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Eiserne Hochzeit von Gerd Bieker
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
28.01.2022
ISBN:
978-3-96521-598-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 344 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Familie/Generationsübergreifend, Kinder-und Jugendbuch/Lebensstile/Landleben, Kinder-und Jugendbuch/Liebe und Romanze
Kinder/Jugendliche: Gegenwartsliteratur, Kinder/Jugendliche: Liebesromane, Freundschaftsromane, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Zweite Hälfte 20. Jahrhundert (1950 bis 1999 n. Chr.), Sachsen
Feuerwehr, Brand, Feier, Erzgebirge, Liebe, Familiengeschichten, Freundschaft, Dorfleben
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Der Hahn flatterte wutkreischend über die Gartenmauer, als ich in Badehosen ums Haus rannte und über die Wiese zum Dorfbach hinunterspurtete, das Handtuch mit den chinesischen Erpeln drauf wie eine Fahne schwingend. Mannhaft stieg ich über die Einfassungsmauer ins zerrspiegelnde Wasserplätschern hinein, es ging mir bis zum Schienbein und war kalt, klar bis auf den Grund.

Zwei Frauen radelten auf der Dorfstraße vorbei. Sie unterbrachen ihr Gespräch, als ich aus Bachesmitte den zahnpastabeschäumten Mund grimmig bleckte, fuhren stumm weiter und sahen sich oft um.

Im Hof oben war Urgroßmutter Fanny damit beschäftigt, die Hühner zu füttern. Hutzlig gebeugt verstreute sie Körner, ließ gerecht jedem Federvieh seinen Teil zukommen, und obschon alle versammelt waren einschließlich des eifersüchtigen Gockels, sandte sie weiter ihre Lockrufe aus: put, put – put, put – put, put.

Die Hennen huschten fahrig umher.

Ich machte, das Handtuch um den Hals geschlungen wie ein Boxer, eine Verbeugung: Guten Morgen, Oma.

Schon früh auf den Beinen, junger Mann?

Der Hahn, erklärte ich, der verdammte Suppenkandidat.

Soso, mein Hahnrich, sagte sie, kicherte in sich hinein und warf dem Vieh eine Extrahand Körner hin.

Unsere Sabine ist ein sauberes und anständiges Mädchen! fuhr sie mich aus heiterem Himmel an. Merk dir das, junger Mann! In jeder Beziehung!

Aber das weiß ich doch, Oma, sagte ich in meiner Verblüffung etwas dümmlich.

Sie machte: kscht! zu den Hühnern und zu mir.

Was ist los mit Ihnen, Oma?

Mit mir? Nichts ist los. Kscht! Nenn mich gefälligst nicht Oma.

Ich stand noch eine Weile herum, klatschte mir unschlüssig auf den nackten Oberkörper. Dann holte ich meinen Rasierapparat aus dem Zelt und suchte mir eine Steckdose. Die Alte schaute ungehalten hoch, als ich vorbeiging, aber sie rief mir nach: Im Waschhaus kannst du dich rasieren. Du musst den Sicherungsknopf reindrücken.

Danke, Fanny-Muttchen, sagte ich.

Sie brummelte zu ihren Hühnern oder zu sich selbst, das Waschhaus und der Abort wären noch die einzigen Orte im Häusel, wo nicht jemand einquartiert wäre für diese verrückte Feierei, die werweißwas koste und wo auch noch werweißwelche fremden Leute dazukämen, und womöglich müsste man noch den ganzen Hühnerhof schlachten und den Weckhahn dazu, nur, damit man denen die verfressenen Mäuler stopfen könne, die sie sich hinterher sowieso zerreißen würden.

Sie hatte sich geirrt, im Waschhaus war auch schon einer. Der alte David, ihr Mann, sortierte auf der Waschbank Kartoffelschalen und Möhrenkraut in flache Tonschalen, die Futternäpfe der Stallhasen.

Er trug keine Baskenmütze, und der silbrig schimmernde Stoppelkranz um seine Glatze ließ ihn älter erscheinen als gestern. Überhaupt wirkte er auf mich heute in Hemdsärmeln irgendwie gesetzter, er war nicht so aus dem Häuschen, hampelte nicht so herum. Wahrscheinlich lag das aber nur daran, dass er jetzt nüchtern war, gestern dagegen schon einen leichten Hieb weggehabt hatte. Und dann einen etwas schwereren.

Ich rasierte mich, und beim Summen meines Apparates schwatzten wir über alles mögliche, über das Viehzeug, das sie schon immer mal abschaffen wollten, weil es mehr Arbeit machte, als unterm Strich rauskam, zumal es im Dorfkonsum genug frische Eier gab und fix und fertig ausgeschlachtete Karnickel das ganze Jahr lang; über einen Enkelsohn Rainer, der oben im Ministerium Außenpolitik machte und darüber sein bisschen Innenpolitik vergaß, weil er sich seitdem nicht einmal mehr hatte blicken lassen bei den beiden Alten, die ihn mit Paketen noch übers Studium hin gefüttert hatten; über das beiderseitige Fernsehen redeten wir, über die Lage in Nahost und übers Wetter – der alte David behauptete, solch eine Dämse wie in diesem Jahr sei ihm in seinen vielen Sommern, soweit er sich erinnern könne, noch nicht vorgekommen; ich steuerte etwas zum Kopfschütteln über die polnische Landwirtschaft bei und erklärte meine Antihaltung gegen ’s Rauchen. Es war eines jener unkomplizierten Männergespräche, wie ich sie mochte, seit ich mich daheim mit dem Drechsel-Bruno befreundet hatte; wir saßen auch manchmal beisammen und quatschten uns ziellos durch die Weltgeschichte.

Alte Leute brauchen das so sehr wie Vitamine.

Wir trugen die Fressnäpfe zu den Ställen. Die Karnickel drängten sich schnuppernd nach vorn, als wir die Maschendrahtverschläge aufriegelten. David erklärte mir die Rassen: zwei Belgische Riesen, eine Hecke Angorakaninchen mit Wollpuscheln an den Ohren, vier Weiße Wiener mit roten Augen und gegen die Ratten ein Meerschweinchen, das Egon hieß.

Hol einen Armvoll Heu aus dem Schuppen, Jot, bat David. Ich geh noch die Leiter hoch wie Piccard im Ballon, aber mit dem Herunter hapert’s, das sind die Jahre, Jot.

Er sagte immer noch Jot zu mir, und ich bildete mir etwas darauf ein, selbsterfundene zweite Namen sagt man nüchtern nur Leuten ins Gesicht, mit denen man sich gut steht.

Fast wäre ich rücklings wieder hinuntergefallen, als ich auf der Schuppenleiter in die Bodenluke kraxelte.

Dort lag im Heu die schlafende Venus des guten alten Giorgione, wie man sie sonst nur im Oberlichtsaal Nummer einhundertachtzehn der Dresdener Zwingergalerie oder auf den von Jugendweihlingen besonders begehrten Kunstpostkarten bewundern konnte. Zwar war diese Venus hier blond und aus Stuttgart, hieß Ingrid, verkürzt Inga, und war auch um einen schmalen Bikinislip bekleideter als jene Leinwandschönheit, aber sonst: die gleiche Haltung, das gleiche Traumgesicht.

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