhnischen Triumphes. Er gibt Strupp den dienstlichen Auftrag, dem Sonderkommando Wollank in Richtung Neukölln alle wichtigen Signal- und Weichenanlagen zu zeigen.
So eisern Strupp sich auch in der Gewalt hat, jetzt packt ihn doch die Angst. Und das soll alles gesprengt werden?
Man merkt Eichhorst jetzt deutlich an, dass ihm nicht wohl ist in seiner Haut. Führerbefehl, Herr Strupp!
Wollank beobachtet Strupp scharf, sagt jetzt, noch ziemlich freundlich: Na, Sie lassen sich ja zureden wie m kranken Pferd.
Verzweifelt sucht Strupp nach einem Ausweg. In steigender Ungeduld beobachtet Wollank ihn. Dann greift er sich plötzlich ein etwa 30 bis 50 Zentimeter großes Stück Karton, eine Planzeichnung, die an einem Bindfaden an der Wand hängt, schreibt mit dickem Kohlestift ein paar Worte darauf und wirft ihn Strupp wie eine Schlinge um den Hals. Gleichzeitig sagt er: Damits helle wird in Ihrem Köpfchen, junger Mann
Und in einer überrumpelnden Brutalität dreht Wollank Strupp dem Spiegel zu, der über der Waschgelegenheit hängt
Im Spiegel: Strupps kalkweißes Gesicht und darunter der Karton auf seiner Brust Ich war zu feige, für mein Vaterland zu kämpfen!!!, hat Wollank auf diesen Karton geschrieben.
Darüber liegt Wollanks jetzt unverhüllt brutale Stimme: Nehmen Sie endlich Vernunft an! Oder wollen Sie mit so ner hässlichen Empfehlung oben an der nächsten Laterne baumeln?
In einer fast unnatürlichen Kraft der Beherrschung befreit Strupp sich von dem Karton, wendet sich zur Tür, geht hinaus.
Eichhorst blickt ihm nach, sieht, wie er zwischen den SS-Leuten wie ein Verurteilter den Tunnel hinabgeht und schreit ihm dann in beißendem Hohn nach: Viel Glück! Sie Mann des gesunden Menschenverstandes.
Dann leert er in einer fast kopflosen Hast, die ihn jäh überfällt, den Garderobenschrank in seinem Büro, wirft Wäsche, Schlipse zu den andern Sachen in seinem Koffer, verschließt ihn wieder.
Dann fällt ihm etwas ein: die Brieftasche! Er durchwühlt sie, wirft seine Ausweispapiere in den Ofen. Greift nach dem Koffer, hastet davon.
Strupps Bett aber, in dem Hilde den Kasten mit den Karteikarten versteckt hat, ist durchwühlt und leer. Der geleerte Kasten steht auf Strupps Schreibtisch.
Mitten im Chaos des Krieges, in einer Welt aus Feindschaft und Gewalt, leuchtet ein Moment der Menschlichkeit auf. In Friedrich Wolfs Erzählung Mutter ein Akt der Barmherzigkeit stehen sich Feinde gegenüber doch in diesem Augenblick zählt nicht die Uniform, nicht die Nation, sondern nur das Leid eines jungen Soldaten.
Während draußen die Kriegsmaschinerie weiterrollt, geschieht in einer einfachen Stube eine stille Geste der Güte. Eine alte russische Bäuerin, selbst vom Krieg gezeichnet, nimmt den verletzten deutschen Soldaten wie ein Kind in ihre Arme. In ihrer Stimme liegt keine Anklage, nur Trost ein flüchtiger, aber umso bedeutungsvoller Moment der Barmherzigkeit inmitten der Unmenschlichkeit.
Wolf zeigt mit eindringlicher Schlichtheit, dass es selbst im Krieg noch Platz für Mitgefühl gibt. Eine Geschichte, die nachhallt als leiser Protest gegen die Gewalt und als Erinnerung daran, dass Menschlichkeit keine Grenzen kennt.
Eine Sekunde horche ich nach draußen auf das Hufgeklapper und Geschnaufe der Pferde. Vielleicht fährt mein Schlitten jetzt weg? Wie komme ich dann nach? Ich wende mich zur Bäuerin. Schnell eine Schere oder ein Messer! Und wie ich ihr erschrockenes Gesicht sehe: Ich muss den Stiefel aufschneiden! Schnell!
Hier!, meint neben mir einer der Rotarmisten und klappt ein großes Taschenmesser auf. Ich beginne vorsichtig den rechten Stiefelschaft in der Naht aufzutrennen; es ist keine leichte Arbeit. Die Rotarmisten, die den Zweck des Ganzen noch nicht recht einsehen, lösen mich ab. Der junge deutsche Soldat stöhnt. Seine Kameraden reden leise auf ihn ein; aber er lässt sich nicht abhalten, zu knurren und zu stöhnen. Einmal verstehe ich die Worte: So ein Schwindel
Ich habe keine Zeit zu fragen, was er meint. Es ist wirklich nicht einfach, das harte Leder selbst in der Naht mit dem Taschenmesser loszutrennen und den vor Schmerz sich bäumenden Soldaten dabei nicht zu verletzen. Wie ich einmal aufschaue, bemerke ich, wie die alte Bäuerin sich hinter den jungen deutschen Soldaten gesetzt und seinen Kopf mit ihren großen faltigen Händen an ihre Brust gepresst hat; dabei sagt sie: Still, mein Kleiner! Was hast du denn, mein Junge? mit jenen zärtlichen russischen Worten, mit denen man einen kleinen Knaben beschwichtigt.
Das Wort ENDE steht zumeist am Ende eines Films. Dieses Wort kann auch an dieser Stelle der heutigen Post aus Pinnow stehen, in deren Mittelpunkt der Filmautor Friedrich Wolf stand. Ebenso wie für die Entwicklung des Radios und mit seiner Begeisterung für Hörspiele interessierte sich Wolf auch sehr für die technischen und künstlerischen Möglichkeiten des Kinos.
Gern würde man sich auch den DDR-Dokumentarfilm Verzeiht, daß ich ein Mensch bin von 1988 noch einmal ansehen, um mehr über den Künstler und Kämpfer, den Schriftsteller und Dramatiker, aber auch den Ehemann und Vater Friedrich Wolf zu erfahren kurzum über den Menschen Friedrich Wolf
Exakt denselben Titel wie der Dokumentarfilm trägt auch eine illustrierte Retrospektive zum 110. Geburtstags Friedrich Wolfs 1998 von Lutz Neitzert, die von Roland R. Knapp herausgegeben wurde und in diesem Jubiläumsjahr in seiner Geburtsstadt Neuwied erschienen. Absicht dieser Publikation ist es, angesichts des umfangreichen Werks und der komplizierten Biografie Wolfs eine kompakte Übersicht in populär-wissenschaftlicher Form für alle jene zu bieten, die sich schnell und doch mit der gebotenen Gründlichkeit über diesen Autor als personifizierte Zeitgeschichte informieren wolle. Das ist ein lobenswerter Ansatz.
Bleiben Sie ansonsten wir immer weiter vor allem schön gesund und munter und Welt der Bücher gewogen. Die E-Book-Pakete mit den fünf neuen Sonderangeboten für die nächste Woche sind schon gepackt. Darin befinden sich erneut nur Bücher von Friedrich Wolf.
Dazu gehört das 1949 von Friedrich Wolf und Philipp J. Gecht geschriebene Filmtreatment Der Rat der Götter. Darin geht es um Macht, Verantwortung und die dunklen Verstrickungen der Industrie mit der nationalsozialistischen Kriegsmaschinerie. Basierend auf den Akten der Nürnberger Prozesse und Dokumentationen von 1947, folgt die Handlung dem Vorstandsvorsitzenden Geheimrat Mauch und dem Chemiker Dr. Scholz, die sich im Netz von Kriegsgewinn, Schuld und Vertuschung verstricken.
Der 1950 von der DEFA in der Regie von Kurt Maetzig (1911 bis 2012) verfilmte Stoff ist ein aufrüttelndes Werk über moralische Schuld und den Preis des Schweigens. Der Rat der Götter ist einer der ersten Filme, die sich explizit mit der Mitschuld eines deutschen Konzerns an den Naziverbrechen beschäftigen.
Die Filmmusik stammt von Hanns Eisler. Noch im selben Jahr wurden Autor Friedrich Wolf, Regisseur Kurt Maetzig, Kameramann Friedl Behn-Grund und Architekt Willy Schiller mit dem DDR-Nationalpreis I. Klasse ausgezeichnet. Bei den V. Internationalen Filmfestspielen Karlovy Vary (Karlsbad) wurde dem Film eine besondere Anerkennung verliehen - ein Sonder-Ehrendiplom.