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Auguste und Hermine, unbequeme Fragen eines einfachen Mannes und ein dialektischer Schmetterling - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 20.12. 2024) – Wie stellen Sie sich einen Opernsänger und seine Familie  vor? Der Autor des fünften und damit zugleich letzten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 20.12. 24 – Freitag, 27.12. 2024) zu haben sind, hat da eine ganz konkrete Vorstellung, wie wir in seinem aufregend vergnüglichen Weihnachtsbuch „Die Weihnachtsgans Auguste“ lesen können. Dessen Autor ist wieder Friedrich Wolf und von ihm stammen auch alle anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters – das geht im Übrigen nur, weil der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf ein sehr fleißiger Schriftsteller war, der immer und überall, wo er war, fast pausenlos geschrieben hat.

Aber damit zurück zu seiner immer noch bekannten und beliebten „Weihnachtsgans Auguste“. Diese ist fünf Kilo schwer und kommt im November eigentlich zu einem klaren Zweck in die Familie mit dem schönen Namen Löwenhaupt. Löwenhaupt-Familienoberhaupt ist der Opernsänger Luitpold Löwenhaupt. Dieser respektable Vogel (die künftige Weihnachtsgans, nicht etwa der Opernsänger) sollte den Festtisch verschönen, erfahren wir am Anfang der Erzählung mit dem überraschenden Ende. Am Anfang der Erzählung scheint dagegen alles klar: „Gewiss, es waren schwere Zeiten. „Aber etwas muss man doch fürs Herze tun!“

Bei diesem Satz, den Löwenhaupt mit seiner tiefen Bassstimme mehrmals vor sich hin sprach, so dass es wie ein Donnerrollen sich anhörte, mit diesem Satz meinte der Sänger im Grunde etwas anderes. Während er mit seinen kräftigen Händen die Gans an sich drückte, verspürte er zugleich den Geruch von Rotkraut und Äpfeln in der Nase. Und immer wieder murmelte sein schwerer Bass den Satz durch den nebligen Novembertag: „Aber etwas muss man doch fürs Herze tun.““

Und dann erfahren wir als Leserinnen und Leser noch etwas Überraschendes über eine Angst des respektablen Künstlers, die wir bei ihm nicht unbedingt erwartet hatten:

„Ein Hausvater, der eigenmächtig etwas für den Haushalt eingekauft hat, verliert, sobald er seiner Wohnung sich nähert, mehr und mehr den Mut. Er ist zu Haus schutzlos den Vorwürfen und dem Hohn seiner Hausgenossen preisgegeben, da er bestimmt unrichtig und zu teuer eingekauft hat. Doch in diesem Falle erntete Vater Löwenhaupt überraschend hohes Lob. Mutter Löwenhaupt fand die Gans fett, gewichtig und preiswert. Das Hausmädchen Theres lobte das schöne weiße Gefieder; sie stellte jedoch die Frage, wo das Tier bis Weihnachten sich aufhalten solle? Die zwölfjährige Elli, die zehnjährige Gerda und das kleine Peterle – Löwenhaupts Kinder – sahen aber hier überhaupt kein Problem, da es ja noch das Bad und das Kinderzimmer gäbe und das Gänschen unbedingt Wasser brauche, sich zu reinigen. Die Eltern entschieden jedoch, dass die neue Hausgenossin im Allgemeinen in einer Kiste in dem kleinen warmen Kartoffelkeller ihr Quartier 7beziehen solle und dass die Kinder sie bei Tag eine Stunde lang draußen im Garten hüten dürften. So war das Glück allgemein.“

An dieser Stelle könnte Autor Friedrich Wolf seine Erzählung beenden. Das macht er aber zum Glück nicht. Denn jetzt fangen sie erst an (Achtung, Spoiler!), denn jetzt fangen sie erst an – die familiären Auseinandersetzungen. Sie drehen sich um unterschiedliche Auffassungen von Löwenhaupt-Eltern und Löwenhaupt-Kindern zur Zukunft eines fünf Kilo schweren Federviehs, um die Frage, warum Gänse nicht mit im Bett der Menschen schlafen dürfen und nicht zuletzt darum, wie man eine gerupfte, aber ansonsten quicklebendige und Plattdeutsch sprechende Gans („Ick frier, als ob ick keen Federn nicht hätt, man trag mich gleich wieder in Peterles Bett!“) vor dem Erfrieren bewahren kann. Neugierig geworden?

Seit ihrer ersten Veröffentlichung hat die 1946 entstandene märchenhafte Geschichte von der „Weihnachtsgans Auguste“ bereits Generationen von jüngeren und älteren Kindern in ihren Bann gezogen. Der Text war erstmals 1951 in dem Buch „Bummi – Tiergeschichten für große und kleine Kinder“ im Berliner Aufbau-Verlag und mit Illustrationen von Ludwig Nawrotzky erschienen. Später folgten weitere Ausgaben im Aufbau-Verlag, so 1993 mit Illustrationen von Johannes K. G. Niedlich. 1959 hatte der DDR-Rundfunk zunächst ein Hörspiel produziert, das auch in mehreren Auflagen auf Langspielplatte veröffentlicht worden war. Eine frühe filmische Umsetzung erfuhr der Stoff 1964 mit „Peterle und die Weihnachtsgans Auguste“, dem Diplomfilm, mit dem der Regisseur Rainer Simon sein Studium an der damaligen Deutschen Hochschule für Filmkunst abschloss. Wesentlich bekannter aber dürfte der auch in diesem Jahr in verschiedenen Sendern wie mdr und rbb ausgestrahlte gleichnamige Kinderfilm sein, der 1988 von der DEFA in der Regie von Bodo Fürneisen für das Fernsehen der DDR produziert wurde und der bis in die Gegenwart sehr populär ist.

Das damalige Darstellerensemble war sehr prominennt besetzt: Den Opernsänger Ludwig Löwenhaupt gab Dietrich Körner, seine Frau Hanna Löwenhaupt war Barbara Dittus. Als Kammersänger-Mutter Gertrud Löwenhaupt war Käthe Reichel zu sehen. Und noch ein paar bekannte Namen fallen auf dem Besetzungszettel auf: Stefanie Stappenbeck als Tochter Anette, Gudrun Ritter als Rosl Becker und Peter Bause als Hans Becker sowie Johanna Schall als Fräulein Quellmalz, das Allround-Talent Gunther Emmerlich als Dirigent, Tom Pauls als „Mann am Bahnhof“, Heide Kipp als Direktorin und Helmut Straßburger als Opernsänger. Apropos Opernsänger: In seiner Rolle als Opernsänger Löwenhaupt wurde der Schauspieler Dietrich Körner in den Gesangsszenen von dem vielfach ausgezeichneten Helden-Tenor Klaus König gedoubelt. Und die Weihnachtsgans Auguste war in Wirklichkeit ein Ganter. Aber das hatte die Newsletter-Redaktion schon im vorigen Newsletter erläutert. Bei Bedarf bitte noch einmal kurz zurückblättern …

Der Film, dessen Handlung allerdings in einigen Passagen von der im Buch abweicht, war am Heiligabend 1988 erstmals im Fernsehen der DDR zu sehen – also vor nunmehr 36 Jahren.

Seit 2016 gibt es noch eine weitere Weihnachtsgans Auguste, äh, „Weihnachtsgans Hermine“. Denn so heißt die mit schönen Zeichnungen von Katja Wehner versehene Erzählung von Thomas Brussig. Autor Thomas Brussig – das ist der, der per Gerichtsbeschluss gerade nachträglich für sein Libretto für das Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizon“ in Hamburg und Berlin zwischen 2011 und 2017 eine Nachvergütung von mehr als 5 Millionen Euro zuzüglich Zinsen zugesprochen bekam – hat die Geschichte von Friedrich Wolf nach eigener Aussage als Kind geliebt. Allerdings habe sie „etwas Patina“ angesetzt, und so ist Brussig gern der Bitte des Aufbau Verlages, der auch das Original weiter im Programm hat, gefolgt, die Geschichte neu und in modernisierter Fassung zu erzählen. Mehr soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden, nur so viel, dass in seiner Version ein Familienvater ein weihnachtliches Kochduell mit einem Gänsebraten gewinnen will. Ach, Hermine, ob das wohl gut geht? Aber lesen und schauen Sie doch selbst: Friedrich Wolf und Thomas Brussig. Auguste und Hermine.

Wie bereits erwähnt stammen auch die anderen vier Sonderangebote des heutigen Newsletters aus der Feder von Friedrich Wolf (oder hat er eher mit der Schreibmaschine geschrieben?)

1948 ist das Entstehungsjahr seiner satirischen Erzählung „Ich muss mal dumm fragen“. Hauptfigur dieses Textes ist der einfache Mann Karl Knorpel, der unbequeme Fragen stellt - teils komisch, teils scharfzüngig, und immer treffsicher. Knorpels scheinbar naive Fragen entlarven die 7Doppelmoral und Absurdität der politischen und gesellschaftlichen Zustände in der Nachkriegszeit. Sieht es heute eigentlich anders aus?

1951 setzte sich Friedrich Wolf in der kurzen Erzählung „Dialektik – die Logik der Widersprüche“ mit philosophischen Fragen über die Natur und ihre scheinbaren Widersprüche auseinander ein. Das Beobachten eines farbenprächtigen Schmetterlings, eines Admirals, entfacht eine Debatte darüber, ob das grelle Muster des Insekts ein Fehler der Evolution ist - oder ob es nicht doch einen tieferen Sinn verfolgt.

Bereits im Jahr 1950 hatte Friedrich Wolf die Erzählung mit dem neugierig machenden Titel „Der Präsident kommt oder Zwei Feldherren, vier Rosen und ein paar Tränen“ geschrieben. Wenn man nicht wüsste, dass dieser ebenso humorvolle wie tiefgründige Text inzwischen bereits fast 75 Jahre in der Welt ist, könnte man denken, es sei eine Gegenwartsgeschichte. Es geht um die Vorbereitungen einer diplomatischen Mission für den Besuch eines Staatspräsidenten. Erzählt wird aus der chaotischen Welt von Protokollen, minutiösen Planungen und überraschenden Wendungen, die jeden Moment in ein Desaster verwandeln könnten. Es geht um große politische Ereignisse, kleinste Details sowie um die rettende Kraft von wenigstens etwas Menschlichkeit.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Heute geht es um nichts weniger als um ein Wunder, ein Wunder mitten in einem schrecklichen Krieg.

1942 verfasste Friedrich Wolf die Erzählung „Der Kirschbaum – blutige Ernte“, die im Jahr zuvor spielt: In den Wirren des Sommers 1941, als die Schrecken des Zweiten Weltkriegs das kleine Dorf an der Grenze Weißrusslands heimsuchen, gibt es einen Ort, der wie ein Wunder erscheint: ein einziges Haus mit einem blühenden Kirschbaumgarten. Inmitten der Zerstörung verweilt ein deutscher Hauptmann, unberührt von den Qualen der Einheimischen. Doch als er befiehlt, den geliebten Kirschbaum des alten Michail Wassiljewitsch zu fällen, entzündet sich ein unaufhaltsamer Funke des Widerstands. Ein Akt der Gewalt und der Verzweiflung entfaltet sich, der das Schicksal vieler verändern wird.

Diese eindringliche Erzählung von Friedrich Wolf ist ein zeitloses Zeugnis von Mut, Rache und der Unbeugsamkeit des menschlichen Geistes. Eine Geschichte, die bis heute nachhallt und die uns an die dunklen Kapitel unserer Vergangenheit erinnert.

Friedrich Wolf gelingt es in „Ich muss mal dumm fragen“, aktuelle Ereignisse mit scharfem Humor und einem tiefgründigen Blick auf gesellschaftliche und religiöse Fragen zu verknüpfen. In der folgenden Passage kommt Karl Knorpel, der Protagonist mit einem unermüdlichen Drang zum Hinterfragen, zu Wort. Mit seiner spitzfindigen und zugleich nachdenklichen Art nimmt er die Worte eines Bischofs über eine „Atombombe der Liebe“ unter die Lupe – und stellt dabei nicht nur die Verbindung von Religion und Wirtschaft, sondern auch die zeitgemäße Auslegung christlicher Werte auf den Prüfstand. Ein Text, der zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken anregt.

Der „Ulenspiegel“ hat sich entschlossen, Herrn Karl Knorpel, einem Mann aus dem Volke, unter der Spalte „Ich muss mal dumm fragen“ des Öfteren das Wort zu erteilen. Karl Knorpel gehört zu jenem Typus Menschen, die wie ein Kind den ewigen Fragegeist in sich haben und die wissen wollen, weshalb das Wasser den Berg hinabfließt, der Hund vier Beine hat und man im Krieg Häuser anzünden darf, im Frieden aber nicht!

Mein Name ist Knorpel, Karl Knorpel. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Mir meinerseits fällt es heute oft schwer, alles in Butter zu finden oder bloß ein Haar in der Suppe. Manchmal weiß ich vor Haaren nicht wohin; und dann muss ich gleich mal dumm fragen.

Sehen Sie, vor einiger Zeit las ich im Berliner „Kurier“ unter „Drahtbericht unseres Korrespondenten“ aus der Stadt Aachen etwas über die neuen „Atombomben der Liebe“. Wissen Sie, was das ist? Passen Sie auf! „Wir müssen uns eine Atombombe machen, angefüllt mit der göttlichen Energie der Liebe und sie auf die Menschheit werfen“ – so erklärte der apostolische Visitator für Deutschland und Bischof Dr. Aloysius Münch während einer Pontifikalmesse auf dem zerstörten Marktplatz vor dem Aachener Rathaus zum Abschluss eines halbjährigen Gebetskreuzzuges. Schön hat das der Herr apostolische Visitator gesagt, direkt poetisch, alles was recht ist, und eine zartbesaitete Seele besitzt er, der Herr Bischof, der auf dem zerstörten Marktplatz von Aachen die „Atombomben der Liebe“ predigt. Das nächste Mal also kommen die Hurrikane und fliegenden Festungen mit den Liebesbomben. Ein Fest wird das!

Aber der geistliche Herr schürft tiefer. Er verlangt eine „Sozialisierung des Herzens“. Ich bin im Sozialismus nicht so beschlagen. Aber der Herr apostolische Visitator meint da wohl, das Menschenherz bleibe nicht mehr im Privatbesitz, sondern gehe jetzt vollständig in das Eigentum der Kirche über. Denn der Herr Bischof Dr. Münch – so betonte er selbst – komme aus USA, einem Lande, das durch die freie Wirtschaft „groß und mächtig, wohlhabend und reich“ geworden sei; so trete auch er für eine „freie Wirtschaft der Liebe“ ein. Der apostolische Visitator bringt also aus USA einen ganzen Koffer mit Bereicherungen der Lehre Christi mit. Jeder nicht Gehässige muss zugeben, dass jene „freie Wirtschaft der Liebe“ eine großartige Verbindung von Christentum und frei getätigtem Handel ist. Ja, der Herr Bischof ist auf Draht. Er war nicht umsonst in USA. Wenn man sich allerdings stur darauf versteifen wollte, dass Christus die Wechsler und Händler aus dem Tempel getrieben hat – „und stieß um die Tische der Wechsler und die Stühle der Krämer“ –, wo käme man da heute hin?

Nein, wir brauchen heute ein zeitnahes Christentum, das der kleine Mann von Wall Street wie der Jupp Schmitz vor dem Aachener Rathaus begreift.

Das Beste aber ist und bleibt das feine Wort von der „Atombombe der Liebe“. Wissen Sie, bisher lief es mir immer wie eine kalte Maus den Rücken herunter, wenn ich von Atombomben hörte. Ich musste da immer an zusammenkrachende Häuser und durch die Straßen rennende Menschenfackeln denken. Aber das Wort des Herrn Bischofs hat mich nun total beruhigt.

In „Dialektik – die Logik der Widersprüche“ führt Friedrich Wolf seine Leserinnen und Leser in die faszinierende Welt alltäglicher Beobachtungen, die scheinbar banale Fragen aufwerfen, aber tiefgründige philosophische Gedanken über Natur und Leben offenbaren. In der folgenden Passage diskutieren Freunde über die Farben eines Schmetterlings und stoßen dabei auf einen Grundsatz dialektischen Denkens, der zeigt, wie Widersprüche in der Natur und im Leben miteinander verflochten sind. Ein prägnantes Beispiel dafür, wie das vermeintlich Einfache komplexe Wahrheiten offenbaren kann.

Wir betrachteten am Sonntag einen auf einer Herbstaster sitzenden grellbunten Schmetterling, einen „Admiral“ (orange-schwarz-weiß) und diskutierten, ob hier die Natur nicht wieder einmal eine Fehlkonstruktion geschaffen habe, da diese fliegende Farbpalette von jedem insektenfressenden Vogel sofort entdeckt und verspeist würde. Paul meinte, bestimmt wäre das gleichmäßige Grüngelb des Zitronenfalters oder das Weiß des Kohlweißlings richtiger. (Paul sagte mit Überzeugung „richtiger“.) Hans dagegen belehrte ihn, dass es dem „Admiral“ nicht auf das Mimikry, auf die Schutzfarbe ankomme, sondern auf die Lockfarbe, die Fortpflanzungsfarbe, die Weibchen bzw. Männchen grell anzulocken; das sei in der Natur wichtiger und richtiger.

Nicht Erhaltung des Lebens durch eine Schutzfarbe, sondern Erhaltung des Lebens durch eine Lock- und Hochzeitsfarbe.

Der nachdenkliche Erwin meinte hierzu bloß: „Dialektik.“

„Wieso Dialektik?“, fragte Peter.

Und Erwin: „Natürlich Dialektik; das heißt, wie man’s macht, ist es falsch.“

In der Satire „Der Präsident kommt oder Zwei Feldherren, vier Rosen und ein paar Tränen“ nimmt Friedrich Wolf die akribische und oft absurde Bürokratie rund um eine Staatsvisite aufs Korn. Mit feiner Ironie beleuchtet er die Dynamiken innerhalb der diplomatischen Mission, die zwischen minutiöser Planung und menschlicher Unsicherheit oszillieren. Die folgende Szene zeigt, wie selbst scheinbar banale Details wie das Mittagessen des Präsidenten für Spannungen und unerwartete Fragen sorgen – ein humorvoller Einblick in die Herausforderungen des Protokolls.

Die Nachricht schlug ein wie der Blitz. Der Chef berief die Mitglieder der Mission zu einer außerordentlichen Beratung; er wies auf die historische Bedeutung der Stunde hin und begann die Aufgabengebiete zu verteilen.

Dem ersten Sekretär oblag neben den Protokollpflichten und den Einladungen die Gesamtüberwachung der zwei Tage. Der Kanzleichef, ein soldatischer Draufgänger, erhielt alle Funktionen des Außendienstes, einschließlich der Einteilung der Fahrzeuge und der Besorgung der Kränze samt Beschriftung der Schleifen. Der Konsul hatte sich um den Bahndienst und mit Hilfe der Sachbearbeiter um die Ausschmückung des Missionsgebäudes zu kümmern. Ludwig, der Pressemann, war für die Nachrichtenübermittlung, den Tag- und Nachtdienst am Telefon, verantwortlich. Die diversen Ehefrauen aber wurden mobilisiert für das kalligrafische Schreiben der Namen von etwa dreihundert Einladungen des Empfanges der Mitglieder des diplomatischen Korps und der Regierung. Denn diese Staatsvisite durfte nicht vorzeitig bekannt werden und musste intern vorbereitet sein.

Es war aber bereits ein genaues Programm nach dem Stundenplan der befreundeten Regierung ausgearbeitet worden. Ein noch präziserer „Minutenplan“, in dem vom ersten Atemzug der Delegation nach Betreten des Staatsgebietes bis zum letzten Lebewohl beim Verlassen des Territoriums alles minutenmäßig festgelegt sei, würde folgen.

Der Chef der Mission, nachdem er seine Mitarbeiter derart ins Bild und zugleich in rotierende Großkampfstimmung versetzt hatte, erhob sich von seinem Stuhl und erklärte dumpf: Die geringste Unachtsamkeit auch nur eines der Missionsmitglieder müsse bei der historischen Größe der bevorstehenden Stunde sich zwangsläufig ins Astronomische ausweiten und unweigerlich zu seiner Demission und der des ersten Sekretärs führen. Während die männlichen Mitglieder diese ernsten Worte des Chefs stark beeindruckt in sich aufnahmen, hatten die jungen weiblichen Kräfte, die wie vier griechische Grazien nebeneinander auf einer Couch saßen, sich bereits in das „Stundenprogramm“ vertieft. Plötzlich sagte Ruth: „Was heißt denn das hier – von dreizehn bis vierzehn Uhr Mittagessen des Präsidenten im eigenen Kreis?“ Irene, in ihrer stillen Sicherheit, meinte: „Das ist doch klar, unser Präsident speist mit seinen Leuten.“ – „Weshalb soll er denn nicht bei uns hier essen?“, fragte jetzt kess die kleine Inge. Und Gertrud assistierte: „Bestimmt erwartet er, dass wir ihn einladen.“

In „Der Kirschbaum – blutige Ernte“ verbindet Friedrich Wolf eindringliche Naturbilder mit einer schonungslosen Darstellung menschlicher Grausamkeit und Arroganz während des Krieges. Die folgende Passage zeigt die willkürliche Zerstörung eines Kirschbaums und die Erniedrigung zweier Bauern durch Offiziere, die ihre Macht und Überlegenheit demonstrieren. Mit bitterem Sarkasmus und schmerzlicher Präzision wird eine Szene geschildert, die den Wahnsinn und die Brutalität des Krieges auf beklemmende Weise greifbar macht.

Der Baum beginnt zu schwanken. Der Hauptmann ist aufgesprungen und zurückgetreten. Auch die andern Offiziere treten – das Kartenspiel im Stich lassend – in respektvolle Entfernung. Die Ordonnanzen haben ein paar Stricke um die Äste des Kirschbaumes geschlungen. Sie ziehen mit aller Kraft. Und dann kracht der Baum nieder. Es klingt wie ein aus der Erde gefeuerter Kanonenschuss. Noch einmal dreht sich der mächtige Stamm halb um seine Achse, zerreißt die letzten Fasern und zerbricht am Boden die ächzenden Äste.

Das wäre nun zu Ende. Die beiden Alten wollen gehn.

Nein, es ist noch nicht zu Ende. Wenn schon, so macht man ganze Arbeit. Die Bäuerin muss noch die Kirschen pflücken und fein säuberlich im Körbchen an den Offizierstisch bringen. Und einen zweiten Korb soll sie pflücken für die Ordonnanzen und einen dritten für den Doppelposten draußen. Bitte sehr, der Herr Hauptmann versteht sogar Spaß! Er hängt dem alten Bauern und der Bäuerin je zwei Kirschen – zwei „Pärchen“ – über das Ohr, er hebt sein Glas und trinkt es in einem Schluck leer. „Prost, Russki, das ist euer Anteil! Für heute habt ihr Feierabend! Morgen gibt’s neue Arbeit! Weggetreten!“

Allerdings konnte am nächsten Morgen der Hauptmann die versprochene Arbeit nicht verteilen.

So, nun haben wir es wieder fast geschafft. Zumindest vom heutigen Erscheinungstag der aktuellen Post aus Pinnow aus gesehen, sind es nur noch vier Tage bis zum Heiligen Abend mit Weihnachtsbaum, vielen schönen Geschenken und mit Gänsebraten – oder doch lieber ohne Gänsebraten?

Vielleicht liegen unter dem Weihnachtsbaum aber auch ein paar Bücher und Filme, darunter die weiter oben beschriebenen Weihnachtsgeschichten von Friedrich Wolf und Thomas Brussig – Auguste und Hermine. Schließlich dürfte es während der anstehenden handyfreien Feiertage Gelegenheit geben, nicht nur ganz in Familie zu feiern (Weihnachten ist bekanntlich DAS Fest der Familie) und das wahrscheinlich schönste Geschenk, Zeit füreinander zu haben, zu genießen, sondern auch in aller Ruhe zu schmökern – vielleicht auch die beiden vergnüglichen Weihnachtsgans-Abenteuer.

In dem Text von Friedrich Wolf steckt nicht zuletzt auch ein gehöriges Stück Dialektik, wenn wir uns den letzten Dialog zwischen dem kleinen Jungen und der sprechenden Gans vor dem glücklichen Einschlafen anschauen oder besser formuliert – anhören:

„Spätabends im Bett aber fragt Peterle seine Gustje, indem er sie fest an sich drückt: „Warum hast du denn vor Weihnachten den Winterschlaf gehalten?“

Und Gustje antwortet schläfrig: „Weil man mir die Federn rupfen wollte.“

„Und warum wollte man dir die Federn rupfen?“

„Weil man mir dann einen Pullover stricken konnte“, gähnt Gustje, halb schon im Schlaf.“

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und Weihnachts-Vorfreudig und der Welt der Bücher gewogen. Die letzte Ladung für dieses Jahr ist schon verzurrt und per Jahresend-Post unterwegs. Auch diese Sonderangebote stammen wieder alle von Friedrich Wolf, dem Weihnachtsgänsefreund.

1953, im Todesjahr von Friedrich Wolf, entstand die Erzählung „Paulinchen. Die Rationalisatorin aus dem Transformatorenwerk“: Inmitten des sozialistischen Aufbruchs der 1950er Jahre, als die DDR ihre Industrie revolutionierte, steht die Geschichte von Paulinchen einer unscheinbaren, grauhaarigen Putzfrau im Dresdner Transformatorenwerk. Was als alltäglicher Job mit Eimer und Besen begann, wird für Paulinchen zu einer persönlichen Mission: Durch kleine, aber brillante Ideen wird sie zu einer Heldin der Rationalisierung.

Mit klarem Verstand und praktischem Einfallsreichtum spart sie dem Werk Tausende an Arbeitsstunden und Kosten. Diese Erzählung zeigt eindrucksvoll, wie auch die unscheinbarsten Menschen in einem Kollektiv Großes bewirken können - eine inspirierende Geschichte über Innovation und den Triumph des menschlichen Geistes im Angesicht einer neuen, aufstrebenden Gesellschaft.

DDR-Autoren: Newsletter 20.12.2024 - Auguste und Hermine, unbequeme Fragen eines einfachen Mannes und ein