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Eine Spur von Unruhe in Amerika, Kolumbus in der Fahrschule, ein Schakal und seine Nichte - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 05.02. 2021) – Weit in die Welt hinaus führt uns der erste Newsletter des schon zweiten Monats des nicht mehr ganz so neuen Jahres, das inzwischen auch schon ein Zwölftel seiner Jahreslebenszeit hinter sich hat. Man stelle sich einmal vor: In nicht einmal mehr elf Monaten ist schon wieder Weihnachten, Schnee und Eis versprechen „White Christmas“ – also fast wie jetzt könnte man meinen. Noch ist jedenfalls hierzulande kein Osterspaziergang in Sicht. Schon gar nicht ohne Maske und ohne Abstand. Was also tun? Eine Alternative sind virtuelle Weltreisen, die man auch mit zwei der vielleicht preiswertesten Fortbewegungsmittel durch Raum und Zeit unternehmen kann – mit Büchern und mit der eigenen Fantasie.

Und genau dazu laden mindestens drei der fünf aktuellen Angebote ein, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 05.02. 21 – Freitag, 12.02. 21) zu haben sind. Da schauen wir zum Beispiel wieder einmal mit den kundigen Augen von Walter Kaufmann nach Amerika, speziell in das Amerika der Sechzigerjahres des vorigen Jahrhunderts, in dem uns manches bekannt, manches unbekannt vorkommt. Auf jeden Fall aber dürfte dieser Rückblick helfen, die Gegenwart der USA besser zu verstehen. „Hoffnung unter Glas“ lautet der beziehungsreiche Titel dieses Buches von Mr. Kaufmann.

Offenbar tierstimmenkundig ist Uwe Berger, die in seinen Sinngedichten Auskunft über „Das Gespräch der Delfine und anderer Tiere“ gibt. Und selbstverständlich auch über uns Menschen.

Was eine Rabenmutter ist, das weiß man vielleicht. Aber was ist ein Rabenvater? Und ist Herr Schmidt tatsächlich ein solcher Rabenvater? Alltäglich-ungewöhnliche Antworten auf diese Fragen gibt Dietmar Beetz in seinem Buch für Kinder und Erwachsene „Rabenvater Schmidt“. Und irgendwie geht es darin auch um die Entdeckung von Amerika. Jedenfalls ein bisschen.

Von Amerika nach Afrika. Afrika, genauer gesagt Guinea-Bissau. Guinea-Bissau war im vergangenen Jahrhundert zeitweilig der Arbeitsplatz des Arztes, Schiffsarztes und Schriftstellers Dietmar Beetz, von dem eben schon die Rede war. Und dort hat er den einheimischen Märchenerzählern gut zugehört, diese literarischen Schätze gesammelt und in unserer Sprache nacherzählt. Nachzulesen in „Der Schakal im Feigenbaum. Und andere Märchen aus Guinea-Bissau“. Märchenhaft. Zauberhaft.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Auch in dieser Rubrik geht der Blick noch einmal nach Amerika, in die USA, wo sich derzeit manches im Umbruch befindet. Um das Heute zu verstehen, ist es manchmal nützlich, das Gestern und vielleicht sogar auch das Vorgestern zu kennen. Möglich wird das mit einem aus heutiger Sicht gewissermaßen schon selbst historisch gewordenem Buch, das eine damalige nordamerikanische Gegenwart beschreibt, aber schon deshalb lesenswert geblieben ist, weil der Autor eine ganz besondere Art hat zu erzählen – irgendwo zwischen Anna Seghers, Egon Erwin Kisch und Ernest Hemingway …

Erstmals 1965 erschien im damaligen VEB Hinstorff Verlag Rostock „Begegnung mit Amerika heute (1965)“ von Walter Kaufmann“ in einer autorisierten Übersetzung aus dem Englischen von Helga Zimnik: Die USA nach dem Mord an John F. Kennedy, im Zeichen der Präsidentschaftswahlen und der Bürgerrechtsreform. Walter Kaufmann, ein vorzüglicher Kenner der englischsprechenden Welt, durchreiste die Vereinigten Staaten 1964 erneut und berichtet über seine Erlebnisse in der Steinwüste der New Yorker City, in der Künstlerboheme von Manhattan, im brodelnden Negerviertel Harlem, in dem größten, automatisierten Werk der General Electric in Louisville, auf den Farmen zwischen Atlanta und Albany im Staate Georgia, erzählt von den schwarzen Moslems und einer mutigen Studentin aus Connecticut, die sich vor dem Gericht des weißen Mobs in Atlanta verantworten muss. Er zeichnet das Bild eines reichen und schönen Landes, dessen Bewohner durch eine ebenso primitive wie aktive Minderheit in den Strudel offener Gewalttätigkeiten gezerrt werden sollen. Und so eindrucksvoll beginnt seine amerikanische Bildbeschreibung:

„Erster Satz

Unter dem dumpfen Röhren der Nebelhörner gleitet der Ozeanriese an der Freiheitsstatue vorbei nordwärts in die Mündung des Hudson. Der aufgewühlte Fluss schlägt gegen die Rümpfe der Frachter an den Kais von Manhattan und Jersey City, wo kreischende Kräne Frachten aus den Laderäumen hieven: Kaffee aus Brasilien, Gummi aus Sumatra, Bananen aus Costa Rica … Unsichtbare Fähren treiben tutend auf Hoboken und Weehawken zu. Allmählich verschwindet die Silhouette des Ozeandampfers im Nebel, die gespenstischen Rufe der Nebelhörner übertönen den Lärm des Hafens und steigern die Spannung der Passagiere – des farbigen Musikers, der aus Paris wiederkommt, des Werkzeugmachers aus Dortmund, der als Auswanderer Zwischendeck reist, des schwedischen Professors der Soziologie, der amerikanischen Millionärswitwe, die zu ihrer Zimmerflucht im Waldorf-Astoria zurückkehrt …

Hinter den Kaianlagen von New Jersey, weit drinnen im Land, rasen die Schnellzüge aus Waco, Mobile, Los Angeles, Kansas City pfeifend durch nebelverhangene Ebenen, Manhatten entgegen. Westlich des Hudson donnern sie in die Tunnel tief unter dem Fluss, tauchen inmitten ragender Wolkenkratzer wieder auf – Grand Central und Pennsylvania Railroad Station. Bald werden der angehende junge Schriftsteller aus Gary, die hübscheste Schauspielerin des Dramatischen Klubs von Erie, der Bankangestellte aus der Provinz, dessen Ziel Wall Street ist, der tüchtige Mechaniker aus Buffalo – einige Neuankömmlinge unter ungezählten anderen – sich in dem riesigen Labyrinth aus Glas und Beton im Herzen der Stadt verlieren.

Überall in Manhattan gehen müde Nachtarbeiter, Wächter, Kellnerinnen, Drucker, Barmädchen, Docker, Postangestellte nach Hause. Ein Sprengwagen rollt über den Asphalt. In einem Dutzend Nachtklubs spielen noch die Bands. In der oberen East Side, in der oberen West Side, rings um den Union Square, in Chelsea und Greenwich Village schreckt das schrille, unbarmherzige Läuten der Wecker die Schlafenden auf. Ein neuer Tag, ein neuer Dollar. Vergiss nicht, meinen Anzug in die Reinigung zu geben, und bring von Macy ein paar Hemden aus dem Ausverkauf mit …

Mit zunehmender Helligkeit füllen sich die Straßen. In Bussen und U-Bahn-Zügen strömen eine Million, zwei, drei Millionen Menschen durch die Stadt zur Arbeit – die Gesichter von New York; italienische, mexikanische, jüdische, schwarze, irische, deutsche, puertorikanische … Schritte auf Granit, hohe Absätze, flache Absätze – ihr Geräusch verschmilzt mit dem anschwellenden Verkehrslärm. Am bleigrauen Himmel schießt ein Düsenflugzeug gen Westen, zieht einen Silberstreifen durch den Nebel. Unter der Erde schwanken donnernd U-Bahn-Züge über Stahlgleise, rasen durch die Tunnels – Crosstown von Queens her, Shuttle zum Times Square, die Broadway-Linie nach South Ferry – einmal quer durch Manhattan innerhalb einer Stunde. Greif dir eine Tasse Kaffee und renne los! Frühstück zwischen zwei Zügen. Draußen, auf der Fifth Avenue, geht die Stimme eines Mädchens im Heulen der Sirenen unter – er war mit mir im Rainbow Room, und es wurde so spät, dass wir im Taxi nach Hause fahren mussten –, geht unter im Kreischen der Autobremsen.

Die aufgehende Sonne enthüllt die Spitze des Empire State Building, die Türme des Rockefeller Centre, des Chrysler-Gebäudes, den Hubschrauber-Flugplatz der Pan American über Grand Central Station. Bald erstrahlen die oberen Stockwerke des Hotels und Apartement-Häuser in der Park Avenue im Licht, die Morgensonne spiegelt sich in zahllosen Fenstern, dringt durch die Luken der Dächer. Unten in den Straßenschluchten eilen die Menschen noch im Zwielicht dahin, verschwinden in den Gebäuden, als wollten sie dem Verkehr entfliehen, drängen sich in die Fahrstühle, die zum zehnten, dreißigsten, sechzigsten Stock aufsteigen und in Sekunden wieder unten sind. In einem Büro nehmen sechzig junge Stenotypistinnen die Schutzhüllen von sechzig Schreibmaschinen. Diese Schuhe bringen mich noch um, sagt eine und setzt sich. Habt ihr von dem Flugzeugunglück gelesen? Was sie auf der einen Seite verlieren, kommt auf der anderen wieder ein – Eisenbahnaktien steigen. Die Fenster klirren – war das wieder ein Düsenflugzeug, oder wird der alte, halbverfallene Speicher gesprengt, um Platz zu schaffen – wofür? Für ein Warenhaus, ein neues Hotel, eine Bank, eine Versicherungsgesellschaft …

In Harlem, in der 125. Straße, kaum einen Häuserblock östlich der Eighth Avenue, bleibt der Negermusiker ein paar Augenblicke vor dem Apollo-Theater stehen, betrachtet die Fotos in den Schaukästen, studiert den Programmzettel, fragt sich, wie man wohl am besten Eindruck macht auf die Weißen in der Direktion – zehn Jahre Paris scheinen ihm plötzlich fast eine Lebenszeit: Neue Sterne sind aufgegangen, neue Namen. Werden sie mir da überhaupt eine Chance geben? – Der Werkzeugmacher, Auswanderer aus Dortmund, schleppt seinen Kunstlederkoffer durch den Central Park über die Lexington Avenue, die Third Avenue, die Second Avenue zum Ostende der 86. Straße. Zuweilen fühlt er sich in die Heimat zurückversetzt – seine Umgebung ist eine seltsame Mischung von New York und Dortmund: Die niedrigen, hässlichen braunen Sandsteinhäuser enden an einer altdeutsch aufgemachten Eckkneipe, „Heidelberger Fass“; eine andere Kneipe, „Im kühlen Grunde“, hat deutsche Bierkrüge im Fenster. An den Kiosken kann man deutsche Zeitungen kaufen. Frakturschrift auf den Schildern über den Feinkostgeschäften – SCHÄFERS DELICATESSEN auf den sauberen Kacheln im Schaufenster Bockwurst, Mettwurst, Leberwurst, Knackwurst, Blutwurst. Ein Stück weiter eine Musikalienhandlung: deutsche Schallplatten. Hansa Lloyd Reisebüro: Fotografien von bayrischen Berglandschaften, von Schlössern am Rhein … Er stellt den Koffer hin, fragt auf deutsch nach dem Weg. Hör zu, old man, die Sprache versteh ich nicht, frag doch einen von den Krauts! – Der schwedische Soziologe hat den Ozeandampfer noch nicht verlassen – in einem Salon des Schiffes beantwortet er Fragen von Korrespondenten der „Nation“, der „New Republic“, des „National Guardian“. Es kann nicht meine Aufgabe sein, den Wahrheitsgehalt der Behauptung zu untersuchen, dass ein einzelner Mann, Lee Oswald, den Präsidenten erschossen habe, erklärt er in tadellosem Englisch; das ist Sache des FBI. Was mich interessiert, ist das moralische und soziale Klima, das diese Tragödie möglich machte. – Im Schlafzimmer der Millionärswitwe, in ihrem Luxusapartement in einem der Türme des Waldorf-Astoria, zieht die Zofe die schweren Chintzvorhänge an den Fenstern zu: erloschen das Sonnenlicht, versperrt der Blick auf die Gartenterrasse, gedämpft das Tosen der Stadt. Stille. Der Raum liegt im Halbdunkel. Wünschen Sie noch etwas, Madam, bevor ich gehe? – Nein, meine Liebe. Es war alles etwas viel für einen Morgen. Ich bin ganz erschöpft – und so müde! Ich könnte jetzt nichts und niemanden mehr ertragen, nicht jetzt, keinesfalls in den nächsten Stunden …“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters.

Erstmals 1967 veröffentlichte Walter Kaufmann ebenfalls im damaligen VEB Hinstorff Verlag Rostock „Hoffnung unter Glas“, wiederum in der autorisierten Übersetzung aus dem Englischen von Helga Zimnik. Die dokumentarischen Teile des Buches sind Ausschnitte aus Zeitungen, die in den USA im Jahre 1965 erschienen waren: In zahlreichen Erzählepisoden, die kaleidoskopartig geordnet und durch dokumentarisches Material gestützt sind, gibt der Autor einen Einblick in das amerikanische Leben der Sechzigerjahre, schildert er seine Begegnungen mit amerikanischen Menschen, mit schwarzen und weißen Schauspielern des Free South Theatre, mit engagierten Künstlern und geschäftstüchtigen Verlegern, mit trinkfesten Seeleuten und routiniert fahrenden Taxichauffeuren, mit vereinsamten Einwanderern und mutigen Studenten, die sich für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner und für den Frieden in Vietnam einsetzen. Walter Kaufmann, ein hervorragender Kenner der englischsprechenden Welt, beschreibt den Glanz der amerikanischen Großstädte mit den Showgirls in der Bourbon Street von New Orleans und den Gestrauchelten, Dieben und Prostituierten, die im New Yorker Nachtgericht vor ihrem Richter stehen, die folkloristischen Traditionen der Südstaatler, wie sie die Jazzmusiker in der Preservation Hall bewahren, und die urwüchsigen Späße der Komödianten in Pat O'Brians Restaurant: ein Bild von der weniger bekannten Seite der Vereinigten Staaten von Nordamerika, die sich in einer schweren sozialen und politischen Krise befinden. Der Anfang beginnt mit einer deutlichen Enttäuschung des Autors:

„1

Wo ist das Großartige vom vergangenen Jahr, wo das Überwältigende – nur eine Spur von Unruhe ist geblieben: Vergangenes, Gegenwärtiges und Kommendes verschwimmen ineinander bei diesem zweiten Besuch in Amerika. Vier Uhr Eastern Time in New York – ein gewöhnlicher Mittwochnachmittag im März. Nichts erscheint fremd, ungewohnt – nur der Tag dauert an, wenn alle Sinne begehren, dass es Nacht wird, Zeit zum Schlafen, zum Atemholen. Müdigkeit überkommt dich jetzt nach der Landung. Das ist der Preis, den du zahlen musst, wenn du die Zeit überlistest, wenn du etwas so Übernatürliches erlebst wie diesen zwölfstündigen Flug, immer der Sonne entgegen. Es war ein Tag ohne Zwielicht, ohne Nacht – die Sonne ging niemals unter über dem weiten Atlantik, sie leuchtete herab auf glitzernde Eisschollen, weißschäumende Wellenkämme, grün-blaues Wasser, und dann auf die Küste des anderen Kontinents: die Sanddünen und den Strand von Cape Cod, das Panorama von Boston, die Berge, Wälder und Seen von Massachusetts und Connecticut …

Jetzt, auf der Fahrt vom Flughafen den Grand Central Parkway in Queens entlang, kommt es dir vor, als hätte die Erde allen Glanz verloren. Die Stimmung ist grau. Die Welt ist grau. Der Verkehrsstrom durch Corona, Jackson Heights, Elmhurst und Astoria ist nicht so gewaltig, wie du ihn in Erinnerung hattest, und als das Taxi auf der Triborough Bridge über den East River nach Harlem rollt, erscheint dir der Blick auf die Insel Manhattan wenig eindrucksvoll: die Stadt ist in Dunst gehüllt, in der Ferne regnet es, tief hängende Wolken verdecken die Türme der Wolkenkratzer. Wirst du das dir vertraute Bild von New York jemals wiederfinden? Sogar die Unruhe packte dich nur für einen Augenblick, als der Einwanderungsbeamte sich erkundigte, worüber du diesmal schreiben willst, vielleicht über den bevorstehenden Streik der Flugzeugführer? Du schütteltest den Kopf. Er hatte gelächelt bei seiner Frage, und du wusstest sofort, dass auch eine klarere Antwort Amerika nicht gehindert hätte, dich wiederum mit Gleichmut aufzunehmen.

Du bist jetzt ein Heimkehrender, kein Fremder mehr. Diesmal kannst du dem Taxifahrer genau sagen, wo du hin willst, und so erreichst du das Hotel „Peter Stuyvesant“ viel schneller als im vergangenen Jahr. Heute wird der Chauffeur auch nicht durch deine Fragen aufgehalten. In lockerer Haltung, zwei Finger am Lenkrad, sitzt er da, ganz konzentriert, und fährt den Wagen wunderbar flüssig, durch den Roosevelt Drive, die York Avenue, dann biegt er nach Westen ein in die 86. Straße, vorbei an der First Avenue, der Second Avenue, der Park Avenue und durch den Central Park.

„Da wären wir.“

„Danke, dass Sie mich so schnell hergebracht haben.“

„Okay.“

Du trägst dein Gepäck durch die Glastüren in die Halle und stellst es vor dem Empfang ab. Die Telefonistin erkennt dich wieder und lächelt. Wie heißt sie doch gleich? Du hast’s vergessen. Der Zeitungsstand ist geschlossen. Was ist aus der alten Wienerin geworden? Tony, der halb blinde griechische Fahrstuhlführer der Tagschicht, will deine Koffer nehmen. „Einen Augenblick bitte, Tony.“

Du wendest dich an Mr. V., den Empfangschef. „Kann ich mein altes Zimmer wiederhaben – Sie wissen doch, das mit dem Blick über den Park, in dem ich voriges Jahr gewohnt habe?“

Mr. V. (der dich ebenfalls wiedererkennt) verzieht bedauernd das Gesicht – die Zeiten hätten sich geändert, das Haus gehöre jetzt einem Syndikat, kein Polizist bewache mehr die Eingangstür, keine käuflichen Damen kämen mehr hierher, es ist wieder ein hochanständiges Hotel und fast immer voll belegt.

„Dieses Zimmer ist nicht frei, wir haben nur ein Zwei-Zimmer-Apartment zur Straße hin für Sie. Wollen Sie es nehmen?“

„Was kostet das?“

Mr. V. überlegt. Wie sich herausstellt, sind alle Räume renoviert und neu eingerichtet worden, und die Preise haben sich wesentlich erhöht. Selbst die Monatsmieten überfordern deine Brieftasche. Du sagst das Mr. V., doch er zuckt nur die Achseln.

„Versuchen Sie doch, in der Nähe etwas Billigeres zu finden.“

Er wirkt sehr selbstsicher – so als hätten sich die Hotelbesitzer untereinander abgesprochen. Zwei Stunden später – die Suche nach einem Zimmer zu einem vernünftigeren Preis war vergeblich gewesen (in wie vielen Hotels warst du, mit wie vielen Empfangschefs hast du verhandelt, wie viele Fahrstühle haben dich in wie viele Stockwerke geführt?) – bist du wieder im „Peter Stuyvesant“.

„Ich nehme das Apartment.“

„Das dachte ich mir“, entgegnet Mr. V. mit Befriedigung in der Stimme. „Hier ist doch beinahe Ihr zweites Zuhause, nicht wahr?“

„Ja, wenn ich wieder mein altes Zimmer bekomme.“

„Wir werden für Sie tun, was wir können, Sir“, versichert Mr. V., „wir werden unser Bestes versuchen.“´

Erstmals 1986 erschien im Kinderbuchverlag Berlin der Band „Das Gespräch der Delfine und anderer Tiere. Sinngedichte“ von Uwe Berger mit Illustrationen von Hans-Joachim Behrendt. Das ebenfalls im E-Book enthaltene Buch „Kater - Vater“ mit Illustrationen von Heike Laufenburg war erstmals 2006 im Zwiebelzwerg-Verlag Willebadessen veröffentlicht worden: Diese Sinngedichte reiben sich an menschlichen Schwächen, an überlebter und lebendiger Realität. Mit der Weitsicht demokratischer Veränderung blicken sie zurück und nach vorn. Aufs Korn genommen werden kleine und große Tyrannen, Rechthaber, Hochnäsige und Verbockte. Warmherzig verteidigt sehen sich scheinbar und wirklich Schwache, Wahrheitsliebende und ehrlich sich Mühende. Mit Allegorien aus dem Reich der Tiere erneuert Uwe Berger eine alte Tradition. Hier ein paar Beispiele für diese Texte auf der Suche nach Sinn. Sehr vergnüglich sind sie sowieso:

„Mit erhobenem Kopf

Im Tierreich gab es Revolution,

im Tierreich herrscht ein neuer Ton:

Wo keiner Diener ist noch Knecht,

regiert die Mehrheit, gilt ihr Recht,

hier, wo man aufrecht geht und lebt,

die Mühsal ehrt, den Kopf erhebt.

Das Richtige tun

Die Arbeitsbiene schwirrt davon.

„Ich achte nicht auf Wut und Hohn.

Ich werde niemals ruhn,

das Richtige zu tun.“

Fuchs und Bär

Der Fuchs empfiehlt dem Bären: „Sei

so schlau wie ich, mach kein Geschrei!“ —

„Sehr klug bist du, mein Freund, doch hör“

sagt der, „ich lieb das Recht zu sehr.“

Überheblichkeit

Stets loben Zander sich und Barsch:

„Wir sind die Besten und noch mehr.

Wie hilflos ist der Falk im Meer,

hat nicht wie wir das Maul, den A ...“

Wes Geistes Kind

Ein Maultier naht sich ziemlich bescheiden

den Pferden und fragt: „Mögt ihr mich leiden?“ —

„Von Interesse“, sagen die, „ist es nicht,

welcher Gattung und Herkunft du bist,

sondern was für ein Geist aus dir spricht

und mit wessen Maßen du misst.“

Wölfisches Benehmen

Der Wolf ist sehr empört.

Er findet’s unerhört,

wenn man ihm die Meinung geigt

und ihm gar die Zähne zeigt.

Delfine

Delfin singt pfeifend zu Delfin,

als sie wie Licht durchs Wasser ziehn:

„Der Mensch ist ja ein nettes Tier,

doch schwimmen kann er nicht wie wir.

Ist einer mal ins Meer gefallen —

wir helfen ihm, dass er helf allen.“`

Erstmals 1987 druckte der Postreiter-Verlag Halle, der damals ein VEB war, das nicht nur für Kinder spannende Kinderbuch „Rabenvater Schmidt“ von Dietmar Beetz: Was geschieht, wenn der Vater im Ausland arbeitet, wenn er monatelang nicht heimkommen kann, wenn die Mutter mit Christoph und Anja allein zurechtkommen muss? Ist Vater Schmidt wirklich ein Rabenvater? Dietmar Beetz erzählt hier eine scheinbar alltägliche Geschichte, die aber voller überraschender Wendungen ist. Hier ein kurzer, aber eindrucksvoller Textauszug, in dem ein Vater seinen Sohn überrascht:

„Das war schon während der Umzugszeit. Überall in der alten Wohnung, in den zwei Zimmern und der Küche, die auch Frau Mohnhaupt benutzte - überall standen Kisten und Körbe. Mutter packte Geschirr, Wäsche, Bücher ein, und Anja turnte in dem Durcheinander herum und behauptete, Mutter beim Packen zu helfen.

„Gehn wir!“, sagte Vater zu Christoph, als wieder einmal ein Gewitter wegen dieser Hilfe drohte. „Wir bringen was von dem Kleinkram hin.“

„Tut das!“ Mutter stöhnte. „Hier steht ihr sowieso bloß rum." Eh Anja begriff, hatte Vater einen Korb voller Teller und Tassen gepackt; Christoph hielt ihm die Tür auf, und fort ging’s.

Das nächste Mal war Anja fixer. „Ich will auch mit! “

Trotzdem wurde es eine schöne Tour, zumindest für Christoph. Er musste zwar hinten sitzen, weil Anja anders keine Ruhe gab, als Vater aber endlich losfuhr, verrauchte Christophs Wut. - So fahren können, so schalten, so den alten, auffrisierten Trabi über Kopfsteinpflaster und geflickten Asphalt, über Straßenbahnschienen steuern!

Und dann - diesmal ohne Anja, die es vorzog, der Mutter zu helfen - dann passierte etwas Außerordentliches.

Es war nach der sechsten oder siebten Fahrt zum Neubauviertel, auf dem Heimweg. Am Tag darauf sollte der eigentliche Umzug sein, der Möbeltransport mit einem Lastkraftwagen aus dem Betrieb, mit Anders und Schippel als Helfer, mit einer Feier in der neuen Wohnung. Damals hatten Vater und Christoph den Rest Geschirr hingebracht, und Vater war gefahren, so sicher, so gekonnt, dass keiner der Teller geklirrt, keiner der Topfdeckel geklappert hatten.

„Wohin?“, fragte Christoph, als Vater stadtauswärts abbog.

„Wart’s ab!“

Das war nicht böse gemeint und war doch unumstößlich. Was Vater sagte, das galt. Außerdem hielt er Neugier bei Männern für eine Schande.

Nicht, dass Christoph neugierig gewesen wäre; das nicht! Es fiel ihm schwer, so dazusitzen, angeschnallt neben dem Vater, und abzuwarten. Das war verdammt schwer, aber er schaffte es.

Hätte er wenigstens die Gegend besser gekannt! Durch diese Straßen war er erst ein einziges Mal gekommen: bei einer Fahrt zum Harz, einem Schulausflug. Bis zur Altstadt, wo er bisher gewohnt hatte, waren es knapp vier Kilometer, aber hier am Stadtrand erstreckte sich für Christoph bereits eine fremde Welt.

Das Land rechts und links war leicht gewellt. Felder, gelb und weit - Getreide vor der Ernte; dazwischen da und dort ein Wäldchen oder Gestrüpp. Wie das Korn um diese Inseln wogte!

Christoph spähte durch die Windschutzscheibe und fühlte sich wie Kolumbus, sein großer Namensvetter. Aus dem Ozean stieg links vor ihm Amerika auf, ein dunkelgrüner Streifen, ein Eiland mit sturmgezausten Palmen. In Gedanken gab Christoph das Kommando: Drei Strich backbord voraus!

Der Mann am Steuer brachte das Schiff auf den neuen Kurs. Sanft hob sich der Bug, und eine Weile wuchs Amerika weiter auf. Dann versank es hinter der nächsten Woge, und als es wieder emportauchte, glichen die sturmgezausten Palmwedel struppigen Kiefernzweigen.

Vater, der Rudergänger, hielt darauf zu. Er war von der Landstraße abgebogen und fuhr nun auf einem Feldweg. Das Fahrzeug, eben noch Flaggschiff des Kolumbus, ähnelte jetzt einer Schildkröte, bedächtig, wie es dahinkroch.

Trotzdem: so geschaukelt zu werden, so sanft - auch das machte Spaß. Noch schöner nur, meinte Christoph, dieses Panzertier zu steuern, gerade hier, wo das bestimmt weit schwieriger war als auf glatter, schnurgerader Chaussee.

Er seufzte. An einem Steuer sitzen, einem richtigen Lenkrad, und selber fahren - das blieb ein Wunschtraum, wenn man erst zwölf war, erst elfdreiviertel, und eh man ein Kolumbus der Landstraße wurde ...

„Ist was?“, fragte Vater.

Er blickte aus den Augenwinkeln her, und Christoph, aus seinen Gedanken gerissen, erkundigte sich: „Was soll denn sein?“

„Na, vielleicht geht’s dir zu langsam und ist dir zu langweilig, jetzt und überhaupt in den letzten Tagen?“

„Hm ..."

Da hielt Vater an und stieg aus. Er streckte und reckte sich, schaute sich um.

Auch Christoph war ausgestiegen, stand da, breitbeinig wie Vater und guckte in die Runde.

Rechts Hafer, links Roggen - Halme bis in Schulterhöhe - tatsächlich wie ein Meer, wie Wellen, über die man hinwegsah. Vorn ragten die Kiefern auf, und achtern schimmerten die Türme und Hochhäuser der Stadt.

Es war merkwürdig still. Der Motor schnurrte leise, und fern, scheinbar über den Ähren, zirpte es. Hoch oben kreiste ein Vogel; ansonsten bewegte sich weit und breit nichts und niemand.

„Wie bei Stschastliwoje.“ Der Vater seufzte.

Christoph schluckte und schwieg. Er fühlte sich enttäuscht, und etwas begann ihn zu würgen.

Deshalb also war der Vater hierhergefahren, um wieder von der Trasse, von seinen Kumpels, von ihrem Lager bei diesem Stschastliwoje zu reden! Erst: „Wart’s ab!“ - nun das. Das, statt der Überraschung, auf die er, Christoph, sich gefreut hatte.

„Kopf hoch, Großer! “ Vater legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Noch bleibe ich ja eine Weile hier, und die wollen wir nutzen.“ Er gab ihm einen Stups. „Steig ein!“

Und dann kam das Unerhörte.

„Nicht drüben, hier!“, hatte Vater gesagt.

Christoph sah ihn ungläubig an.

„Na, los schon! “ Vater warf noch einen Blick in die Runde, glitt auf den Beifahrersitz.

Christoph spürte sein Herz im Hals, als er hinter das Lenkrad kletterte.

„Zuerst den Verstand einschalten!“, begann Vater. „Aufs Gas latschen und lospreschen, das kann jeder Idiot; den Kraftfahrer erkennst du an der Art, wie er anfährt, wie er umgeht mit seinem Schlitten.“

Weiß ich doch, dachte Christoph, weiß ich alles auswendig!

Wie im Traum, wie tatsächlich schon oft in Wachträumen trat er die Kupplung durch, legte den ersten Gang ein ...

„Bremse!“

Er löste sie im letzten Moment und schwor sich, das künftig nie wieder zu vergessen.“

Bereits erstmals 1977 hatte Dietmar Beetz im Kinderbuchverlag Berlin „Der Schakal im Feigenbaum. Und andere Märchen aus Guinea-Bissau“ veröffentlicht: „Wachse, Feigenbaum, werde groß.“ Von Hunger getrieben, wiederholt der Schakal den Zauberspruch. Ein Rauschen geht durch die Zweige, der Stamm streckt sich höher und höher. Die Äste biegen sich unter der Last der Früchte. Doch der Schakal frisst und schlingt und ruft immer wieder: „Wachse, Feigenbaum ...“ Die verschiedensten Lebewesen aus Urwald und Savanne bevölkern die Märchen dieses Bandes: der gierige Schakal, die bedächtige Schildkröte, der übermütige Affe, so kleine Tiere wie Hase, Sittich und Chamäleon, aber auch große wie das Flusspferd und der mächtige Panther. Dietmar Beetz war 1973 in Guinea-Bissau als Arzt tätig, er hat die schönen Märchen damals im Land selbst gehört und ebenso schön für Kinder nacherzählt. Hier das titelgebende Märchen:

„Der Schakal im Feigenbaum

Einst dauerte die Trockenzeit länger als gewöhnlich. Unter der Sonnenglut verdorrten die Gräser, und das Laub wurde welk. Nicht einmal Stroh fanden die hungernden Tiere zum Fressen.

Auch der Schakal streunte abgemagert umher. Auf der Suche nach Nahrung trieb es ihn durch den Busch und über die glühende Savanne. Doch so weit er die Augen aufriss, nichts konnte er erspähn, nichts jagen, reißen, verschlingen.

Schon war er dem Verhungern nah, da erblickte er eines Tages vor sich im flirrenden Licht das Zicklein.

Er blinzelte ungläubig. — Tatsächlich! Dort stand, über eine versiegende Quelle gebeugt, wirklich und leibhaftig das Zicklein. Stand allein da, hatte sicher die Mutter verloren ... Und wie dick es war, wie appetitlich.

Das Gesicht des Schakals verzerrte sich vor Hinterlist und Gier.

„He, Zicklein!“, rief er. „Schön, liebe Nichte, dir mal wieder zu begegnen. Und wie wohlgenährt du bist!“

Das Zicklein zuckte zusammen. Doch nach dem ersten Schrecken erwiderte es: „Onkel, du täuschst dich. In Wirklichkeit bin ich genauso hungrig wie du.“

„Ach was, liebe Nichte! Ich hab doch Augen im Kopf. Dein Bauch ist prall wie eine Trommel. Sieh mich dagegen an! Oder —noch besser — fühle mal, wie mager ich bin!“

Das Zicklein aber hatte den Schakal durchschaut.

Alter Gauner! dachte es. Ich soll bloß zu dir kommen, nah genug, dass du mich schnappen kannst. Daraus wird nichts. Und das Zicklein versuchte, den Schakal in eine Unterhaltung zu verwickeln.

„Lieber Onkel“, begann es, „wann haben wir uns eigentlich zum letzten Mal gesehen? Das muss doch schon Jahre her sein.“

Und weil der Schakal keine Antwort gab, fragte das Zicklein: „Erinnerst du dich noch an die sieben jungen Gazellen, die du damals an einem einzigen Tag gefangen und gefressen hast?“

Doch der Schakal war zu hungrig, um auf das Geplauder einzugehen. Unverwandt starrte er das Zicklein mit glühenden Augen an. Dabei schluckte er ein ums andere Mal; denn das Wasser lief ihm im Maul zusammen.

Als das Zicklein das sah, begriff es, dass ihm nur ein Ausweg blieb: Wollte es nicht gefressen werden, musste es sein Geheimnis verraten.

„Onkel“, raunte es, „ich weiß, wie du zu einer Mahlzeit kommen kannst. Zu einem Festschmaus! Eins aber musst du mir schwören: alles haargenau so zu machen, wie ich dir sage. Dann wird dein Bauch bald prall wie eine Trommel sein, gefüllt mit einer köstlichen Speise.“

„Sprich!“, drängte der Schakal. „Ich will gern alles befolgen.“

„Ich ernähre mich nämlich von Feigen, einer Sorte, die an einem besonderen Baum gedeiht. Nur der bekommt sie zu Gesicht, der einen Zauberspruch kennt.“

„Welchen Zauberspruch?“, fragte der Schakal.

„Das erfährst du später“, erwiderte das Zicklein. „Komm jetzt!“

Und es führte ihn tief in den Busch zu einem mächtigen Feigenbaum. Unter der ausladenden Krone blieb es stehen.

„Und die Feigen?“, fragte keuchend der Schakal. „Keine einzige Frucht ist zu sehn!“

„Gedulde dich! Erst muss gezaubert werden! Du brauchst nur hinaufzuklettern und zu rufen: >Wachse, Feigenbaum, werde groß!<„

Kaum hatte der Schakal den Zauberspruch vernommen, hing er schon zappelnd am untersten Ast.

„Warte noch!“, rief das Zicklein. „Du willst doch sicherlich irgendwann zurück zur Erde. Dann musst du rufen: >Schrumpfe, Feigenbaum, werde klein!< Vergiss das nicht!“

„Schon gut!“, versetzte der Schakal. Getrieben von der Gier nach Fressen, hangelte er hoch und kletterte bis in den Wipfel. Dort rief er, dass es schallte: „Wachse, Feigenbaum, werde groß!“

Da fuhr ein Rauschen durch die Zweige, und der Stamm begann zu knarren. Wie ein Riese, der sich aufrichtet und streckt, wuchs der Baum in die Höhe. Ängstlich klammerte der Schakal sich fest.

Und plötzlich sah er die ersten Früchte. Hastig riss er eine nach der andern ab, stopfte sie ins Maul, verschlang sie, fraß, wie eben nur ein heißhungriger Schakal frisst. Zwischendurch schrie er immer wieder: „Wachse, Feigenbaum, werde groß!“

Und der Feigenbaum wuchs höher und höher. Bald verschwand sein Wipfel in den Wolken, die am Himmel erschienen waren — Vorboten der verspäteten Regenzeit. Sie verdeckten die Erde, die immer ferner rückte und schließlich nicht mehr zu sehen war.

Der Schakal fraß, bis sein Magen vollgestopft war wie ein Sack, dann erst hielt er schnaufend ein und schaute um sich.

Unter ihm schwebten Wolken, kaum von einem Lufthauch bewegt, und über ihm strahlte die Sonne.

Jetzt rasch was saufen! dachte er. Schnell hinab!

Und er begann zu rufen: „Feigenbaum, Feigenbaum ...!“

Weiter kam er nicht. So angestrengt er auch überlegte, den zweiten Teil des Zauberspruchs hatte er vergessen, ein für alle Mal.

Was sonst noch mit dem Schakal geschah?

Weiß ich’s? — Wahrscheinlich hockt er nach wie vor oben im Wipfel. Vielleicht jagt er auch am Himmel den Schäfchenwolken nach. Das Zicklein jedenfalls hat vor ihm Ruhe.“

Besonders schön und offen ist der Schluss dieses afrikanischen Märchens, finden Sie nicht auch? Und es macht Lust auf das vollständige Buch mit Märchen aus Guinea-Bissau und vielleicht sogar auf andere kulturelle Begegnungen mit dem schwarzen Kontinent. Gerade und erst recht jetzt. Schließlich hat nicht zuletzt jüngst wieder einmal gezeigt, dass Rassismus und Gedankenlosigkeit sowie gedankenloser Rassismus öfter vorkommen als gedacht und dass sogar hübsche junge Frauen (weiß) denken und reden wie alte weiße Männer. Da sollten doch alle Alarmsirenen angehen.

Aber auch die anderen Sonderangebote des heutigen Newsletters sind des Anschauens, Auswählens und Kaufens wert. Und begeben Sie sich dann auf eine oder auch mehrere virtuelle Weltreisen durch Raum und Zeit und geben Sie Ihrer Fantasie Gelegenheit, sich zu entfalten und zu wachsen (und zu blühen wie eine Blume im kommenden Frühling etwa …). Aber ehe es jetzt wirklich zu poetisch wird und Pegasus endgültig mit dem Schreiber dieser Zeilen durchgeht, wollen wir zum Schluss dieser heutigen Depesche kommen und nur noch viel Vergnügen sowie eine trotz aller derzeit echt bescheuerten und widrigen Umstände gute Zeit wünschen. Selbst die Leipziger Buchmesse ist zum zweiten Mal hintereinander abgesagt worden. Bleiben Sie dennoch vorsichtig optimistisch, vorsichtig sowieso und auch in diesen schwierigen und teils bedrückenden Zeiten vor allem aber weiter schön gesund und munter und E-Book-freundlich. Und bis demnächst.

DDR-Autoren: Newsletter 05.02.2021 - Eine Spur von Unruhe in Amerika, Kolumbus in der Fahrschule, ein Schakal