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56 Sekunden Szenenapplaus, ein gewitztes Kind sowie ein Theaterkritiker in der Kantine - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 11.11. 2022) – Haben Sie Spaß am Singen? Und mögen Sie vielleicht Volkslieder? Dann wäre vielleicht das zweite der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters etwas für Sie, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 11.11. 22 – Freitag, 18.11. 22) zu haben sind. Denn dieses zweite Sonderangebot präsentiert „Neue Lieder“ von Gerhard Branstner.

Gerhard Branstner ist auch der Autor aller anderen Sonderangebote des heutigen Newsletters:

Zu einer erneuten Begegnung mit seinem Nepomuk laden „Nepomuks Philosophische Kurzanekdoten“ ein.

Ein gewitztes Kerlchen ist Gegenstand von „Ist der Aphorismus ein verlorenes Kind? Literarische Miniaturen“.

Um das Theater und seine Gesetze geht es in „Heitere Poetik. Von der Kantine zum Theater“.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Tatsächlich hat die politisch-philosophische Diskussion über die notwendige Veränderung der Welt wesentlich mit der einen Frage zu tun, was die alte Gesellschaftsordnung von der Welt übriglässt. Wird es überhaupt noch etwas zu verändern geben? Wird die Menschheit überhaupt überleben oder bringt sie sich Stück für Stück selber um, ehe sie die Welt verändern kann? Zu diesen brisanten Themen meldet sich der Autor des heutigen Buches zu Wort:

Erstmals 2003 veröffentlichte Gerhard Branstner im trafo verlag Berlin „Die Zweite Menschwerdung. Überlebensphilosophie“. Zu seinen Motiven erklärt der Autor selbst: Mein Denken und Tun kreist nur um ein Thema. Das ist der Übergang von der Klassengesellschaft zur klassenlosen Gesellschaft, anders gesagt der Übergang von der Vorgeschichte der Menschheit zu ihrer eigentlichen Geschichte. Dieser Übergang ist mir zum Sinn meines Lebens geworden. All meine Gedanken, ob sie zu den Naturvölkern gehen oder zu Napoleon, zu den Konzentrationslagern oder nach Irak, nach Israel oder zum Stalinismus, all meine Gedanken haben ihren Sinn und Zweck doch nur darin, den Übergang zu begreifen, als richtig und unvermeidlich zu erkennen, zu ermöglichen, zu befördern. Das erklärt die innere Verbindung und Gebundenheit, die Einheit der Verschiedenheit meiner geistigen Unternehmungen. Wenn wir nicht wissen, wohin wir gehen, wissen wir nicht, woher wir kommen, und jeder redet nur Unsinn über das Woher, und jeder einen anderen. Wenn ich aber weiß, wohin wir gehen, läuft alles auf den gleichen Sinn hinaus.

Wenn Marx die gesellschaftliche Entwicklung in Vorgeschichte und eigentliche Geschichte schied, in Urgesellschaft und Klassengesellschaft zum einen und klassenlose Gesellschaft zum anderen, so markierte er den schmerzlichsten, schwierigsten und tiefstgehenden Wandel im Schicksal der Menschheit.

Der gedanklichen Bewältigung dieses Vorgangs war Marx nicht gewachsen. Ihm fehlten zwei Voraussetzungen. Die eine war der Untergang des „realen Sozialismus“. Ohne diese Erfahrung kann kein Mensch die Bedingung des erfolgreichen Sozialismus erfassen.

Der Übergang zur eigentlichen Geschichte ist folglich grundsätzlich anders, als die Klassiker des Marxismus ihn sich vorstellten, soweit sie ihn sich überhaupt vorgestellt haben. Von dieser kümmerlichen und naiven Vorstellung müssen wir Abschied nehmen.

Als Ausgleich erhalten Sie, verehrter Leser, acht Wissenschaftsbegründungen geboten. Sie reichen von der Beziehung des Menschen zur Natur bis zu seiner Beziehung zur Kunst. Womit er in allen seinen wesentlichen Seiten erfasst ist. Das hat es auch noch nicht gegeben.

Abschließend wünscht der Autor seinen Lesern „ein akademisches Vergnügen“. Und damit hinein in dieses Vergnügen – einschließlich seiner Antworten auf brisante Fragen (siehe oben):

„1. Der Marxismus als Wissenschaft

Der Marxismus ist eine Wissenschaft, und zwar die einzige in Bezug auf seinen Gegenstand. So wenig es zwei Physiken gibt oder fünf Mathematiken oder siebenundzwanzig Philologien, so wenig gibt es mehrere Wissenschaften, betreffend die allgemeinen, wesentlichen Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft. Andererseits kennt jede Wissenschaft verschiedene Schulen, heftige Streite und eklatante Irrtümer, ruhige und sprunghafte Entwicklungen, Seiteneinsteiger, dumme und kluge Bekämpfungen und Abwehrkämpfe. Der Marxismus ist eine Wissenschaft wie jede andere.

Und der Marxismus ist eine Wissenschaft wie keine andere. Die erste Besonderheit besteht in seiner Grundlegung. Sie geschah mehr oder weniger durch einen einzigen Menschen, obwohl ihr Umfang gewaltig und ihr Inhalt vielgestaltig ist. Diese Grundlegung war eine Herkulesarbeit und ist einmalig in der Wissenschaftsgeschichte, weshalb diese Wissenschaft zu Recht den Namen eines Menschen trägt.

Eine zweite Besonderheit des Marxismus ist seine Lebensgefährlichkeit. Marxisten wurden und werden millionenfach in Gefängnisse geworfen und in Konzentrationslager, werden millionenfach gefoltert, für ihr ganzes Leben verkrüppelt und millionenfach um ihr Leben gebracht, von Kapitalisten und von Stalinisten. Der Marxismus selbst wird ununterbrochen und massenhaft auf die unterschiedlichste Weise entstellt, verfälscht, verleumdet, verschwiegen und verdammt; in ihm angedichtete und in wirkliche Krisen gestürzt.

Die dritte Besonderheit ist seine Aushöhlung von innen her. Das kann die revisionistische Aushöhlung sein oder die dogmatische, zum Beispiel die von Bernstein oder die von Stalin. Das kann aber auch die Abwicklung sein, wie das seit einiger Zeit in der PDS geschieht. Da wird der Marxismus mehr und mehr auf eine beliebige Anschauung reduziert oder ganz verabschiedet.

Diese Besonderheiten trugen und tragen dazu bei, dass der Marxismus kaum dazu kam und kommt, sich wie eine normale Wissenschaft zu entwickeln.

2. Marxismus und Darwinismus

Wie stand Marx zu Darwin? Darwin war eine Quelle, die Marx kannte, aber nicht nutzte. Marx hatte sein System bereits einigermaßen beisammen und zu Ende gedacht. Insofern kam Darwin zu spät. Wer reißt schon das, was er gerade frisch errichtet hat, wieder auf? Und fängt noch mal von vorne an? Also ordnete er Darwin neben sich ein, indem er ihn als den Mann lobte, der auf dem Gebiete der lebenden Natur das getan habe, was sie (Marx und Engels) auf dem Gebiet der Gesellschaft getan haben, nämlich die objektiven Entwicklungsgesetze aufgedeckt. Damit war die Welt in „Chicagomanier“ unter Marx und Darwin aufgeteilt. Womit Marx Darwin mehr würdigte als dieser ihn. Überdies war die wissenschaftliche Leistung von Marx ungleich größer als die von Darwin, wovon dieser keinen Begriff hatte. Aber unabhängig davon ist die von Darwin aufgedeckte Gesetzmäßigkeit ungleich umfassender als die von Marx. Und sie ist allen von Marx aufgedeckten Gesetzmäßigkeiten übergeordnet, wovon dieser nun wieder keinen Begriff hatte. Ich rede von dem Gesetz der Anpassung.

Alle von Darwin erkannten Gesetze haben ihren schließlichen Sinn und Zweck im Gesetz der Anpassung. Dieses Gesetz ist das grundlegende Entwicklungsgesetz allen Lebens, also auch des gesellschaftlichen, menschlichen. Es ist das einzige Gesetz, das gleichermaßen für die lebende Natur und für die Gesellschaft gilt. Das hat Darwin selber nie begriffen, und Marx auch nicht.

Es handelt sich hier nicht um die fälschliche Übertragung von Darwin in Form des Sozialdarwinismus und dergleichen, um biologistische Versimpelungen oder um das Verständnis der Anpassung als moralische oder politische Unanständigkeit.

3. Das Gesetz der Anpassung in seiner spezifischen Form

Das Gesetz der Anpassung kann nicht in der Form auf die Gesellschaft übertragen werden, in der Darwin es begriffen hat. Es erhält, angewandt auf die Gesellschaft, zwei grundlegende Besonderheiten. Die erste Besonderheit besteht darin, dass der Mensch sich der Natur anpasst, indem er die Natur sich anpasst. Wenn das Tier im Winter eine Ortsveränderung in wärmere Zonen vornimmt oder sich einen Winterpelz wachsen lässt, zieht der Mensch einen Mantel über oder heizt die Wohnung ein. Das Tier verändert sich, der Mensch verändert seine Umwelt.

Die zweite Besonderheit besteht darin, dass der Mensch sich mittels seiner gesellschaftlichen Organisation der Natur anpasst. Von den Produktionsinstrumenten und Produktionsverhältnissen, den Klassenstrukturen über die Wissenschaften bis zu Staat, Justiz, Moral usw. ist ihm die gesellschaftliche Organisation Organ der Anpassung.

Die gesellschaftliche Organisation ist nur zu verstehen, wenn sie als das dem Menschen eigene Organ der Anpassung verstanden wird. Das ist die natürliche Funktion der gesellschaftlichen Organisation des Menschen.

Beide Besonderheiten der menschlichen Anpassung haben ihre Vorläufer im Tierreich.

Es gibt massenhaft Beispiele dafür, dass das Tier, dem Menschen vergleichbar, die Umwelt auf sich einrichtet, zum Beispiel im Nest- oder Höhlenbau oder in der Vorratswirtschaft. Und auch die gesellschaftliche Organisation als Organ der Anpassung kennen wir in den vielfältigsten Vorformen, erinnert sei nur an die Arbeitsteilung der Termiten oder die Sozialverbände höherer Tiere, mittels derer sie sich erfolgreich anpassen. All diese Vorformen der beiden menschlichen Besonderheiten können uns jedoch nur zum Verständnis dafür dienen, dass die menschliche Anpassung von grundsätzlich anderer Art ist. Beide Besonderheiten der menschlichen Anpassung verleihen ihr eine weit höhere Qualität als die tierische. Aber sie machen sie zugleich als Form der Anpassung schwer erkennbar. Sie täuschen darüber hinweg, dass der Mensch wie alle lebende Natur der Anpassung unterliegt. Das dialektisch Besondere erscheint als der Gegensatz des Allgemeinen. Oder anders gesagt: Diese beiden Besonderheiten zu erkennen war Voraussetzung, um die Anpassung als das für Natur und Gesellschaft gleichermaßen gültige Gesetz zu entdecken.

4. Die Anpassung ist unser ewiges Gesetz

Die Anpassung der Natur an den Menschen ist immer Anpassung des Menschen an die Natur. Wir ziehen den Mantel im Winter an und nicht im Sommer. Wir tun, was immer wir auch tun, abhängig vom Klima, von den Jahreszeiten, von den Tageszeiten, von Tag und Nacht. Wir können nichts ausrichten ohne den Stoff der Natur (Holz, Kohle, Wasser, Wind, Sonne, Schwerkraft usw.) Kurz: Wir können, so sehr wir sie auch bis zur Unkenntlichkeit verwandeln, nur das Material der Natur verwandeln, und immer nur nach den Gesetzen der Natur.

Das Gesetz der Anpassung ist immer wirklich und immer wirksam. Aber seine Erkenntnis findet erst dann statt, wenn die Anpassung gefährdet wird. Und auch dann wird zunächst nicht das Gesetz, sondern die Gefahr reflektiert. Daher die Kopflosigkeit gegenüber der Gefahr, die Sinnlosigkeit und der Opportunismus der Maßnahmen, die Unfähigkeit und Schlafmützigkeit selbst der sozialistischen Parteien, die Unterschätzung der Gefahr, die peinliche Vernunftlosigkeit des Gedankens. Und die selbstmörderische Hilflosigkeit. Das Hauptproblem besteht allerdings darin, dass die Verursacher und Nutznießer der Umweltzerstörung über die Mittel verfügen, die Erkenntnis der Schäden und ihre Schuld daran zu verdecken.

Das Gesetz der Anpassung gilt nicht erst am kritischen Punkt, wie das Fallgesetz nicht erst wirksam ist, wenn uns die Tasse aus der Hand fällt. Das Gesetz der Anpassung gilt für alle lebende Natur von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende, und es gilt für die Gesellschaft von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende. Es ist das einzige Gesetz, das für beide Wirklichkeiten gilt. Auch in Zeiten, wo wir in Einklang mit der Natur leben.

Mit dem so erkannten Gesetz der Anpassung verliert der Mensch seine unnatürliche, künstliche Isoliertheit. Die Einheit von Mensch und Natur muss nicht, wie zu Zeiten von Lessing und Goethe, vermittels des Pantheismus hergestellt werden oder wie früher vermittels der Mythologie oder wie heute vermittels der verschiedensten naiven, unwissenschaftlichen, spekulativen oder praktizistischen Ganzheitstheorien. Die Einheit von Mensch und Natur kann endlich per objektivem Gesetz, also gültig und befriedigend begriffen werden. Der Mensch wird wieder zu einem Kind der Natur.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters:

Erstmal 2006 erschien im Dingsda-Verlag Querfurt „Neue Lieder“ von Gerhard Branstner: Die Lieder in diesem Buch wurden jahrelang auf den verschiedenen Bühnen mit Erfolg gesungen. Marianne Wünscher beispielsweise erhielt an der Volksbühne für „Des Jägers Wunderhorn“ 56 Sekunden Szenenapplaus. Und im „neuen theater“ Halle hatten sie in der unter dem Titel „Gaudiarium“ laufenden „Narrenschaukel“ sieben Jahre volles Haus.

Die „Dschungelballade“ ist dagegen kein Volkslied. Branstner hat es geschrieben, als die USA ihren Bombenterror gegen Vietnam ausweiteten und die Medien voll von triefendem Mitleid und von Bildern der Mütter waren, die ihre napalmverbrannten Kinder in den Armen hielten. Das Lied wurde lange abgelehnt. Ein heiteres Lied über diesen grausamen Krieg! I gitt! I gitt! Später wurde es mit Lust gesungen oder von der Bühne gehört.

Hier zunächst noch zwei Gedanken aus der Vorbemerkung des Autors, anschließend die erwähnte „Dschungelballade“ zum selber Beurteilen:

„Johann Gottfried Herder meinte, dass Volkslieder nicht von einem Autor geschaffen werden können, sondern nur im Volke entstehen. Becher/Eisler haben das mit dem Misserfolg ihrer „Volkslieder“ bestätigt. Die Lieder in diesem Buch hingegen widerlegen Herder. …

Was ist der Unterschied zwischen beiden Produktionen? Becher war zu politisch und Eisler zu akademisch. Beides ist Gift für das Volkslied. Das Volkslied verlangt heitere Sentimentalität, einen gemäßen musikalischen Einfall, der das ganze Lied trägt und zum Mitsingen einlädt. Und schließlich gibt das Volkslied dem Sänger Luft, was es unnötig macht, professionell Atemtechnik zu erlernen.

Dschungelballade

Gestern noch, Mac, spieltest du mit dem bunten Ball,

und dein Lachen wusste nichts davon –

Im Dschungelkrieg, im Dschungelkrieg,

im Dschungelkrieg, da gibts kein’ Sieg.

Dein Vaterland, dein Vaterland, dein Vaterland

ist viel zu weit.

Bedenk das, noch ist Zeit!

Rirarutschika,

die Sicherheit Amerikas

ist wieder mal in Not!

Im Dschungel, an der Hinterhand

vom Globus, ist sie durchgebrannt.

Und ist auch fern und klein das Land,

wir fühlen uns bedroht.

Rirarutsch, die freie Welt geht futsch!

Rirarutschika,

wir spieln das alte Spiel noch mal

und drehen um den Spieß:

Die Linken klaun die Wurst im Schlot,

die Freiheit frisst das Gnadenbrot.

Und wers nicht glaubt, ist selber rot,

kommt nicht ins Paradies.

Rirarum, der Antichrist geht um!

Rirarutschika,

der Onkel aus Amerika,

der hilft dem lieben Gott.

Er schreit, bis dass er heiser ist:

Im Busche sitzt der Terrorist!

Ich sehe was, was du nicht siehst,

das hat die Farbe rot!

Riraru, wir spielen Blindekuh!

Rirarutschika,

Gewehr im Arm und Heisassa,

GIs spieln immer mit.

Sie kennen zwar den Namen kaum

von jenem kleinen Land, doch haun

sie ohne links und rechts zu schaun

das kleine Land in Stück.

Rirarei, wir sind nun mal so frei!

Rirarutschika,

es stieg einst in Amerika

der Stern der Freiheit hoch.

Es klingt, als obs ein Märchen ist:

Vom Himmel fiel er auf den Mist.

Und wenn er nicht erstunken ist,

so stinkt er heute noch.

Riraro, die Wirklichkeit geht so:

Rirarutschika,

das freie Land Amerika,

das schlägt die Freiheit tot!

Im eignen und im fremden Land:

Ob Kosovo und in Vietnam

im Irak und Afghanistan

die sind vom Blut so rot!

Rirarutsch, hoch fährt die Leichenkutsch!

Im Wüstenkrieg, im Wüstenkrieg

da gibts kein’ Sieg.

Nur Leichen sind, nur Leichen sind

zu haben,

so hoch der Leichenhauf.

Die Freiheit liegt begraben,

die Leichen oben drauf!

Gestern noch, Mac, spieltest, du mit dem bunten Ball,

und dein Lachen wusste nichts davon –

Und heute liegst, und heute liegst,

und heute liegst du obendrauf,

auf einem Leichenhauf!

Erstmals 1969 veröffentlichte Gerhard Branstner im damaligen VEB Hinstorff Verlag Rostock „Nepomuks Philosophische Kurzanekdoten“: Gerhard Branstner entdeckt die verschiedensten Formen und Möglichkeiten der Heiterkeit, indem er entgegen gewöhnten Betrachtungsweisen den Ernst in Heiterkeit verkehrt. Die humorvollen Anekdoten regen zum Nachdenken über menschliche Schwächen an. Hier einige Beispiele dafür:

„Der Vorzug der Literatur

„Wenn man mich später einmal liest“, sagte Nepomuk allen Ernstes, „bekommt man ein ganz falsches Bild von unserer Zeit. Man wird denken, wir hatten viel gelacht.“

Ruhestandsphilosophie

Während einer Debatte über einen die Gemüter bewegenden gesellschaftlichen Vorgang wurde die These aufgestellt, dass die Zeiten sich beruhigt haben müssten, bevor man ein bündiges Urteil über sie abgeben könne. „Nur wenn das Wasser ruhig steht, kann man auf den Grund sehen.“

Obwohl Nepomuk stehendes Wasser nicht mochte, da es gemeinhin einen üblen Geruch verbreitet, rümpfte er nicht die Nase. Vielmehr lächelte er und sagte: „Dieses Gleichnis, so überzeugend es zu sein scheint, hat drei Fehler. Der erste Fehler besteht darin, dass der Grund, auf den zu kommen die Frage war, mit dem Boden verwechselt wurde. Zweitens kann stehendes Wasser uns keine Auskunft darüber geben, was fließendes Wasser zu leisten fähig ist. Und schließlich“, endigte Nepomuk, „treten gesellschaftliche Bewegungen nicht in den Ruhestand.“

Konferenzschaltung

Nepomuk hatte die Erfahrung gemacht, dass man sich zu gewissen Konferenzen, Sitzungen und ähnlichen Veranstaltungen etwas zu arbeiten mitnehmen muss, wenn man die Zeit rationell ausnutzen will. Eines Tages entdeckte er, dass er unter anderen Bedingungen kaum noch arbeiten konnte. Als nun einmal eine Konferenz, bevor er seine Arbeit geschafft hatte, zu Ende ging, beantragte Nepomuk ihre Verlängerung.

Nutzen der Kunst

Die Kunst sei etwas absolut Notwendiges, rief ein Redner mit geschwollener Halsader, und er glaubte, der Kunst etwas zuliebe gesagt zu haben.

„Mitnichten“, entgegnete Nepomuk, „die Kunst ist etwas absolut überflüssiges. Wäre es denn sonst eine Kunst, sie als unentbehrlich zu empfinden?“

Geteiltes Lob

Nepomuk hörte von einer Debatte über das Theaterstück eines jungen Autors. Es hatte, wie man einhellig versicherte, im Ganzen gefallen; als die Kritik ins Einzelne ging, wurden jedoch nur Fehler festgestellt.

Nepomuk äußerte sein Befremden darüber, wie so viele Fehler, im Ganzen gesehen, gefallen konnten.

Dilemma der Kritik

In einer Gesellschaft wurde behauptet, viele Fehlurteile über Kunstwerke rührten nur daher, dass deren Schöpfer noch nicht berühmt seien. Nepomuk stimmte dem zu, bemerkte jedoch ergänzend, dass mindestens ebenso viele Fehlurteile der Berühmtheit geschuldet seien.

Der akademische Traum

Im Traum erschien Nepomuk einmal ein Historiker und eröffnete ihm, Aristoteles habe während einer seiner Vorlesungen Haselnüsse an seine Schüler verteilt. Darauf erschien ein anderer Historiker, der aufgrund neuerer Forschungen herausgefunden hatte, dass es Anisplätzchen gewesen seien, worauf beide heftig aneinandergerieten und sich gegenseitig die Autoritäten aller philosophischen Schulen zum Beweise ihrer Behauptungen um die Ohren schlugen. Nepomuk erwachte in Schweiß gebadet.

„Von Fragen solcher Art“, sagte er später, „genügt eine fürs Leben. Ich gehe seitdem nur noch unter den größten Befürchtungen schlafen, obwohl ich selten träume.“ Und er gähnte zum Erbarmen: „Waren es nun Haselnüsse oder Anisplätzchen?“

Vom Wert der Kunst

Nepomuk war ein Gemälde gestohlen worden, auf dem eine Perlenkette abgebildet war. Er kaufte sich ein anderes Gemälde. Auf ihm war ein Paar alter Schuhe zu sehen.

Berufsverkehr

In einem Gespräch wurde die Ansicht geäußert, dass der Besitzer eines Autos mehr von der Welt zu sehen bekomme als ein Benutzer der volkstümlichen Verkehrsmittel.

„Von welcher Welt?“, fragte Nepomuk. Und er setzte hinzu, dass einer seiner Bekannten, seit er über einen Wagen verfüge, manches nicht mehr sehe, obwohl er von Berufs wegen in intimem Verkehr mit der Wirklichkeit stehen müsse.

Das Glück des Tüchtigen

Nepomuk war bei einem Verkehrsunfall zu Schaden gekommen. Als man ihm sagte, er könne von Glück reden, dass er noch mit dem Leben davongekommen sei, wehrte er bescheiden ab.“

Bereits zehn Jahre zuvor, erstmals 1959, veröffentlichte Gerhard Branstner im Aufbau-Verlag Berlin „Ist der Aphorismus ein verlorenes Kind? Literarische Miniaturen“: Der Aphorismus ist ein gewitztes Kerlchen, das Kunst und Philosophie in Liebe gezeugt haben: von der Philosophie hat es die Art zu fragen, von der Kunst die Art zu antworten.

Aphorismen zu verschiedenen Bereichen des Lebens bringen den Leser zum Schmunzeln und Nachdenken. An diese gewitzten Kerlchen knüpfen auch die Geschichten von Nepomuk an, wie zum Beispiel diese:

Nepomuk hörte sich einen Vortrag an. Als der Redner am Ende Beifall klatschte, verbeugte sich Nepomuk freundlich.

Und hier noch einige Beispiele aus beiden Abteilungen:

„Wenn das Proletariat über sich die Wahrheit sagt, wird es von der Bourgeoisie getadelt. Wenn die Bourgeoisie über sich die Wahrheit sagt, wird sie vom Proletariat gelobt. Verschweigt die Bourgeoisie nur deshalb die Wahrheit, weil ihr diese Zuvorkommenheit des Proletariats missfällt?

Die heutigen Potentaten des „Abendlandes“ sind ihre eigenen Narren. Sie haben deshalb auch keinen mehr, der ihnen die Wahrheit sagt.

Das kleine Feuer wird vom Wind gelöscht, ein großes loht nur höher auf. Das Neugeborene wird durch einen kräftigen Schlag ins Leben befördert, ein Greis kann daran sterben. Eine aufstrebende Klasse wird durch Selbstkritik nur gestärkt, die untergehende würde durch sie Selbstmord begehen.

Die Vielfalt der in der bürgerlichen Gesellschaft verbreiteten Anschauungen hat gewiss ihren Vorteil, denn unter einigen Dutzend verschiedenen Anschauungen die richtige herauszufinden, noch dazu wenn sie versteckt, verfälscht, als falsch deklariert oder ganz verschwiegen wird, erfordert eine Zeit, die oft genug die Lebensdauer eines Menschen überschreitet.

Die Freiheit der Wahl besteht nicht darin, dass man einige Dutzend verkehrte Anschauungen studiert, sondern dass man sich für die richtige entscheidet.

Die Richtigkeit einer Anschauung wird nicht dadurch ermittelt, dass man sie mit anderen vergleicht, sondern indem man sie mit der Wirklichkeit vergleicht.

Manche fragen, ob es nicht eintönig sei, nur eine Weltanschauung, nämlich die marxistische, zu besitzen. Bezeichnenderweise wird diese Frage nur von denen gestellt, die sie nicht besitzen.

Es gibt Irrtümer, die nicht auf der Höhe ihrer Zeit stehen.

Die Geschlossenheit der marxistischen Weltanschauung beruht in ihrer geschichtlichen Legitimität. Es ist also ganz natürlich, dass die bürgerlichen Theoretiker eine hoffnungslose Aversion gegen diese Geschlossenheit haben.

Die Individualität wird nicht dadurch gewahrt, dass jeder auf andere Weise irrt, also wird umgekehrt die Individualität nicht dadurch aufgehoben, dass jeder auf die gleiche, nämlich richtige Weise denkt. Ebendeshalb ist die „Alleinherrschaft“ der sozialistischen Weltanschauung nicht die Aufhebung, sondern umgekehrt die unerlässliche Bedingung der modernen Persönlichkeitsbildung.

Es gibt Leute, die sich darüber aufhalten, dass in den sozialistischen Ländern nur eine Philosophie gelehrt wird. Jedoch wird auch in den kapitalistischen Ländern nur eine Mathematik gelehrt. Es gibt dort keinen Mathematiklehrer, der seinen Schülern neben der richtigen Lösung einer Aufgabe auch verschiedene falsche Lösungen angibt, damit sie sich die aussuchen können, die ihnen am besten gefällt. Auch werden keine mathematischen Lehrbücher mit falschen Lösungen verbreitet, damit die Leser auch andere Anschauungen kennenlernen und sich ein objektives Bild machen können. Auch wir verbreiten keine philosophischen Lehrbücher mit falschen Lösungen.

Geschichten von Nepomuk

Nepomuk nahm an einer Debatte über das Theaterstück eines jungen Autors teil, welches soeben aufgeführt worden war und, wie man einhellig versicherte, im Ganzen gefallen hatte. Als die Kritik ins Einzelne ging, wurden jedoch nur Fehler festgestellt. Nepomuk äußerte sein Befremden darüber, wie soviel Fehler, im Ganzen gesehen, gefallen konnten.

Aus einem Gespräch ergab sich, dass einer seiner Bekannten ein von Nepomuk sehr geschätztes Buch gelesen habe. „Oh“, sagte Nepomuk betroffen, „das habe ich ihm gar nicht angemerkt.“

Nepomuk hörte von der Unzufriedenheit einiger Leute darüber, dass aus den Theaterstücken nicht hervorgehe, welche Gedanken der Dichter den Werken anderer Autoren entnommen habe. Um diese Kritiker zufriedenzustellen, schrieb Nepomuk ein Stück, in dem eine Fußnote auftrat, welche die Herkunft aller nicht absolut originalen Gedanken angab. Für diese Rolle war ein berühmter Schauspieler verpflichtet worden, der seine Aufgabe glänzend bewältigte. Nach der Aufführung äußerten die betreffenden Kritiker ihre Zufriedenheit. Nur, so bemängelten sie, gehe aus dem Stück nicht hervor, woher der Autor den Gedanken mit der Fußnote habe.

Auf die sonderbare Erscheinung aufmerksam gemacht, dass in den Berichten selbsterlebter Abenteuer gerade der Erzähler immer der Überlebende sei, äußerte Nepomuk, das liege wohl daran, dass nur der Überlebende die Sache erzählen könne. Daraus entspringe dann der Trugschluss, dass so etwas nicht lebensgefährlich sei. „Deshalb wäre es gut“, setzte er nach einigem Nachdenken hinzu, „wenn auch die Toten berichten könnten, besonders, wenn es sich um Kriegsabenteuer handelt.“

Nepomuk hatte sich die Mühe gemacht, einen Gedichtband in Prosa zu übersetzen. Die Übersetzung lautete: Das Wetter ist schön. Das Wetter ist nicht schön.

In einer Gesellschaft wurde die Behauptung aufgestellt, viele Fehlurteile über Kunstwerke rührten nur daher, dass deren Verfasser noch nicht berühmt seien. Nepomuk stimmte dem zu, bemerkte jedoch ergänzend, dass mindestens die gleiche Zahl Fehlurteile der Berühmtheit geschuldet sei.

Nepomuk wurde nach seiner Meinung über das Werk eines neuen Schriftstellers befragt. Er antwortete, er müsse erst noch einige ältere Autoren lesen, um beurteilen zu können, welche Vorbilder in diesem Werke beachtet worden wären. Als er nach längerer Zeit wieder angehalten wurde, sagte Nepomuk, er hätte sich die Arbeit sparen können.

Nepomuk war ein Gemälde gestohlen worden, auf dem eine Perlenkette abgebildet war. Er kaufte sich ein anderes Gemälde. Auf ihm war ein Paar alter Schuhe zu sehen.

Nepomuk wurde gefragt, wie es ihm gehe. Er gab gewissenhaft Auskunft – und wurde nicht wieder gefragt.

In einem Gespräch wurde die Ansicht geäußert, dass der Besitzer eines Autos mehr von der Welt zu sehen bekomme als ein Benutzer der volkstümlichen Verkehrsmittel. Nepomuk meinte dagegen, dass einer seiner Bekannten, seitdem er über einen Wagen verfüge, manches nicht mehr sehe.

Gefragt, weshalb er nicht an Gott glaube, erwiderte Nepomuk: „Weil mir nicht bewiesen werden konnte, dass Gott jemals gelacht hat. Wie aber kann ein Mann, der diese Welt gemacht hätte, ernst bleiben.“

Während einer Bahnfahrt kam Nepomuk mit einem Manne ins Gespräch, der ihm durch sein betrübtes Wesen aufgefallen war „Mir gefällt es nicht“, erklärte schließlich der Mann, „dass der Sozialismus die einzige nach dem Kapitalismus mögliche Gesellschaftsordnung ist.“ – „Und was stört Sie an dieser Unvermeidlichkeit des Sozialismus?“, fragte Nepomuk, noch nicht zufriedengestellt. „Wo bleibt da“, entgegnet der andre, „die Freiheit der Wahl?“´

Erstmals 1988 erschien im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig „Heitere Poetik. Von der Kantine zum Theater“ von Gerhard Branstner. Die Erstveröffentlichung von „Kantine“ erfolgte 1977 beim VEB Hinstorff Verlag Rostock, die Erstveröffentlichung von „Kunst des Humors - Humor der Kunst“ 1980 und von „Das eigentliche Theater oder Die Philosophie des Augenblicks“ 1984 beim Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig

Wenn Sie über ein Theater und seine Schauspieler wirklich etwas erfahren wollen, gehen Sie am besten in die Kantine. Hören Sie doch mal rein:

Alfons: „Traurig aber wahr. Da wird analysiert und postuliert und mit Kategorien jongliert, aber ein objektives Entwicklungsgesetz ist noch keinem aufgestoßen. Und die Kunstkritik wurstelt genauso vor sich hin.“

Pirol: „Also bitte! Meine Erfahrung ist: Selbst die beste Theorie kann nicht viel nutzen, aber schaden kann sie einem ganz schön. Da ist es gescheiter, man hat keine.“

Branstner ist da ganz anderer Ansicht. Seine originelle Sicht auf das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit und auf spezifische Struktur- und Entwicklungsgesetze der Kunst ist dazu angetan, den Theorieversessenen auf die Sprünge-zu helfen und die Leser heiter zu unterhalten. Branstners Theorie in ihrer Gesamtheit verfügbar zu machen und in beziehungsreichen Zusammenhang zu stellen ist Anliegen dieses Bandes.

Nochmals zurück zur Kantine: „... Was wir brauchen, ist eine ausreichende, unsere Zeit erreichende Theorie, die Weltverstand hat. Nur durch ihn können wir unsere Zeit als das erblicken, was sie wirklich ist: der historische Aufbruch des Menschen zu sich selbst.“ Hier ein Auszug vom Anfang dieser ungewöhnlichen Unterhaltung:

„KANTINE

Eine Disputation in fünf Paradoxa

Ein optimistischer Gast namens Toredid, ein skeptischer Theaterkritiker namens Pirol, der gutgläubige Schauspieler Hermann, der Gelegenheitsklavierspieler Alfons und die Kantinenkellnerin Liesbeth disputieren die Frage, ob große Kunst in unserer Zeit möglich ist, und überprüfen dabei auch vergangene und künftige Zeiten.

Alfons spielt eine Fantasiemischung auf dem Klavier. Sobald der Vorhang sich gänzlich geöffnet hat, wendet Alfons sich um, bohrt sich in den Zähnen und blickt auf Pirol. Der sitzt allein an seinem Tisch und starrt in den vor ihm stehenden Kaffee. Liesbeth lehnt gähnend an der Theke und hascht ohne Ehrgeiz nach einer vor ihrer Nase umherschwirrenden Fliege. Gedämpfte Musik klingt auf.

Liesbeth: Die Vorstellung beginnt.

Pirol: Ich kann es nicht verhindern.

Liesbeth stellt den Bühnenlautsprecher ein. Musik schwillt an, und Beifall klingt auf. Liesbeth will etwas sagen, gibt es aber mit Blick auf Pirol auf, stellt den Lautsprecher ab. Alfons spielt wieder Klavier. Toredid tritt ein, sieht sich um, woran man erkennt, dass er ortsfremd ist. Liesbeth geniert sich wegen ihrer legeren Haltung und stellt sich adrett hin; man sieht ihr an, dass der Gast sie irritiert. Alfons spielt noch ein paar Takte, hört wie hypnotisiert auf und wendet sich langsam um. Allein Pirol achtet nicht auf den Fremden, stiert weiter in seinen Kaffee. Toredid hat etwas Anonymes, Zeitloses an sich: der altmodische Hut, Anzug und Stockschirm kontrastieren auf seltsame Art mit seinem jugendlichen Aussehen und seinem freien Benehmen. Er tritt an Pirols Tisch.

Toredid: Bitte, ist dieser Stuhl frei?

Pirol: blickt erstaunt auf. Nicht nur dieser. Weist auf die übrigen Tische, die alle unbesetzt sind.

Toredid blickt zu Liesbeth. Sie kommt sogleich heran. Toredid reicht ihr Hut und Schirm. Sie hatte eine Bestellung erwartet, nimmt in ihrer Verblüffung jedoch Hut und Schirm und bringt beides zum Kleiderständer.

Toredid verneigt sich leicht gegen Pirol. Toredid.

Pirol: Pirol.

Toredid: Ich weiß. Setzt sich.

Pirol: Sie kennen mich?

Alfons: der bereits einiges getrunken hat Wer kennt Pirol nicht? Den unfehlbaren Theaterkritiker! Und weshalb ist er unfehlbar? Weil er seine Kritik immer erst nach der fünfzigsten Vorstellung eines Stückes schreibt.

Toredid: zu Liesbeth Einen Kaffee bitte.

Pirol: Ein Stück, das fünfzig Vorstellungen erreicht, muss entweder sehr gut oder sehr schlecht sein. Und da es gute Stücke nicht gibt, weiß ich bei einem, das die fünfzigste Vorstellung erlebt, genau, woran ich mit ihm bin.

Toredid: Heute wird ein Stück das fünfzigste Mal gegeben. Beifall ist zu hören. Die Vorstellung hat bereits begonnen.

Pirol: Sie möchten wissen, weshalb ich in der Kantine sitze statt im Parkett?

Toredid: Ich nehme an, Sie sind sich diesmal doch nicht ganz sicher, ob es ein schlechtes Stück ist, das die fünfzigste Vorstellung erreicht hat. Und um einem Fehlurteil zu entgehen, sehen Sie es sich gar nicht erst an.

Alfons: Das hat gesessen. Lacht schadenfroh

Pirol: steht drohend auf Wie war Ihr Name?

Toredid: ungerührt freundlich Toredid.

Pirol: Nie gehört. Setzt sich wieder. Einen seltenen Namen soll man nicht ausrotten.

Toredid: Das ist weltmännisch gedacht.

Hermann kommt in voller Maske herein.

Hermann: in fröhlicher Wut Ein Miststück ist das! Ein Scheißstück! Ahmd, Liesbeth!

Liesbeth: Ahmd, Hermann!

Hermann setzt sich ohne Umstände zu Pirol und Toredid an den Tisch.

Hermann: zu Liesbeth Kurz und klar!

Liesbeth bringt einen Klaren.

Hermann: Ich möchte bloß wissen, was so ein Autor sich dabei denkt! Zwei Sätze am Anfang und zwei Sätze am Schluss, und die zwei Stunden dazwischen kann ich in der Kantine hocken; das soll nun eine Rolle sein! Zwei Stunden Kantine, und das fünfzigmal. Macht genau hundert Stunden. Pro Stunde zwei Klare, macht zweihundert Klare. Trinkt das Glas aus, stülpt es auf den Zeigefinger und reckt ihn hoch. Das geht ins Geld. Liesbeth bringt ein gefülltes Glas, nimmt das geleerte vom Finger, Hermann schleckt ihn ab. Aber daran denkt so ein Autor nicht. Und das Publikum, das denkt auch nicht an so was. Sitzt da unten und lacht blöd. Zu Pirol. Was sagst du denn dazu, du bist doch Kritiker?

Pirol: Was soll ich dazu sagen?

Hermann: Dass ich recht habe, sollst du sagen! Ums Maul sollst du mir gehen, wozu bist du Kritiker! Also, was sagst du?!

Pirol: Nichts.

Hermann: zu Toredid Da haben Sie’s! Entweder gehen sie einem ums Maul, oder sie halten, wenn sie nicht wissen, ob’s das richtige Maul ist, die Klappe. Das sind mir Kritiker! Wer sind Sie denn überhaupt?

Toredid: Toredid.

Hermann: Nie gehört. Erhebt sich wie vordem Pirol. Nichts für ungut, muss mal telefonieren. Ab. Kunstpause. Alfons wendet sich zum Klavier und spielt ein paar rauschende Takte, hört abrupt wieder auf. Kunstpause.

Pirol: Es kann kein gutes Stück sein.

Toredid: Aber sicher sind Sie sich nicht.

Pirol: Wir leben in einer Zeit, in der nur schlechte Stücke geschrieben werden können. Nicht, dass unsere Zeit an sich schlecht wäre. Wer wollte das behaupten? Aber es ist eine schlechte Zeit für gute Stücke.

Toredid: Ein interessanter Gedanke.“

Überhaupt hat Branstner in seinen vielen Büchern nicht wenige interessante Gedanken geäußert, wobei interessant ganz im Sinne der Lateinischen Herkunft dieses Wortes meint, dass sie – diese Gedanken eben – uns etwas angehen: inter -esse = dazwischen sein.

In diesem Sinne viel Vergnügen beim Lesen, weiter einen schönen Herbst und bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und selbstverständlich interessiert an interessanten Gedanken und Gesprächen und bis demnächst.

Und hier noch eine hübsche Nepomuk-Geschichte:

Der Buchungsfehler

Aus einem Gespräch ergab sich, dass einer seiner Bekannten ein von Nepomuk sehr geschätztes Buch gelesen habe. „Oh“, sagte Nepomuk betroffen, „das habe ich ihm gar nicht angemerkt.“

DDR-Autoren: Newsletter 11.11.2022 - 56 Sekunden Szenenapplaus, ein gewitztes Kind sowie ein Theaterkritiker in