Der Fahrer und die Ärztin, Raumschiffbruch im Kosmos und Reaktion auf einen Abschiedsbrief - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 23.05.2025) Ein Unglücksfall führt zwei Menschen zusammen, die sonst wohl kaum zusammengekommen wären. So beginnt das fünfte und letzte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 23.05. 2025 bis Freitag, 30.05. 2025) zu haben sind. Erstmals 1984 war im Aufbau Verlag Berlin und Weimar der Roman Die Neigung von Uwe Berger erschienen. Am Anfang passiert ein schwerer Unfall: Der Kombinatsdirektor Karpenstein war mit seinem Wagen auf der Fahrt nach außerhalb am frühen Morgen verunglückt. Übernächtigt hatte er beim Überholen den im Nebel entgegenkommenden blauen Lada zu spät bemerkt. Es gab trotz beiderseitiger Bremsmanöver einen Zusammenstoß. Die Volkspolizei verständigte Rettungsamt und Kombinat. Karpensteins Fahrer Kusmin, der nicht weit entfernt vom Unfallort wohnte und angerufen wurde, traf noch vor dem Schnellhilfewagen bei den Verunglückten ein. Ohne lange zu überlegen, lud er seinen Chef und den Fahrer des Ladas, die notdürftig verbunden auf Decken lagen, in sein Auto und jagte zum nächsten Krankenhaus. Die Verletzten schaukelten in den Polstern hin und her. Die diensttuende Ärztin von der Rettungsstelle fuhr Kusmin hart an. Ob er schon mal was vom Schock gehört habe. Schockpatienten dürften gar nicht oder müssten wenigstens liegend transportiert werden. Es wäre besser gewesen, auf den Schnellhilfewagen zu warten.
Wenige Seiten nach dem Beginn dieses spannenden Romans liest sich das so:
Die Aufregung der vergangenen halben Stunde klang in ihm nach. Wie hatte Karpenstein das alles nur passieren können? Es würde sich herausstellen. Das Wichtigste war, dass er überlebte. Mit einer gewissen Beschämung gestand sich Kusmin ein, dass ihm auch die Ärztin in diesem Augenblick nicht ohne Bedeutung war.
Es überraschte ihn, wie mühelos und leicht er mit ihr sprechen konnte, er, der sonst Frauen gegenüber gehemmt war. Er blieb vor ihr der, der er war, musste sich nicht verstellen - das hatte er bisher kaum an sich gekannt. Vielleicht lag es an der außergewöhnlichen Situation, in der es um einen Dritten ging.
Oder daran, dass es etwas zu tun, etwas mit den Händen zu schaffen gab. Oder an seiner Aufregung. Er wusste es nicht.
Kusmin ging zur Rettungsstelle, in der Schwester Beate erschienen war, machte seine Angaben und setzte sich vor die Tür. Nach einigen Minuten ging er zur Telefonzelle und meldete dem Genossen Gugisch, seinem Parteisekretär, dass er Karpenstein lebendig abgeliefert habe, aber sonst noch nichts wisse. Insgeheim hatte er Sorge, Gugisch könne ihn zurückbeordern. Doch dieser war sehr betroffen und bedankte sich nur. Kusmin hatte vor, zu warten. Die Doktorin würde ihm Auskunft geben. Und er wollte sie noch einmal sehen.
Endlich kam sie den Flur entlang. Mit schnellen Schritten näherte sie sich. Er stand auf. Wie steht es, Frau Doktor? Er wird überleben. Mehr kann ich nicht sagen.
Das genügt doch, rief er mit ausbrechender Fröhlichkeit. Am liebsten hätte er sie umfasst und herumgeschwenkt. Aber er fügte nur hinzu: Ich danke Ihnen. Wie wird es mit den beiden weitergehen? Mit dem Fahrer und der Ärztin.
Erstmals 1977 veröffentlichte Alexander Kröger im Verlag Neues Leben Berlin als Band 137 der Reihe Spannend erzählt den Wissenschaftlich-phantastischen Roman Die Kristallwelt der Robina Crux: Wie ein gewaltiger Spiegel ragt plötzlich die Fläche eines Riesenkristalls vor Robina auf. Und obwohl die junge Kosmonautin das Höhenruder zurückreißt, erfolgt Sekundenbruchteile später ein schmetternder Aufprall. Das Beiboot ist auf jenem geheimnisvollen Kristallboliden havariert, den die Besatzung der REAKTOM auf der Heimreise zur Erde entdeckt hat. Bestürzt sucht Robina Kontakt zum Raumschiff, um die Bergung zu veranlassen, doch die Funksignale bleiben ohne Antwort. Etwas Unfassbares ist geschehen. Dem E-Book liegt die Originalausgabe von 1977 zugrunde. Es wurde lediglich auf neue Rechtschreibung umgestellt.
Die erstmals 2004 im Verlag KRÖGER-Vertrieb Cottbus erschienene Fortsetzung Robinas Stunde null ist ebenfalls als E-Book bei EDITION digital zu haben.
Erstmals 1983 erschien im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin der Roman Lea Ein Leben im Sperrgebiet von Dorothea Iser. Erzählt wird die Geschichte des Mädchens Lea, das in einem Gebirgsdorf an der Grenze aufwächst. Bei einem Unfall, den sie dort als Fünfjährige hatte, wurde ihr Arm schwer verletzt. Sie weiß, irgendwann wird er steif sein. Das will sie nicht erleben müssen. Sie träumt sich weg. In einer Kinderstadt möchte sie alle, die kein Zuhause haben, aufnehmen. Der Nachbarjunge Josse sagt, was auch werden wird, ich halte immer zu dir. Aber sie müssen sich trennen, weil jeder in einer anderen Stadt studieren wird. Doch später holt Josse Lea zurück. Denn er ist verzweifelt, und er braucht sie.
Ebenfalls im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin veröffentlichte Jan Flieger erstmals 1977 Sternschnuppen fängt man nicht: Ein Matrose, der auf einem Raketenschnellboot der Volksmarine dient, bekommt einen Abschiedsbrief von seinem Mädchen. Mareike, so heißt das Mädchen, das er liebt, schreibt ihm, dass er sie vergessen solle und dass sie ihren Polterabend mit einem anderen feiern wird. Doch das will sich Brinkmann nicht gefallen lassen. Er bittet um außerplanmäßigen Urlaub und begibt sich auf die lange Reise von der Küste bis zu Mareike und zu diesem Polterabend.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Erneut reflektiert ein Buch die Grausamkeit des Krieges.
1954 entstand die Erzählung Der sichere Unterstand von Friedrich Wolf, die im Jahr 1916 an der Westfront spielt: Ein Abteilungsarzt erlebt die brutale Realität des Krieges, als die Schlacht an der Somme tobt. Unter ständigem Trommelfeuer kämpft die Truppe nicht nur gegen den Feind, sondern auch gegen die innere Zerrissenheit ihrer Führung. Ein sicherer Unterstand, überladen mit Eisenbahnschienen und Bruchsteinen, symbolisiert die wahnwitzige Sicherheit der Kriegsmaschinerie.
Als der Unterstand ohne feindliche Einwirkung zusammenbricht, wird klar, dass übertriebene Vorsicht oft mehr zerstören kann, als sie schützt. Diese dramatische Erzählung wirft ein packendes Licht auf die zerstörerische Absurdität des Krieges - damals wie heute. Eine Parabel über Übermut, Krieg und den Preis falscher Sicherheit.
In seinem eindringlichen Roman Die Neigung schildert Uwe Berger das innere Ringen eines deutschen Soldaten an der Ostfront, der sich zunehmend vom nationalsozialistischen System distanziert. Die folgende Leseprobe beschreibt eine Schlüsselszene: Als Robert Schlegel zufällig auf eine junge russische Frau trifft, die sich als Partisanenkontakt entpuppt, beginnt ein riskantes Spiel mit der Wahrheit, dem Misstrauen und einer leisen Hoffnung auf Widerstand.
Soweit war ich, als mir der Zufall zu Hilfe kam. Vergeblich hatte ich versucht, mit den jungen Burschen meines Arbeitstrupps in Verbindung zu kommen. Ich behandelte sie gut, gönnte ihnen reichliche Pausen oder verschaffte ihnen eine Sonderration. Mit den wenigen Brocken Russisch, die ich gelernt hatte, kritisierte ich vorsichtig - um mich nicht selbst zu gefährden - die faschistische Praktik der Geiselmorde. Krieg gegen Frauen und Kinder ist nicht gut, sagte ich oder: Nicht alle Deutschen sind so ... Sie verzogen keine Miene, sahen mich nur an und schwiegen. Da überraschte ich im Zimmer eines Vorgesetzten an einem Spätnachmittag, als ich ein Telefon zu reparieren hatte, eine junge Frau. Sie stand vornübergebeugt und schrieb ein Dokument ab. Erschrocken auffahrend starrte sie mich an.
Lass mich erschießen, wenn du kannst, sagte sie leise, in ziemlich gutem Deutsch, jedes Wort betonend. Langsam bewegte sie ihre Hand zur Bluse. Ich ahnte, was sie vorhatte, und packte sie am Arm.
Nicht! Ich tu dir nichts. Du kannst gehen.
Wortlos und starr blickte sie mich an.
Nimm mit, was du geschrieben hast!
Wie heißt du?
Robert Schlegel.
Sie nahm ihren Zettel, besann sich, legte ihn wieder hin und fügte noch einige Notizen hinzu, dabei abwechselnd auf das Papier und auf mich schielend. Ihre Ruhe machte mich fassungslos.
Beeil dich!
Sie faltete den Zettel zusammen und steckte ihn in die Bluse. Sorgfältig legte sie die Akte, der ihr Interesse gegolten hatte, in eine Mappe und packte die Mappe in eine Schublade. Dann streifte sie mich noch einmal mit einem Blick. Legte den Finger auf die Lippen und ging.
Die junge Frau hieß Nina. Sie arbeitete in der Kommandantur des Ortes als Reinigungskraft. Ich bewohnte dort mit einem anderen Unteroffizier ein Zimmer. Als dieser abberufen worden war, erschien Nina eines Nachmittags bei mir.
Ich will mich bedanken, sagte sie.
Wofür?
Warum hast du es getan?
Ich hasse die Faschisten. Ich möchte zu euch kommen.
Was heißt: zu euch?
Zu den Partisanen.
Hör zu! Wir haben dich beobachtet. Ich glaube, dass du die Wahrheit sagst. Aber wenn du etwas gegen die Faschisten tun willst, dann sollst du hierbleiben und Informationen sammeln ...
Das ist gefährlich ... Die Worte rutschten mir heraus.
Es ist Krieg, antwortete sie, wir haben ihn nicht gewollt. Gefährlich ist es, mit dir zu sprechen - du kannst ein Spitzel der Gestapo sein.
Ich dachte, du glaubst mir, Nina.
Ich glaube, und du musst beweisen.
Daraufhin erklärte ich mich einverstanden. Wir berieten die Einzelheiten. Ich sollte versuchen, die Zielorte von Truppentransporten, den Zeitpunkt von Aktionen gegen die Partisanen und ähnliches herauszubekommen. Nina würde meine Kontaktperson sein. Wenn möglich, wollte sie in mein Zimmer kommen. Sie riet mir, zu den Mitgliedern meines Bautrupps allmählich unfreundlicher zu werden und schließlich so barsch zu sein, wie es sich für einen Okkupanten gehört, und überhaupt die größte Vorsicht walten zu lassen.
Nina gab mir die Hand und entfernte sich leise.
Da ich am Fernschreiber Dienst tun musste, gingen manche Befehle und Mitteilungen durch meine Hand, aus denen Schlüsse zu ziehen waren. Auch versuchte ich, das gute Verhältnis, das ich zu einigen Leuten der Kommandantur hatte, zu entwickeln. Da war der Bursche des Kommandanten, der Obergefreite Bechtold, der mir manchmal sein Herz ausschüttete, oder mein unmittelbarer Vorgesetzter, der Oberleutnant Dreyer, der den Schnaps liebte.
Bechtold, von Beruf Schneider, ein faltiger Vierziger, kam eines Abends zu mir und jammerte: Mit Balthasar ist mal wieder kein Auskommen. Nichts mach ich ihm recht. Er brüllt bloß herum.
Major Balthasar war der Ortskommandant.
Was hat er denn?, fragte ich.
Der Streifzug gegen die Partisanen ist ins Leere gegangen. Und heute im Morgengrauen haben die die Brücke vor der Stadt mit drei Lastwagen darauf in die Luft gesprengt ... Hast du nicht die Detonation gehört?"
Nein, Ich schlafe gut.
Die werden noch mal die Kommandantur hochjagen, hat der Major geschrien, und wir müssen durchgreifen, ganz egal wo und wie, die stecken alle unter einer Decke, und Bechtold beugte sich vor und flüsterte, in der nächsten Woche wird ein großer Schlag geführt, mit einem Strafkommando, mit Panzern und Artillerie ..."
Woher weißt denn du davon? Dich werden sie gerade einweihen!
Der Kommandeur war schon hier, und die haben alles beredet; man konnte es durch die Tür hören ..."
Zwischen Erinnerung und Erkenntnis, Technik und Intuition: In dieser Passage aus Alexander Krögers Die Kristallwelt der Robina Crux steht die Titelheldin an der Schwelle einer folgenreichen Entdeckung. Als ein rätselhafter Ton ihr Bewusstsein durchdringt, wird aus einem technischen Defekt ein Schlüsselmoment ein Signal, das womöglich mehr bedeutet als bloßer Zufall. Die Leseprobe führt eindrucksvoll vor, wie persönliche Intuition, wissenschaftliche Neugier und die Bedrohung durch das Unbekannte ineinandergreifen.
Robina riss sich nur schwer aus der Erinnerung. Aber sie hatte das Gefühl, dass sie hier eine Zäsur anbringen sollte, schon weil sie das, was sie da auf Band gesprochen hatte, nicht mehr übersah. Erst recht war sie sich nicht im Klaren darüber, inwieweit eine solche Geschichte, überarbeitet zwar, geeignet sein mochte, einem Erdfremden einen klaren Eindruck von dem Geschehen auf dem dritten Planeten des Sonnensystems zu vermitteln. Schließlich rang sie sich zu der Meinung durch, dass das niemand wissen könne. Sie würde das Gesprochene eine Weile ruhen lassen, es dann überarbeiten, auf den Raster übertragen und dann in die Wand brennen basta.
Robina machte es sich auf der Liege bequem, spulte das Band zurück und ließ es erneut anlaufen. Ein Pfeifton war da, eine Rückkopplung, die auf eine Fehlschaltung des Lautsprechers zurückzuführen war.
Hastig schaltete sie ab, drückte die Taste jedoch nicht gehörig durch, sodass der Nerven tötende Ton mit einer kurzen Unterbrechung abermals die Kabine durchheulte. Das gleiche Malheur passierte ihr beim zweiten Schalten. Ärgerlich setzte sie sich auf, da durchfuhr sie ein Gedanke. Sie empfand ihn so ungeheuerlich, dass ihr das Blut zu Kopfe schoss und sie ein leichter Schwindel erfasste.
Der Ton brach plötzlich ab, dann setzte nach einer Pause ihre Stimme ein, stockend, mit holprigen Formulierungen. Robina hörte nicht zu. Sie überlegte. Dann sprang sie auf, stoppte unwirsch das Band, ließ die Kassette herausspringen, warf sie auf die Liege und legte hastig eine neue ein. Nun stellte sie Kontakt her zwischen dem Aufnahmegerät und ihrem Funkempfänger und ließ das Band anlaufen.
Wenig später lag sie wieder auf der Liege die vorher hingeworfene Bandkassette drückte ihr in die Rippen und lauschte dem anschwellenden Ton der Anderen, der jetzt in drei Folgen vom Band kam. Robina drückte die Taste und schaltete sofort wieder ein. Naturgemäß wurde der Ton unterbrochen.
Obwohl eindeutig, reichte Robina dieser Tatbestand nicht. In großer Hast entfernte sie das Speichergerät aus ihrem Anzug und legte es aufnahmebereit neben das erste.
Sie wiederholte das Spiel mit der Taste in kurzen und längeren Abständen, hackte das stetige, melodische Signal erbarmungslos in Stücke.
Obwohl das Ergebnis ihres Tuns von vornherein feststand, war es Robina wie eine Offenbarung: Vom zweiten Band wurde die Zerstückelung exakt wiedergegeben.
Na wartet, Freunde!, rief sie.
Fieberhaft nestelte sie an ihrem Anzug, riss und dabei pfiff sie auf das Reglement die Nottasche auf und zerrte die Tabelle mit dem Raumcode hervor.
Schnell warf sie eine kurze Zeichenfolge auf einen Taschenraster und stürzte sich dann in den Anzug. Erst bei der Verschnürung der Fußgelenke, die einer besonderen Sorgfalt bedurfte, kam sie zu sich.
Zu spät, heute, murmelte sie nach einem Blick zur Uhr. Ich muss dazu frisch sein
Aber dann konnte Robina nicht einschlafen.
Später griff sie zur Box und schluckte ein Kügelchen. Noch bevor sie der Schlaf ergriff, sah sie von allen Seiten kugelige Raumschiffe mit geöffneten Luken auf sich zuschweben. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein.
In dieser eindrucksvollen Passage aus Lea Ein Leben im Sperrgebiet von Dorothea Iser begegnen wir Josse in einem inneren Ausnahmezustand: Zwischen Schuld und Schweigen, Herkunft und Hoffnung ringt er um Orientierung in einer Welt, die ihn zunehmend ausgrenzt. Der Besuch beim Vater im Gefängnis wirft ihn zurück auf schmerzhafte Fragen, die keine einfachen Antworten zulassen. Die Leseprobe zeigt mit großer Eindringlichkeit, wie schwer es ist, sich selbst und der Vergangenheit treu zu bleiben und wie sehr die Liebe zu Lea ein Halt sein könnte, wenn er sich nur trauen würde.
Josse wusste, warum sie ihn ablehnten. Er wusste auch, das würde von nun an nicht die einzige Ablehnung bleiben. Den wahren Grund dafür würde niemand aussprechen. Wie tief ihn das verletzte, wollte er sich nicht anmerken lassen. Sollten sie einen anderen zum Sekretär wählen, bitte, er hatte sich danach nicht gedrängt. Das Leistungsstipendium würde er nicht bekommen, darauf konnte er verzichten. Aber ob er zum Chemiestudium kommen würde, war zweifelhaft. Es war schlimm, zu erleben, wie sich die zurückzogen, deren Freundschaft er gesucht hatte, wie er für Leute interessant wurde, die erst redeten, nachdem sie Türen und Fenster verschlossen hatten, zu spüren, wie sie ihn in eine Rolle drängen wollten. Er nahm sich keine Zeit für sie. An jedem Wochenende besuchte er die Mutter. Er wollte sie aus der Erstarrung lösen. Die Schwestern auf der Station sagten, es ginge ihr von Woche zu Woche besser. Wenn Josse bei ihr war, hatte er das Gefühl, sie lebt noch immer in einer Welt, in die er ihr nicht folgen kann. Einmal durfte er auch zu seinem Vater. Auf dem Weg zu ihm war Josse sicher, dass nicht stimmte, was sie ihm vorwarfen. Kann sich ein Mensch so verstellen? Zu ihm war der Vater immer gut gewesen. Josse erinnerte sich an seine Jungenzeit.
Wenn der Vater ihn auf den Wisselbeerbaum an der Allee setzte, damit er ganz hinaufklettern konnte, dorthin, wo die Beeren schwarz und süß waren, und wie er ihn auf die Schultern hob, als der Förster seinen Hund auf sie hetzte. Nur mit den Beinen konnte er ihn abwehren, die Arme hielten den Jungen, wie sie schwiegen, als Mutter über die zerfetzte Hose schimpfte, der Vater und der Sohn. Josse fielen noch andere Geschichten ein, die er längst vergessen glaubte. Wie der Vater Eckebrecht wortlos stehen ließ, der sich über Josse beklagte. Je länger Josse nachdachte, um so unverständlicher wurde ihm, dass er sich von Mutter und Vater weggesehnt hatte. Auf mich kannst du dich verlassen, Vater. Aber sein Mut sank, als er das wuchtige Gebäude betreten hatte, die Papiere vorzeigen musste, warten auf einem langen Gang, irgendwem folgen, wieder warten. Dann endlich sahen sie sich. Sie wurden stumm voreinander. Es ist alles zu spät, schien der Vater sagen zu wollen. Bitterkeit musste in ihm sein.
In die Stille hinein sagte er, ich habe nur meine Pflicht getan, verstehst?
Bei diesen Worten zuckte Josse zusammen. Pflicht? Was denn für eine Pflicht, Vater? Josse dachte an die Eckebrecht, an das Gerede im Dorf, Zahngold, wer weiß, was der noch genommen hat. Josse fand nicht Kraft, seine Fragen zu stellen. Vor ihm saß ein alter, müder Mann.
Nur meine Pflicht, damit wurde die Ungewissheit zur Gewissheit. Noch einmal versuchte der Vater sich zu rechtfertigen. Die Worte musste er sich in langen Stunden zurechtgelegt haben. Sie passten nicht zu ihm, sie klangen fremd wie seine Stimme.
Die Mutter, hörst net?
Jo mei, i hör ...
An sie hätte er früher denken sollen, aber das sagte Josse nicht, er konnte nicht von Vaters Händen wegsehen. Sie lagen vor ihm, die eine auf der anderen, als müssten sie sich halten, die Hände, die ihn trugen, die ihn schützten und führten. Sich vorzustellen, dass sie Menschen gequält hatten.
An sie habe ich gedacht. Der Vater stöhnte. Immer an sie hob ich gedocht. Da ist es komma.
Josse fuhr sich mit der Linken übers Gesicht, als könnte er diese Vorstellung verwischen. Trotz allem, was geschehen ist, bleibt er mein Vater? Und als er Vater sagte, hob der den Kopf.
Im Dorf mochte sich Josse nicht sehen lassen. Das leere Haus, der Hof, die Nachbarn. Deshalb fuhr er ins Wohnheim zurück. Aber auch dort fühlte er sich nicht wohl.
Dass du dich wunderst, sagten sie zu ihm. Gute Väter waren viele von denen. Josse wehrte ab. Wenn er ein Zimmer bekäme, wenigstens eine Abrissbude, wenn Lea kommen würde. Wenn, ja, wenn er überhaupt bleiben kann. Was sie für Briefe schrieb? Von Prozessen mochte er nichts hören, auch nichts von Ängsten vor einem Krieg. Und was sollte das mit ihrem Henning? Aber da ließ er den Kopf sinken, weil er ungerecht war. Zum Glück merkte er das noch. Sein Glück war bescheiden geworden. Wie schon oft in den letzten Tagen dachte er daran, einfach zu ihr zu fahren. Er weiß nicht, warum er damit noch wartete. Eine Scheu vielleicht, Lea könnte anders über seinen Vater denken, vielleicht sogar anders über ihn? Er suchte Gewissheit und fürchtete sie.
Mitten im Winter, auf der sturmgepeitschten Ostsee, wird das Leben an Bord zum gnadenlosen Kraftakt. In dieser Szene aus Sternschnuppen fängt man nicht erleben wir eine Schicksalsstunde für Mannschaft und Moral: Der Anker muss hoch, die Technik versagt doch Kameradschaft, Ausdauer und eiserner Wille halten das Schiff auf Kurs. Jan Flieger schildert mit eindrucksvoller Präzision, wie aus einer einfachen Aufgabe ein heroischer Moment kollektiven Durchhaltens wird.
Da war diese Nacht im Winter auf dem Boot, mitten auf der Ostsee. Weniger hatte befohlen: «Anker auf.» Aber der Spill zum Einhieven der Ankerkette fiel aus. Nachdem alles versucht worden war, mussten am Ende die Kräftigsten auf die Back, um den Anker mit den Händen hochzuhieven. Die Maschinen waren gestoppt.
Das Boot schaukelte wild. Auf der Back war es glatt, der Schneeregen machte die Arbeit zum Wagnis.
Weniger sah in Brinkmanns verzerrtes Gesicht. Er zog, zog mit blutenden Händen, immer wieder, als ob ihn die Kräfte nicht verlassen würden.
Aber sie verließen ihn anscheinend auch nicht, er hatte Bärenkräfte.
Sie mussten ihn hochbekommen, den Anker, mit einem pendelnden Anker konnten sie die Fahrt nicht fortsetzen. Er würde sich in der Schiffsschraube verfangen oder im Ruder.
So zogen sie und zogen.
Zentimeter um Zentimeter zogen sie den Anker hinauf.
«Machen Sie eine Pause, Genosse Brinkmann», sagte Weniger wieder, aber der winkte ab, keuchend, mit verschwitztem Haar. Der Schneeregen lief ihm über das Gesicht.
«Es geht noch, Genosse Kapitänleutnant. Ich bin solche Arbeiten gewohnt.»
Stolz schwang in seiner Stimme mit, und man sah, dass er es nicht tat, um einem Vorgesetzten zu gefallen. Schulter an Schulter zog er mit Old Marx. Auf einmal hob Old Marx die rechte Hand, spreizte zwei Finger. Und grinste. Was für eine Mannschaft!
Der keuchende Brinkmann ...
Und wieder zehn Zentimeter!
Fünf!
Das Boot schaukelte stärker. Die Männer auf der Back, die ziehenden keuchenden Männer, Brinkmann, Old Marx, Bodendieck und Fingerloos, rutschten wieder und wieder aus, stürzten, krallten sich fest.
Weiterziehen!
Andere sprangen hinzu. Die Ablösung musste nicht befohlen werden. Jeder, der in den Armen wieder Kraft spürte, wollte ziehen. Knochenhauer zerbiss sich die Lippen, aber spürte es wohl nicht, zog weiter.
Der Schneeregen wurde dichter, das Wasser lief den Männern in den Nacken und am Körper hinunter.
Finster blickte Weniger auf die See.
Der Seegang nahm zu.
Aber der Anker!
Und die Kälte, die mit dem Sturm von Westen heranzog.
Fingerloos musste aufgeben, auch Bodendieck, Knochenhauer. Aber die Kräftigsten, Old Marx und Brinkmann, zogen noch immer, als ob ihre Sehnen aus Draht wären und immer aufs neue belastbar.
Sie zogen mit zusammengepressten Lippen.
Zentimeter um Zentimeter.
Und wieder zog auch Fingerloos, der sich erholt zu haben schien und nun kräftiger wirkte als die anderen. Und sie hievten den Anker hoch, diese drei Männer.
Mit schonungsloser Direktheit schildert Friedrich Wolf in dieser eindrucksvollen Passage aus Der sichere Unterstand die grausame Realität des Krieges: Ein als sicher geltender Unterstand wird zur tödlichen Falle, ohne dass ein Schuss gefallen ist. Die verzweifelten Rettungsversuche der Kameraden scheitern an der Wucht der Zerstörung und an der brutalen Erkenntnis, dass es nichts mehr zu retten gibt. Diese Szene steht exemplarisch für Wolfs ungeschöntes literarisches Zeugnis vom Irrsinn des Krieges.
Der sichere Unterstand war unter der viel zu großen Last des Eisens und der schweren Steinquader zusammengebrochen, ohne dass eine Granate niedergegangen war. Vergebens mühten sich einige Landser, die schweren Bruchsteine in dem Gewirr von Eisen und Holz wegzuschaffen und die Begrabenen herauszubuddeln. Auch mein Unteroffizier und ich, wir zerrten mit vielen Hau-rucks an den Eisenschienen und schweren Blöcken. Ohne Stemmeisen und Äxte war jedoch hier nichts zu machen. Wir schaufelten noch mit kleinen Spaten und mit Kochgeschirren. Wir riefen die Namen der Verschütteten. Keine Antwort. In das Schweigen fiel die Stimme meines Unteroffiziers; es war nur ein Wort, das raue Wort des Feldsoldaten, das mir heute noch im Ohr klingt, unerbittlich und eindeutig, das Wort Knochenmatsch. Er hatte recht, der Unteroffizier, wie wir im Morgengrauen mit Hilfe eines Pionierkommandos feststellten Knochenmatsch.
Die Newsletter-Redaktion empfiehlt nochmals den Roman Die Neigung von Uwe Berger aus dem Jahre 1984, in dem es nicht nur um die Annäherung zweiter unterschiedlicher Menschen geht des Fahrers und der Ärztin.
Der Autor setzt sich in seinem spannenden Buch auch mit einem anderen wichtigen Thema auseinander mit dem Thema der Schweigepflicht. Und dabei geht es nicht nur darum, was der Patient dem Arzt anvertraut. Die Frage gilt auch andersherum dafür, was ein Arzt am Patienten versäumt.
Diese Frage und ihre Beantwortung im Interesse des Kranken ist ein Grundproblem in Die Neigung, der sich auch deshalb noch immer zu lesen lohnt.
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die fünf neuen Sonderangebote sind bereits ausgesucht und werden gerade zum Verpacken zusammengestellt.
In der nächsten Woche präsentiert der erste Newsletter im Monat Juni auch vier Romane von Adam Scharrer, darunter das Fragment eines Romans Der Mann mit der Kugel im Rücken, das allerdings erst 1979 im Aufbau Verlag Berlin und Weimar erschienen war.
Im Lazarett liegt ein Soldat - stumm, reglos, getroffen von einer Kugel, die nicht nur seinen Rücken, sondern sein ganzes Leben zeichnet. In eindringlichen Episoden erzählt Adam Scharrer die Geschichte eines Mannes, der das Töten verweigert - und dafür mit dem Schweigen der Gesellschaft bestraft wird. Zwischen den Fronten von Körper und Geist, Schmerz und Erinnerung, Krieg und Gewissen entsteht das Fragment eines Romans, das weit mehr ist als die Summe seiner Teile: ein radikales Zeugnis über Verletzung, Entfremdung und die Suche nach Würde.
Mit psychologischer Tiefe, politischer Klarheit und erschütternder Ehrlichkeit entwirft Scharrer ein literarisches Mahnmal gegen das Vergessen - und für die Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten.