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Erwachsenwerden auf dem Land, Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft und eine Suche nach Heimat - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 06.06.2025) – Immer wieder hat Adam Scharrer für seine Bücher auf eigenes Erleben zurückgegriffen, sein Leben in Literatur verwandelt. Das gilt auch für das fünfte und letzte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 13.06. 2025 bis Freitag, 20.06. 2025) zu haben sind – und von denen vier von Adam Scharrer stammen.

Erstmals 1935 erschien in der Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR Moskau und Leningrad seine Erzählung „Abenteuer eines Hirtenjungen“. Inmitten ländlicher Idylle und harter Arbeit erzählt Adam Scharrer in eindrucksvoller Sprache die Geschichte eines Hirtenjungen, der früh Verantwortung übernimmt - für die Tiere, für sich selbst und für das, was richtig ist. Ob beim Treiben der Herde, im Kampf mit einem wilden Stier oder im Streit um eine gestohlene Gans: Der Junge erlebt Abenteuer, die Mut, Ehrlichkeit und Widerstandskraft fordern.

Diese autobiografisch geprägten Kindheitserinnerungen fesseln mit lebendigen Naturbildern, feinem Humor und einer stillen Rebellion gegen die Härte des Alltags. Ein literarisches Kleinod über das Erwachsenwerden auf dem Land, über Menschen und Tiere sowie über das stille Heldentum eines Jungen und seines Hundes, der „Schweizer“ heißt.

Für das E-Book wurde die Erzählung dem Sammelband „Der Mann mit der Kugel im Rücken“ entnommen, der 1979 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar erschienen war.

Auch die anderen drei Texte von Adam Scharrer des heutigen Newsletters wurden 1979 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar veröffentlicht.

Was bleibt, wenn man alles verloren hat - und wo beginnt ein neues Leben? Diese beiden Fragen prägen die Erzählung „Die Heimkehr des Ludwig Barbareck“. Der kehrt aus Krieg und Gefangenschaft zurück in eine Welt, die es nicht mehr gibt: Der Hof in Ostpreußen ist niedergebrannt, der älteste Sohn gefallen, die Familie verschollen. Inmitten zerbombter Städte, Notquartiere und schwerer Waldarbeit trifft er auf Wölfel, einen wortkargen Arbeiter, der trotz allem nicht aufgegeben hat. Zwischen Misstrauen, Müdigkeit und Hoffnung wächst eine stille Freundschaft - und eine Erkenntnis: Menschlichkeit und Zukunft beginnen dort, wo jemand bereit ist, wieder Wurzeln zu schlagen.

Ein bewegendes Zeitzeugnis, das ist die Erzählung „Der Mann, der seine Heimat suchte“. Als russlanddeutscher Kriegsgefangener wird Johann Ostermann auf einen badischen Bauernhof geschickt - zurück in jenes Land, das seine Vorfahren einst verließen. Dort begegnet er einer erschöpften Familie, die mit Verlust, Mangel und der Willkür der Kriegswirtschaft kämpft. Ostermann wird zum stillen Beobachter, zum Teil des Alltags, zum Spiegel einer zerrissenen Gesellschaft - und zum Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft.

Der fünfzehnjährige Erich Riednagel steht im Mittelpunkt der Erzählung „Der jüngste Bauer“. Im Chaos der letzten Kriegstage muss er mit seiner Familie aus Westpreußen fliehen. Der Vater ist gefallen, die Mutter verzweifelt, die Heimat verloren - und doch wächst der schmächtige Junge inmitten der Not über sich hinaus. Mit einem Pferdewagen, einem treuen Hund und einer Ziehharmonika wird Erich zum Versorger, Beschützer und Hoffnungsträger. Adam Scharrer zeichnet ein berührendes Porträt vom Erwachsenwerden in einer zerrissenen Welt - und davon, wie Hoffnung, Solidarität und Selbstbehauptung eine neue Heimat begründen können.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wieder einmal führt ein literarisches Zeugnis die entsetzlichen Schrecken des Krieges vor Augen.

1942 entstand die Erzählung mit dem bitteren Titel „Die Krüppelgarde“ von Friedrich Wolf – ein schonungsloses Zeugnis des Leides und der Verstümmelung, die der Krieg über seine Soldaten bringt. Durch die Augen eines verwundeten Soldaten erlebt der Leser die schmerzliche Rückkehr von der Ostfront im Lazarettzug. Zwei seiner Kameraden - einer mit einem zerstörten Gesicht, der andere gelähmt und verwesend - stehen für die Tausenden, die nicht nur körperlich, sondern auch seelisch gebrochen wurden. Diese eindringliche Erzählung konfrontiert uns mit der Frage: Was hat der Krieg den einfachen Soldaten wirklich gebracht? In einer Zeit, in der wir uns mit den Schatten der Vergangenheit auseinandersetzen müssen, ist dieses Werk ein kraftvolles Mahnmal gegen die Grausamkeiten des Krieges. „Die Krüppelgarde“ ruft uns in Erinnerung, dass hinter den Statistiken menschliche Schicksale stehen - Schicksale, die uns zum Nachdenken zwingen.

Hier der Anfang dieser Erzählung, für die es starke Nerven braucht:

Sie fragen mich, wie meine Heimfahrt von der Ostfront im Lazarettzug vor sich ging? Wissen Sie, ich denke da gar nicht an meinen amputierten Arm. Ich sehe bloß immer zwei Kameraden vor mir, und ich werde sie bis an mein Lebensende vor mir sehen. Dem einen hatte ein Minensplitter das ganze untere Gesicht weggerissen. Der Kopf war eigentlich nur noch Schädel und Augen, unter der Stirn war bloß noch eine einzige furchtbare Höhle, ein Riesenschlund. Immer wieder versuchte man, ihm hierdurch etwas Essen einzuflößen, aber er warf es sofort wieder heraus. Er musste dann mit einem Schlauch durch den Darm ernährt werden, da er es abgelehnt hatte, sich durch eine Operation eine Magenöffnung nach außen machen zu lassen. Er kam mir vor, wie ein schrecklich verstümmeltes, großes Kind, völlig hilflos.

Im kargen, oft grausamen Alltag eines Hirtenjungen zwischen Gänsen, Gewittern und kindlicher Grausamkeit wächst ein stiller Beobachter heran – einer, der anders fühlt, anders handelt, anders denkt. In dieser Leseprobe aus „Abenteuer eines Hirtenjungen“ lernen wir nicht nur die Härte des Landlebens kennen, sondern auch die innere Welt eines Jungen, der seine Menschlichkeit bewahren will – koste es, was es wolle. Doch inmitten von Spott und Einsamkeit findet er schließlich einen echten Freund …

Weniger ermüdend war das Hüten der Gänse. Doch von morgens elf bis abends acht Uhr, in den Schulferien den ganzen Tag, manchmal in eintönigem Regen oder bei brüllenden Gewittern, die Füße wund, die Kleider nass, ohne wärmendes Feuer: In dieser grauen und grausamen Einsamkeit vergehen die Stunden um ein vielfaches langsamer. Bald ging über mich das Gespräch im Dorf: „Der Hirten-Adam spinnt!“

Auch Vater und Mutter glaubten es. An einem sonnigen Sommertag waren Ausflügler auf den Anger gekommen. Ich hatte für die Gänse meiner Eltern Kornähren gesammelt und ließ sie aus meinem Hut fressen. Der Hund lag daneben, auch Mutter stand dabei; sie war auf dem Weg von der Kirche nach Hause. Die Ausflügler wollten Gänse, Hirtenjungen und Hund fotografieren. Ich war aufgesprungen und davongelaufen.

In Ottohausen war Kirchweih. Dort wohnte ein Onkel. Die Eltern konnten nicht zur Kirchweih gehen und schickten mich. Die Erwachsenen waren so stark mit sich beschäftigt, dass ich kaum beachtet wurde. Ich war grußlos wieder fortgegangen.

In der Stube des Kachlerbauern hing ein großes Bild. Ein Schloss, ein Teich davor, darauf schwammen Schwäne, ringsum Bäume und Blumen, die Besitzer und Gäste promenierten in schönen Kleidern. Über dem Bild stand: „Pfingstmorgen“.

„Dös gfällt dir gwiss?“, fragte mich die Bäuerin. Es war an einem Sonntag, kurz vor dem Austreiben.

„Su a Lebn, dös hält ma scho aus!“, sagte ich, noch ganz in Gedanken, und ließ die Bäuerin dann stehen.

Drei Gemeinden waren mit Gänseherden und -jungen auf dem Anger vertreten. Auch wenn die Sonne heiß vom Himmel brannte, die Bienen und Hummeln honigsuchend dahinsummten, die Frösche haufenweise neben- und aufeinander aus den Karpfenteichen quakten, Grillen und Vögel mit in das Konzert einstimmten, wurde die Langeweile zur Qual. Dann wurden trockene Kuhfladen auf in der Erde steckende Stöcke gespießt und angezündet. Reihenweise standen sie neben- und hintereinander, glimmten und rauchten und stanken mit dem Wind fort. Oder es wurden Grillen mit Grashalmen aus ihren Löchern gekitzelt, in Sandlöcher mit glatten Wänden gesperrt, wo sie „dressiert“ wurden. Sie mussten auf Holzstäbchen herumklettern. Die ihre Sache nicht gut machten, wurden zum Tode verurteilt. Sie wurden in einen Ameisenhaufen geworfen. Scharenweise fielen die Ameisen über sie her. In einigen Sekunden waren sie tot. Am raschesten verlor das Angeln von Fröschen seinen Reiz. Die hüpften dutzendweise zu gleicher Zeit nach der Angel. Doch die Froschschenkel, im Feuer gebraten, schmeckten nicht. Ein anderer Zeitvertreib musste her: Die Frösche wurden „geprellt“! Über einen Stein oder Baumstumpf ein Brett, auf der einen Seite der Frosch, auf die andere Seite wurde mit einem Knüppel geschlagen. Wer so stark zuschlagen konnte, dass der Frosch nicht nur sehr hoch flog, sondern platzte, war ein Held. Als der Hirtenjunge von Bäumelsberg auch daran keinen Gefallen mehr fand und er und ein anderer Junge aus dem Dorf damit begannen, den Gänserichen mit glühend gemachten Eisen ihren Liebeseifer auszubrennen, meldete ich dies den Bauern. Nun war ich – der sich nicht an den grausamen Spielen beteiligte – von einem Spinner zum Verräter geworden. Ich hatte nur einen Freund. Von diesem will ich hier berichten.

Nach dem Zusammenbruch nicht nur der alten Ordnung, sondern auch seines persönlichen Lebens kehrt Ludwig Barbareck zurück – doch nicht nach Hause, sondern in eine Welt der Provisorien, des Schweigens und der erdrückenden Vergangenheit. In der Enge eines notdürftigen Quartiers, im Alltag schwerer Arbeit und spärlicher Hoffnung beginnt für ihn eine stille Suche: nach Halt, nach seiner Familie – und nach sich selbst. Die folgende Passage aus „Die Heimkehr des Ludwig Barbareck“ zeigt eindringlich, wie tief die Narben des Krieges reichen und wie schwer der Weg zurück ins Leben sein kann.

Dem Hof nachzutrauern hatte also wohl keinen Zweck mehr, Barbareck kam jedoch nicht davon los. Er war nun einem Holzfällerkommando zugeteilt, und er schlief mit einem Trupp anderer Heimkehrer in einer nicht mehr verwendbaren Garage, die diese Heimkehrer sich notdürftig zum Quartier ausgebaut hatten, und es war ein gewaltiger Sturz von dem „Es war einmal“ bis zu diesem Holzfällerquartier. Dort hatte jeder seinen Schlafplatz und über der Lagerstatt einige Nägel zum Aufhängen seiner Sachen. In der Mitte stand ein Tisch. Als Sitzgelegenheit dienten einige roh zusammengezimmerte Schemel. Ein Kochherd hatte eigentlich den Ausschlag dafür gegeben, sich dieser Ruine von ehemaliger Garage zu bemächtigen. Man konnte also kochen, und ein paar Kartoffeln oder Kohl außer den regulären Rationen konnten dort zusätzlich aufgetrieben werden, und der Kampf um diese zusätzliche Suppe war neben der Arbeit eine der wichtigsten Fragen.

Die Arbeit war schwer, und Barbareck war ziemlich von Kräften gewesen, und dass er hier in dieser Garage gelandet war, die, gemessen an den städtischen Massenquartieren der Umsiedler, einige Vorteile bot, hatte er einem Kameraden zu verdanken, den er auch ganz zufällig kennengelernt hatte. Dieser Mann hieß Wölfel, und seine Familie, Frau und zwei Kinder, waren in Köln durch einen Bombenangriff ums Leben gekommen. Er war ein noch recht kräftiger Mann; irgendwo hatte er eine eigene Säge, ein Beil und eine Dreikantfeile zum Schärfen der Säge und auch sonstiges Werkzeug ergattert; und eigentlich war er auch derjenige gewesen, dem die anderen Garagenbewohner das Wohnrecht in dieser Garage zu verdanken hatten. Barbareck wurde nicht recht klug aus diesem Mann. Warum er lieber mit ihm, Barbareck, zusammenarbeitete, leuchtete ihm ein. Die beiden waren mit dieser Arbeit vertraut. Mit jemand Holz zu sägen, der das nicht oder mangelhaft versteht, ist eine Qual. Die zweite Eigenschaft, in der sie übereinstimmten, war ihre Wortkargheit. Sie hatten sich beide ihr Schicksal berichtet, und mehr war nun nicht mehr dazu zu sagen, es sei denn, dass Barbareck die Suchanzeigen durchstudierte und die Zeitung und auch sonst nach seiner Familie herumhorchte. Er war bereits von einem ihm selbst ganz fremd anmutenden Fatalismus befallen, aber auch von einer Art hartnäckiger Neugierde. „Einmal werde ich es ja erfahren, was aus ihnen geworden ist“, sagte er. „Nun ja, und dann, mal sehn, was ich mit mir selbst mache.“ Es war dies so eine Art Drohung, und Barbareck wusste selbst nicht, gegen wen sich diese Drohung eigentlich richten sollte. Genaugenommen zweifelte er selbst, dass er auch im schlimmsten Fall Schlussfolgerungen aus dieser Drohung ziehen würde.

Heimat – ein Wort, das für Ostermann mehr Fragen als Gewissheiten bereithält. Zwischen Notunterkunft und Hagebuttentee, zwischen Hunger, Kriegserinnerungen und verlorenem Familienanschluss entfaltet sich ein leises, eindringliches Gespräch über Entwurzelung, Verlust und das verzweifelte Suchen nach Zugehörigkeit. Die folgende Szene aus „Der Mann, der seine Heimat suchte“ zeigt, wie brüchig die alten Sicherheiten geworden sind – und wie schwer es ist, im Fremden etwas Vertrautes zu finden.

Frau Kißling verzog ihr faltiges, kränkliches Gesicht zu einem verlegenen Lächeln und verschwand mit dem Topf in der Küche. Dann brachte sie Pantoffeln für ihren Mann und nahm ihm die Pelerine ab. „Wir werden nämlich von der Kriegshilfe unterstützt“, sagte Kißling. „Unser Mittagessen müssen wir vom Kloster holen.“ Ostermann setzte sich auf die Bank und streichelte die Katze, die durch das Fenster erstaunt auf die durcheinanderspringenden Hagelkörner schaute.

Frau Kißling brachte Hagebuttentee. „Brot haben wir leider keines im Haus“, sagte Kißling. „Wir bekommen erst übermorgen neue Brotkarten, und bei zwei erwachsenen Menschen lässt es sich schwer einrichten.“ Er wärmte seine Hände am Teeglas und fragte dann: „Wie geht es eigentlich den deutschen Kolonisten in Russland?“

Ostermann hatte lange Zeit keine Nachrichten aus der Heimat erhalten. Die letzte war von seinem Bruder. Er war an der türkischen Front bei einem Straßenbaukommando. Er hatte geschrieben, dass ihm und seinen Kameraden die Kleider in Fetzen vom Leibe hingen, dass das Essen so schlecht und unzureichend sei, dass schon viele Kameraden gestorben seien. „Vielleicht wird der Brief abgefangen“, fürchtete der Bruder, „dann steht mir sicher noch Schlimmeres bevor! Aber ich wollte Dir schreiben, solange ich noch schreiben kann.“

„Diesen Brief habe ich noch vor meiner Gefangenschaft erhalten“, sagte Ostermann. „Ob mein Bruder noch lebt, weiß ich nicht. Meine Schwestern arbeiten als Mägde bei deutschen Bauern, auch meine Mutter, sie ist über sechzig Jahre alt.“

„Unter den Kolonisten gab es also vor dem Kriege schon viele verarmte?“, fragte Kißling.

„Viele. In unserem Dorf gibt es heute mehr landlose Kolonisten als Landbesitzer. Auch ich arbeitete von meiner Kindheit an als Knecht.“

Kißling stopfte sich eine Pfeife und erzählte dann: „Ich war achtunddreißig Jahre Lehrer und kenne die Geschichte unseres Volkes ziemlich gut. Aus unserem Land sind viele ausgewandert. Es war um die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Eine Zeit wie jetzt, wo auch niemand wusste, wann endlich die Menschheit wieder einmal zur Ruhe kommen wird. Auch noch in der Napoleonzeit sind viele fort, nach Amerika, Australien, Argentinien und Russland. Von den Auswanderern nach Russland sind schon auf der Reise viele durch Cholera und Typhus umgekommen und viele andere später, weil sie mittellos und ohne Obdach in den russischen Winter hineingeraten sind. Nun sind wir wieder soweit zum Auswandern, aber wohin?“ Kißling trank in kleinen Schlucken von seinem Tee und begegnete dem ängstlichen Blick seiner Frau. Er fuhr fort: „Sie haben es noch gut getroffen. Die Eckerts sind brave Leute. Die Frau stammt überdies von drüben, aus dem Elsässischen, er hat sie kennengelernt als Soldat.“

Der zweite Weltkrieg ist zu Ende, doch für Erich beginnt der eigentliche Kampf erst jetzt – der Kampf um einen Platz im Leben, um Verantwortung, Heimat und Würde. In einem verlassenen Gutshof findet der junge Flüchtling mit seiner Familie notdürftig Unterschlupf. Was wie ein Zwischenhalt wirkt, wird zum Neubeginn. Die folgende Szene aus „Der jüngste Bauer“ erzählt von einem Jungen, der in die Rolle des Mannes hineinwächst – ernst, pragmatisch und mit einem Herzen, das noch an der alten Heimat hängt, während es sich schon der neuen zuwendet.

Erich war lang aufgeschossen, den Sachen nach zu urteilen, so groß wie der Vater, nur dem Umfang nach fehlte es noch. „Doch das macht nichts“, sagte er, „da wachse ich schon hinein.“ Dann ging er in den Hof, gab dem Gaul etwas Hafer nach dem Heu, dann Wasser, machte ihm ein Bett aus dem Laub, das er unter den Bäumen des ehemaligen Gutsparkes zusammenrechte. Von der Hauswand zum Wagen spannte er den großen Plan zum Schutz vor Regen und wies dort auch dem Kürass seinen Platz. Dann setzte er sich zu seinem Gaul und seinem Hund. Durch die aufkommende Dämmerung blinzelten bereits die ersten Sterne. Die Schwestern standen an der Flüchtlingsküche nach Suppe und Brot an, und die Mutter sprach in der Stube mit der Wirtin, einer Tagelöhnerin. Sie war ohne Nachricht von ihrem Mann, und sie selbst und ihr volljähriger Junge gruben bei einem Bauern Kartoffeln aus. „Jede Hand wird gebraucht!“, sagte die Wirtin. „Auf jede Kartoffel kommt es an, denn nach diesem Krieg, das wird ein harter Winter werden.“ Und dann hörte Erich noch, dass das Gutsland im Dorf aufgeteilt werden sollte.

Es war ein noch leidlich warmer Herbstabend, und das Gefühl, nun unter Dach und Fach zu sein, am Morgen nicht wieder fortzumüssen, wirkte sich beruhigend aus auf das noch jugendliche Gemüt Erichs. Schier wie ein Wunder war es, dass sie hier durchgekommen waren und wie sie es nun doch noch getroffen hatten. Der Hof lag gut von der Straße versteckt, durch Tor und Zaun von der Straße gesichert, und war von der Stube her leicht zu übersehen. Wagen und Pferd waren somit vorerst in Sicherheit, aber die Bekanntschaft mit diesem Dorf und diesem Hof forderten nun doch zu Vergleichen heraus mit der verlassenen Heimat. Doch die kam ja nicht mehr in Frage, es war nur ein Abschiednehmen, eine Rast nach einem weiten, abenteuerlichen Marsch vor dem Sprung in das nun Kommende, aber in diesem Abschiednehmen sah Erich nach langer Zeit nun wieder seinen Vater vor sich, und er erinnerte sich deutlich seiner Worte beim letzten Abschiednehmen. „Ich verlasse mich auf dich, Erich“, hatte er gesagt, als er wieder in den Krieg fortmusste. „Du bist jetzt der einzige Halt für die Mutter und die Mädel, aber ich glaub daran, dass du deinen Mann stehen wirst.“ Erich sah das zerquälte Gesicht seines Vaters vor sich, sein verkrampftes Lächeln, spürte den liebkosenden Schlag auf seiner Schulter, und nun erst wurde er sich der Verantwortung bewusst, die auf ihm lastete. Jetzt sollte ein neues Leben beginnen, und dieses Dorf sollte eine neue Heimat werden, und nun kam es also darauf an, zu beweisen, ob man eine Sache gut zu Ende zu führen verstand, wie man es dem Vater in die Hand versprochen hatte. Erich holte seine Ziehharmonika aus der Truhe, setzte sich wieder neben seinen Hund und seinen Gaul und begann zu spielen. „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum.“ So nahm er auf seine Art Abschied von seinem Heimatdorf, und so begrüßte er auf seine Art seine neue Heimat, und bald versammelten sich Jungen und Mädel und auch einige Alte um den jungen Musikanten und schlossen mit ihm Bekanntschaft und drückten ihm zum Gute-Nacht-Gruß die Hand, und aus der Bekanntschaft mit seinen Zuhörern ergab sich für Erich: Jetzt gilt es also, sofort mit dem Bürgermeister zu reden, wie man den Gaul zur Arbeit ausnützen kann, zum ersten wegen der Arbeit selbst, zum zweiten musste der Gaul nun sein Futter selbst verdienen und seinen Platz in einem Stall haben. Und natürlich wollte Erich auch selbst arbeiten, womöglich mit dem eigenen Gaul, wenn auch nicht auf eigenem Land. Diesen Plan trug er ohne Scheu und mit sachlichem Ernst dem Bürgermeister vor, und was diesem in erster Linie auffiel, war dies, dass dieser Sechzehnjährige wie ein Familienvater mit ihm sprach. „Und deinen Gaul möchtest du also behalten?“, fragte der Bürgermeister. „Das möchte ich!“ antwortete Erich. „Falls wir mal eigenes Land bekommen, wäre es doch gut, wenn ich selbst ackern könnte.“

Nein, es macht verdammt noch mal keinen Spaß vom Krieg zu reden. Und nein, es macht verdammt noch mal keinen Spaß, jeden Abend in den Nachrichten vom Krieg zu hören und den Krieg sogar live sehen zu müssen. Solche Nachrichten machen sehr, sehr traurig. Und ganz ehrlich gesagt, da möchte man am liebsten ab- und ausschalten. Oder geht es Ihnen anders?

Aber das Ab- und Ausschalten hilft leider nicht. Da hat man vielleicht selbst seine Ruhe, aber der Krieg geht weiter. Bleibt die Frage, was man tun kann, ob man überhaupt etwas tun kann – gegen die vielen Kriege in der Welt, von denen man manchmal kaum etwas hört – außer wenn in jährlichen Berichten die Millionen von Opfern zusammengezählt werden.

Zugleich erleben wir derzeit eine seit Jahren nicht gekannte Aufforderung zur Kriegstüchtigkeit der Bundesrepublik, zur möglichst schnellen Aufrüstung und viel Jubel über die beispiellos wachsenden Aktienkure deutscher Rüstungskonzerne. Sie verdienen schon jetzt an der Produktion todbringender Waffen und militärischer Ausrüstung, suchen sogar fast verzweifelt nach neuen Standorten und Mitarbeitern, vorzugsweise gut ausgebildete Facharbeiter. Es geht also um die Sicherung von Arbeitsplätzen, so ein dieser Tage oft gehörtes Argument. Und auch die Aktionäre freuen sich natürlich über die erhöhten Kurse, versprechen sie doch schöne Dividenden.

Was aber kann man denn heute gegen den Krieg und für den Frieden tun? Gerade heute?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, zumal einige dieser Kriege und Konflikte inzwischen schon jahrzehntelang dauern, scheinbar unendlich – und ein Ende ist nicht in Sicht – siehe zum Beispiel den Nahostkonflikt und den Krieg im Gaza. Aber auch die Auseinanderzungen zwischen Russland und der Ukraine gehen trotz zaghafter Verhandlungen unvermindert weiter – mit vielen Toten und Verletzten auf beiden Seiten!

Aber gerade Verhandlungen sind ein bewährtes, wenn auch schwieriges Mittel, um Kriege zu beenden. Dafür gibt es mehrere Beispiele. Allerdings kommt es auf gute Verhandlungen an. Gute Verhandlungen sind solche, bei denen die Partner nicht zuletzt nach gemeinsamen Interessen und nach Lösungen suchen, die für beide Seiten nützlich sind. So kann auch für schwierige Gespräche ein positiver Ton gefunden werden.

In einer Sendung des Norddeutschen Rundfunks (NDR) vom Oktober vergangenen Jahres unter dem spannenden Titel „Wie werden wir Kriege los?“ machten die Autoren auch noch auf einen anderen Punkt aufmerksam. So hieß es in der Kurz-Zusammenfassung zum Thema „Kriege verhindern, bevor sie ausbrechen“: „Noch besser wäre es, Kriege zu erkennen und zu verhindern, bevor sie ausbrechen“: Und was lässt sich grundsätzlich tun, um Frieden zu erhalten? Schon der Philosoph Immanuel Kant (1724 - 1804) glaubte, die Lösung gefunden zu haben: Die Staatsform der Demokratie führe zu ewigem Frieden, wenn das Volk mitreden dürfe. Und die Forschung bestätigt die Behauptung, dass zumindest Demokratien keine Kriege gegeneinander führen.

Frieden zu schaffen und zu erhalten, etwa mithilfe der Demokratie, hat auch direkt etwas mit uns selbst zu tun, betont die Friedensforscherin Ursula Schröder. Trotz der aktuellen Kriege meint Schröder: Es gibt keinen Grund zu sagen, dass die politische Utopie eines Weltfriedens nicht umsetzbar sein könnte.“

Wenn das stimmt, dann bedeutet das aber vor allem, dass das Volk über Krieg und Frieden mitreden muss – und zwar ebenso wissend wie lautstark und zahlreich. Und das nicht nur zu Wahlkampfzeiten.

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Gestern waren zwei Transporter nach Pinnow unterwegs, um dort die nächste Bücherladung abzuholen.

Auch in der nächsten Woche stehen wieder vier Texte von Adam Scharrer als Sonderangebote zur Auswahl. Dazu gehören seine „Essays über Politik, Kultur und die Macht der Worte“, die 1979 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar veröffentlich wurden. Der Autor legt mit diesen Aufsätzen eine kraftvolle Sammlung literarischer, politischer und autobiografischer Reflexionen vor. Mit analytischer Klarheit, bissigem Humor und unerschütterlicher Haltung seziert er das Verhältnis von Kultur, Ideologie und Klassenkampf - von der expressionistischen Kunstdebatte bis zur literarischen Aufarbeitung von Faschismus und Exil.

Diese Sammlung ist ein authentisches Dokument proletarischen Denkens von seltener Dichte und ein eindringlicher Ruf nach gesellschaftlicher Verantwortung in der Kunst - aktueller denn je.

Hier das Inhaltsverzeichnis dieses E-Books:

PROLETARISCHE KULTUR UND REVOLUTION

POLITISCHES THEATER

TRAVEN UND SEIN ERFOLG

PAUL BERGLAR-SCHRÖER, „BAUERN IN NOT"

STATT EINER BIOGRAFIE

KOSAKEN UND DEUTSCHE

STEFAN WENDTS „INSEL IM VATERLAND“

ALLES VERLOREN - ALLES GEWONNEN SINN UND BEDEUTUNG UNSERER BÜCHEREIEN

DIE HEIMKEHRER

DEUTSCHE SCHRIFTSTELLER IM EXIL

„DER HIRT VON RAUWEILER“

ÜBER DIE „IDEE“ DES EXPRESSIONISMUS

„IN JUNGEN JAHREN“

ÜBER MICH SELBST

DIE VVN - IHR GESICHT UND IHR GEWICHT

WIEDERSEHEN

BEGEGNUNG MIT BARLACH

ÜBER DEN REALISMUS IN DER LITERATUR

„IHR NAHT EUCH WIEDER, SCHWANKENDE GESTALTEN!“

BIOGRAFIE

 

DDR-Autoren: Newsletter 13.06.2025 - Erwachsenwerden auf dem Land, Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft und