Komplizierend wirkten bereits die Ereignisse auf dem gerodeten Streifen an der Chaussee nach Bisagua: Dort blieb Inocencio, während die anderen davonstürzten, im Feuer der Portugiesen stehen, und dann lief er zu Seku, der offenbar auf eine Mine getreten war.
Das nackte Erdreich, das neben ihnen aufspritzt, der Schwerverwundete, der den Mund aufreißt, der sich krümmt ...
Später meinte Inocencio, das alles sei völlig lautlos geschehen. Kein Schmerzensschrei, weder das Geknatter von Abschüssen noch das Hacken von Einschlägen, nicht das Pfeifen vorbeifliegender Kugeln und nicht das Gebrüll der Portugiesen in knapp hundert Meter Entfernung ...
Inocencio hörte nur das eigene Herz hämmern, den eigenen Kopf dröhnen.
Er hatte Seku unter den Armen gepackt, ihn aufzurichten versucht. Vergebens. Die Beine hingen schlaff am übrigen Körper, der zunächst nicht einmal sonderlich schwer erschien.
Das Gewicht des Verwundeten spürte Inocencio erst später. Da hatte er ihn, nach wie vor im Feuer von der Chaussee her, zum Waldrand geschleift und, ohne sich zu verschnaufen, weiter, noch ein Stück in den Busch. Hier, wo die Entlaubungsmittel nicht mehr hingelangt waren und dichtes, verfilztes Gestrüpp anfing, wo im übrigen nur noch vereinzelt Kugeln, meist Querschläger, das Laub peitschten - hier wollte sich Inocencio den Schwerverletzten auf die Schulter laden.
«Lass mich, Gali, lass mich, lass!»
Es waren die ersten Worte, die er wieder wahrnahm, und sie berührten ihn seltsam. Er fragte sich: Was machst du eigentlich? Wozu das? Weshalb lässt du ihn nicht tatsächlich liegen?
«Bist ein Kumpel, Gali, ein Kamerad, ein Kerl. Doch, bist du. Wenns mich nicht erwischt hätt und ich nicht hin wär, nicht ..., nicht ..., nicht ...»
Etwas schien auszusetzen, sich zu verwirren, und jetzt erst, da Seku verstummt war, wurde Inocencio bewusst, wie klar und verständlich der Verwundete geredet hatte.
Er fasste ihm an die feuchte, schweißige Stirn.
«Lass mich, Gali! Mir ist nicht zu helfen. Die Beine, alles - wie weg.»
Vom Mond fiel nur ein Schimmer durch das Geäst - trotzdem genug Licht, die Verletzungen zu erkennen. Der rechte Fuß war ein unförmiger Klumpen, und auch am linken Bein glänzte Blut.
«Ich muss dich verbinden.»
«Lass doch, Gali!»
«Red nicht! Wenigstens abbinden muss ich.»
Er riss ein paar Streifen von seinem Hemd, schlitzte die Hosenbeine des Verwundeten auf, legte unterhalb der Knie eine Blutsperre.
Noch damit beschäftigt, hörte er plötzlich Geknatter, das von der Straße herdrang. Entweder war dort die ganze Zeit schon geschossen worden, oder die Portugiesen hatten bei ihrem blockierten Konvoi, weshalb auch immer, wieder das Feuer eröffnet.
Zu folgen schienen sie jedenfalls nicht.
Oder wagten sie sich nun doch noch über den verminten Streifen vor, hierher in den Wald?
Inocencio zog das Stoffband fest, verknotete es mit zittrigen Fingern, lud sich Seku auf den Rücken. Er vernahm das Stöhnen des Verwundeten und hörte, wenn nicht alles täuschte, von der Straße her heftigen Schusswechsel; fern dumpfes Wummern ...
Das Gestrüpp peitschte und zerkratzte Inocencio die Haut, und Lianen, Wurzeln, Löcher am Grund wurden zu Fußangeln. Inocencio stolperte, fing sich, strauchelte wieder, keuchte weiter mit seiner Last ... Bald konnte er das Hämmern seiner Pulse nicht mehr vom Geknatter der Schüsse unterscheiden, und brennender Schweiß nahm ihm die Sicht.
Irgendwann - weniger Unterholz, eine gewundene Schneise, ein Pfad durch das Dickicht. Inocencio folgte ihm, ohne dass es ihm zunächst bewusst war; er spürte nur, dass er leichter vorankam.
Schwer genug war es noch immer. Nach wie vor keuchte Inocencio, brannte ihm Schweiß in den Augen, dröhnte es ihm in den Ohren. Mit letzter Kraft schleppte er sich und den Verwundeten weiter.
Die beiden Gestalten, die plötzlich da waren, bemerkte er erst, als sie ihn anhielten. Vor ihm auf dem Pfad - ein Schemen, die verschwommene Silhouette eines Menschen mit einem Stecken oder einem Gewehr, daneben, etwas geduckt, ein zweiter Mann.