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Sie sind hier: DDR-Autoren: Newsletter 24.03.2017 - Begegnung mit Wolfgang Schreyer und Sehnsucht nach Ranklitz

Begegnung mit Wolfgang Schreyer und Sehnsucht nach Ranklitz – Vier E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

 

(Pinnow 24.03. 2017) Wolfgang Schreyer, der Ende dieses Jahres seinen 90. Geburtstag feiern kann, gehört zu den erfolgreichsten Autoren der DDR. Besonderes Kennzeichnen seines Schaffens ist das effektvolle Verbinden von Fiktion und Dokumentarischen. Einen Eindruck von seiner immer sehr gut recherchierten und spannenden Schreibweise kann man sich in drei von vier Deals der Woche machen, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de acht Tage lang (Freitag, 24.03. 17 - Freitag, 31.03. 17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind. Die Texte stammen aus verschiedenen Schaffensperioden des Schriftstellers, der in der Endphase des Zweiten Weltkriegs als Flakhelfer eingesetzt wurde, bis Kriegsende in der Wehrmacht diente und 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Er weiß also, worum es geht, wenn er von Krieg und Krisen schreibt. Außerdem ist in dieser Woche ein Kinderbuch von Hildegard und Siegfried Schumacher zu haben. Es geht um eine besondere Freundschaft.

 

Das erste Angebot dieses Newsletters bringt ein E-Book mit zwei der frühesten Erzählungen von Wolfgang Schreyer, die Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts im Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung Berlin erschienen waren – „Das Attentat“ und „Tod eines Kanoniers“: Die erste Erzählung schildert Stauffenbergs heldenhaftes Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Spannend und atemberaubend wird die kurze Zeitspanne vom Attentat bis zur Erschießung von Stauffenberg, Haeften, Olbricht und Merz geschildert. Rückblenden zeigen die Haltung und Ziele der in den Putsch verwickelten Offiziere. Im Mittelpunkt steht der verzweifelte, unermüdliche und mutige Kampf Stauffenbergs um das Gelingen des Putsches. Die zweite Erzählung „Tod eines Kanoniers“ spielt am 6. März 1945 in einer Flakbatterie in Frankreich weit hinter der Frontlinie. Hätte der erfolgreiche Putsch am 20. Juli den sinnlosen Tod des jungen Kanoniers verhindern können?

 

Zu Beginn der Erzählung „Das Attentat“ begegnen wir Graf Claus von Stauffenberg und seinem Ordonnanzoffizier, als die beiden an einem später historisch gewordenen Sommermorgen durch Berlin fahren. Ihr Ziel ist ein Militärflugplatz: „An einem strahlenden, blaugoldenen Sommermorgen rollte ein kleiner Mercedes durch die südlichen Vororte von Berlin; er fuhr in Richtung Rangsdorf. Im Fond saßen zwei Offiziere: der Generalstabs-Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine Ordonnanz, Oberleutnant der Reserve Werner von Haeften. Die beiden schwiegen, da der Fahrer sie hören konnte; sie sahen hinaus. Zu ihren Füßen stand eine Aktentasche aus hellem weichem Leder. Es war Donnerstag, der 20. Juli 1944, acht Uhr.

 

Ruinen säumten den Weg. Die meisten Straßen waren zerbombt. Im grellen Sonnenlicht sah man Spuren der vernichtenden Bombenwürfe, die seit einem Dreivierteljahr auf Berlin heruntergingen. Mauerwerk lag auf dem Pflaster, Glassplitter, verkohlte Balken; die Ladenschaufenster waren mit rohen Brettern vernagelt. Stellenweise war die Fahrbahn aufgerissen, so dass der Wagen einen Umweg nehmen musste. An einer einsam ragenden Giebelwand stand: „Unsere Mauern brechen, doch unsere Herzen nie!“ Stauffenberg trieb zur Eile. Er kannte dieses Bild. Die Straßen schienen jetzt verödet; nur in den späten Nachmittagsstunden überfluteten wirre Menschenmassen die S- und U-Bahnhöfe und alle Wege, die zum Stadtrand führten; man wollte fern vom gefährdeten Zentrum eine ruhige Nacht verbringen. Beklemmend war es, diese Menschen zu sehen. Sie murrten, doch sie arbeiteten weiter in den Rüstungsbetrieben – zehn, zwölf Stunden am Tag, unausgeschlafen, bei Hungerrationen. Viele hatten ihr Heim verloren, ihre nächsten Angehörigen. Doch sie taten ihre Pflicht wie der Soldat an der Front. Hofften sie noch auf den Sieg? Vielleicht. Eine wahnwitzige Führung täuschte sie über die Erfolgschancen des Krieges, verbarg ihnen die wirkliche Lage, missbrauchte ihren Fleiß, ihre Tapferkeit, forderte sinnlose Opfer. Fünf- bis sechstausend Deutsche verbluteten täglich, hier und draußen vorm Feind ... Aber das sollte nicht mehr lange dauern. Heute Abend noch – und der schlimmste Spuk war vorbei.

 

„Neunzehnhundertachtzehn“, sagte Haeften, „haben sie hier in Berlin gestreikt.“ „Da war die Verpflegung schlechter“, antwortete Stauffenberg. „Und Wilhelms Pickelhauben waren nicht dasselbe wie die Gestapo.“ Der kleine Mercedes stoppte am Rande des Militärflugplatzes Rangsdorf. Der Oberst stieg aus. Er war ein sechsunddreißigjähriger, hünenhaft gebauter Mann mit dichtem dunklem Haar, kräftigem Kinn und hartem Mund; über dem linken Auge trug er eine schwarze Klappe. Siebzehn Monate zuvor hatte ihn in Tunesien die MG-Garbe eines Tieffliegers erfasst und schwer verwundet. Sein rechter Arm war zerschossen, er trug eine Kunsthand; an der Linken fehlten zwei Finger. Dennoch hatte er es auf sich genommen, Adolf Hitler zu töten.

 

Oberleutnant von Haeften folgte ihm. Sie gingen auf das wartende Kurierflugzeug zu. Haeften trug Stauffenbergs Aktentasche, und er wusste, was sie enthielt. Er war ein Freund und Vertrauter des Obersten. Obwohl schon fünfunddreißig Jahre alt, wirkte er durch sein frisches, heiteres Wesen und das hellblonde lockige Haar viel jünger. An der Front durch einen Beckenschuss verletzt, war er zum Stab des Heimatheeres in die Bendlerstraße versetzt worden und tat bei Stauffenberg Dienst, der ihn in die Umsturzpläne eingeweiht hatte. Er war, wie die anderen Verschwörer, entschlossen, sein Leben zu wagen, um durch einen Militärputsch den Faschisten die Macht zu entreißen.

 

Sie kletterten in die Maschine. „Na, wie ist die Luftlage?“, fragte Haeften den Piloten. – „Ganz Deutschland feindfrei“, antwortete der. Stauffenberg sah mit dem gesunden Auge zweifelnd hinauf in den klaren Julihimmel. „Bei dem Wetter?“, fragte er. „Was nicht ist, kann noch werden, Herr Oberst.“ Stauffenberg nickte. Die „fliegenden Festungen“ der Amerikaner würden gegen Mittag wiederkommen, und dieses eine Mal wünschte er sie selbst herbei. Ein Bombardement der Reichshauptstadt musste Verwirrung stiften, die SS in die Keller bannen und sein großes Vorhaben erleichtern ... Da sprang der Motor an, das Flugzeug rollte zur Piste, hob sich vom Boden ab. Es nahm Nordostkurs.

 

„Die Kiste ist ziemlich schnell“, sagte Haeften. „Macht die sechshundert Kilometer in knapp zweieinhalb Stunden.“ Der Oberst war an diesem Tage zu Hitler befohlen worden, um über die Aufstellung neuer Divisionen zu berichten. Als Stabschef beim Befehlshabers des Ersatzheeres, dem Generalobersten Fromm, gehörte es zu seinen Aufgaben, die Bereitstellung und den Abtransport frischen Kanonenfutters zu organisieren. Das Flugzeug sollte ihn ins Führerhauptquartier bringen, das sich in Ostpreußen befand. Er war in dieser Zeit der einzige unter den Verschwörern, der zu den Lagebesprechungen bei Hitler gelegentlich Zutritt hatte. Er allein kam an Hitler heran. Schon zweimal, am 11. und 15. Juli, als er zum Vortrag auf dem Obersalzberg war, hatte er eine Bombe in Hitlers Nähe zünden wollen. Beide Male jedoch fehlten Himmler und Göring, die mit getötet werden sollten. Heute aber war es gleich – heute würde er auf jeden Fall handeln.

 

„Beck scheint's noch nicht ganz zu glauben“, hörte er Haeften sagen. „Weißt du, Claus, was er gestern geäußert hat? 'Ein Pferd, das zweimal scheute, springt auch beim dritten Mal nicht.'" Stauffenberg lachte dunkel. Das sah ihm ähnlich! Generaloberst a. D. Ludwig Beck, das geistige Haupt der Verschwörung, mochte ein hochgebildeter Mensch, ein kluger Offizier, ein großer Planer sein; aber er war auch ein Zauderer, er sah oft zu schwarz. „Ob wir wollen oder nicht, Werner", antwortete er leise, „heute müssen wir springen.“ Eintönig brummte der Motor. „Ja", sagte Haeften nach einer Weile. „Wir müssen. Das ist ein Wettlauf. Die Fronten ringsum zerbrechen. Höchstens zehn Tage hält von Kluge die Westalliierten noch im Normandie-Landekopf fest. Dann löst sich die Front in Frankreich auf. Die Ostfront ist schon kaputt. Siebenundzwanzig Divisionen haben wir in Weißrussland verloren. Die Heeresgruppe Mitte besteht nicht mehr. Wenn der Russe in dieses Loch stößt ... Das ist ein Wettlauf. Wenn die totale Niederlage Hitlers eher käme als der Aufstand gegen Hitler, welchen Sinn hätte dann der Aufstand noch?“

 

Der Oberst nickte. Er sagte nichts. Er dachte, dass es auch in anderer Hinsicht ein Wettlauf sei. Die Gestapo war ihnen auf der Spur. Sie hatte am 4. Juli die sozialdemokratischen Führer Leber und Reichwein, als diese auf sein Drängen hin mit den Widerstandskämpfern um Saefkow zusammengekommen waren, überraschend verhaftet. Weitere Schläge folgten. Die Gestapo rollte die Widerstandsfront jetzt auf, sie begann mit dem linken Flügel. Und es ging weiter. Vorgestern, am 18. Juli, war ein Haftbefehl gegen Dr. Goerdeler ergangen. Goerdeler gehörte dem innersten Kreis der Beck-Gruppe an! Es wurde Zeit. Heute musste gehandelt werden, oder es war für immer zu spät.“

 

Die zweite Erzählung dieses E-Books, „Tod eines Kanoniers““ beginnt mit einem Männergespräch zwischen drei Soldaten: „Ich war damals erst Fahnenjunker-Unteroffizier", sagte Fähnrich Ertel. „Nicht mal Portepeeträger. Von Uniformen verstand sie 'ne Menge. Es hat ihr nichts ausgemacht. Direkt vom Café nahm sie mich mit in die Wohnung. Einfamilienhaus, und es wurde schon dunkel. Ihr Mann war Rechtsanwalt, sie hatten ihn zum SD geholt, wegen seiner Sprachkenntnisse, er steckte in Italien. Hab' ich's euch schon gesagt? Sie war Sportlehrerin, biegsam wie eine Gerte, 'nen halben Kopf größer als ich. Übrigens hellblond.“

 

„Überall?“, fragte der neunzehnjährige Gefreite Fink aus seiner Zeltecke heraus. „Warte ab, Fink“, antwortete Fähnrich Ertel. „Also, wir tranken Hennessy und tanzten nach Jary-Schallplatten. Es war alles da, eine phantastisch gefederte Couch ...“

 

„... gedämpftes Licht und wahllos verstreute Kissen", sagte der Obergefreite Arndt, ein Mann von fünfunddreißig. Es kümmerte ihn nicht, ob Ertel seine Geschichten erfand. Niemand zerbrach sich den Kopf darüber, solange sie unterhaltsam waren. Ihn ärgerte nur, dass der Geschützführer immer Hennessy bekam und Frauen, die stattlicher waren als er; mit einer fabelhaften Couch und wahllos verstreuten Kissen.

 

„Woher weißt du das?", fragt der Fähnrich. Arndt gähnte. „Ich stelle es mir vor.“ Ertel spürte wohl, die Leute gingen nicht recht mit, aber er erzählte gern, und das Beste kam ja erst. Da drang aus dem Winkel im Stroh, wo der Stabsgefreite Schrader lag, ein Schnarchen. Das war zuviel, der Fähnrich sprang auf, er stieß eine Gasmaskenbüchse beiseite, befahl: „Fink, du reinigst nachher den Geschützverschluss!“ und trat ins Freie. Sie waren es nicht wert, seine Erlebnisse anzuhören. Er warf nicht Perlen vor die Säue. Und er machte sich an seiner Lieblingswaffe zu schaffen, einem amerikanischen Maschinengewehr mit kastenförmigem Magazin.

 

Die Batterie hielt Mittagsruhe. Man stopfte Socken, rauchte, döste vorm Zelt. Kanonier Jochen Oster lag im Gras, ein kraushaariger Junge, der noch vor kurzem Unteroffizier gewesen, dann wegen Befehlsverweigerung degradiert worden war. Unter Kopf und Rücken hatte er, vierfach zusammengelegt, eine Flanelldecke geschoben. Wie gut tat es, so dazuliegen, in der milden Luft. Eine Fliege setzte sich aufs Kochgeschirr, befühlte den klebrigen Rest: Milchnudeln und Backpflaumen. Es war der 6. März 1945, ein windstiller Tag, mit knospenden Sträuchern, zwitschernden Vögeln und Kondensstreifen am blassblauen Himmel. Im Süden rumorte die Front. Er stützte sich auf den Ellenbogen. In diesem Jahr kam der Frühling zeitig, besonders in der Pfalz. Der Ort zu seinen Füßen hieß Thaleischweiler. Rot und gelb flimmerten die Häuser im Sonnenschein. Er sah die durchsiebten Dächer, das geschwärzte Sparrenwerk, und er konnte die Halsglocken der Kühe hören. Was aber an diesem Dorf das schönste war: es lag neunzehn Kilometer hinter der Hauptkampflinie. Manchmal wehte Stallgeruch den Hang hinauf, bis zur Kuppe des Hügels, auf dem die Geschütze standen. Oster schmiegte den Kopf in die Decke. Sie war weich und dünn, nahm im Rucksack nicht viel Platz ein – gescheit von Mutter, sie ihm zu schicken. Ihr konnte das nicht leicht gefallen sein. Die helle Decke gehörte aufs Kanapee, sie verdeckte dort ein Loch. Soweit seine Erinnerung reichte, hatte es dieses Loch gegeben, und er wusste nicht, was Mutter nun darüber legte ... Er zog ihren letzten Brief hervor, faltete ihn behutsam auseinander.

 

Seine Mutter schrieb: „Am letzten Sonntag im Februar musste ich immerzu an Dich denken, Jochen, mir kamen dauernd die Tränen, ich habe geglaubt, Dir ist was geschehen. Ach, es war schrecklich. Und war eine Leere in mir, ich konnte nichts anrühren, sah Dich verwundet liegen, keiner kümmerte sich um Dich. Stundenlang war ich nachts wach im Bett. Doch nun ist Dein Brief gekommen, mein lieber Junge! Der elende Schmerz hat aufgehört.“ Er las das schon zum zehnten Mal; dabei entstand ein scharfer Reiz in seinem Hals. Kein Feldpostbrief hatte ihn so aufgewühlt wie der hier. Seine Mutter war keine sehr kluge Frau, sie war Bergmannswitwe, ihre Handschrift die eines Schulkinds. Sie war hart, oft verständnislos gewesen. Sie hatte ihn damals genötigt, einen Beruf zu wählen, den sie für ungefährlich hielt. Und nun das, die Decke, der Brief. Er kaute an einem Grashalm. Dann drehte er sich dem Obergefreiten Arndt zu, der sich eben neben ihm ausstreckte. „Fritz, lies das mal." Er wies auf die Stelle.

 

Arndt war vierzehn Jahre älter als er und kein Mann, der schnell Freundschaft schloss. Von der Geschützbedienung „Emil“ war er der einzige, der es über sich brachte, mit einem Degradierten zu verkehren. Er hatte ihm anvertraut, dass er selbst nur hier war, weil er sich gegen einen Zivilvorgesetzten, den Personalchef seiner Firma, aufgelehnt hatte. Bevor sie Soldat wurden, hatten beide in einem Zweigbetrieb der Junkers-Flugzeugwerke gearbeitet. Oster als technischer Zeichner, Arndt als Mechaniker. Und obwohl die Motorenfabrik zweitausend Menschen beschäftigte – sie waren einander nie begegnet –, gab es gemeinsame Erinnerungen, von denen ihre Gespräche zehrten.“

 

Nur wenige Jahre später, 1962, erschien im Deutschen Militärverlag Berlin erstmals der Titel „Piratenchronik“. Dieses spannend geschriebene und ausgezeichnet recherchierte Buch ist selbst ein Stück Zeitgeschichte. Dem E-Book „Augen am Himmel. Eine Piratenchronik“ liegt die 4. überarbeitete und erweiterte Auflage zugrunde: Nach jahrelangem Materialstudium schrieb Wolfgang Schreyer dieses Tatsachenbuch — die fesselnde Geschichte der Luftaufklärung und Luftspionage. Sein Thema reicht von Alaska bis Israel, von Nicaragua bis Sibirien, vom ersten Späh-Ballon im Jahre 1794 bis zum modernen Foto-Satelliten. Was der Welt lange Zeit verborgen gehalten wurde, wird hier im einzelnen berichtet: Illegale Flüge von Sportfliegern, Abenteurern und Göring-Piloten, der Radarkrieg am Ärmelkanal, die britische Luftaufklärung des V-Waffen-Zentrums Peenemünde, antisowjetische Geheimaktionen der fünfziger Jahre wie U-2-Flüge, B-52-Vorstöße und die Operation „Moby Dick", Spähunternehmen der 1960er Jahre — die „Voodoo"-Flüge über Frankreich und Kuba und der Einsatz von Robotern über der Demokratischen Republik Vietnam.

 

In dokumentarisch belegten Szenen nimmt der Leser teil an Stabsbesprechungen am Tirpitzufer, an der Themse und am Potomac River; an internationalen Pressekonferenzen, Gerichtsverhandlungen und an der Einweisung von Spionagefliegern. Es begegnen ihm namhafte Wissenschaftler, Diplomaten, Konzernvertreter, Juristen, Politiker und Generale. Er erlebt Luftkämpfe über der Ostsee und dem Eismeer, eine Notlandung in Japan sowie Beginn und Verlauf der USA-Aggression gegen Vietnam.

 

Der Autor schildert den Entwicklungsgang strategischer Erfindungen (Höhenflug, Luftbild, Radar, Infrarot, Satelliten-Erkundung) und entwirrt das daran geknüpfte Netz technischer Tricks. Gestützt auf Expertengutachten erläutert er die Details so anschaulich, dass auch Leser ohne Fachkenntnisse seiner Darstellung gespannt folgen. Überzeugen Sie sich selbst. Hier ein Ausschnitt aus dem Kapitel „Zelte im Unterholz“: „Neben der Bentley-Limousine, die den Abwehrchef in sein Londoner Büro zurückbringen soll, steht ein flüchtiger Bekannter: Major Cummings von der Geschichtsabteilung des RAF-Stabs. Er hat auf eine Fahrgelegenheit gewartet, offenbar steht ihm kein eigener Wagen zu. „Was halten Sie eigentlich von unserer Luftaufklärung?“, fragt Jones ihn, als der Bentley losrollt.

 

„Sie ist der nützlichste Teil der Royal Air Force“, antwortet Cummings ohne Zögern. „Sie könnte es jedenfalls sein, wenn man mehr für sie tun würde. Aber sie wird unterschätzt. Wichtig sind uns einzig Harris' Bomber, allenfalls noch die Jagdflieger, die von ihrem Ruhm aus dem Herbst 1940 zehren. Der Aufklärer bringt ja keine Resultate, die so ins Auge fallen wie verbrannte Städte.“ Er lacht – ein kurzes Lachen, das bitter und trocken und ein wenig verächtlich klingt. „Mir scheint manchmal, die Luftaufklärung findet gar nichts mehr, das kleiner ist als Berlin.“ „Weil man nichts anderes von ihr verlangt! Wir haben vergessen, was sie leisten kann und dass die Geschichte des Luftkriegs mit ihr angefangen hat.“

 

Dr. Jones lehnt sich in das Fondpolster zurück. Draußen flitzt eine Reihe blühender Apfelbäume vorbei. Soll er mit Cummings lieber über das Wetter sprechen? Er kennt dessen ketzerische Einstellung zur Bomberoffensive, seine Kritik an RAF-Stabschef Sir Charles Portal. „Übertreiben Sie nicht etwas?“, fragt er schließlich. „Gewiss nicht“, sagt Cummings. „Seit es organisierte Heere gibt, gilt die ständige Sorge aller Befehlshaber dem, was der Feind heimlich tut. Nichts gegen Ihre Dienststelle, Doktor – aber in alten Zeiten hatten Kundschafter nicht dieselbe Bedeutung wie heutzutage. Wenn es ernst wurde, kamen sie oft zu spät. Die Feldherrn verließen sich weniger auf Spione, vielmehr schickten sie Beobachter auf Bergkuppen oder Baumkronen, um ihren Blick zu weiten, und setzten sie in Sättel, damit die Nachrichtenübermittlung rascher vonstatten ging. Von der Antike bis zur Neuzeit war die Kavalleriepatrouille das beste Informationsmittel. Bis man den Ballon erfand und eine Etage höher stieg.“

 

Dr. Jones schweigt, ihm gefällt an Cummings immer wieder der wissenschaftliche Stil, die souveräne Betrachtungsweise. Er hat sich schon manchmal gefragt, ob diese Art, gelassen auf Jahrtausende zu blicken, der Karriere des Majors dienlich ist, dessen Kenntnisse in erheblichem Gegensatz zu der Geringschätzung stehen, die man ihm im Stab entgegenbringt. „Damals“, hört er ihn sagen, „beschloss der französische Wohlfahrtsausschuss, seine Streitkräfte mit gasgefüllten Fesselballons auszurüsten, damit, wie es wörtlich hieß, 'Vorposten aus der Luft die Bewegungen des Feindes verfolgen könnten'. Während des ersten Koalitionskriegs der europäischen Majestäten gegen das bürgerliche Frankreich entstand also eine Ballonfahrerkompanie. Ihr verdankte General Jourdan am 26. Juni 1794 seinen Sieg über die Österreicher bei Fleurus.“(„Interavia“, Genf, Nr. 2/1964.)

 

„Das blieb ein Einzelerfolg, nicht wahr?“ „Zunächst ja. Aber nachdem sechzig Jahre später der Pariser Félix Nadar – ein Zeichner, Schriftsteller und Ballonfahrer – die Luftfotografie erfunden hatte, nahm sich ein amerikanischer Professor namens Thaddeus Lowe der Sache an. Er machte daraus ein Instrument der militärischen Aufklärung. Denn der missionarische Geist Amerikas war schon in jenen Tagen nicht ausschließlich friedlich. Ohne auch nur guten Tag zu sagen, hatten die Yankees Indianer, Holländer, Spanier, Franzosen und Engländer vertrieben, waren über Mexiko hergefallen, hatten sich Texas und Kalifornien genommen und stürzten sich nun wie besessen in ihren Bürgerkrieg. Dabei ernannten sie Lowe zum Chefaeronautiker der Potomac-Armee. Im Juni 1861 stieg er über Virginia auf und erstattete dem Nordstaaten-General McDonald einen völlig zutreffenden Bericht über die Stellungen der Rebellentruppen. Dieser Lowe war ein ziemlich heller Kopf. Er benutzte ein auf dem Potomac operierendes Schiff als Ballonträger, nahm eine Kamera in den Ballonkorb mit und bediente sich zur Nachrichtenübermittlung des eben erfundenen Telegrafen ... Langweilt es Sie?“

 

„Keineswegs“, sagte Jones. „Einer seiner Ballonführer, ein gewisser John LaMountain, startete sogar nachts, um die Zeltlichter der Südstaatler zu zählen. Aber das wurde deren Befehlshaber, General Beauregard, hinterbracht, er ergriff recht moderne Gegenmaßnahmen. Beauregard ließ sämtliche Zelte im dichten Unterholz verstecken und befahl, die Lampen zu löschen. Verdunkelung, Doktor! Außerdem ordnete er an, in beträchtlicher Entfernung viele Täuschungslichter aufzustellen. Anstelle seiner schwachen Kräfte sollte der Feind eine überlegene Truppenmacht vermuten ... Bis zum Marokko-Konflikt 1907 ist der Fesselballon das einzige Instrument der Luftaufklärung geblieben. Dann erwuchs ihm im Militärflugzeug nicht nur ein Rivale, sondern auch ein gefährlicher Gegner““

 

Nur zwei Jahre vor dem Anfang vom Ende der DDR beschäftigte sich Wolfgang Schreyer in seinem 1987 im VEB Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin erstmals erschienenen Roman „Der Mann auf den Klippen“ mit einem anderen militärischen Konflikt und schickt eine Frau ins Krisengebiet: Die erfolgreiche BRD-Journalistin Judy wird 1983 in das Grenzgebiet zwischen Honduras und El Salvador geschickt, um weiße Flecken auf der Landkarte (der Grenzverlauf ist nicht exakt festgelegt und in diesem Gebiet halten sich Guerilla-Kämpfer beider Länder auf) zu untersuchen. Sie erfüllt ihren Auftrag, doch ihr sympathischer junger Reisebegleiter und Dolmetscher ist tot.

 

Judy kann das nicht verkraften und fällt in ein tiefes Loch. Ihr Chef schickt sie, sozusagen zur Ablenkung und Erholung, nach Grenada. Ihren Auftrag, dort nach einem kubanischen bzw. sowjetischen Militärflugplatz und U-Boot-Hafen zu suchen, erfüllt sie schnell. Sie besteht darauf, ihren Jahresurlaub in Grenada dranzuhängen; denn sie hat sich Hals über Kopf verliebt. Sie zieht in sein Haus, herrlich einsam auf einem Hügel direkt am Meer gelegen. Von der Terrasse des Hauses sieht sie die amerikanischen Kriegsschiffe, die sich Grenada nähern.

 

Aber hören wir zunächst in eine Unterredung von Judy mit ihrem Chef herein, in der es um den ersten Auftrag geht: „Fein, Sie schon zu sehen“, sagte Strathmann, der Mensch mit dem Nussknackerkopf, Haupt der Auslandsabteilung meines Magazins, von unerschütterlicher Vitalität, die er in sein immenses Tageswerk steckte. „Gleich wieder am Ball, recht so, Judy.“ Er sprach jeden mit dem Vornamen an, während er selber Gunar Strathmann blieb, das Leitbild, der große alte Mann, ein Denkmal des deutschen Journalismus. Ich setzte mich unter seinem gütigen Blick. Zwecklos, sich gegen ihn zu wehren. Man sollte ihn lieben, ihm folgen, nicht aber kritischen Abstand wahren.

 

„Es geht um höchst Diffiziles“, sagte Dr. Baron auf die bekannte geheimnisvolle Art. Er hatte empfindsame, lang bewimperte Augen – ein Softy, der in seiner leisen Müdigkeit auf mich stets dekadent wirkte, so zart besaitet und hübsch, dass er auf dem Satinpolster eines Etuis hätte ruhen können. „Wenn wir's überhaupt jemandem zutrauen, da Licht hineinzubringen, dann Ihnen.“ „Sehr spannend. Ich höre.“ Aber sie schwiegen, als wüssten sie nicht, wie es mir zu erklären sei und wer von ihnen das tun sollte. Strathmann zeigte sein informiertes Lächeln, ließ mich in Wohlwollen baden, einer fast somnambulen Leutseligkeit, während seine Hände grob und behaart auf dem Schreibtisch lagen, zwischen dem goldenen Druckstift und der grünledernen Garnitur mit dem Tagesplan.

 

„Ein Grenzkonflikt in Übersee.“ Behutsam ergriff Holger Baron das Wort. „Weiße Flecke auf der Landkarte, zwischen Honduras und El Salvador.“ „Was soll uns das? So was ist doch ganz alltäglich.“ „Manchmal wird aus solchem Streit ein scheußlicher Krieg, wie zwischen dem Irak und dem Iran.“ „In El Salvador ist schon Krieg, Bürgerkrieg.“ „Das eben macht es so brisant.“ Strathmanns Hände begannen zu wandern; sparsam und schonend, mit ordnungsliebender Vorsicht, bewegten sie sich zwischen seinem Eigentum.

 

„Vor genau vierzehn Jahren, Sie erinnern sich gewiss, gab es dort den sogenannten Fußballkrieg. Ein Spiel für die Weltmeisterschaft artete aus zu Krawallen, Mord und Totschlag. Und El Salvadors Armee, der von Honduras überlegen, stieß vor.“ „Angeblich zum Schutz der dreihunderttausend Gastarbeiter auf den Plantagen des Nachbarn“, flocht Dr. Baron ein. „Ein blutiges Kapitel: dreitausend Tote in hundert Stunden, dann Waffenstillstand entlang einer nordwärts verschobenen Linie bei formellem Kriegszustand, zwölf Jahre lang! Erst im vorletzten Sommer kam unter Washingtons Druck ein Friedensvertrag zustande, sehen Sie ...“ Sein Bericht wurde dunkel. Er schnipste mit den Fingern, suchte nach Namen, Daten, Umschreibungen. Man merkte ihm an, dass er Wörter wie Blut oder Krieg (selbst Fußballkrieg) nur ungern in den Mund nahm. Als Ästhet verabscheute er Gewalt in jeder Form. Vielleicht beirrte ihn auch der Umstand, dass sein Chef dabei war, einen so abseitigen Fall aufzuwärmen. Ich fragte: „Passt das nicht besser in die Zeitschrift 'Damals'?“ „Warten Sie ab, Judy, das sind keine ollen Kamellen“, sagte Strathmann autoritär und dennoch so behaglich, als sei ein knackendes Kaminfeuer hinter ihm entfacht worden.

 

„Dieser Friedensvertrag schrieb nämlich die Grenze gar nicht fest. Um die wird seit hundert Jahren gefeilscht. Der Vertrag sah nur vor, dass die strittigen Gebiete einstweilen beim Sieger von 1969 verbleiben; er gibt aber El Salvador nicht das Recht, dort oben Soldaten zu stationieren.“ „Und dieses Vakuum zog die Rebellen magnetisch an“, fuhr Holger Baron fort. Er hatte schöne weiße Zähne; man sah, dass er einen teuren Zahnarzt hatte. „Die entmilitarisierten Zonen in den Bergen boten ihnen ja den idealen Unterschlupf!“ Es klang, als sei er persönlich betroffen von der Hinterlist der Guerrilleros. „Das ist deren Basis geworden.“ Er war sehr wandlungsfähig. Und stets kam er mit moralischer Bugwelle daher, ganz gleich auf welchem Kurs. Es passte zum Bild der Wende, die gegen erheblichen Widerstand allmählich im Hause durchgesetzt wurde, von einer fernen Befreiungsfront abzurücken und lieber auf das Herkömmliche zu bauen, auf Solideres, Bürgertugenden wie Ruhe und Ordnung. Vielleicht empfand Baron sein Einschwenken als schmählich und überspielte das Unbehagen, indem er eine Oktave zu hoch griff. Denn obwohl ihm keiner widersprach, fügte er hinzu: „Das geht auch uns etwas an. Wer heute zum Beispiel in Westberlin ein Taxi besteigt, dem kann es wie mir passieren, dass er wider Willen in obskure Waffengeschäfte verstrickt wird. Stellen Sie sich vor, ich sitze in einem Wagen der 'Ikarus Taxi GmbH' und hab plötzlich vor mir an der Lehne ein Schild mit dem Text: 'Die Gesamteinnahme dieser Schicht wird gespendet für Arbeitsbrigaden in Nicaragua und/oder Waffen für El Salvador'!“

 

„Ich fühle mit Ihnen", sagte ich. „Man hat Sie gezwungen, die Terrorszene dort zu finanzieren.“ „Sie müssen da gar nicht ironisch sein.“ „Zur Sache.“ Strathmann klopfte auf den Tisch. „Die Armee El Salvadors hat das auf die Dauer nicht hingenommen. Gelegentlich ist sie schon mal in diese Zonen eingedrungen. Daraus leitet nun wiederum Honduras das Recht ab, bis zu seiner alten Grenze vorzurücken. Judy, können Sie mir folgen?“

 

„Ich denke schon. Mir scheint, aus dem Grenzstreit ist ein Komplott beider Staaten zur Bekämpfung des Aufstands geworden.“ „Immer langsam; wir wollen nicht spekulieren. Fliegen Sie hin, ohne Vorurteil, und finden Sie's heraus.““

 

Fast zur selben Zeit, als Journalistin Judy ihre gefährlichen Aufträge erfüllt, veröffentlichten Hildegard und Siegfried Schumacher 1981 im Kinderbuchverlag Berlin ihr fünf Jahre später von der DEFA unter anderen mit Kurt Böwe verfilmtes Buch „Der Junge mit dem großen schwarzen Hund“: Als Ulf dem großen schwarzen Hund begegnet, schließt er ihn sofort in sein Herz. Nepomuk nennt er das zutrauliche Tier und nimmt es mit nach Hause. Doch in der kleinen Neubauwohnung kann der große Schwarze nicht bleiben ...

 

Um Nepomuk zu retten, weiß Ulf eines Tages keinen anderen Ausweg mehr, als mit ihm zu fliehen. Unterwegs lernt er den alten Oscar kennen, einen kauzigen, gutmütigen Mann, der vor der Stadt in einer Laube wohnt. Oscar ist bereit, Nepomuk aufzunehmen, aber er stellt Bedingungen. Diese Abmachungen haben es in sich, sind für Ulf gar nicht so einfach zu erfüllen. Eine aufregende Zeit beginnt für den Jungen. Dann kommt ihm auch Sabine noch auf die Schliche, aber das ist eigentlich etwas recht Erfreuliches.

 

Und so beginnt die Freundschaft zwischen dem Jungen und dem großen schwarzen Hund: „Ulf verspürte zuerst Angst, als der große Schwarze auf ihn zukam, und dachte einen Augenblick lang daran, wegzulaufen. Dann dachte er, dass es sinnlos wäre, und blieb stehen, und als der Schwarze dicht vor ihm stoppte, nahm Ulf all seinen Mut zusammen und sagte: „Na, Alter?“

 

Sicher hätte der Schwarze dasselbe erwidert. Nur können Hunde nicht reden. Er wedelte mit dem Schwanz. In der Hundesprache könnte das: Na, Alter! heißen, aber vielleicht hieß es auch gar nichts und zeigte einfach die Freude an, die der einsam vor sich hin Trottende für das freundliche Wort empfand.

 

„Na, komm schon, komm“, sagte Ulf, und er streichelte den Hund. Dem Schwarzen schien das zu gefallen. Er begann Ulfs Knie zu belecken. Ulf störte es nicht, und um sich mit dem Hund näher bekanntzumachen, fragte er: „Wie heißt du denn?“ Klar, die Frage verfehlte ihren Zweck. Selbst bei einem schwerhörigen Regenwurm wäre der Erfolg nicht geringer gewesen. Ein Hund ist aber keinesfalls dumm. Er merkt, dass mit ihm gesprochen wird. Sofort bemühte sich der Schwarze, seine Dankbarkeit noch spürbarer zu machen, und leckte aktiver, doch nun Ulfs anderes Knie.

 

„Ist ja gut", sagte Ulf und blinzelte dem Hund zu. Der blinzelte zurück. „"Du bist mir schon einer“, sagte Ulf und legte ihm beide Arme um den Hals. Der Schwarze schmiegte sich an, als wäre er froh, nicht länger allein zu sein. „Bist du auch neu hier?", fragte Ulf, und er erzählte, dass er erst vor drei Tagen mit seinen Eltern ins Neubauviertel gezogen sei. Lange haben sie davon geschwärmt: Junge, eine neue Wohnung, immer warmes Wasser aus der Wand und Fernheizung, und du, du kriegst dein eignes Zimmer. Alles war prompt eingetroffen. Und trotzdem! Richtig wusste Ulf nicht, was mit ihm war. Vielleicht lag es an den hohen hellen Häusern mit den langen Balkonreihen, eins wie das andere aussehend, so dass man dort, wo schon Plattenwege und Rasenflächen angelegt waren, glatt Straße und Hausnummer verwechseln konnte. Seinen Block kannte Ulf auf den ersten Blick heraus. Es war der letzte vor der Baustelle. Dort wurden schon die nächsten Blocks hochgezogen. Da war der riesige Kran, der die Bauplatten an die richtige Stelle hob, und da waren die Bauarbeiter. Sie trugen Schutzhelme, und mit dem Kranführer unterhielten sie sich über Sprechfunk. Natürlich hatten Kinder dort nichts zu suchen. Auf einem Schild stand mit Ausrufezeichen zu lesen: Unbefugten ist das Betreten der Baustelle verboten! Die Bauarbeiter aber waren richtige Menschen. Sogar über Sprechfunk ließen sie Ulf mit dem Kranführer reden. Wie der Brigadier hatte er gerufen: Hallo, Franz! Der fragte sofort zurück: Ein Neuer? Und der Brigadier hatte mit: Genau! geantwortet.

 

„Moderne Technik, verstehst du“, sagte Ulf zu dem Schwarzen, „die Bauarbeiter sind schwer in Ordnung.“ Ulf konnte also nicht behaupten, dass es in Eberswerda langweilig war. Während er den Schwarzen an sich drückte und mit ihm redete, wusste er plötzlich, was ihm fehlte. Andi fehlte ihm und Frank und Ralf auch. Immer hatten sie zusammengehalten, und wer ihnen etwas tun wollte, der sollte nur kommen! Nachmittags hatten sie sich im Wald Buden gebaut oder waren mit ihren Rädern zum Krebssee gefahren, und wenn sie plötzlich mächtigen Hunger oder Durst verspürten, war es von dort bis zu Andis Großmutter nur ein Katzensprung. „Weißt du, Alter“, sagte Ulf, „sie kocht die beste rote Grütze, die du dir denken kannst. Eine prima Oma." Der Schwarze leckte sich die Schnauze. Ulf aber fuhr in Gedanken mit seinen Freunden durch Ranklitz, vorbei an den ein- oder zweistöckigen Häusern, kein einziges glich dem andern, mal über Holperpflaster, mal auf dem Fußsteig, wie es in einem so kleinen Ort fernab von den großen Straßen üblich ist, sie fuhren unterm grünen Dach der Linden- und Rotdornalleen, und bei Eisenschmidt parkten sie ihre Räder und beguckten sich das Schaufenster, ob er neues Angelzeug oder Fahrradspiegel mit extralangem Stiel ausgestellt hatte. Das Neuste legte Eisenschmidt immer ins Schaufenster. Nebenan befand sich die PGH-Metall, wo der Vater gearbeitet hatte, und eine Straßenecke weiter der rote Backsteinbau der Schule mit den Säulen vorm Haupteingang. Und als Ulf an das alles dachte, sehnte er sich nicht nur nach seinen Freunden, sondern noch mehr nach Ranklitz, das über zweihundert Kilometer weit weg war. „Ach, Schwarzer“, sagte Ulf und umarmte ihn noch fester. Als er dessen feuchte Zunge spürte, wurde dem Jungen leichter ums Herz.

 

So schlossen die beiden Freundschaft.“

 

Allein schon wegen dieser Freundschaft zwischen Ulf und Nepomuk, dem großen schwarzen Hund, lohnt es sich, dieses Buch von Hildegard und Siegfried Schumacher zu lesen. Aber auch wegen der Beobachtungen aus dem Alltag des kleinen, längst verschwundenen Landes, in dem aber auch ganz normal gelebt, gearbeitet, geliebt und – Freundschaft geschlossen wurde. Und trotz aller schönen Neubauwohnungen blieb bei manchem eine Sehnsucht nach Ranklitz und nach Roter Grütze, der besten der Welt …

 

Und vielleicht schauen Sie sich auch mal den dazugehörigen DEFA-Film an. Allein schon wegen Kurt Böwe. Den kennen Sie doch noch, oder? Im Übrigen ist in dem 75-Minuten-Streifen auch Liedermacher Gerhard Schöne in einer Nebenrolle als Musiker zu sehen. Zudem singt Schöne das Titellied „War mal ein Hund, ein großer“.

DDR-Autoren: Newsletter 24.03.2017 - Begegnung mit Wolfgang Schreyer und Sehnsucht nach Ranklitz