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Lockerlangbarts Geheimnis. Märchen aus der Gegenwart für kleine und große Kinder von Reinhard Bernhof
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
17.07.2023
ISBN:
978-3-96521-958-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 68 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Tiere/Allgemein, Kinder-und Jugendbuch/Tiere/Meeresflora und -fauna, Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Märchen und Folklore/Allgemein, Kinder-und Jugendbuch/Natur und die natürliche Umwelt/Allgemein, Kinder-und Jugendbuch/Fantasie und Magie, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Drogen, Alkohol/Substanzmissbrauch, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Vorurteile und Rassismus, Kinder-und Jugendbuch/Kurzgeschichten
Kinder/Jugendliche: Kurzgeschichten, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Drogen und Sucht
Märchen, Kürbis, Tbilissi, Sowjetunion, Kopeke, Pfennig, Riesenkürbis, DDR, Pappel, Ferien, Junge, Regen, Sonne, Flugzeuge, Satelliten, Sputniks, Kosmonauten, Kinder, Möwe, Fischer, Freundschaft, Clown, Delfin, Schwarzes Meer, Muscheln, Meeresgeschichten, Insel, Heimweh, Sehnsucht, Mutterliebe
10 - 99 Jahre
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Die Container-Alte und das Gewissen

Sie wusste nicht, wohin sie heute gehen sollte. Aber sie ging. Wohin sie nur gehen mag? fragte sich der weiße Spitz neben ihr an der Leine. Doch dann brauchte er nicht mehr lange zu überlegen, denn sie ging zum Gerümpelcontainer.

Auf dem Weg dahin radelte Schabrowsky vorbei, er grüßte. Den kenne ich schon lange nicht mehr, sagte sie zum Spitz und spuckte aus als Kriegserklärung. Schabrowsky hatte ihr einmal aus dem Container ein fast neues Dampfbügeleisen vor der Nase weggeschnappt. Bei diesem Gedanken übersah sie die feuchten Blätter auf dem Bürgersteig und rutschte aus. Der Spitz aber hatte die Situation erfasst und zog stramm an der Leine, so dass sich die Alte vor dem drohenden Sturz abfangen konnte.

Ein Glück, dass ich dich habe, Walter, sagte sie zum schlauen Spitz. Was mögen wir heute wieder finden? Hoffentlich so viel, dass es für eine Flasche Weinbrandverschnitt reicht.

Sie legte noch einen Schritt zu, und Walter, der ja nur Mini-Füße hatte, vier, fünf.

An der Ecke, wo der Container stand, war es leer, das heißt, es waren keine Leute da, die etwas suchten oder Dosenbier tranken. Da steht uns wenigstens keiner im Weg, sagte die Alte. Aber da sah sie doch einen krummen Rücken in der Blechkiste, sie erkannte Schabrowsky. Mist, dass er meistens den Container ansteuert, mir immer zuvorkommt, fluchte sie.

Der Spitz sprang auf den vielen prall gefüllten Plastesäcken herum, die davor standen, und wühlte darin mit der Schnauze. Findest auch nichts, sagte sie zu Walter. Sie prüfte eine fleckige Aktentasche, sie war mit alten Zeitungen ausgestopft. Nix drin. Rein gar nix.

Schabrowsky, der sich plötzlich aus dem Container beugte, rief: Erna, gibt es dich noch!

Und ob es mich gibt, sagte sie zischelnd und gereizt, aber sie würdigte ihn keines Blickes.

Walter kläffte, als ein Mann vom Fahrrad stieg, seinen Boxer an der Leine mit mürrischer, geifriger Schnauze, der grimmig wirken wollte, aber in Wirklichkeit gutmütig war, denn er schnüffelte am Spitz herum, dem es gefiel und mit dem Bellen sofort aufhörte.

Du wohnst in der Jordanstraße, stimmts? fragte der Hinzugekommene die Alte.

Sie sah ihn verdutzt an.

Ich kenne dich schon, seitdem du aus der Schule bist. Habe dich immer wieder mal gesehen, aber nie von der Nähe, sagte der Mann.

Nichts versäumt, knurrte die Alte. Zuckte die Schultern. Bist du Kapitulsky-Rudi, vom Turnverein?

Na wer wohl sonst.

Hast dich wacker gehalten.

Und ob. Bin noch immer bei den Turnern. Von wegen Bauch und Krampfadern. Flexibel muss der Mensch sein.

Schabrowsky kroch aus der Kiste und rief zu dem Mann: Verzieh dich! Das ist mein Revier!

Will dir nicht ins Handwerk fuschen, rief Kapitulsky-Rudi. Wollte nur die Bücherkiste loswerden. – Und schwupp, war er wieder auf dem Fahrrad.

Den kennste wohl, Erna? fragte Schabrowsky.

Der war damals sogar Vorturner im Verein. Rudi kennt doch jeder.

Ein Roter, sagte Schabrowsky.

Komm mir nicht so, sagte die Alte. Leute mit Farben zu vergleichen. Ob rot oder grün, blau oder schwarz. Die Hauptsache, es sind Menschen.

Und wer sind die Blauen? fragte Schabrowsky.

Na diese Adeligen, die mit dem blauen Blut, das noch keiner gesehen hat, die wieder einen Kaiser haben wollen. Die Zeitungen, die Sender sind doch voll von Adelsgetrief.

Das stimmt, sagte Schabrowsky. – Aber Politik ist für mich gegessen. – Fand neulich ein Foto von dir im Container. Warst mal eine verdammt hübsche Frau.

Hab ein paar Schubladen aufgeräumt. Altes Zeug nur, sagte sie. Zum Verlieben. So gut hast du mal ausgesehen, sagte er.

Äh, hör auf. So ’n Käs, schimpfte sie. Wir werden alle mal älter. Mal früher, mal später. – An deinem Gebiss haschen ja schon die Fliegen.

Nee, ehrlich. Sahst verdammt gut aus, wiederholte Schabrowsky. Er fasste in die Jacke, zog ein postkartengroßes Foto heraus. – Hier, kennste die!

Hast dich wohl damit belastet, sagte die Alte.

Willst du es zurück haben?

Kannste behalten. Wenn du damit glücklich bist, sagte die Alte. Danke, sagte Schabrowsky. Ich trage es immer bei mir. Es gefällt mir. Geht mir durch die Wirbel.

Durch die Wirbel! Da lacht ja der ganze Hühnerhof! rief die Alte.

Walter zerrte an der Leine. Bleib ruhig, Walter, sagte sie. Werde nicht gleich eifersüchtig, wenn ich Herrenbekanntschaft mache. – Aber Walter zerrte immer heftiger, bellte Schabrowsky an und zog Leine.

Abends im Bett wartete die Alte auf den Schlaf, der nicht kommen wollte. Nie ist er pünktlich, dachte sie. Stand noch einmal auf und blickte zu Walter, der sie von der Ofenecke mit einem Auge ansah. Sie wusste nicht, ob sie fluchen oder lieber die Sterne zählen sollte. Aber sie wusste, dass sie beim Fluchen immer aufgeregter werden würde und dann überhaupt nicht mehr einschlafen konnte. Da hilft nur ein Weinbrandverschnitt. – Walter hingegen fühlte sich wohl in der Ofenecke, die jetzt seine war, als wäre sie geheizt und draußen Winter.

Lockerlangbarts Geheimnis. Märchen aus der Gegenwart für kleine und große Kinder von Reinhard Bernhof: TextAuszug