Menschlichkeit und Gerechtigkeit, Schulmedizin und Naturheilkunde sowie die Rettung der Menschheit - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 14.03.025) Was genau bedeuten eigentlich Menschlichkeit und Gerechtigkeit? Wie gehören sie zusammen? Und wieviel Mut brauch es, sich für beide einzusetzen für Menschlichkeit und Gerechtigkeit? Das sind Fragen, mit denen sich der Schriftsteller und Dramatiker Friedrich Wolf immer wieder intensiv auseinandergesetzt hat vor allem auch in seinen Schauspielen, wie vier der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters beweisen, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 14.03. 2025 bis Freitag, 21.03. 2025) zu haben sind.
Das gilt gleich in besonderem Maße für das erste Sonderangebot, das 1921 in Worpswede geschriebene Schauspiel Tamar zwischen Rache und Vergebung: In dem Stück entfaltet sich eine epische Auseinandersetzung mit den Themen Schuld, Gerechtigkeit, Liebe und der Macht des Wandels. In einer patriarchalischen Gesellschaft, die an starre Traditionen gebunden ist, bricht Tamar, eine mutige und leidenschaftliche Frau, aus den Fesseln von Vorurteilen und Zwängen aus. Als Sinnbild für Widerstand gegen Unterdrückung und für die Suche nach individueller Freiheit fordert sie nicht nur ihre Familie, sondern auch die gesellschaftliche Ordnung heraus. Wolf verbindet biblische Symbolik mit sozialem Drama und erschafft so ein zeitloses Werk über die Konflikte zwischen Tradition und Erneuerung. Ein Stück, das zum Nachdenken über die Essenz von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und den Mut zur Veränderung anregt.
Als Tamar, des Verzehrten Weib, also die Frau des älteren der beiden Söhne des Patriarchen, erstmals zu Wort kommt, wird sie zuvor vom Patriarchen beschuldigt, Unsegen über die Familie zu bringen, mit schneidenden Worten gepeitscht eine starke und erschütternde Szene:
PATRIARCH für sich:
Nicht ist gut, alles zu sehn. Doch über Kindeshäupter, über des Lebens Gefild
Zu Tamar.
Du!
Tamar schreckt hoch.
PATRIARCH:
Wie lang du sein bist?
TAMAR scheu:
Ins dritte Jahr, Vater.
PATRIARCH: Ins dritte Jahr? Und also zwölf und zwölf, und also dreißig Monde.
Tamar steht wie gelähmt.
PATRIARCH:
Dreißig Monde, jäh. Höhnen mich die leeren Jahre, starrt Wüstenspuk, grinst der dürre Ast, der keinen Spross mehr treibt aus allem Saft des Stamms? Mein Enkel.
Tamar senkt das Haupt.
PATRIARCH:
Dreißig Monde, dass du sein bist, dreißig Monde teilst du sein Lager, Tag um Tag warte ich auf das Glied, das mein Geschlecht anhefte an die Kette der Kommenden; aber der Herr hat keinen Segen auf dich; er hat dich verworfen wie eine taube Nuss.
Tamar sinkt zusammen.
Wie wird sich die als unfruchtbar angeklagte junge Frau verhalten? Und wie wird der Kampf des Neuen mit dem Alten ausgehen?
1920 schrieb Friedrich Wolf in Remscheid Die schwarze Sonne - wenn Götzen stürzen. Fantastische Komödie mit Tanz und Gesang: In der Urwildnis eines fernen Zeitalters entzündet sich ein machtvolles Schauspiel zwischen Götzenkult, blinder Gläubigkeit und dem Streben nach Erneuerung. Auch in diesem Stück geht es wieder um Menschlichkeit und Gerechtigkeit und um eine entscheidende Frage: Was bedeutet es wirklich, Mensch zu sein?
Die Schrankkomödie, geschrieben 1922 in Hechingen, ist ein amüsant-zeitkritisches Schauspiel, das die moralischen und gesellschaftlichen Konflikte der 1920er Jahre beleuchtet und den Konflikt zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde fast explodieren lässt. Zwischen den Wänden eines Wohnzimmers und den Türen eines Schranks entspinnen sich skurrile Verwicklungen, pikante Geheimnisse und überraschende Wendungen.
Bereits 1919 entstand Der Unbedingte - zwischen Wahn und Vision. Ein Schauspiel. Der Unbedingte das ist der Protagonist des sich mit atemberaubender Intensität vor den Zuschauern vollziehenden Stücks: ein Dichter, der in seiner Dachkammer eine apokalyptische Auseinandersetzung mit Gesellschaft, Moral und Existenz durchlebt. Sein Streben nach dem Absoluten bringt ihn in Konflikt mit den Menschen, den Institutionen und sogar mit sich selbst. Sein Ziel ist es, die Menschheit zu erlösen - koste es, was es wolle.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wie wirken sich eine tödliche Ideologie und Propaganda sowie der daraus hervorgehende Krieg auf eine Familie in Deutschland aus?
Geschrieben wurde die Novelle Heimkehr der Söhne von Januar 1944 bis Mai 1944, erschienen ist sie 1946 nach Wolfs Rückkehr in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) im Aufbau-Verlag Berlin. Und eben dort spielt sie auch allerdings noch während des Zweiten Weltkriegs, also in der Reichshauptstadt:
Die Familie Böger wird durch die Schrecken des Krieges und die brutalen Anforderungen des Nazi-Regimes zerrissen. Die Rückkehr der beiden älteren Söhne, Heinz und Peter, auf Heimaturlaub bringt kurzfristig Freude in das Heim, doch die düstere Realität holt sie schnell ein. Während der Vater stolz auf die militärischen Erfolge seiner Söhne blickt, kämpft die Mutter verzweifelt darum, ihre Familie zusammenzuhalten und ihre Kinder vor dem tödlichen Krieg zu bewahren.
Als Professor Schittenhelm, ein ehemaliger Lehrer der Söhne, versucht, die historische Wahrheit gegen die ideologische Verzerrung des Regimes zu verteidigen, geraten die Bögers in einen Strudel aus Loyalität, Verzweiflung und Konflikt. Die Eskalation dieser Spannungen führt zu schmerzhaften Entscheidungen und einer finalen Konfrontation, die das Leben der Familie unwiderruflich verändert.
Das Buch erzählt die erschütternde Geschichte einer Familie, die in den letzten Jahren des Dritten Reiches um ihr Überleben kämpft. In einer Zeit, in der Pflichtgefühl und Propaganda über Menschlichkeit gestellt werden, offenbart dieses Buch die innere Zerrissenheit und die verzweifelte Hoffnung einer Mutter, die versucht, ihre Kinder vor dem Tod zu bewahren. Ein kraftvolles und emotionales Drama über den Zerfall einer Familie unter dem unbarmherzigen Druck eines brutalen Regimes.
In Friedrich Wolfs Komödie Die schwarze Sonne - wenn Götzen stürzen. Fantastische Komödie mit Tanz und Gesang entfaltet sich eine ebenso groteske wie tiefsinnige Szenerie: In einer archaischen Urwelt wankt die Herrschaft eines alten Kultes, als eine fremde, leuchtende Macht aus der Dunkelheit tritt. Die Leseprobe führt mitten in ein rituelles Drama um den Götzen weißer Mond und seinen fanatischen Priester Wumm. Als die mondsüchtige Li ins Felsmaul flieht, wendet sich das Schicksal und mit einem Mal steht eine Gestalt aus einer anderen Welt vor den Urmenschen. Ein fremder, lichttragender Geist? Ein neuer Gott? Oder der Sturz eines alten? Mit satirischer Schärfe und poetischer Wucht entfaltet Wolf hier ein Spiel um Macht, Aberglauben und den Zusammenprall von Mythen und Moderne.
Felswand in der Urwildnis, mit manneshohen Lettern bemalt. Vor der Wand auf einem hohen Sockel ein riesiger, grellfarbiger Holzgötze der weiße Mond. Links ein mächtiger Felsspalt. Zu Füßen des Götzen ruht fellbekleidet eine vierschrötige kurzbeinige Gestalt: Wumm, der Priester. Helle Nacht.
WUMM im Halbschlaf: Hunger! Hunger! Wälzt sich auf die andere Seite. Unsinn ich bin der Mond der allmächtige, ungemein volle, gebieterische Mond wundervoll, ah, ich strotzendes Euter, ich schwappender Quarkpott, ich sahniger Gelbkäse . Groß. Ich, der Vollmond, gebiete voll zu sein! Erwachend, grimmig. Verdammt, nichts als Erleuchtungen! Doch was erfüllt mich? Klopft gegen des Götzen Bauch. Hohl! Hohl! Wie eine Tonne! Gib acht, ich hab dich nicht dahingebaut, dass du in die Gegend grinst und vor deinem Zähnefletschen die Mütter im Galopp niederkommen, die Lahmen die Beine unter die Arme nehmen und die Kranken aus bloßer Angst vor ihrem Helfer gesunden. Haut ihm auf den Bauch. Wo bleibt die Kundschaft? Es geht dem Gesindel zu gut. Ein Unheil, hörst du, ein gebührendes Unheil, einen Tod, eine Missgeburt! Greift eine Axt und hält sie ihm unter die Nase. Hörst du, kennst du diese? Wenn du alt und faul wirst, muss man dich zu deinen Vätern versammeln! Ein Unheil, oder Ein Schrei. Lässt die Axt sinken. Allgütiger Schreie sich nähernd. Neigt sich vor dem Götzen. Allweiser Ernährer!
Kirri, ein junger Mensch, Lolol, ein großes, starkes Weib, und ein Urmenschenrudel schleppen von rechts die mondsüchtige Li heran.
KIRRI hebt Lis Arm zum Götzen hin: Die Hand auf seinen Scheitel!
WUMM grimmig dazwischen: Zurück! Seht ihr nicht den Priester?
LOLOL: Sie vergeht unter meinen Armen!
WUMM: Und wenn sie vergeht, ihr faulen Schläuche, ihr Lasterbälge, die ihr daliegt satt und platt, während der Gott mit silbernem Horne ruft! Drum rast er in eurem Blut, drum frisst er euer Mark, drum holt er selbst sich sein Opfer! Denn groß ist der weiße Mond!
ALLE sich neigend: Groß ist der weiße Mond!
KIRRI sich niederwerfend: Heiliger, versöhne den Gott! Sprich mit ihm! Er soll drei warme Häute haben, den Nagel meiner großen Zehe und die Fänge eines tollwütigen Hundes.
WUMM: Dass ich dir selbst die Zähne breche!
KIRRI: Zwei Lenden vom feisten Eber, Früchte, zehn Schläuche Wein.
WUMM: Ha!
LOLOL vorspringend: Eine Nacht, die ich ihm opfere.
WUMM: Der Fall ist schwierig.
KIRRI: Was noch verlangt der Gott?
WUMM: Was noch? Was noch, ihr Missgeburten? Tritt auf den Sockel neben den Götzen. Wir haben Li, die lichthaarige Schwester, geblendet, dass eure Augen geöffnet werden, wir haben uns herniedergelassen, das Opfer selbst zu holen, da ihr die Opfer nicht brachtet, wir werden unsere Arme so lang um Li geschlossen halten, bis eure Spenden und eures Eifers Last sie wieder öffnen. Groß. Denn der weiße Mond groß ist sein Glanz , er fordert Li!
LI wirft die Hände empor, somnambul: Hei!
KIRRI gegen Wumm, bebend: Unmöglich!
WUMM packt Li an ihren Haaren: In seinem Namen
Li reißt sich jäh los und stürmt nach links zum Felsspalt.
LOLOL will ihr nach: Ins Felsmaul?
WUMM ihr entgegen: Der Gott
KIRRI außer sich: Zerplatze! Stürmt Li in den Felsspalt nach.
Kurze Stille.
EIN URMENSCH zu Wumm: Heiliger, sprich mit dem Gott! Kann er sie retten, er rufe sie zurück!
WUMM erhaben: Schweig! So wirft der Gott alle Verworfenen dem Geist des Abgrunds in den Rachen.
Getöse und brüllende Rufe von draußen.
LOLOL zu Wumm: Fort! Es ist Burru, der große Schlaf, dessen Matte Li geteilt.
EIN URMENSCH: Die gelbe Zecke hetzt ihn.
Von rechts stürmt Burru, ein baumstarker, klobiger, schwarzbärtiger Mann, her. Hinter ihm ein schwefelblonder, dürrer Kerl, Sit, die gelbe Zecke.
BURRU brüllend in tiefstem Bass: Uh! Wo? Ich zerquetsche ihn! Schaut sich um. Wo sie ist? Wo? Mein Zuckerschnäuzchen, mein Lämmerschwänzchen, mein weißes Ferkelchen? Gähnend. Uah! Das war ein Zorn! Uh! Will sich hinlegen.
SIT mit Fistelstimme, ihn stachelnd: Stibitzt hat er sie! Verschlafen hast du alles, du Riesenmurmeltier! Doch Li und der Gott schliefen nicht! Stibitzt hat er sie! Stibitzt! Sit! Sit!
BURRU furchtbar: Uh! Wo? Gegen den Götzen. Was grinst du, Schmerbauch? Hast du sie verhext, du Giftmolch, Altes Fass? Schlägt mit der Axt gegen den Götzenbauch, dass Wumm von der anderen Seite hervorfliegt. Ho! Ist das der Ausbruch? Packt Wumm am Genick.
WUMM wimmernd: Des Gottes Segen über dich.
BURRU brüllend: Segen? Uh! Wo? Wo ist das Silberwürmchen, die weiße Schnecke? Wo, du faule Schwarte, Speckaal, du Geschwulst. Ich zerquetsche dich wie einen Käse.
WUMM jämmerlich: Er Er, der weiße Mond Er suchte sie zu retten, als von dort vom Felsmaul ein schwarzer Geist des Abgrunds winkte ein schwarzer, grässlich riesiger Nachtmahr.
SIT Burru in die Rippen stoßend: Stibitzt hat er! Kitzle ihm das Gedärm!
BURRU gähnend: Uah, das war ein Zorn. Sinkt wie ein Sack hin.
Ein Schrei vom Felsspalt her.
LOLOL zurückfahrend: Der Geist?
KIRRI aus dem Felsspalt springend: Dort!
LOLOL: Wer?
KIRRI atemlos: Ein Geist Gott eine Sonne
WUMM: Erlogen!
KIRRI: Licht! Reinstes! Ich folgte ihr ins Felsmaul schwarz wie ein Bärenschlund wir stürzten, fielen, tasteten plötzlich die Sonne
LOLOL: Eine Sonne?
KIRRI: Aus einer Hand!
WUMM: Da seht die Lüge!
KIRRI heftig: Du wirst sie sehen, die Sonnenhand des lichten schwarzen Geistes!
SIT tritt Burru in die Seite: Sit! Sit! Spürst dus nicht, Altes Schnarchvieh? Li ist! Li ist wo! Stibitzt zwar, doch sie ist! Ihn rüttelnd. Grimm!
BURRU elektrisiert: Uh! Ho! Wo? Er wird von Kirri in den Felsspalt gezogen.
LOLOL: Ob er uns tötet?
WUMM zornig: Wer?
LOLOL: Der Geist, der eine Sonne in seiner Hand trägt.
WUMM giftig: Was für ein Geist, he? Es gibt nur einen Gott, den weißen Mond! Hat er seine Macht an Li nicht bekundet? Ist er nicht dick wie ein Eichbaum?
LOLOL: Aber eine Sonne, die kann der weiße Mond nicht in den Händen tragen.
EIN URMENSCH: Dazu muss ein Gott gewaltig wie ein Turm sein.
EIN ANDERER: Gewiss, der schwarze Geist ist wie ein Berg, und sein Arm allein ein Eichbaum.
EIN DRITTER jäh zum Felsspalt: Seht!
DER ZWEITE: Grauenhaft!
WUMM an den Götzen geklammert: Hinweg!
Aus dem Fels tritt Burru, er trägt auf seinen nackten, behaarten Armen wie ein Palladium ein sitzendes Männlein, das im vollendeten Gesellschaftsanzug mit Cutaway und Zylinder bekleidet ist. Das Wesen erscheint erstarrt. In seiner Rechten glüht eine große elektrische Taschenlampe. Hinter ihnen Li, von Kirri geführt. Tiefe Stille.
In Friedrich Wolfs Die Schrankkomödie entspinnt sich eine scharfzüngige Satire auf die Schulmedizin und ihre Auseinandersetzung mit alternativen Heilmethoden. Die Leseprobe führt uns mitten in eine skurrile Szene im Krankenhaus, in der sich drei Patienten Dreidoppel, Buckel und Hoppfuß über ihre drohenden Operationen beklagen. Doch als Hoppfuß mit einem wundersamen Heilungsprozess überrascht, gerät das System ins Wanken: Ein geheimnisvoller Ohm Kay hat ihn mit einfachen Blättern geheilt, während die Ärzte auf wissenschaftliche Verfahren und sterile Verbände schwören. Zwischen grotesker Komik und ernster Gesellschaftskritik entfaltet sich ein turbulentes Spiel um Heilung, Dogma und den ewigen Kampf zwischen rationaler Medizin und vermeintlichen Wundern.
Verbandraum eines Krankenhauses in Weiß. Auf einer Bank rechts sitzen Dreidoppel, Buckel, Hoppfuß, wartend. Hinten Tür zum Flur, links zum Operationsraum.
DREIDOPPEL nach einem Schweigen: Da sitzen wir nun.
BUCKEL ebenso: Da sitzen wir nun.
DREIDOPPEL: Wenn du nichts Bessres weißt, als mir auf die Hacken zu springen, so wisch ich diesen Satz aus und behaupte, da hängen wir nun.
BUCKEL: Warum hängen wir nun?
DREIDOPPEL: Man braucht uns nur anzusehen, so wird man unfehlbar an ein Spinnnetz erinnert, in dem drei Fliegen vor ihrer Erlösung hängen, und davon hängt mir mein Magen schon zwischen den Knien.
BUCKEL: Warum sagst du: vor ihrer Erlösung?
DREIDOPPEL: Alter Fragespund, weil sie ihr Leben bald los sein werden.
HOPPFUSS: Jo, jo, jo.
DREIDOPPEL: Da summst auch noch eins, bevor es zappelt.
BUCKEL: Warum meinst du, dass es
DREIDOPPEL: Hör, du Epiphans, wenn du uns vor unsrer Hinrichtung noch mit Fragen totstechen willst, so werd ich dich auf den Altweiberberg führen und dich der kalten Sophie für ein nächtlichs Tänzchen anvertraun.
BUCKEL: Nennst du das Hinrichtung?
DREIDOPPEL: Still, Bellhase, was sonst! Guck diese Hand! Erst haben sie am Mittelfinger einen Schnitt gemacht, weißt du, wie man am Brot erst mal die Kruste schabt, dann haben sie das Vorderglied weggenommen, dann den Finger, dann die Mittelhand; wenn sie jetzt so weitermachen, hören sie erst bei der großen Zehe wieder auf.
HOPPFUSS aufspringend:
Bei mir nit, bei mir nit,
bei mir hats kein Eil.
Da tuts ka Schnitt, da gibts a Tritt,
Mei Huferl versetzt Keil.
Schlägt wie ein Füllen aus.
DREIDOPPEL: Seht das alte Ross! Hoppfuß, alte Schindmähr, was ist mit dir? Vor einer Woch bist noch gelahmt mit deinem brandigen Bein wie ein galligter Schimmel, und jetzt juckst er hoch wie ein junger Bock?
HOPPFUSS: Jo, jo, jo.
DREIDOPPEL: Jo, jo, jo das kann meine scheckige Geiß auch. Wo bist du gefahren? Hast du deine Maschine mit Zwetschgenwasser geölt oder St. Wendelin eine Kerz gestiftet oder hat der drinnen dir schon einen neuen Bolzen eingesetzt?
HOPPFUSS: Draußen war ich.
DREIDOPPEL: Draußen?
BUCKEL: Beim Ohm?
DREIDOPPEL: Beim Ohm.
HOPPFUSS: Jo, jo, jo. Aufspringend. Drum kann ich wieder hupfeln, drum kann ich wieder stapfeln, drum kann ich meine Eisen zein! Springt.
BUCKEL: Still, wenn sies drin hören!
DREIDOPPEL: Der Teufel hols!
Alle drei sitzen wieder mit hängenden Köpfen da.
BUCKEL zaghaft: Warum sagt er, er könnt wieder seine Eisen zeigen?
DREIDOPPEL: Dass er dir noch mal die Fragewalze damit einschlägt! Zu Hoppfuß. Sags ihm, zeigs ihm, altes Grautier, erzähl!
HOPPFUSS: Jo, jo, jo das ist eine Person, eine wunderkräftige Person, ein nobler Mann, der Forst, der Ohm jo, jo, jo
DREIDOPPEL: Aber was hat er denn getan? Sind deine Brandlöcher denn zu?
HOPPFUSS: Jo, jo, jo Du weißt, mein Geblüt war ganz faul und siedig, lauter Aderlöcher im Fuß, ganz tief, ganz schwarz, so wie in nem alten Stück Holz, ganz steif, kein Nacht Ruh das Fußle sollt runter, sagt der Kreis, dass es nit nachfrisst jo, jo Da packt mich die Angst; da packt mich das Grindeln, da hab ich St. Nikodem drei Kerzen gestellt, aber es flämmelt immer weiter da schleppt ich mich zum Ohm jo, jo, jo.
DREIDOPPEL: Was hat er denn getan, du alte Tröpfelnase! Schnäuz dich mal aus! Zapf nun mal aus!
Stimmen. Oberin und Schwester Notburgia aus der Tür.
OBERIN: Schnell die Verbände ab! Der Chef kommt!
DREIDOPPEL: Wir kommen noch früh genug in die Kiste.
SCHWESTER: Was meinten Sie?
DREIDOPPEL: Nichts.
SCHWESTER Dreidoppel abwickelnd: Hu, wie das durchnässt. Das sieht schlecht aus!
OBERIN hinzu: Hm, hm!
DREIDOPPEL: Frau OBERIN, Sie dürfen mirs sagen, wirds die Hand kosten?
OBERIN: So Gott will, kann sichs wenden.
DREIDOPPEL: Wie? Kann sichs noch wenden! Aber wenns der Chefarzt bestimmt?
OBERIN: So ists zu Ihrem Besten.
HOPPFUSS: Jo, jo, jo.
OBERIN: Jo, jo, Vater Hoppfuß, wir kommen auch noch dran. Da lacht er gar? Ihr schaut drein wie ein vergnügter Kater? Hier, lieber Dreidoppel, sehen Sie sich Ihren Leidensgenossen an, wie er Gottes Willen ins Auge sieht!
DREIDOPPEL: Der hat gut lachen!
SCHWESTER Hoppfuß abwickelnd: Was ist das?
OBERIN: Ein Blatt?
SCHWESTER: Ein Huflattichblatt?
OBERIN: Und wie fein sauber es darunter ausschaut das ist ja unglaublich das ist ja wunderbar alle Geschwüre gereinigt und geschlossen? Ah, Vater Hoppfuß feiert Auferstehung und bekränzt das genesene Bein? Hält jähe inne. Oder? Oder! Scharf. Hoppfuß!!
HOPPFUSS: Jo, jo, jo.
OBERIN streng: Bei Ihrem greisen Haupt, wo kommt das Blatt her?
HOPPFUSS: Jo, jo, jo ist das Füßle nit sauber?
OBERIN feierlich: Hoppfuß, Hoppfuß! Ihr Herz ist düster und beklommen und schwer. Erleichtern Sie sich durch ein Bekenntnis. Wo kommt das Blatt her?
HOPPFUSS: Von draußen.
OBERIN: Von draußen?
SCHWESTER: Vom Forst?
OBERIN: Heiliger Josef, wenn das der Chef erfährt! Sie fliegen aus dem Haus, Hoppfuß, Sie verlieren Ihre Zulagen, Hoppfuß, Sie haben uns hintergangen! Schlägt Ihnen nicht Ihr Gewissen?
HOPPFUSS:
Mein Fußle schlägt aus, mein Fußle ist heil,
jetzt hats mit dem Schneiden lange Weil,
jetzt kann ich wieder schnepferln, juckerln und hupferln
und s Eisen zein.
OBERIN: Er ist betrunken! Um Gottes willen, sie kommen schon! Fort die Blätter! Hoppfuß, Unglücklicher, hören Sie, sagen Sie nichts von draußen; sagen Sie, die Diatrixsalbe habe den Fuß zugeheilt. Es ist eine Notlüge, hören Sie?
Gela, noch in Operationsmantel und Maske, von links.
GELA: Vorwärts, Herrschaften, Pressluft! Die Septischen sollen heut noch dran! Erst das Gangrän, dann die Phlegmone, und zuletzt die Wirbelsache. Alles abgewickelt, gut! Zu Hoppfuß, ihm auf die Schulter klopfend. Na, old bloody Bill, es wird so schlimm nicht werden, wir machens in Narkose.
HOPPFUSS zieht die Beine an, weicht zurück: Nix Kose!
GELA: Na, Alterchen, wir verlieren sonst unser Bein.
OBERIN: Fräulein Doktor, der Brand hat sich erheblich gebessert, er ist fast fort.
GELA: Ausgeschlossen!
OBERIN ablenkend: Aber die Phlegmone hier hat sich verschlimmert.
GELA bei Hoppfuß: Ausgeschlossen, die Sache war doch gangränos, hochgradig gangränos, reif zum Absetzen, schnittreif. Zur Oberin. Was hatten wir drauf? Diatrixsalbe?
OBERIN zu Hoppfuß: Diatrixsalbe?!
HOPPFUSS: Jo, jo, jo.
GELA: Famos!
Kreisarzt, Dr. Knochenmus von links.
KREISARZT im Eintreten: Ich wiederhole, Herr Kollege, es kommt zweifellos darauf an, einen höchstmöglichen Grad von Klarheit und Reinlichkeit zu erzielen. Darum hab ich der Entfernung dieser Niere zugestimmt. Dieses Organ ist fort, es wird nicht mehr schaden, damit ist eine klare Lage geschaffen.
KNOCHENMUS: Cystenniere, selbstverständlich!
KREISARZT: Gewiss, Herr Kollege, aber es gilt, jeden Eingriff auch nachher noch einmal zu rechtfertigen, schon wegen des Zeitpunktes.
KNOCHENMUS donnernd: Zeitpunkt! Natürlich kann man über den Zeitpunkt diskutieren.
KREISARZT: Sie wissen, wie lebhaft ich selbst für die allgemeine Kräftigung des Nervenstatus durch Nervoplasmininjektionen eingetreten bin, wie ich selbst bei meinem Ischiasleiden diese Injektionen verwandt habe, aber sobald eine Diagnose wissenschaftlich klar und gesichert ist, dann heißt es, nicht auf gut Wetter warten, sondern handeln, handeln!
KNOCHENMUS: Selbstverständlich!
GELA zu Hoppfuß hin: Willst du mal herschaun, Papa?
KREISARZT: Na, Vater Hoppfuß, noch große Schmerzen? Nur getrost. Schaut den Fuß. Aber was ist denn das? Die Sache hat sich ja gesäubert; das war doch das Gangrän! Die Verordnung?
GELA: Diatrixsalbe.
KREISARZT: Außerordentlich.
GELA: Ich darf wohl bemerken, dass der Zeitpunkt
KNOCHENMUS: Quasseln wir nicht ewig über den Zeitpunkt. In vierzehn Tagen kann er die Sache wieder haben. Ein Gangrän gehört auf den Tisch! Das weiß jeder Kurpfuscher!
KREISARZT streng: Herr Kollege, bitte! Es ist interessant genug zu wissen, dass die Diatrixsalbe, was meine frühere Beobachtung bestätigt, die Erneuerung des Unterhautzellgewebes fördert. Zu Gela. Du wirst diesen Fall bearbeiten und im Archiv veröffentlichen.
KNOCHENMUS der inzwischen Dreidoppels Hand vorgezogen, auf einen Verbandtisch gelegt hat, so dass die OBERIN zwischen Dreidoppels Kopf und seiner Hand steht: Das können wir gleich vornehmen
DREIDOPPELs STIMME: Nein, nein, fragt Hoppfuß, ich möchte auch so wie Hoppfuß!
KNOCHENMUS zur Oberin: Sprach der Mann?
OBERIN zurück: Wollten Sie etwas?
DREIDOPPELs STIMME: Ich möchte auch so wie Hoppfuß
OBERIN zurück: Seien Sie doch still!
KNOCHENMUS: Was sagt der Mann?
OBERIN: Er möchte auch so wie Hoppfuß
KNOCHENMUS: Er möchte auch so wie Hoppfuß ... Selbstverständlich!
KREISARZT: Wir könnten es ja zwei, drei Tage mit der Salbe versuchen!
KNOCHENMUS bebend: Herr KREISARZT, bei allem schuldigen Respekt, haben wir noch Indikationen, haben wir noch eine Wissenschaft?
GELA: Herr Kollege, bei aller Achtung vor den scharfe Instrumenten, haben wir noch eine Forschung?
KNOCHENMUS: Solange das unerforschliche Geschlecht sich nicht daran vergreift. So bin ich hier überflüssig.
KREISARZT: Sie bleiben! Zu Buckel. Dies ist die Wirbelsache? Richten Sie sich auf beugen Sie sich! Zu Knochenmus, der sondiert. Wie weit geht die Fistel?
BUCKEL: Au!
KREISARZT: Warum sagen Sie au?
KNOCHENMUS: Bis zum corpus vertebrae.
BUCKELS STIMME von unten: Könnte ich nicht auch wie Hoppfuß?
KREISARZT: Sagte der Mann etwas?
SCHWESTER: Er meinte, ob er nicht auch wie Hoppfuß könnte
KNOCHENMUS: Diatrixsalbe!
KREISARZT nach unten: Hören Sie, Mann, Sie sind jetzt in unsrer Behandlung, und es wird zu Ihrem Besten verfahren! Wir werden bestimmen, was not tut!
BUCKEL immer von unten: Warum könnte ich denn nicht wie Hoppfuß!
KREISARZT: Schockschwernot, Mann, beherrschen Sie sich! Zeigen Sie Disziplin, beißen Sie die Zähne aufeinander, unser Land braucht Männer! Rutscht mit dem Fuß. Schwester, was liegen denn hier für Blätter umher?
SCHWESTER zitternd: Blätter?
KREISARZT: Ja, Blätter!
OBERIN schnell: Von einem Krankenstrauß, Herr Kreisarzt.
Stimmen, durch die Flurtür eilig Chordirektor Wogenprall mit Dr. Phra Bardt Somdetsch, dieser in einem eleganten Nankinganzug.
CHORDIREKTOR aufgeregt: Ich muss den Rat sämtlicher Herren hören, sämtlicher anwesenden Herren, es geht um Existenz und äußerste Dinge, die ganze Stadt hat ein Interesse daran. Es muss sogleich geschehen.
DR. SOMDETSCH: Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche. Denken Sie an einen Kometenkern, denken Sie axillar!
WOGENPRALL fassungslos: Alles ist zum Teufel! Sie müssen mich hören, meine Herren. Ich flehe Sie an!
KREISARZT: Aber bester Herr Chordirektor! Wollen wir nicht nebenan?
WOGENPRALL: Keine Minute Verzug!
KREISARZT: Häufen sich wieder diese schlimmen Anfälle?
WOGENPRALL: Sie treten gar nicht mehr auf.
KREISARZT: Nun denn?
WOGENPRALL: Hören Sie, hören Sie, meine Herren; hier klagt ein Apfel, dass man ihm den Wurm nahm, hier weint ein Fisch, weil man ihn ins Wasser warf.
DR. SOMDETSCH: Konzentrieren Sie sich! Denken Sie an ein Schneckenhaus!
WOGENPRALL verzweifelt: Meine Nuance ist hin, meine Wallungen, mein künstlerischer Ausbruch, ich bin ein Kastrat, ich habe keine Ausbrüche mehr! Sie kennen die Anfälle von Atemnot und Herzangst, die mich warfen. Sie, meine Herren, gaben mir Spritzen, Sie gaben mir Brom und Veronal. Es war umsonst. Da ging ich in meiner Verzweiflung zu dem Forstrat draußen.
KREISARZT: Was? Sie? Ein gebildeter Mensch?
KNOCHENMUS: Zu Ohm Kay, haha!
WOGENPRALL: Er half mir.
KREISARZT: Wie?
WOGENPRALL: Er zeigte mir eine gewisse Art von Bädern, gab mir Laub, drauf zu schlafen, und Blätter, auf die Brust zu legen. Schon nach drei Tagen blieben die Anfälle weg.
KREISARZT: Ich gratuliere Ihnen.
DR. SOMDETSCH: Suggestivverfahren.
KREISARZT: Weshalb kommen Sie dann zu uns?
WOGENPRALL: Ich fühlte mich so wohl wie ein Fisch im Wasser, keine schlaflosen Nächte mehr, keinerlei Druck, Angst, kein wändezerkratzendes Ringen nach Atem, alles wunderbar geglättet und ausgeglichen. Leicht und luftig wie auf einem spiegelnden See. Dann begann ich meinen Dienst wieder, ein seelischer Herkules, es war Mahlers Lied von der Erde, ich wollte in den Sturm übergehen, aber alles in mir blieb ruhig, heiter, meine Atmung die einer tragenden Kuh, mein Puls der des ersten Napoleon! Hören Sie nur, wenn ich angebe: Erde, rasende, schlinge mich! Klingt das nicht wie: Streiche mir ein Butterbrot? Ich bin gesund, übergesund, ich Unglücklicher. Ich wurde normal, gänzlich normal!
KREISARZT ungeduldig: Weshalb aber bemühen Sie sich jetzt zu uns?
WOGENPRALL: Um meiner Ausbrüche willen, meine Herren, um meiner Ausbrüche, die dahin sind, um meiner körperlichen Attacken, um der atemberaubenden Nuance, die mir fehlt, meine Herren, behandeln Sie mich wieder!
KREISARZT: Wir bedauern, dazu nicht mehr in der Lage zu sein.
WOGENPRALL: Aber Sie behandeln doch auch den da, den Vater Hoppfuß?
KREISARZT: Was hat das mit Ihnen zu tun?
WOGENPRALL: Weil Ohm Kay sein Bein ebenfalls mit den Blättern geheilt hat.
Hoppfuß ist aufgestanden und will hinaus.
KREISARZT: Unsinn, der Mann ist in unsrer Behandlung und ist mit Diatrixsalbe versorgt worden. Hoppfuß, was machen Sie denn da! Kommen Sie nach vorn! Hoppfuß, Sie sind ein ehrlicher Mensch, waren Sie bei dem, dem Mann da draußen gewesen?
HOPPFUSS: Lasst mich, lasst mich! Hopst umher.
Mein Fußle ist ganz, mein Fußle ist heil,
nun kann ich wieder schnepfle, nun kann ich wieder stapfle
nun kann ich euch s Eisen zein.
KREISARZT ihn niederhaltend, furchtbar vor ihm: Sind Sie toll, altes Haus? Ob Sie draußen waren, bei Ihrem ehrlichen Namen, ja oder nein?!
HOPPFUSS: Jo, jo.
KREISARZT zieht seine Hände zurück: Schurke!
KNOCHENMUS: Da haben wirs!
WOGENPRALL: Aber meine Herren, die halbe Stadt geht ja nach draußen und lässt sich helfen.
KREISARZT wild: Wer lässt sich helfen!! Wer lässt sich helfen? Herr Chordirektor, ich danke Ihnen für Ihre Auskünfte. Ihre Gegenwart hat uns ungemein bereichert, aber ich möchte jetzt darauf verzichten!!
WOGENPRALL bewundernd: Diese herrliche Erregung! Schade, schade, diese Erregung! Durch Glastüre ab.
KREISARZT wieder auf Hoppfuß: Sie Geschöpf, wie konnten Sie sich erdreisten, uns so zu hintergehen!
HOPPFUSS: Ich hab halt gehört, der Ohm hat schon vielen hier s Leiden vertrieben, wo s andre nix geholfen hat.
KREISARZT schnaubend: Das wagen Sie mir zu sagen! Mensch, wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen? Sie sind entlassen, Hoppfuß! Heute! Aus meinen Augen!
GELA ruhig: Haben Sie die Diatrixsalbe gar nicht mehr auf dem Fuß gehabt, Hoppfuß?
HOPPFUSS: No.
GELA: Was denn? Nur die Blätter? Nimmt ein Huflattichblatt. Diese Blätter?
HOPPFUSS: Jo, jo.
GELA: Direkt auf der Wunde?
HOPPFUSS: Jo, jo.
KNOCHENMUS: Unerhört fahrlässig!
KREISARZT: Wie, er hat Ihnen die Blätter so patsch, klatsch auf die Wunde gelegt?
HOPPFUSS: Das hat er.
KREISARZT groß: Wissen Sie auch, Mann, dass Sie daran hätten sterben können? Zu Buckel und Dreidoppel. Kommen Sie mal alle da drüben her! Dieses Blatt ist draußen jedem Staub und Kleingetier ausgesetzt. Wenn ihr es unter dem Mikroskop betrachtet, so wimmelt es von Bakterien und winzigen Pilzen. So ein Blatt müsste man, wenn man es überhaupt auf eine Wunde legt, zuerst auskochen, um diese Lebewesen zu töten. So aber legt dieser Herr da draußen das Zeug mit allen Bakterien und Pilzen auf eure offne Wunde. Ist das kein Verbrechen? Begreift ihr das nicht?
BUCKEL und DREIDOPPEL: Doch, doch.
KREISARZT: Man meint, das müsste ein Kind einsehen, bevor man es aus der Windel wickelt. Betrachtet euch doch nur hier die Verbandstoffe, die Gaze und Mulltupfer, wie das alles sauber und sterilisiert in den Glaskästen liegt. Glaubt ihr, das sei zum Spaß? Das sei alles so billig, dass man das so macht? Aber ihr lauft zu einem Wunderdoktor, der euch bakterienhaltige Blätter auf die Wunde legt. Ist das vernünftig?
DREIDOPPEL und BUCKEL: Nein, Herr Kreisarzt.
KREISARZT im Eifer: Glaubt ihr denn, wir haben all die Jahre umsonst studiert, seziert, mikroskopiert, operiert, analysiert und tagaus, tagein gearbeitet, damit uns so ein Fixmachgesund bloß ein paar Blätter aufzulegen braucht, um euch zu heilen? Seht, ich habe selbst eine Ischias und da probiere und grüble ich seit Monaten über ein neues Heilmittel, das man einspritzen kann, dazu hab ich sogar Schildkrötennerven pulverisieren und auflösen lassen, portugiesische Zeitschriften studiert. Aber euer Wunderonkel braucht ja nur ein paar Blätter aufzulegen, und man ist geheilt. Erregt. Spürt denn nicht jeder anständige Mensch, welch erbärmlicher Schwindel das ist?
DREIDOPPEL und BUCKEL: Doch, doch, Herr Kreisarzt.
Schwester an der Tür.
SCHWESTER: Der Arzt vom Dienst!
KNOCHENMUS: Was ist denn wieder? Ab.
KREISARZT: Aber wir werden diesen Heiligen schon unter die Schere nehmen. Wir werden den Fuchs schon aus seinem Loch räuchern, das versichere ich euch! Nur rechne ich auf die Unterstützung jedes ehrlichen Menschen. Denn dieser Mann ist eine Gefahr für die Stadt.
Knochenmus eilig vom Flur.
KNOCHENMUS: Bringen Sie die Bahre herein!
WOGENPRALL: Ich möchte die Wiederaufwallung des Lebens mitsehen.
KNOCHENMUS: Wenn Sie da nicht vergebens warten!
Eine Bahre wird im Hintergrund niedergestellt.
KREISARZT: Die alte Ledderhos! Wieder mal ein Anfall? Zu Knochenmus. Was ist?
WOGENPRALL: Das alte Menschenkind lag auf der Straße, sie rang nach Luft und ruckte mit ihren gelben Armen. Als die Bahre kam, war sie ganz starr.
KREISARZT über der Bahre: Erneuter apoplektischer Insult. Das ist wohl ihr dritter oder vierter Schlag; sie ist zäh wie ihr Name. Sie war doch mehrfach in unserer Behandlung?
GELA: Das letzte Mal war sie einen ganzen Tag bewusstlos und behielt eine linksseitige Lähmung zurück.
WOGENPRALL: Die hat Ohm Kay, als er mich behandelte, mit Bädern weggebracht.
KREISARZT aufspringend: Ohm Kay, Ohm Kay! Wirkt das Gespenst denn überall! Ohm Kay! Ist diese Seuche in jedem Haus? Ohm Kay! Stößt man auf diesen Schatten bei jedem Tritt? Hat er dies unglückliche Geschöpf auch bearbeitet?
WOGENPRALL: Ja, sie ist auch eine der vielen Doppelbehandelten. Nach den Bädern ward ihr Gehen weit besser.
KREISARZT: Bäder nach einem Schlag? Sie irren!
WOGENPRALL: Bäder, gewiss!
KREISARZT: Das ist Mord! Zu Knochenmus. Sie haben es gehört! Hier haben wir das nackte Ergebnis!
KNOCHENMUS: Tötung!
KREISARZT noch einmal mit Hörrohr über der Bahre: Zweifellos!
OBERIN, bereiten Sie den Leichenschein vor. Zu den Kranken. Ihr aber seht, wohin diese Fahrlässigkeit, dieser Blätterspuk und dieser Wasserunfug führten; zum Verbrechen! Ihr seid gewarnt. Jetzt werden wir dies gefährliche Wundertier an die Kette nehmen.
KNOCHENMUS: Soll ein Protokoll angefertigt werden?
KREISARZT: Sofort! Der Bericht des Herrn Chordirektors ist von größter Bedeutung. Der Herr Staatsanwalt wird sich dafür interessieren!
WOGENPRALL erregt: Aber meine Herren, keinesfalls! Ich bitte Sie! Er ist mein Wohltäter, er ist ein prächtiger Mensch, bedenken Sie doch, er hat mir geholfen.
KREISARZT auf die Bahre zeigend: Er hat auch dieser geholfen!
WOGENPRALL: Aber sterben nicht auch so Menschen am Schlag? Ist es so klar, dass diese Frau
KREISARZT: Dieser Fall ist sonnenklar! Zu Knochenmus. Kommen Sie, Herr Kollege!
Durch Flurtür ab.
WOGENPRALL umher: Das ist ja furchtbar, das ist ja eine Katastrophe, das ist ja ein Justizmord! Rennt gegen die Wand. Meine Brust, mein Herz, da ist es wieder. Vor Gela. Helfen Sie mir, verehrte Doktorin!
GELA: Was ist da zu helfen, der Mann hat für diese fahrlässige Tötung eine Lektion verdient.
WOGENPRALL: Aber Sie kennen den Mann ja gar nicht, er ist der gütigste und hilfsbereiteste Mensch der Welt; er hat Tausenden schon geholfen, die sonst keine Hilfe fanden. Nun stirbt eine alte Frau am Schlag, sterben nicht Hunderte Menschen am Schlag? Sterben in diesem Krankenhaus keine Kranken?
GELA von oben: Wollen Sie unsre Arbeit mit der dieses Wunderdoktors vergleichen?
WOGENPRALL: Beileibe nicht! Aber wenn Sie den Menschen kennten
GELA: Ich kenne ihn, diesen Waldgott, wenn auch nur im Hui und Saus. Er stiebt auf einem Rad durch die Straßen, als sei er auf der Flucht zu seinem Dickicht. Kaum dass man vor seinen grauen Locken die Nasenspitze sieht. Was treibt er eigentlich draußen für ein wunderlich Wesen?
WOGENPRALL: Waren Sie noch nicht dort? Ja, wunderlich ists gewiss, aber auch wunderbar. Unter Tannen und Eichen, an einem Wiesenhang steht sein Blockhaus. Hoch auf der Eiche sitzen abends die Hühner, auf der Wiese grasen die Zicklein und Böcke, draußen auf Weg und Bank lagern die Kranken oder sie helfen im Stall und Garten. Er ist mitten unter ihnen, arbeitet, melkt, pflöckt, mäht und untersucht
GELA: Durch die Augen, hört ich
WOGENPRALL: Ja, durch die Augen. Im Bild der Regenbogenhaut sieht er alles, so wie man am Lichtstrahl der Sterne die Beschaffenheit der Sternenkörper erkennt. So berät und hilft er allerorts.
GELA: Ein seltsames Leben für einen Forstrat. Wie alt ist er?
WOGENPRALL: Seiner Kraft nach dreißig, seinem Herzen nach zehn.
GELA: Und seinen grauen Haaren nach
WOGENPRALL: Er ist darüber wieder jung geworden, Doktorin, mir kommt ein Gedanke, lassen Sie uns zu ihm gehen.
GELA erschrocken: Wo denken Sie hin!
WOGENPRALL: Wenn es gilt, ein schweres Unrecht zu verhindern?
GELA: Das liegt nicht in meiner Macht.
WOGENPRALL: Sie wissen es nicht
GELA abbrechend und zu den Kranken gewandt: Soviel weiß ich, dass dieser Mann auf offene Wunden Blätter legt, dass er eine Blinddarmentzündung aus den Augen lesen will, dass er alle Begriffe verwirrt und zu einer Gefahr zu werden droht. Zu den Kranken. Dies auch an eure Adresse! Hoppfuß ist noch mit dem Leben davongekommen. Euch andern kanns bei diesen Blätterkuren so gehen wie auf die Bahre der. Sind euch jetzt die Augen geöffnet?
DIE DREI gedrückt: Das sind sie.
GELA: Verhaltet euch danach. Will ab.
WOGENPRALL wie erwachend: Aber Doktorin, beste Doktorin, der Mann kommt ja ins Gefängnis! Er ist unschuldig an dieser Leiche.
GELA: So mag diese Leiche aufstehn und für ihn zeugen. Ab.
WOGENPRALL: Aber das ist ja furchtbar, ist bambusenhaft, das ist dämonisch Meine Brust, mein Herz die Wallungen Ab.
Stille.
DREIDOPPEL: Da hängen wir nun wieder?
BUCKEL: Ja, da hängen wir nun wieder.
DREIDOPPEL: Gott sei Dank, dass sie uns haben hängen lassen!
BUCKEL: Ob sie den Forst ins Gefängnis bringen?
HOPPFUSS aufspringend: Potz Kotz, da ist der alte Hoppfuß auch noch da. So lauf ich mit meinem heilen Humpelfüßle hin, keil ihnen, Humpelklumpel, die Pfosten ein und hol ihn mir naus. Letzthin war ich bei ihm. Da kam ein Regierungsrat, der wollte behandelt sein. Aber da hatt er noch mein Bein. Da musst der Regierungsrat warten. Da wurds mir schlecht. Da lief er in den Keller, wo sein Fass Hutzelbaud steht. Da holt er mir ein Most. Der Regierungsrat musst warten. Da war der Verband schmutzig, da legt er das Blatt drauf und wickelt sein eigen reines Sacktuch drum. Dann sagt er zu mir: Das hier ist der Regierungsrat Albus, und zu dem Herrn sagt er: Das ist mein Freund Hoppfuß. Damit meint er mich. Und so ein Mann soll ins Gefängnis!
Ohm Kay, der hat mich wieder hupfen gemacht,
Ohm Kay, dem sei das ewig gedacht, ju hu!
BUCKEL zieht ihn nieder: Red nicht solch Zeug; aber lass uns gehn.
HOPPFUSS: Ich muss ihn warnen.
Die drei schleichen in großem Bogen um die Leiche hinaus.
Der Unbedingte - zwischen Wahn und Vision. Ein Schauspiel entfaltet Friedrich Wolf ein faszinierendes Schauspiel über den radikalen Bruch mit der Welt und die fieberhafte Suche nach einer absoluten Wahrheit. Die Leseprobe führt uns in die ausgebrannte Kammer eines Dichters, der sich aus den Trümmern seines Besitzes erhebt und nach dem Essenziellen greift nach dem Unbedingten. Mit scharfem Wortwitz und philosophischer Schärfe attackiert er bürgerliche Werte, Besitzdenken und die Mechanismen der Gesellschaft. Doch zwischen visionärem Größenwahn und existenzieller Verzweiflung verschwimmen die Grenzen: Ist der Dichter ein Prophet oder ein Wahnsinniger? Ein Erneuerer oder ein Zerstörer? In einer surrealen Begegnung mit einem Gerippe und der Staatsgewalt verhandelt das Stück die Möglichkeiten des absoluten Denkens bis hin zu dessen bitteren Konsequenzen.
Ausgebrannte absolute Dachkammer. Verkohlte Wände; in Hose und Hemd sitzt der Dichter auf dem Kanonenöfchen.
DICHTER ein Manuskript schwingend: Die Verantwortung trägt Europa! Die Erschütterung eines Dichters durch einen subalternen Stubenbrand bedrohen? Ich lache! Empor. Endlich! Frei von dem Kram Bett, Tisch, Garderobe die Flamme war euch gnädig! Umher. Ha, der Brand bei der Witwe oder die Geburt des Unbedingten so und so! Presst das Manuskript. Du nur, du mein Urmensch und diese Beinhülle letztere noch zu viel. Denn weniger ist mehr, und das wenige, das man ganz hat ist das meiste!
Lärm treppauf.
DICHTER mit dem Manuskript: Ins Gefach! Vor einem Aschhaufen. Hm! Setzt sich, das Manuskript im Hosenbund, auf den Ofen.
Die Alte mit Kriminalbeamten.
ALTE schreiend: Hilfe! Hilfe! Mein alles, mein alles mein Bett, meine Kommode, mein Diwan, meine Palme
DICHTER sitzend: Mein Bleistift
ALTE rasend: Aas, Aas, Aas! Bandit! Lustbrenner! Galgenhals! Mein Tisch, meine Fußbank, mein Apollo, mein Eisbär Satansvieh, wo ist mein alles?
DICHTER: Vergast durch die Flamme geläutert.
ALTE sinkt gegen die Wand: Herr Kriminal, ich werde verrückt.
DICHTER feierlich: Du warst es längst wie wir alle.
KRIMINAL: Zur Sache! Wann haben Sie bluffend das Zimmer angesteckt?
DICHTER immer sitzend: Hohe Kriminalität, mich trifft das Verdienst nicht, sondern meine Kerze, die aus spontaner Vernunft diesen Eingriff vollzog.
KRIMINAL brüllt: Maul halten oder
DICHTER vorgebeugt: Oder?
KRIMINAL kleinlaut: Was haben Sie verloren?
DICHTER: Nichts.
KRIMINAL: Es sind Sachen verbrannt!
DICHTER: Sachen.
KRIMINAL: Ist das nichts?
DICHTER: Nichts.
ALTE: Herr Kriminal, er hatte ja nichts außer den Lumpen auf dem Leib und den säuischen Schwarten; keinen Hosenknopf, Herr Kriminal, keinen Hosenknopf!
KRIMINAL: Können Sie die Frau entschädigen?
DICHTER langsam aufstehend: Diese wandelnde Schatulle, aus deren Flicklappen man eine Vorstadt bekleiden könnte? Entschädigen? Ich werde ihr die Bluse ausziehen, herunterzerren!
ALTE kreischend: Lusträuber!
KRIMINAL Dichter packend: Im Namen des Gesetzes!
DICHTER: Und mir eine Jacke daraus machen, oder einen Sonnenschirm.
KRIMINAL fürchterlich: Sie Individuum!! Sie wollen diese Frau noch berauben?
DICHTER: Mehr!
ALTE hinter Kriminal: Maria Joseph!
DICHTER groß: Ich werde meine Hose ausziehen und sie dieser Frau schenken!
KRIMINAL fast ehrfürchtig: Sie Individuum!
DICHTER: Sehen Sie, hohe Kriminalität, diese Pyjamahose bedeutet für mich mehr als eine Provinz für einen Fürsten. Aber ich werde mich dieser Hose entledigen, da sie kein absolutes Integral meiner und somit zu viel an mir ist. Begeistert. Ich werde mich ihrer entledigen, um reicher, absoluter zu werden Gerührt. Ich werde mich ihrer sofort entledigen! Will die Hose ausziehen.
KRIMINAL wieder fürchterlich: Halt! Im Namen des Gesetzes!
DICHTER: Wie! Hindert mich das Gesetz, dem Gesetz zu genügen?
KRIMINAL greift jäh das Manuskript: Pfand!
DICHTER hoch: Dynamit!
KRIMINAL: Ah! Packt.
DICHTER faszinierend: Brunco süße Dreckseele!
KRIMINAL taumelt: Mensch wie wo was weißt du?
DICHTER: Alles.
ALTE schreit: Der Gottseibeiuns!
DICHTER magisch: Still du Eule! Auch wir kennen uns! Näher. Ich sehe Euch durch Glas, saubere Frau! Aber Michal, deinem Bettsklaven, hattest du eingeheizt, bis er sich im Schnaps die Seele verwand.
ALTE sich bekreuzigend: Gott im Himmel!
DICHTER wirbelnd: In der Hölle! Haha heute haben jüngere Gräber sich den Magen verdorben und speien! Ich und er wenn ich jetzt er wäre wenn sein klapperndes Gibacht Die Wand spiegelt plötzlich ein Geripp. Hei, sich aus deinem Sündenfell ein Paar Stiefel zuschneiden!
ALTE: Hilfe! Stürzt schreiend hinaus.
Stille.
KRIMINAL stammelnd: Mein mein
DICHTER ihn klopfend: Ruhig, Väterchen, ruhig! Es ist ja alles relativ! Wirft man in einen Automaten einen Groschen, so kommt heißer Kaffee; gießt man heißen Kaffee hinein, so kommt noch lang kein Groschen. Also!
KRIMINAL auf das Geripp: Der da
DICHTER: Sofort! Darf ich die Herrschaften bekannt machen? Der Herr in Beinweiß gut durchverwest! Der Herr in Preußischblau noch darin begriffen!
GERIPP aus der Wand tretend: Sehrr angenehm!
KRIMINAL: Sehr Sehr
DICHTER zu Kriminal: Haltung, Väterchen, Haltung! Auf der Röntgenplatte siehst du diesem Herrn zum Verwechseln ähnlich. Es ist alles Optik!
GERIPP: Sehrr wahrr sehrr wahrr! Vierzig Jahre war ich Garderobenständer für Fleischbehang, Uhren zu tragen, Brieftaschen, ein Schicksal zehn Minuten Motiv einer Grabrede fünf Jahre Dessert auf Molluskenfestivitäten jetzt bin ich der Geliebte des Grundwassers!
DICHTER: Fatal, wenn man nicht einmal als Leiche einsam sein kann!
GERIPP: Das ists; immer sind Beziehungen da.
DICHTER: Meine Hand! Gibt sie. Au! Du bist wenigstens im Format das Absolute!
GERIPP: Du hihi näherst dich mir beachtlich. Ihn musternd. Doch wozu das Papier?
DICHTER das Manuskript monstrierend: Der Urmensch die Rückwärtsnabelung des Menschen zur Erde!
GERIPP: Du willst ihn zurückgebären?
KRIMINAL fast fürchterlich: Mein Herr, ich nehme Anstoß!
GERIPP: Bemühen Sie sich nicht!
DICHTER: Natürlich! Alles stößt sich ja selbst, klebt, hängt ein Klumpen Dreck! Willst du leben, lebst du dich tot Lehm also? Brauchst nicht zu sterben, wenn du zwischen Mauern und Maschinen funk tionierst! Wofür? Um Geld, also um
KRIMINAL streng: Geld wär Dreck?
DICHTER: Schlimmeres! Kitsch Schwindel! Grell. Könnte ich Gold machen, so wäre im Nu alles Geld, was es ist!
KRIMINAL fast fürchterlich: Das sind Manipulationen!
DICHTER: Unsinn! Ich will nicht fälschen, noch mich bereichern, sondern richtigstellen, sondern die verlogenen Beziehungen entblößen, sondern die Falschmünzer, die aus Dreck Sklavenhalterrechte münzen, entmannen! Finster. Doch das ist alles Unsinn.
GERIPP: Hihi!
DICHTER böse: Was grinst du?
GERIPP: Nimm die Asche!
DICHTER nimmt. Der Schrank transsubstanziiert
GERIPP bläst in Dichters Hand, schrillt: Gold!
Ein Goldklumpen stürzt. Totenstille.
DICHTER Geripp durchdringend: Versucher?
GERIPP: Dein Geschöpf!
KRIMINAL: Im Namen des Gesetzes!
DICHTER: Ah, du bedingungsloser Apparat in dir steht das Absolute vor seiner Niederkunft doch mit welchem Recht willst du das Gold beschlagnahmen?
KRIMINAL: Weil die Schrankasche der Frau
DICHTER enttäuscht: Also.
GERIPP: Ich werde das Gold wieder in Asche verwandeln. KRIMINAL prustend: Nein! Tun Sie das nicht! Angestrengt nachdenkend. Oder tun Sie es! Wir können ja der Frau die Asche abkaufen und dann Zum Geripp. Bitte Sie verstehen doch?
GERIPP kichernd: gewiss! Moral aus Vorsatz oder der Revolver im Veilchenstrauß mit einem Wort: Mensch! Hihi Nichts für ungut; aber wem von euch Menschen kann man eigentlich noch vertrauen?
DICHTER heftig: Das ist die Preisfrage, gewissermaßen: die Frage!
GERIPP: Mit dem Geld und den Menschen verhält es sich doch wie mit einem Korb fauler Äpfel, wo einer den andern anfault.
DICHTER: Man muss eben nicht in den Korb geraten, arm bleiben; oder
GERIPP: Oder?
DICHTER jäh: Ha, den ganzen Korb umstülpen, totlitär, die Welt und ihre diesbezüglichen Beziehungen auf den Kopf stellen.
KRIMINAL erwärmt: Die Polizeipräsidenten zu Nachtwächtern machen.
GERIPP: Richtig! Damit fangen wir an, wenn wir damit nicht zu spät kommen.
DICHTER wirbelnd: Das Geld entwerten, diesen gemeinsten Entwerter alles Vollkommenen, diesen verdammten Kerkermeister alles Unbedingten Gold machen, bis das ganze Gold vor aller Augen wieder ist, was es war, Dreck!
Stille.
GERIPP: Meine Herren, nach dieser erschütternden Erkenntnis gestatten Sie, dass ich sitze. Klappert mit den Knöcheln.
Ein Grabstein fährt hoch. Geripp schwingt sich hinauf und lässt die Beine baumeln.
GERIPP einladend zu Kriminal: Bitte?
KRIMINAL verstört: Danke.
GERIPP von oben: Wir sind beschlussfähig! Zu Kriminal. Protokollieren Sie! Feierlich. Meine Herren, es gilt unsrer Zeit den Zahn zu ziehen, den Nervus Rerum sozusagen. Was setzen wir an dessen Stelle?
KRIMINAL notiert: An dessen Stelle.
DICHTER hoch: Ersatz? Krücken? Beginnen wir die Welt von vorn mit dem Milchgebiss der Jugend!
GERIPP: Was verstehst du darunter?
DICHTER: Alles Hüllenlose, Wesentliche, Absolute!
GERIPP sich verbeugend: Mich! Trefflich! Wie denkst du dir ein absolutes Haus?
DICHTER: Das sollst du wissen!
GERIPP: Sechs Bretter?
DICHTER jäh: Wir müssen der Erde näher kommen! Leise. Wenn ich hier lag durch vierfach Mauerwerk von ihr getrennt von Möbeln, Kleidern, Steinen bewacht erdrosselt; und doch kitzelnder Fingerspitzen Ziehen fließende Strähne Quelle unter dir schlägt die Mauer Götze! Wild. Hinab!
GERIPP: Realiter du willst den Menschen die Kasernen nehmen?
DICHTER: Sie selbst werden sie zerbrechen!
GERIPP: Du überschätzt die Menschen.
DICHTER: Grundsätzlich!
GERIPP: Es ist das größte Verbrechen, die Menschen zu überschätzen.
DICHTER: Es ist die einzige Möglichkeit, überhaupt zu leben!
GERIPP: Du gedenkst die Welt hihi zu verändern?
DICHTER steil: Sind wir nicht schon Veränderung! Visionär. Sieh sieh es wankt stürzt Staub Ursein
GERIPP unsicher: Schweig!
DICHTER ekstatisch: Element! Hin auf die nackte Erde!
GERIPP zielt: Ohne alle Dinge?
DICHTER: Unbedingt!
GERIPP entreißt ihm das Manuskript: Dann!
DICHTER wild: Du!
KRIMINAL fürchterlich: Raub!
GERIPP: Richtigstellung nicht wahr, Herr Dichter?
DICHTER stammelnd: Die Schrift meine Gedanken
GERIPP: Das Papier?
DICHTER: Ich
GERIPP: Hihi siehst du, Papier brauchst du, um die Welt zu zerschmettern; Materie musst du mit Materie erschlagen! Rafft Goldklumpen und stößt ihn Dichter in die Hand. Nimm! Gold Dreck
DICHTER zuckt, schreit: Nichts!
Der Klumpen stürzt; Stichflamme, Rauch, Leere. Geripp, Kriminal, Grabstein verschwunden. Es klopft.
Das Mädchen mit Korb tritt ein.
MÄDCHEN zurückfahrend: Hu! Hier hats gebrannt!
DICHTER ernst: Beleuchtung!
MÄDCHEN: Beleuchtung?
DICHTER: Spiegelung.
MÄDCHEN: Ich verstehe Sie nicht. Aber was machen Sie denn da?
DICHTER: Ich sitze auf dem Nordpol, weil mir zu kalt ist und der ganze Rummel auf dieser Nadelspitze tanzt.
MÄDCHEN besorgt: Sie sind krank, Herr Dichter.
DICHTER: Hellsichtig.
MÄDCHEN öffnet den Korb: Ich wollte Ihnen Radieschen verkaufen; darf ich sie Ihnen schenken?
DICHTER empor: Höhnst?
MÄDCHEN: Nein nein
DICHTER wild: Schenken?
MÄDCHEN: Ja
DICHTER: Ohne schreit Geld?!
MÄDCHEN: Ohne
DICHTER: Um nichts? warum tust du packt sie das?
MÄDCHEN: Oh! Oh!
DICHTER: Sprich!
MÄDCHEN ruhig: Oh, Sie armer magerer Mensch!
DICHTER groß: Arm? Ich, der im Urmensch Erden wie Pfeffernüsse durch die Sphären warf? Ich ein Bilderbogen? Eher denn erbleiche Urbild! Will sich entkleiden.
MÄDCHEN leise: Sie armer, magerer, frierender Mensch. Hält seine Hände fest. Sie erkälten sich ja.
DICHTER rasend: Fort, du Pflanze!
MÄDCHEN hält ihn: Warten Sie, warten Sie, was kann man denn für Sie tun?
DICHTER starr: Nichts! Gar nichts.
MÄDCHEN nimmt ihren Schal ab: Wie Sie frieren!
DICHTER erschöpft: Wärme!
MÄDCHEN lebhaft: Gleich, Herr Dichter, gleich! Legt ihm ihren Schal um. Ich besorge Rock und Weste.
DICHTER hoch: Rock? Weste? Relativitäten? Entselbstungen? Schleudert den Schal weg. Ha, Semiramis der Bedürfnisse hinaus! Hüllenspeiender Vulkan! Treibt sie.
MÄDCHEN an der Tür: Sie armer magerer schnell lieber, toller Mensch! Ab.
Stille.
DICHTER: Entsetzlich man wird zur Stange für Klettergemüse alles greift nach uns, schlingt sich um uns, hat Interesse an uns der Schneider, der Staat, die Jungfrau Innehaltend. Ist es das, was ein Mensch für den andern tun kann? Können wir etwas füreinander tun sinnvoll zwecklos der Sache oder gar des Zitternd. Nein doch, doch! Stockt. Um jeden Preis? Wild. Jeden! Gellt. Goldkugeln! Alle Neune sollen fliegen!
Hinter kurzer Stichflamme fährt der Grabstein hoch mit Geripp und Kriminal.
GERIPP mit Goldklumpen, grinsend: Bist du gehärtet?
DICHTER: Übermäßig.
GERIPP reicht den glühenden Klumpen: Fühlst?
DICHTER nimmt: Federleicht.
GERIPP: Absoluter?
DICHTER: Fast Vacuum! Ich könnte auf meinen Rippen Zither spielen.
KRIMINAL notiert: Erregung öffentlichen
GERIPP: Klappe! Dichter das Manuskript vorhaltend. Und das Papier?
DICHTER: Dies? Ha, du kannst mir den Nerv ausziehen, er schnurrt ins Hirn die Beine abrasieren, ich werde sie mir andenken den Gedanken amputieren, dann werde ich ein Nichts aber vor diesem Nichts greift das Manuskript, zerreißt's zittre!
GERIPP: Hihi du hast Anlagen gewissermaßen. Packt seine Hand. Ich muss dir dein Fell ein wenig von den Fingern streifen, dass du knöcheln kannst und Dreck vergolden mit deinen zwei absoluten Knochen.
DICHTER starr: Wer bin ich, Fleisch halb halb Bein? Knöchelt gegen den Grabstein.
Der Stein glüht.
KRIMINAL fast fürchterlich: Manipulationen!
GERIPP: Klappe! Zu Dichter. Wir werden zunächst ein Rudel häuser- und menschenfressender Krokodile mit der Peitsche des Absoluten auseinandertreiben!
DICHTER: Mit der Geißel des absoluten Nichts!
GERIPP: Ihre Häuser in Grabsteine verwandeln!
DICHTER: Das nennst du verwandeln, diese Richtigstellung? Jäh. Mensch und Erde, dies! Einmal rein sein!
GERIPP: Radikal!
DICHTER: Wesentlich!
GERIPP: Bis zum Äußersten hihi nieder! nieder!
DICHTER fanatisch; Die Häuser, die Kleider, die Lügen, die Beziehungen!
GERIPP hopsend; Glaubst du, dass dann hihi noch etwas bleibt?
DICHTER steil: Es muss getan sein!
Verwandlung.
In Heimkehr der Söhne setzt sich Friedrich Wolf intensiv mit der Rückkehr junger Soldaten in eine zerstörte Heimat auseinander. Die Leseprobe zeigt eindrucksvoll, wie Heinz, einer der heimgekehrten Brüder, durch das verwüstete Berlin streift getrieben von Unruhe, von dem Wunsch, die Stadt, ihre Menschen und ihre Narben nach den Bombennächten mit eigenen Augen zu sehen. Doch statt Wiedererkennung und Zugehörigkeit findet er eine Stadt, die ihm fremd geworden ist: zertrümmerte Straßen, Schuttlandschaften und verstörte Menschen mit leeren Blicken. In scharfem Kontrast zur warmen, mütterlichen Geborgenheit der eigenen Wohnung stehen die klaffenden Wunden der Metropole. Auf der Suche nach Orientierung und Vertrautem rennt Heinz durch die Stadt doch überall begegnet ihm die gleiche erschütternde Realität: Berlin, die einst pulsierende Weltstadt, ist ein geisterhafter Ort geworden. Die Frage bleibt: Wo liegt in all dem noch eine Heimat?
Am nächsten Morgen hat die Mutter den Günter Hasse und die Ursel Rackwitz erreicht. Die Ursel lässt, wie verabredet, den Peter an den Apparat des Hauswarts rufen. Strahlend kommt er zurück und gibt der Mutter einen Kuss mitten auf den Mund.
Die Mutter meint lächelnd: Der galt wohl der Ursel?
Weshalb nicht dir?, fragt der Peter.
Ja, heute Abend werden die jungen Leute den Ton angeben; das wird eine andere Musik!
Tagsüber ist es ziemlich ruhig in der Wohnung. Der Vater muss ins Büro. Erich ist zum Dienst; er will mit Rücksicht auf die Heimkehr der Brüder um noch einen Tag Urlaub nachsuchen.
Den Heinz hält es nicht in den vier Wänden. Er möchte zu den Eltern seiner alten Schulkameraden, er möchte wieder einmal durch Berlin pendeln, durch die Straßen, die Menschen sehen, die alten Plätze und auch die Zerstörungen, die der Großangriff des Tommy verursacht hat. Und dann die Ruhe, mit der die Mutter den häuslichen Kleinkram verrichtet, ja, diese stille, mütterliche Liebe das alles geht ihm direkt auf die Nerven. Auch dass der Peter sich seine alte Trainingsjacke angezogen hat und der Mutter hilft, Kartoffeln schälen, einen abgebrochenen Schrubber an einem neuen Stiel befestigen und eine Gardinenstange in Ordnung bringen all das war früher vor den Panzerschlachten und den Fahrten kreuz und quer durch Europa vielleicht ganz normal. Aber heute, da es um die Aufrichtung und Verteidigung der germanischen Kultur gegen den Einbruch des Bolschewismus und der anglojüdischen Plutokratie geht, da der Aufbruch der Nation im Buch der Geschichte mit Blut und Eisen geschrieben wird, oder wie Nietzsche es ausdrückt: wo geboren wird, muss Blut fließen!, da sie, die jungen Soldaten, die Schildträger und Schwerthalter dieser großen Stunde sind , in dieser Stunde sich an die Schürze der Mutter zu hängen, das ist nicht sein Fall!
Gewiss, er wird versuchen, als Urlauber in der Stadt noch ein paar Flaschen Bier und andre Kleinigkeiten für heute Abend aufzutreiben; aber vor allem will er die Berliner Luft wieder atmen zwischen dem Lehrter Bahnhof, der Chausseestraße und der Friedrichstraße, Unter den Linden und dem Potsdamer Platz. Den Menschen und den Zerstörungen muss man ins Auge sehen! Der warme, gütige, mütterliche Dunstkreis wirkt auf ihn wie eine Narkose.
Er rennt durch die Straßen oder durch das, was früher einmal diesen Namen verdiente. In der Friedrichstraße, nach den Linden zu, sind ganze Häuserblocks wie wegrasiert, riesige Lücken eröffnen dem Blick eine Sicht in weiter entlegene Wohnviertel. Dazwischen breite Schutthalden, aus denen hier und da blaugraue Rauchsäulen aufsteigen. An einer andern Stelle ist ein ganzer Straßenzug umgelegt; Arbeitskolonnen haben begonnen, mit Spitzhacke und Schaufeln einen Trampelpfad durch das Trümmerfeld zu bahnen. Überall wühlen dort Frauen und alte Männer zwischen den Steinhaufen. In der ehemaligen Mohrenstraße sieht er an der Mauer eines ausgebrannten Hausskeletts einen handgeschriebenen Zettel: Bin nach Breslau, Hitler-Straße 17, verreist! Herzlichen Gruß Berta. Manchmal müsste man einen Stadtplan haben, um sich zu orientieren. In der Nähe der Behrenstraße steht eine Menschenschlange. Dort wurde aus den Mauerresten und einem Holzverschlag eine Art Baracke hergestellt mit der Aufschrift: Posthilfsstelle. Offenbar wurde das zuständige Postamt zerstört. Die Leute suchen hier ihre Briefe zu erlangen. Ringsum stinkt es nach Rauch, Brand und süßlicher Verwesung. Die Menschen schauen mit fremden, leeren Augen aneinander vorbei.
Droben im zerbrochenen Fensterrahmen einer Hausfassade hängt ein Bett mit Nickelbeschlägen, ein gelbseidenes Plumeau weht wie eine Quarantänefahne. Da hinauf kann niemand. Man muss die Fassade sprengen. Auch hier stehen überall auf dem Schutthaufen Hitlerbilder, die den Führer in den verschiedensten großartigen Posen zeigen, in Reih und Glied nebeneinander aufgepflanzt wie Totenkreuze auf einem Friedhof. Seltsam!
Die Schaufenster der großen Geschäfte sind mit Brettern vernagelt; wo einst Aschinger und das Kaffeeimporthaus standen, befindet sich nur noch ein Holzverschlag. Das also ist Berlin! So sieht es im Zentrum der Weltstadt aus!
Wahrhaftig kein Urlaubsvergnügen, durch Berlin zu pendeln! Ganz anders ist das als im erdreichen Grabengelände der Front. Die Wunden einer Stadt klaffen tiefer als die Wunden einer Landschaft. Die Stadt kannte man als ein Menschenmeer voller Bewegung, Arbeit, Freude; die Veränderung ist hundertmal größer.
Heinz geht selbst wie ein Gespenst der zerbombten Stadt durch die verwüsteten Straßen. Was hat er hier zu suchen? Weshalb ist er eigentlich hierhergekommen? Er rennt jetzt durch die Leipziger Straße zum Potsdamer Platz. Überall kann es ja so nicht sein! Er fährt mit der U-Bahn nach Charlottenburg. Doch auch da bemerkt er die vielen hohen Bretterwände an Stelle der Häuser. An dem Eingang zur U-Bahn stehen ein Dutzend Fliegender Händler, die Pappschachteln mit Bindfaden als Bombenkoffer verkaufen; einer ruft dreist: Tadelloser Koffer zur Fahrt in die Bombenfrische! Sonderpreise für Ausgebombte! Heinz dreht sich um, diesem schnöden Konjunkturritter ein kräftiges Wörtchen zu sagen; aber es ist ein einbeiniger Krüppel im Soldatenrock.
Genug! Er geht zur Klopstockstraße, zur Mutter seines Freundes Otto Harms. Ein Glück, das Haus ist unversehrt. Er rennt die Stufen hinauf zur dritten Etage. Hier wird er ausruhen und mit der guten Alten ein paar vernünftige Worte reden können. Ja, an der Türe ist noch das Messingschild. Wie er klingeln will, sieht er am Briefkasten einen kleinen aufgeklebten Zettel: Bis auf weiteres verreist.
Kommen wir noch einmal auf den Dramatiker Friedrich Wolf zurück, der im heutigen Newsletter in vier der insgesamt fünf Sonderangebote mit frühen, oft expressionistischen Stücken vorgestellt wird. Und noch beim Lesen zeigt sich die Kraft seiner Sprache und das Ziel seiner oft zeitkritischen Stücke Menschlichkeit und Gerechtigkeit.
Sehr bekannt ist ein gern und mitunter absichtlich falsch verstandenes Zitat des durchaus sehr parteilich auftretenden und schreibenden kommunistischen Autors von der Kunst als Waffe. Aber Friedrich Wolf sprach auch von der Kunst als Scheinwerfer. Und genau so wollte er seine Dramen auch verstanden wissen als Scheinwerfer, die Licht ins Dunkel der Gesellschaft bringen.
In diesem Sinne darf der Arzt und Schriftsteller durchaus als ein Aufklärer verstanden werden, der die Dinge ausleuchtet und das sowohl im medizinischen als auch im literarischen Sinne. Allerdings haben vielleicht die meist zeitkritischen Akzente seiner vielen Stücke dazu beigetragen, dass sie bereits in der DDR, wo er unter anderen neben Brecht und Becher als sozialistischer Klassiker galt, als veraltet und überholt betrachtet und außer zu runden Jubiläen immer seltener auf den Theaterbühnen zu sehen waren. Aber immerhin kann man sie lesen
Bleiben Sie ansonsten wir immer weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die Sonderangebote für die nächste Woche warten schon ungeduldig auf das Abholen, sehr ungeduldig. Und wahrscheinlich geht es Ihnen nicht viel anders.
Für die nächste Woche ist auch eine literarische Überraschung angekündigt: der visionäre Roman Die lebende Mumie. Ein Blick in das Jahr 2025, den der österreichische Journalist, Schriftsteller und Politiker Max Winter (1870 bis 1937) 1929 vorgelegt hatte. Wie hat man sich vor 100 Jahren die heutige Welt vorgestellt? Eine Einladung zum Vergleichen.
Das Buch handelt von einem Mann, der 1925 in einen Tiefschlaf verfällt und erst 100 Jahre später wieder aufwacht in einer Welt ohne Hunger, Not und Unterdrückung. Bemerkenswert sind auch weitere Details, die Winter für die Zukunft ausmalt: ein vereintes Europa und Fernsehapparate in den Wohnzimmern. Max Winter, der als Begründer der Sozialreportage im deutschsprachigen Raum und als entscheidender Wegbereiter der verdeckten Recherche gilt, war ein Menschenfreund und ein Kinderfreund sowie entschiedener Unterstützer der Unterprivilegierten und Unzufriedenen. Bei Wikipedia ist voller Anerkennung über ihn zu lesen:
Insgesamt verfasste Max Winter rund 1.500 Reportagen, um Missstände durch stringente Beweisführung aufzuzeigen, das öffentliche Gewissen aufzurütteln und die Verantwortlichen zum Handeln zu drängen. Stets untermauerte er seine Artikel mit Aktenbelegen und Archivmaterialien.
Auf seinem Grabstein in New York steht die nach 1945 dort angebrachte Inschrift:
Sein Wort sprach für Freiheit und Recht.
Seine Feder diente den Verkannten und Enterbten.
Sein Herz aber schlug für die Kinder.