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Das Siebentagebuch. von Brigitte Birnbaum
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
09.06.2012
ISBN:
978-3-86394-074-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 156 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Familie/Geschwister, Kinder-und Jugendbuch/Politik und Regierung
Kinder/Jugendliche: Familienromane, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Kinder/Jugendliche: Gegenwartsliteratur
Schloss, Ferienlager, Sowjetunion, Naziverbrechen, DDR-Grenze, Geschwister, Familienzwist
10 - 99 Jahre
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Heide Bliewernicht ist meine Tante. Unsere Betreuerin Heide Bliewernicht.

Gestern gab sie sich mir zu erkennen. Die anderen wissen es Gott sei Dank noch nicht. Und ich bitte Dich, verrate auch Du nicht Deinen Eltern, dass ich eine Tante habe. Vorerst muss es unser beider Geheimnis bleiben! Ehrenwort, ja?

Heide ist Vatis Schwester, sagt sie. Und Vati hat gar keine Geschwister. Das ist ein Ding, was? Wem soll ich glauben? Vati? Oder einer Fremden? Nur weil wir einen Namen haben?

Glaube ich ihr, bedeutet es, Vati hat mich angelogen! Jahrelang. Mich, sich, überhaupt alle. Mein Vati! Hättest Du ihm das zugetraut? Auch was er mir über Opa erzählte, scheint nicht die volle Wahrheit zu sein. Überhaupt ist durch Opa alles herausgekommen, und schuld daran hat der Herbergsvater. Er mit seinem Gerede.

Es gibt Anzeichen, dass ich ihr glauben muss. Der Ring mit dem grünen Stein zum Beispiel.

Auf so was war ich nicht vorbereitet. Worauf bin ich überhaupt vorbereitet? Gutes ist einfach da und selbstverständlich. Vor Schlechtem erschrecke ich und kann mich nicht wehren. Petra, ist es Dir schon ähnlich ergangen? In der Schule wird uns eine Menge beigebracht! Aber wie man sich in einer solchen Situation verhalten muss, das nicht. Ich weiß nämlich nicht, was ich tun soll.

Irgendwann, ich muss ganz klein gewesen sein oder noch gar nicht auf der Welt, da haben sich Vati und Mutti und Heide verfeindet. Warum? Sie sagt, weil er hasst, was ihr gefällt. Ich glaube, weil Vati nicht so fortschrittlich ist wie sie. Heide ist echt fortschrittlich, von innen, nicht bloß nach außen wie mein Vater. Und Mutti tut nicht mal nach außen fortschrittlich. Da werden sie aneinander geraten sein. Obwohl..., Heide benimmt sich überhaupt nicht lehrerhaft und hatte noch keinen Tag schlechte Laune. Hier ist sie bei allen sehr beliebt, vielleicht bei Rudi etwas weniger. Wir mögen sie. Du würdest sie auch mögen. Wir haben unheimliches Glück, dass sie unsere Gruppe betreut.

Heute Morgen sagte sie »Inessa« zu mir. Inessa sei die russische Form meines Vornamens. Erst dachte ich, sie wollte mich ein bisschen hochnehmen. Aber nein. Lenins Freundin hätte auch Inessa geheißen.

Dass Lenin eine Freundin gehabt hat, finde ich stark. Dass sich die Krupskaja das gefallen ließ? Du musst unbedingt Deine Mutti bitten, sie möchte mal in ihrer Bibliothek nachsehen, wer diese Inessa Armand war. Die interessiert mich nun doch.

Wenn die anderen dabei sind, behandelt mich Heide, als wären wir nicht miteinander verwandt. Das ärgert mich natürlich. Sie verlangt von mir, ich müsse mich selbst entscheiden. Sie macht sich das leicht, was?

Wenn die Erwachsenen nicht weiterwissen, überlassen sie uns großzügig die Entscheidung. Sonst doch nicht. Wie oft entrüstete sich Vati, in unserer sozialistischen Schule gewöhne man mir das Denken ab. Aber er, er lässt mich nie selbständig entscheiden, höchstens ob ich Milch oder Kakao trinken will. Vati bestimmt, was für mich gut und richtig ist, und Mutti, wie ich mich zu kleiden habe und wer meine Freundinnen sein dürfen. Bei Euch ist es ähnlich, nur dass sich die Familie mehr nach Deiner Mutter richten muss und die nicht immer so genau hinguckt. Für meine Jugendweihefeier im nächsten Jahr hat Vati schon alles so eingefädelt, dass es ihm Spaß machen wird. Schließlich bezahlt er das Fest, sagt er. Und bis gestern freute ich mich drauf. Doch seit gestern gibt es Heide.

Ja, Petra. Und nun? Stell Dir vor, meine Eltern holen mich am Sonnabend vom Bus ab. Vati kommt bestimmt, schon wegen meiner schweren Tasche. Könntest Du es ihm nicht ausreden? Du würdest mich abholen? Dann könntest Du Heide gleich sehen.

Möglicherweise steigt Heide unterwegs, in ihrem Dorf, zusammen mit dem Bärtigen aus. Möglicherweise erkennt Vati seine Schwester nicht wieder. Sie blondiert neuerdings ihre Haare.

Aber zu Hause werden sie mich fragen, wie es mir gefallen hat und wer uns betreut. Und ich antworte: Heide Bliewernicht, die ihr nicht haben wollt.

Mich überläuft's heiß. Merkst Du, wie meine Hand zittert? Wenn ich die Wahrheit sage, werde ich niemals in Witebsk sein und im Ferienlager an der Dwina. Niemals.

Petra, was soll ich bloß tun? Rat mir!

 

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