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Ein Rest Menschlichkeit, Kognak als Lebensretter und eine Reise in die Vergangenheit - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 01.11. 2024) – Menschlichkeit. Das ist ein ebenso wichtiges wie stolzes Wort. Aber wie sieht Menschlichkeit konkret aus? Wann und wie handeln Menschen menschlich? Ein gutes Beispiel dafür findet sich im vierten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 01.11. 24 – Freitag, 08.11. 2024) zu haben sind und wiederum alle von Friedrich Wolf stammen. 1948 schrieb er die Erzählung „Der Wachtmeister und die Hanne“: Im verschneiten Berlin der Nachkriegszeit, inmitten von Trümmern und Hoffnungslosigkeit, begegnet abends nach Dienstschluss der mürrische Polizeiwachtmeister Schrimpf einer jungen Frau namens Hanne, die verzweifelt mit ihrem neugeborenen Kind Schutz sucht. Was als eine routinemäßige Kontrolle beginnt, verwandelt sich schnell in eine unerwartete Verantwortung, die Schrimpfs Leben auf den Kopf stellt. In einer Welt, die sich am Rande des Zerfalls befindet, entdeckt er durch die Fürsorge für Mutter und Kind einen Funken Menschlichkeit, der ihm längst verloren schien. Eine ergreifende Erzählung über Pflicht, Mitgefühl und die Kraft des Überlebens. Aber lernen wir zunächst Polizeiwachtmeister Schrimpf kennen, wie er von Friedrich Wolf eingangs seiner Erzählung beschrieben wird. Noch ist von Menschlichkeit wenig zu spüren:

„’ne schöne Bescherung!“, knurrt der Polizeiwachtmeister Schrimpf vor sich hin, als er nach dem Dienst zu seiner Wohnung geht. „Das nennt sich Berlin! Finster wie ein Bärendarm und nichts fürs Herze!“ Worunter Schrimpf das mangelnde Glas Grog versteht.

In der Tat, die Lage ist lustlos. Die Trümmerstraßen um den Nollendorfplatz liegen mit ihrer dünnen Schneekruste kalt, starr und neblig da wie riesige Saurier aus der Urzeit, bevor der Mensch entstand – und auch jetzt, wo er zugrunde zu gehen schien nach der grandiosen „Vorsehung“.

Am liebsten wäre Schrimpf wieder umgekehrt zu seiner Wachtstube, wo die diensthabenden Kollegen bei einem soliden Skat und irgendeinem „Bonbonwasser“ als Heißgetränk sitzen. Denn zu Hause erwartet ihn nur seine Wirtin, die Mutter Henschel, diese wackelnde Kanone, die dauernd mit dem Aufwischtuch hinter ihm herrollt. Bitter, bitter – vor fünf Jahren war es noch seine Frau und seine kleine Pusteblume.

 *

Schrimpf stapft weiter. Sein Auge hat sich an den fahlen Schneereflex gewöhnt. Ab und zu lässt er seine Taschenlampe aufblitzen. Die Straße ist völlig tot. Soll er nicht doch umkehren? Vielleicht zum Zoo, wo in der Vorhalle des Bahnhofs sich Dutzende Kerle und Mädels herumtreiben, immerhin Lebewesen?

Doch da. Aber lesen Sie selbst, was jetzt passiert …

In der 1948 entstandenen Erzählung „Die Rettung – eine unerwartete Wende“ wird ein gewöhnlicher Strandtag zum Schauplatz dramatischer Ereignisse: Die Schreie einer verzweifelten Mutter erregen die Aufmerksamkeit eines Arztes und seines Sohnes – eine Schicksalsgeschichte. Und für einen Moment spielt auch Kognak als möglicher Lebensretter eine Rolle. Aber eben nur für einen Moment.

Ebenfalls aus dem Jahre 1948 stammt die fesselnde Erzählung „Die ausgefransten Hosen“. Im Schatten zweier Weltkriege begegnen sich alte Kameraden wieder: Arnold, ein einst brillanter Ingenieur und mutiger Jagdflieger, und sein Freund, der Erzähler, der ihm einst zur Seite stand. Doch die Welt hat sich verändert, und mit ihr die Menschen. Das Treffen wird zu einer Reise in die Vergangenheit, in der die Werte von damals auf die Realität von heute treffen.

Scharfer Humor und beißende Ironie sind Kennzeichen der in den Jahren 1942 bis 1944 geschriebenen „Ansprachen des Oberleutnants Zahnlücke an seine 5. Kompanie“, die an der Front des Zweiten Weltkriegs gehalten werden. In den unverblümten, teils absurden Ansprachen des Offiziers an die Soldaten seiner 5. Kompanie spiegelt sich der Wahnsinn des Krieges wider.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Auch heute geht es wieder um menschliche Stärke und unbeugsamen Geist unter extremen Bedingungen.

1942 schrieb Friedrich Wolf die Erzählung „Sascha, der Regimentsarzt der Kubankosaken“. Sascha, ein junger Regimentsarzt der Kubankosaken, kämpft im Zweiten Weltkrieg an vorderster Front. Von den Hörsälen der Moskauer Universität wird er zu den rauen Schlachtfeldern vor Moskau gestoßen. Durch einen Schicksalsschlag verliert er seinen Arm, doch seine Entschlossenheit und Hingabe, Menschen zu helfen, bleiben unerschütterlich. Diese mitreißende Erzählung ist ein fesselndes Zeugnis der menschlichen Stärke und des unbeugsamen Geistes in den dunkelsten Zeiten der Geschichte.

Im Übrigen sind alle E-Books dieses Newsletters Sonder-Sonderangebote und kosten diese Woche nicht mal einen Cent, sondern Null Komma null Euro.

In dieser ergreifenden Szene aus Der Wachtmeister und die Hanne von Friedrich Wolf findet sich der mürrische Polizeiwachtmeister Schrimpf in einer Rolle wieder, die ihm fremd ist. Mutter Henschel, eine Berliner Mietsfrau, bringt ihn unmissverständlich dazu, Verantwortung zu übernehmen – für ein junges Mädchen und ihr neugeborenes Kind, die im verschneiten Nachkriegsberlin verzweifelt Zuflucht suchen. Schrimpf, der in einer Welt voller Härte und Pflichterfüllung lebt, wird durch Hanne und ihr Baby ungewollt mit einer Menschlichkeit konfrontiert, die er längst verloren geglaubt hatte.

Diese Passage aus der Erzählung illustriert die raue Realität, in der Schrimpf, Mutter Henschel und die junge Mutter Hanne aufeinandertreffen, und öffnet das Tor zu einer Geschichte über Mitgefühl, das selbst in den dunkelsten Zeiten noch aufleuchten kann.

Mutter Henschel hat das Mädel unter dauerndem Geschimpfe in Schrimpfs Bett gelegt, entkleidet und gesäubert: Ja, so ist das heut! Das will Berlin sein! Kein Licht hier am Nollendorfplatz! Und der Herr Polizeiwachtmeister bringt sein Mensch mit dem Balg, dem das Kindspech noch in den Augen klebt wie ’ner blinden jungen Katze, zur Mietsfrau mit. Zeiten sind das. Du Dreckspatz von einem Rabenvater, du Handvoll Dienstfrei … kennen wir! Sie haut mit ihrer großen fleischigen Hand dem Kleinen auf das Ärschchen, dass es nur so kräht.

„Was hat es?“, fragt das Mädel erschrocken. „Will es trinken?“

„Trinken?“, knurrt die Alte. „Schreien will der Mensch zuerst, du armes Dusseltier, schreien!“

Schrimpf, der weggegangen war, die Klinik anzurufen oder ‘ne Hebamme zu holen, ist wieder eingetreten. Er schlägt sich die Arme warm und legt den Mantel ab: „Nichts!“

„Da haben wir den Salat!“, meint die Mutter Henschel und geht zur Küche, um nach dem heißen Kaffee zu sehen.

In dieser einprägsamen Szene aus Die Rettung – eine unerwartete Wende spitzen sich die dramatischen Ereignisse zu, als die vermeintlich gerettete Frau nach ihrer lebensbedrohlichen Begegnung mit den Naturgewalten ins Hotel gebracht wird. Doch anstelle von Erleichterung entlädt sich die Spannung in einer absurden Mischung aus Dankbarkeit und gesellschaftlicher Unzufriedenheit. Die eigentliche Herausforderung stellt sich als weniger körperlicher als vielmehr emotionaler Natur heraus: Die Gerettete hadert mit den „Missständen“ ihres Alltags und konfrontiert die Helfer in einem ironischen Spiel aus Erwartungen und Enttäuschungen.

Diese Passage öffnet den Blick auf die Ironie und Komplexität des menschlichen Wesens, das selbst in Momenten existenzieller Rettung nie ganz frei von alltäglicher Kritik und gesellschaftlicher Nostalgie ist.

Man trägt die wild sich wehrende, in den Biberpelz des alten Herrn gehüllte Frau nach oben zum Hotel. Die Wiederbelebte wird – in warme Laken und Decken gepackt – in das mit heißen Krügen vorbereitete Bett gelegt. „Kaffee … Kaffee …“, wimmert sie.

Die Dame im Pullover mit den Wikingerornamenten ist schon fortgerannt, um ihren eigenen Kaffeevorrat anzubieten; aber da die Frau weiter stöhnt: „Mir ist so übel! Hilft mir denn niemand?“, hat der Kognakrufer ein Fläschchen Dreisternkognak gebracht und beginnt, einen kleinen silbernen Becher zu füllen.

„Die Schwäche!“, jammert die Frau. „Margarine gibt es hier statt Butter! Und diese Fleischportionen … eine Maus verhungert dabei! Früher wäre so etwas nie möglich gewesen! Früher wäre man am gleichen Tag abgefahren.“

„Weiß Gott, Sie haben recht, gnädige Frau, wenn man frühere Zeiten in Betracht zieht …“, bestätigt der Kognakrufer, und auch der alte Herr mit dem Biberpelz meint: „Bei einem früheren Ernährungszustand hätte die Dame sich gewiss selbst von dem Sog weggearbeitet.“

„Immerhin, dies ist ein alter Kognak, bitte sehr!“ Der Spirituosenritter hat den Kopf der Geretteten gehoben und sucht ihr den Kognak einzuflößen; aber ein sofortiger Hustenstoß bewirkt, dass ihm die ganze Ladung ins Gesicht fährt, während die Hand der Frau das Fläschchen wegfegt, so dass es schmählich am Boden zerschellt.

„Es ist aus! Mein Kind …“, stöhnt sie und sinkt zurück. In diesem Augenblick kommen der Arzt und die Dame im nordischen Pullover, letztere mit einer Tasse heißen Kaffee. „Schnell, schnell!“, bedeutet der Herr mit dem Pelzmantel.

Der Arzt richtet die Halbohnmächtige auf, während die edle Spenderin ihr langsam den duftenden Kaffee unter die Nase und an die Lippen hält. Die Frau tut einen Schluck, um gleich darauf das schwarze Nass in hohem Bogen auszuspucken, wobei die Umstehenden in gerechter Verteilung je eine Portion ins Gesicht und auf ihre Garderobe erhalten. „Zichorie! Pfui Teufel, Zichorie!“, schreit die Frau, als habe man sie vergiftet.

In dieser eindrucksvollen Szene aus Die ausgefransten Hosen offenbart sich das Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart, das Arnold und seine Freunde zutiefst prägt. Während Arnold an die „gute alte Zeit“ erinnert, wird zugleich die Widersprüchlichkeit seiner Ideale sichtbar: ein mutiger Kritiker von damals, der heute die Bitterkeit des erlebten Friedens und die Entfremdung zur eigenen Generation spürt. Die Gespräche mit dem jungen Herbert und dem Erzähler rufen nicht nur nostalgische Erinnerungen wach, sondern werfen auch die Frage auf, wie tiefgreifend der Wandel ist, den Krieg und Entbehrung hinterlassen haben.

Diese Passage lässt den Leser in die Vergangenheit der Charaktere eintauchen, während die Folgen ihrer Entscheidungen und Erlebnisse die Gegenwart belasten – ein eindrucksvolles Zeugnis der Narben, die der Lauf der Geschichte in jeder Generation hinterlässt.

Natürlich beginnt der Vater von der guten alten Zeit zu erzählen, von seinen Erlebnissen als Jagdflieger, von unserer gemeinsamen Zeit bei der Infanterie. Ich ergänze, wie er sich damals bei unserem Kommandeur die Schnauze verbrannte: dass dieser ganze bis zum Weißbluten geführte Krieg völlig sinnlos sei, und wie er um ein Haar vor ein Kriegsgericht gestellt worden wäre.

„Andere Zeiten, andere Menschen …“, knurrt Vater Arnold.

„Donnerja“, meint Herbert, „so einer warst du?“

„Jawohl, war ich; aber wenn ich heute die Schnauze aufmache …“

„Heute ist ja auch Frieden, Vater.“

„Schöner Frieden!“ Und zu mir gewandt: „Sieh dir bloß den Jungen an. Blass wie eine Motte im Schrank! Blutarm! Nichts zwischen den Rippen! Dazu die Arbeit draußen!“

In dieser scharfzüngigen Passage aus Ansprachen des Oberleutnants Zahnlücke an seine 5. Kompanie bringt Zahnlücke mit schneidendem Sarkasmus die Absurditäten des Kriegsalltags auf den Punkt. Seine „freundlichen“ Worte, voll galgenhumoriger Ironie, richten sich an eine Truppe erschöpfter Soldaten, die seine Befehle ertragen müssen, während sie sich gleichzeitig der Lächerlichkeit ihrer Situation bewusst sind. Der Oberleutnant schildert das groteske Bild eines „Höflichkeitswettbewerbs“ mitten im Krieg – ein Hohn angesichts der Brutalität an der Front und der rauen Realität, die die Soldaten täglich erleben. Diese Szene verdeutlicht die Kluft zwischen den propagierten Idealen und der harten Wirklichkeit des Krieges und entlarvt dabei die Manipulation der

Da haben sich nämlich dieser Tage einige von dem neuen Ersatz über den rauen Ton meiner Ansprachen geäußert, über „den Sauherdenton unsres Oberleutnants Zahnlücke“, wie das einer der Herren Metallfritzen aus den Betrieben zu nennen beliebt. Also werde ich einmal versuchen, mit euch vornehmen Intelligenzbestien zu reden, als ob ihr Menschen oder richtige Soldaten wäret … zumal auch unser Propagandaminister jetzt neuerdings die leicht verrohte und verrottete Berliner Bevölkerung zu einem „Höflichkeitswettbewerb“ aufgefordert hat.

Na ja, da hat unser Minister mal wieder einen phänomenalen Coup gelandet. Ist doch klar: Im Krieg, da spielt die Höflichkeit eine ganz entscheidende Hauptrolle! Ein höfliches Wort … da hört der hungrigste Magen sofort auf zu knurren, das ist wie eine Bratwurst auf einem heißen Stein, das ist wie Sabadillessig gegen die Läuse und wie Talg gegen Schweißfüße – einfach tolle Sache!

Feix nicht so blöd wie ein Mondkalb, ja dich meine ich, Raidelhuber, nimm deine krummen Kalbshaxen zusammen, wenn ich mit dir rede, du unfertige Geburt, du Kreuzung von einem Regenwurm und einem Stachelschwein!

Also, was ich sagen wollte: Höflichkeit muss sein, auch im Kriege, das gehört sich so unter Menschen! Ha, da zwinkerst du mit deinen Butteraugen dem Oberleutnant Zahnlücke Beifall zu, du da im zweiten Glied, du jammervolles Stückchen Urschleim! Höflichkeit unter Menschen? Aber seid ihr verlausten und verwilderten Frontschweine denn noch „Menschen“? Seht ihr, hier hängt der Haken! Ist doch logisch!

Wenn ich nämlich meine Blicke immer wieder schweifen lasse über diese Kollektion von Untermenschen, da geht mir direkt die Mütze hoch! Wo sind noch die alten Kerle meiner ehemals so ruhmreichen 5. Kompanie? Fehlanzeige! Tot, verstümmelt, verschollen, in Walhalla! Wo ist die alte Einsatzbereitschaft, wo sind die kampfesglühenden Augen? Fehlanzeige! Stattdessen mürrische böse Gesichter mit langen hungrigen Zähnen wie von Waldpavianen. Wo sind meine muskulösen, la trainierten Draufgänger vom letzten Jahr? Fehlanzeige! Stattdessen ausgemergelte, verlauste Steppenhunde, alte Ziegenböcke mit Intelligenzköpfchen und dem wilden Trieb: Heim zu Muttern! Tiere seid ihr, aber keine Menschen.

In dieser eindrucksvollen Leseprobe aus Sascha, der Regimentsarzt der Kubankosaken tauchen wir tief in die Kriegsrealität eines jungen Arztes ein, der unerwartet aus dem akademischen Leben an die Front geworfen wird. Vom Großstadtleben in Moskau bis hin zu den rauen Gefechten auf dem Rücken eines Pferdes begleitet Sascha seine Einheit, die Kubankosaken, durch die dunkelsten Stunden des Zweiten Weltkriegs. Inmitten von Gefahr und Entbehrung wächst er in seine Rolle als Regimentsarzt hinein, mit einem unerschütterlichen Willen, Leben zu retten und die Menschlichkeit zu bewahren – selbst im Angesicht des Feindes.

Diese Szene wirft ein grelles Licht auf die Härten des Kriegsalltags und den Überlebenswillen einer besonderen Division, deren Ärzte und Sanitäter sich den schwierigen Bedingungen und der ständigen Mobilität anpassen müssen. Saschas Reflexionen und die verstörenden Fundstücke aus einem deutschen Panzerwagen vermitteln das Spannungsfeld zwischen Kriegsnotwendigkeit und menschlichem Leid, das sich wie ein roter Faden durch seine Erlebnisse zieht.

Der 22. Juni 1941. – Krieg!

Am 23. Juni sitzt er mit den jungen Kollegen seines Semesters bereits marschbereit auf einem Moskauer Bahnhof. Sie warten auf ihren Zug.

Am 24. Juni Abfahrt. Er ist zu einer Fliegerabteilung einberufen und wird mit den andern Kameraden der gleichen Ausbildung sofort zu dem Stab der Flieger der Westfront kommandiert. Unterwegs erstes Bombardement durch deutsche Flieger. Als sie vor Minsk ankommen, brennt die Stadt.

Sie werden umgeleitet zu einem andern Zentrum.

Am 1. Juli Ernennung zum Bataillonsarzt und Kommandierung auf einen großen Flugplatz der Westfront als diensttuender Arzt am Startplatz zur Überwachung des Gesundheitszustandes der Flieger, in der Versorgung der Verwundeten und im Ortsdienst.

„Am 18. August, nach dem Befehl, dass alle jungen Ärzte in der vorderen Kampffront tätig sein sollen, bekam ich eine neue Kriegsbeorderung und flog zu meinem neuen Truppenteil, zur Kavallerie, zu den Kubankosaken – vom modernen Flugzeug zum Pferd.“

Zuerst war Sascha doch etwas verdutzt, da er noch nie auf einem Pferd gesessen hatte. Was war zu machen? Es musste geschafft werden, und es wurde geschafft. Der ehemalige Moskauer Feinmechaniker und jetzige Regimentsarzt ritt mit den Kubankosaken gegen den Feind. „Bald war ich sehr stolz und froh, gerade zu dieser Kosakendivision gekommen zu sein, die der bekannte General Dowator führte. Unser Regiment wurde sofort eingesetzt. Wir waren eigentlich stets in Bewegung, sehr oft weit im Hinterland des Gegners.“ Sascha war als Arzt immer mit dabei, immer zu Pferde, meist bei dem Regimentsstab. Wegen ihrer Beweglichkeit waren sie nie einem bestimmten Hauptverbandplatz angeschlossen; den mussten sie sich meist erst suchen. Überhaupt befanden sich der Arzt und das übrige Sanitätspersonal dieses Kosakenregiments, das sehr viele Sonderaufgaben hatte und oft im Rücken des Feindes operierte, in einer besonderen Lage. Das ganze Verbandmaterial und alles Arztinstrumentarium musste auf den Reit- und Handpferden mitgeführt werden. Die Verwundeten konnte man nur vertrauenswürdigen Bauern oder Partisanen in Obhut geben. In die Hände der Deutschen zu fallen, wäre für einen Kosaken der sichere und qualvolle Tod gewesen. Lebend haben die Deutschen wohl kaum einen Kosaken in diesem Krieg gefangen.

„Ich hatte dagegen oft mit deutschen Gefangenen und Verwundeten zu tun. Sie waren im Sommer und Herbst ganz anders als später im Winter. Im Sommer waren sie dreist und höhnisch, im Winter aber sehr deprimiert, schweigsam und jämmerlich anzusehen in ihren dünnen und oft zerfetzten Röcken und Mänteln. Viele hatten sich Frauenschals um den Kopf gewickelt, ja, sie trugen gegen die Kälte Frauenhemden und sogar Frauenröcke, die sie unseren Bäuerinnen geraubt hatten. Alle hatten furchtbare Angst, von uns erschossen zu werden. Das hatten ihre Offiziere ihnen beigebracht.“

Bei einem Ritt ins feindliche Hinterland erbeutete die Truppe einen deutschen Panzerwagen, darin waren die merkwürdigsten Dinge: unter anderem auch Frauenkleider, Kopftücher, sogar Puppen und Kinderspielzeug. „Wozu hatten sie diese Sachen, die man doch wahrhaftig nicht zum Kriegführen braucht, mitgenommen?“, fragt mich Sascha.

Kommen wir zum guten Schluss der heutigen Post aus Pinnow noch einmal auf das eingangs erwähnte ebenso wichtige wie stolze Wort Menschlichkeit zurück. Gerade in finsteren Zeiten, um einen Begriff von Bertolt Brecht zu gebrauchen, ist es wichtig, Menschlichkeit zu bewahren – in kleinen wie in großen Dingen.

Es lohnt sich, einmal länger und genauer darüber nachzudenken, was Menschlichkeit denn nun eigentlich konkret bedeutet und wie man sich in verschiedenen Situationen in diesem Sinne verhält. Auch ein Blick in die wechselvolle Geschichte der Menschheit zeigt viele Beispiele der Menschlichkeit, aber eben leider auch viele Beispiele ihres Gegenteils – der Unmenschlichkeit, dies besonders in Kriegszeiten. Insofern ist es ein ausdrückliches Gebot der Menschlichkeit, sich für den Frieden einzusetzen. Allerdings wirft auch dieses Gebot wieder neue, nicht einfache Fragen auf. Was bedeutet es genau, sich für den Frieden einzusetzen? Wie macht man das?

Friedrich Wolf, der Autor der heutigen Sonderangebote, verstand sich zeitlebens als ein Humanist und als ein Kämpfer für Menschlichkeit. Dazu passend findet sich auf der Internet-Seite der Friedrich-Wolf-Gesellschaft folgende nachdenklich stimmende Aussage: „Mit Wolfs Tod gerät sein literarisches Schaffen allmählich ins Hintertreffen. Es scheint, als habe sich seine politisch-revolutionäre Dramatik überlebt. Inzwischen aber zeigt sich, dass Wolfs Werk nicht nur historisch bedeutsam ist, sondern dass angesichts zunehmender neofaschistischer und antisemitischer Tendenzen eine Rückbesinnung auf den Schriftsteller und Dramatiker Friedrich Wolf dringend notwendig ist.

Der Wiederbegegnung mit dem Literaten und Menschen Friedrich Wolf hat sich die Friedrich-Wolf-Gesellschaft verschrieben.“ Und das bedeutet auch, Friedrich Wolf wieder einmal zu lesen.

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die nächsten Sonderangebote für den zweiten November-Newsletter werden schon verpackt und für den Abtransport vorbereitet. Auch sie stammen wieder alle von Friedrich Wolf.

Dazu gehört sein 1930/1931 in Berlin uraufgeführtes Schauspiel „Tai Yang erwacht“. Im revolutionären China der 1930er Jahre entfaltet sich in „Tai Yang erwacht“ die packende Geschichte einer jungen Arbeiterin, die in den Textilfabriken von Schanghai unter erbarmungslosen Bedingungen lebt und arbeitet. Tai Yang, hin- und hergerissen zwischen familiären Verpflichtungen und dem gnadenlosen Alltag, wird zur mutigen Stimme des Widerstands gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit. Während die Armeen des Südens gegen korrupte Generäle und ausländische Mächte kämpfen, erhebt sich Tai Yang gemeinsam mit ihren Kolleginnen und riskiert alles, um für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen. Das Stück zeigt eindrucksvoll die Spannungen zwischen Tradition und Moderne, und wird zu einem kraftvollen Aufruf zur Solidarität und zum Widerstand gegen Tyrannei. Wird Tai Yangs mutiger Kampf das Schicksal ihres Volkes verändern, oder droht sie im Sturm der Revolution unterzugehen?

„Tai Yang erwacht“ ist ein zeitloses Schauspiel über Mut, Widerstand und die Kraft der Gemeinschaft, das heute aktueller ist denn je.

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