,Ja, wenn der Senator erzählt, beginnt ein satirisch Liedlein vom rheinischen Franz-Josef Degenhardt: Wie der Senator nach dem Krieg mit vierzig Mark angefangen hat und dann schon bald ganze Großbetriebe aufs Wackelsteiner Ländchen stellte, tja, und wie er die Ärmel aufkrempelte, der Senator.
Im Osten Deutschlands werden solche Geschichten nicht erzählt. Weder satirisch noch stolzgeschwellt. Doch wenn wir loslegen und dem Fremd- oder Jüngling von unseren FDGB-Urlaubsplätzen sprechen, mag ein ehrfürchtig Flämmlein in manchem Auge auflodern.
Der FDGB-Urlaubsplatz verhält sich nämlich zu einem üblichen Urlaubsplatz wie eine Logarithmentafel zu einer Zahl. Kann sein, dass heutzutage auch niemand mehr weiß, was eine Logarithmentafel ist. Nur so viel: Sie ist eine für den mathematischen Laien undurchschaubare Zahlenanhäufung.
Wenn ein Urlaubsplatz normalerweise durch Ort, Zeit, Preis und Leistung charakterisiert wird, war der FDGB- Urlaubsplatz ein Schnittpunkt von Zufällen, Notwendigkeiten, Randbedingungen und Ausgleichsmaßnahmen.
Nach dem Krieg wurden nach und nach die privaten Urlaubsunterkünfte, die es zum Beispiel an der Ostsee durchaus reichlich gab, vom allmächtigen Freien Deutschen Gewerkschaftsbund übernommen; gelegentlich mit Raubrittermethoden. Privat war zunächst unerwünscht bis feindlich; gewerkschaftlich organisierter Urlaub hingegen hieß: Zum Wohle des Volkes.
Volk war man dann, wenn man Arbeiter oder Bauer war (ganz allgemein werktätig ging auch); wenn man im Großbetrieb arbeitete, am besten im Vierschichtsystem; wenn man kinderreich war und beide Elternteile berufstätig; Verfolgter des Naziregimes oder Angehöriger eines Verfolgten war, auch gesellschaftlich gute Arbeit leistete, also zum Beispiel als Gewerkschaftsvertrauensmann fungierte. Die Auslese für einen Gewerkschaftsplatz erfolgte nicht immer streng und nicht immer gerecht. Wo eine Auslese allein nach dem Geldbeutel erfolgt, mag das merkwürdig klingen. In der DDR mischten sich gar krude die Bedingungen: Soziale Bedürftigkeit, politisches Wohlverhalten, Erbansprüche (ich hab doch immer einen Ferienplatz gekriegt!) und die allüberall wirkenden Beziehungen ergaben ein von heute aus schwer zu durchschauendes Konglomerat. Ebenso unbegreiflich wird dem Heutigen der damals zu entrichtende Preis sein: 32,60 M für 14 Tage mit Vollverpflegung? Das muss ein Druckfehler sein!
Ging in einem Großbetrieb die Liste mit den Ferienplätzen herum, und darauf stand ein Ostseeplatz während der Sommerschulferien, konnte man sich natürlich dafür bewerben. Den Treffer aber landete, wie im Lotto, immer ein anderer. Ein Winterferienplatz in, sagen wir Bad Frankenhausen, war schon leichter zu bekommen allerdings wurde der im nächsten Jahr ,verrechnet; die Chancen auf einen Saisonplatz fielen. Außerhalb der Ferien und zum Beispiel im November war auch Ostsee drin; die mit den Jahren überall gewachsenen Ferienheime wollten ausgelastet werden.
Hatte man seinen Ferienplatz schließlich traditionell oder zufällig bekommen, gab es weitere Güte-Kriterien: Welche Essens-Schicht war man? Musste man vorm Aufstehn zum Frühstück, bekam man in der dritten Abendbrotschicht nur noch Reste vom Kalten Büffet? Auch dies änderte sich mit den Jahren: Verhungert ist bekanntlich in der DDR niemand und schon gar nicht, wenn er in Kost und Logis eines FDGB-Ferienheimes stand. War die Unterbringung ,außer Haus, also bei ,privat, so musste manchmal auch ein Plumpsklo genügen. An der Ostsee war die Schlafplatzfrage ohnehin zweitrangig. Egal wie klein, egal wie primitiv: Strandnah hieß das Schlagwort in Zeiten geringer Automobilisierung.
Viele Betriebe begannen, um dem allgemeinen Ferienplatzmangel abzuhelfen, ,Objekte im Gebirge, an mecklenburgischen Seen oder mitten im Kiefernwald auszubauen. Burgen, Bungalowkolonien und Fertigteilbetonklötze wurden auch als Kinderferienlager und Schulungsheime genutzt. Als Werksangehöriger erhielt man relativ leicht und relativ oft solche Plätze. Im Übrigen aber waren die Segnungen des Massentourismus nicht so verschieden von den heutigen Ferienbetons zwischen Mallorca und Oostende. Als Auskenner wusste und weiß man Bescheid. Ja, und wenn dann der alte FDGB-Hase erzählt, wie er alljährlich zu seinem Platz kam