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Prager Frühling in Leipzig?

In ihrem Roman „Keine Zeit für Beifall“ thematisiert Gabriele Herzog den Abriss der Paulinerkirche am 30. Mai 1968

Man schreibt das Jahr 1968. In Europa herrscht Aufbruchsstimmung. Ein noch heute weithin bekanntes Stichwort dafür ist der „Prager Frühling“, Studentenproteste gibt es in Paris wie in Polen, Demonstrationen in Westberlin…

Und was passiert in der DDR? Auch hier ist natürlich der Frühlingshauch zu spüren. Das bleibt auch den Mächtigen im Lande nicht verborgen. Und Walter Ulbricht und seine SED-Führungsriege versuchen alles, den auch hierzulande beginnenden Widerstand gegen das verknöcherte post-stalinistische System im Keim zu ersticken. Lissy Berger, die junge Heldin des Romans von Gabriele Herzog, ist zu dieser Zeit gerade 19 Jahre und beginnt in Leipzig mit dem Studium der Theaterwissenschaften. Lissy glaubt an den Sozialismus als die bessere Gesellschaftsordnung und ist in ihrer jugendlichen Naivität felsenfest davon überzeugt, ihn mit demokratischen Mitteln reformieren zu können.

Dann aber sickert in Leipzig durch, dass die historische Universitätskirche zu St. Pauli, deren Wurzeln bis ins 13. Jahrhundert reichen, abgerissen werden soll. Die Obrigkeit versucht Macht zu demonstrieren, in dem sie die „Überreste“ der Vergangenheit zugunsten einer sozialistischen Neugestaltung des Stadtzentrums beseitigen will. Wie viele Bewohner Leipzigs, sind auch Lissy und ihre Kommilitonen fassungslos. Es hagelt Proteste gegen die sinnlose Schändung der Kirche, die selbst die Bomben des Zweiten Weltkrieges überstanden hatte. Die SED-Mächtigen geraten in Zugzwang. Sie manipulieren und bedrohen die gewählten Stadtverordneten und schaffen so die „demokratische Legitimation“ zur Sprengung der Kirche. Lissys Weltsicht gerät ins Wanken. Jedoch trotz aller Konsequenzen, die es für sie haben könnte, entscheidet sie sich dafür, diese Praktiken anzuprangern und gegen die Exmatrikulation ihrer Kommilitonen zu kämpfen, die durch einen Sitzstreik die Sprengung der Kirche verhindern wollten. Aber auch ihre private Situation drängt auf eine Entscheidung. Soll Lissy bei ihrem zuverlässigen Schulfreund Mark bleiben oder soll sie sich in ein ungewisses, aber alle Sinne raubendes Abenteuer mit ihrem Kommilitonen Peter stürzen?

Das Manuskript für den Roman „Keine Zeit für Beifall“ war bereits im Jahr 1986 entstanden. Die Brisanz des Themas jedoch verzögerte die Veröffentlichung. Erst im Herbst 1990 konnte „Keine Zeit für Beifall“ erscheinen. Den DDR-Leser, dem das Buch Mut machen sollte, gab es zu dieser Zeit aber schon nicht mehr.

 

Die 1948 in Leipzig geborene Theaterwissenschaftlerin Gabriele Herzog war nach ihrem Studium Dramaturgin am Landestheater Halle und von 1973 bis 1990 Dramaturgin und Drehbuchautorin im DEFA-Studio für Spielfilme, von 1991 bis 2002 Dramaturgin, Producerin und Autorin bei privaten Filmproduktionen. Seit 2003 ist sie freischaffend als Drehbuchautorin tätig. Zu ihren Arbeiten gehören zum Beispiel die Film-Drehbücher „Das Mädchen aus dem Fahrstuhl“ nach ihrem eigenen Roman (Regie: Herrmann Zschoche) und „Das Herz des Piraten“ nach einem Kinderbuch von Benno Pludra (Regie: Jürgen Brauer) sowie Fernseh-Drehbücher wie „Unser Papa, das Genie“ (ARD) und „Erste Begegnung“ (ZDF). Außerdem schreibt sie Hörspiele für Deutschlandradio Berlin, die teils ausgezeichnet wurden.

Mehr unter http://www.ddrautoren.de/Herzog/Beifall/beifall.htm

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