Eine Vorweihnachtsüberraschung, nochmal Erich Weinert als Nachdichter sowie packende Stories - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
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(Pinnow 02.10. 2025) In weniger als drei Monaten ist Weihnachten. Und in vielen Familien kommen Gäste zum Fest. Das wird noch schöner, wenn es zum Beispiel am ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag zum Kaffee leckere Sachen zu essen gibt. In diesem Zusammenhang wartet der heutige Newsletter mit einer kleinen Überraschung auf, die sich hinter dem fünften und letzten der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters verbirgt, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 03.10. 2025 bis Freitag, 10.10. 2025) zu haben sind.
Es geht um ein besonderes Buch aus den 1920er Jahren, das mindestens acht Auflagen erlebt hat, mehrfach prämiert, mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde und sich immer noch als sehr nützlich erweisen dürfte eben zum Beispiel zu Weihnachten oder zu anderen Familienfesten.
Vorlage für dieses E-Book war das um 1920 in der 8., erweiterten Auflage im Verlag von Clemens Beyrich in Chemnitz erschienene Fachbuch Tortenverzierungen. Anleitungs- und Nachschlagebuch leicht ausführbarer Verzierungen verschiedener Konditoreiwaren von Clemens Beyrich.
Dieses prachtvolle Fachbuch aus den Goldenen Zwanzigern öffnet ein Fenster in die Welt der klassischen Konditorkunst - und es verbindet Tradition mit persönlicher Erinnerung. Mit detaillierten Anleitungen, über 100 dekorativen Beispielen und zahlreichen Tipps führt Clemens Beyrich, Konditormeister aus Chemnitz, durch die Kunst der Tortenverzierung. Ob Rosen aus Buttercreme, filigrane Schokoladenornamente oder kunstvolle Marzipanblumen: Hier lernen Einsteiger wie Profis, wie Konditoreiwaren zur festlichen Zierde werden.
Besonders berührend sind die Erinnerungen einer Tochter an ihren Vater, der in den 1920er Jahren das Bäckerhandwerk gelernt hatte und Beyrichs Buch wie einen Schatz hütete. In einer Zeit von Mangel und Not stand dieses Werk für Hoffnung, Handwerk und die Sehnsucht nach Schönheit. Mit dieser Tochter ist Verlagschefin Gisela Pekrul gemeint, die dem jetzt veröffentlichten Nachdruck Persönliche Vorbemerkungen vorangestellt hat:
Mein Vater, Jahrgang 1906, erlernte von 1920 bis 1924 den Bäckerberuf. Nach Abschluss seiner vierjährigen Lehre wurde er arbeitslos und ging auf die Walz. Er war froh, wenn er bei einem Bäckermeister für einige Tage Arbeit fand. Von der kargen Stütze und dem wenigen Lohn kaufte er sich das Buch Tortenverzierungen von Clemens Beyrich und träumte davon, eines Tages Konditor zu werden. Es blieb jedoch ein Traum, denn eine feste Anstellung fand er nur in der Rüstungsproduktion. Erst nach dem Krieg konnte er mehrere Jahre wieder als Bäcker arbeiten, doch der geringe Lohn zwang ihn schließlich, den Beruf endgültig aufzugeben - inzwischen hatte er vier Kinder zu versorgen. (Mehr über den Bäcker Paul Grabs erfährt man in Klaus Möckels Buch Bäckerbrot und Bergkristall.)
Das Buch von Clemens Beyrich hütete mein Vater wie seinen Augapfel. Hin und wieder durften wir Kinder in der kargen Nachkriegszeit einen Blick hineinwerfen. Wir konnten uns im wahrsten Sinne des Wortes nicht sattsehen an den schönen Bildern und träumten davon, solch eine Torte einmal essen zu dürfen. Obwohl Vater stets betonte, er sei kein Konditor, backte er uns zu jedem Geburtstag eine Torte. Dem Mangel der Nachkriegszeit geschuldet, war es eine Kaffeetorte (mit Malzkaffee-Pulver statt Mehl) mit kunstvollen Garnierungen aus Pudding. Für uns war sie damals eine Köstlichkeit Genuss für Gaumen und Augen zugleich. Die erste richtige Buttercremetorte war zunächst nur ein Augenschmaus. Ein Kollege hatte meinem Vater alle Zutaten besorgt, auch echte Butter, die es sonst nur rationiert auf Lebensmittelkarten gab, und ihn gebeten, eine Geburtstagstorte zu backen. Mein jüngerer Bruder und ich standen staunend daneben und verfolgten jeden Handgriff in der Hoffnung, etwas naschen zu dürfen. Doch mein Vater war wohl der korrekteste Bäcker der Welt in der Schüssel zum Auslecken blieb nur das, was sich beim besten Willen nicht mehr mit dem Löffel herauskratzen ließ. Die fertige Torte sah so schön aus wie jene in Beyrichs Buch.
Gisela Pekrul würdigt Tortenverzierungen zudem nicht nur als ein historisches Juwel der Konditorkunst, sondern auch als eine lebendige Inspirationsquelle für Konditoren, Hobbybäcker und alle, die den Zauber vergangener Zeiten neu entdecken möchten. Probieren Sie es doch auch mal aus.
Zeitsprung: Die beiden nächsten Sonderangebote dieses Newsletters stammen wieder von Erich Weinert, der hier erneut als hervorragender Nachdichter präsentiert wird. Hymnen der Freiheit. Nachdichtungen von Iwan Franko ist ein Auszug aus dem 1959 im Verlag Volk und Welt Berlin erschienenen Sammelband Nachdichtungen: Mit seinen Übertragungen ins Deutsche macht Erich Weinert einen der bedeutendsten ukrainischen Dichter erstmals für deutsche Leser zugänglich: Iwan Franko (1856 bis 1916).
Franko, Sozialist, Freiheitskämpfer und leidenschaftlicher Literat, besang in seinen Gedichten das Leid der Arbeiterschaft, den Drang nach Freiheit und die Hoffnung auf eine gerechte Gesellschaft. Weinert überträgt diese Dichtungen mit kraftvoller Sprache ins Deutsche und erhält so die Bildgewalt und den revolutionären Geist des Originals. Dieses Buch lädt dazu ein, eine nahezu vergessene Stimme wiederzuentdecken - eine Stimme, die in Zeiten von Krieg, Unterdrückung und dem Ringen um Freiheit aktueller ist denn je.
Aus demselben Sammelband Nachdichtungen wurden auch die Texte für Europa im Versmaß. Nachdichtungen 19301950 entnommen. Das Inhaltsverzeichnis nennt An den Dichter von Nikolais Nekrassow, Ballade und Auf dem Felde Kulikowo von Alexander Blok sowie Mai von Wladimir Majakowski und das Lied Tschapajews Ende von Alexandrow.
Das vierte der heutigen Sonderangebote stammt von Walter Kaufmann. Erstmals 1974 veröffentlichte er im Verlag der Nation Berlin den Band Am Kai der Hoffnung. Stories. Obwohl dieses Buch bereits vor nunmehr fünf Jahrzehnten erschienen ist, packen die darin versammelten Geschichten noch immer. Erzählt der Globetrotter Walter Kaufmann in ihnen doch von Schicksalen von Menschen, die ihre Liebe verteidigen wollen und die sich wehren müssen gegen eine nicht immer friedliche Natur und gegen eine oft unbarmherzige Umwelt. Berichte mitten aus dem Leben.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Wieder lautet die Frage: Was kostet der Krieg? Was macht er mit den Menschen, die ihn mitmachen müssen?
Aus dem Jahr 1942 stammt die Erzählung Die Gespensterkompanie von Friedrich Wolf. Er erzählt die packende Geschichte eines Soldaten, der den Horror der Ostfront im Zweiten Weltkrieg überlebt, nur um als Schatten seiner selbst nach Hause zurückzukehren. Mit bitterem Humor und gnadenloser Ehrlichkeit beschreibt er den Verfall einer Kompanie, die durch endlose Kämpfe und sinnlose Opfer immer weiter dezimiert wird - bis nur noch Geister übrigbleiben. Dieses eindringliche Werk schildert die grausamen Realitäten des Krieges und die emotionalen und physischen Narben, die er hinterlässt. Ein kraftvolles Zeugnis über den Zerfall von Körper und Seele in Zeiten der extremsten Belastung.
Hier ein kurzer Auszug vom Beginn der Erzählung:
Na, Ernst, Mensch, du alte Eiche, bist immer noch hier in der Heimat? Hast wohl ein besonderes Patent, dass du u. k. geblieben bist? Vitamin B sagst du, Vitamin Beziehungen da hättest du mir eigentlich einen guten Esslöffel von abgeben können, bevor ich nach dem Osten musste! Was sagst du: Ich sehe aus wie ein Gespenst? Und wo ich meine Hand gelassen habe? Die könntest du eigentlich mal suchen gehn, Ernst, so zwischen Woronesh und dem Don, vielleicht findest du die in einem Granattrichter in der Steppe! Ein bisschen weit von hier, meinst du war ganz meine Meinung und auch die meiner Kameraden da draußen, soweit die noch eine Meinung äußern können. Denn viel ist von dem Ersatz, der diesen April mit mir nach dem Osten kam, nicht mehr übrig geblieben.
Wir waren da vierundsechzig Mann Nachschub, die zu meiner Kompanie kamen, die Hälfte Kumpel aus den Betrieben, die andern so junges Gemüse, achtzehnjährige Arbeitsdienstler, einige von der HJ und auch vier Papas, so zwischen fünfundvierzig und fünfzig Jahren, die eigentlich in Polen aufbauen sollten musste aber plötzlich alles nach vorn, hurra! Das heißt, die Freude war recht kurz. Die russische Ari und die Minenwerfer haben uns gleich im Juli derart bepflastert, dass so an fünfzig Mann unsrer Kompanie für immer auf der Nase liegenblieben.
Mit seinem Werk Tortenverzierungen. Anleitungs- und Nachschlagebuch leicht ausführbarer Verzierungen verschiedener Konditoreiwaren bietet Clemens Beyrich nicht nur ein praktisches Lehr- und Nachschlagebuch für Konditoren, sondern auch einen faszinierenden Einblick in die Kunst der Tortengestaltung. Die folgende Leseprobe zeigt anschaulich, wie aus einfachen Zutaten kunstvolle Cremes und Dekorationen entstehen, die bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft verloren haben.
Allgemeines
Die Konditorerzeugnisse sind jederzeit die Zierde einer Tafel, deshalb ist es ein fühlbares Bestreben, die Ware äußerlich schön und dabei auch zweckentsprechend zu gestalten. Erste Hauptbedingung ist, dass die Dekorationsmaterialien von bestem Wohlgeschmack sind. Die Garnierung ist derart zu ordnen, dass es dem Stück oder dem Fest entsprechend wirkt. Die Designs sind stilgerecht, die Form exakt und die Färbung passend auszuführen. Nachstehend folgen einige der hauptsächlichsten Rezepte, welche zum Dekorieren gebraucht werden. Rezepte zur Anfertigung von Torten, Cremen, Glasuren usw. zu bringen, würde hier zu weit führen. Diese enthält das Neue Rezeptbuch für Konditoreiwaren.
Wein-Creme (Grundmasse)
150 g Zucker, 7 Eigelb, 1 ganzes Ei, 1/4 Liter Weißwein u. 1 Zitrone. Die auf Zucker abgeriebene gelbe Schale der Zitrone wird mit dem durch ein Tuch gepressten Saft und den vorerwähnten Zutaten in einem Kessel auf schwachem Feuer schaumig geschlagen. Nach dem Erkalten kann man je nach Bedarf etwas Schnee, geschlagene Sahne, einige Tafeln Gelatine, oder ein wenig aufgelöste Agar-Agarmasse* darunterrühren. Die Zitrone kann evtl. weggelassen werden.
* Agar-Agar-Masse ist eine Geliermasse, die auf Basis von Agar-Agar hergestellt wird. Agar-Agar ist ein pflanzliches Geliermittel, das aus bestimmten Rotalgen gewonnen wird. Es bindet Flüssigkeit ähnlich wie Gelatine, ist aber rein pflanzlich und wird deshalb in vielen asiatischen Desserts sowie in der vegetarischen/veganen Küche verwendet.
Vanille-Creme (Grundcreme)
200 g Zucker, 6 Eigelb, 32 g Weizenpuder*, 1/2 Liter Milch und 1/4 Schote Vanille. In einem Kessel wird Eigelb mit Zucker, Puder und aufgeschnittener Vanille mittels Schlagbesen verrührt. Dann gießt man Milch (oder Sahne) zu, rührt das Ganze über schwachem Feuer, bis die Masse anfängt zu kochen bzw. diese genügend eingedickt ist. Hierauf wird die Vanille herausgenommen und man lässt die Creme in einem irdenen Gefäß erkalten.
* Weizenpuder: kann durch Mais- oder Kartoffelstärke ersetzt werden.
Butter-Creme (Grundcreme)
200 g Zucker, 5 Eier, 100 g Staubzucker und 400 g Butter. Die Eier werden mit Zucker in einem Kessel über schwachem Feuer schaumig geschlagen. Das Schlagen wird langsam fortgesetzt, bis die Masse erkaltet ist. Während dieser Zeit wird von einer anderen Person die frische, ungesalzene Butter (möglichst Süßrahmbutter) mit Staubzucker schaumig gerührt. Hierauf werden beide Massen miteinander gut verrührt. Will man diese Creme leichter herstellen, so verwendet man mehr Eier, für schwerere Creme mehr Butter. Je nach Wunsch kann die Beigabe des Aromas verschiedener Art sein und kann die Farbe hierfür wie folgt angewendet werden. Für Erdbeeren, Himbeeren, Maraschino leicht rosa. Mokka, Hasel- oder Walnüsse, evtl. auch Marzipan mit Zuckercouleur*, leicht braun. Die Nüsse hierzu sind fein zu reiben, der rohe Marzipan zu verdünnen. Zitronen und Apfelsinen. Div. Maikräuter und Pistazien leicht grünlich. Bei Schokolade kann man der Creme Kakaopulver oder mit Olivenöl verdünnte Kuvertüre zusetzen. Ananas, Arrak, Rum, Tee u. dergl. bleibt ungefärbt. Diese Cremen lassen sich in irdenem Gefäß frisch gestellt einige Zeit aufbewahren und ist solche bei Gebrauch wieder glatt zu rühren.
* Zuckercouleur ist ein dunkler, stark konzentrierter Zuckersirup, der so lange erhitzt wird, bis er karamellisiert und eine tiefbraune bis fast schwarze Farbe annimmt. Er schmeckt leicht bitter, malzig, nicht stark süß und ist sehr lange lagerfähig
Herstellung (klassisch):
1. Zucker in einem schweren Topf ohne Fett schmelzen lassen.
2. Unter ständigem Rühren erhitzen, bis er dunkelbraun wird (Vorsicht: nicht verbrennen lassen!).
3. Mit etwas kochendem Wasser oder Brühe ablöschen (Achtung: spritzt stark!) und auf gewünschte Sirupkonsistenz einkochen.
Schlagsahne (Rahm)
Will man geschlagene Sahne geleeartig zum Füllen, Verzieren oder dergl. verwenden, so rechnet man auf 1/2 Liter Sahne je nach Bedarf 3 bis 10 Blatt beste Gelatine. Diese wird mit möglichst wenig Wasser lauwarm aufgelöst u. stark abgekühlt mit der geschlagenen Sahne verrührt.
Schlagsahne (imitiert)
Im Notfalle kann man sich in der Weise helfen, dass man unter wenig süße, aber gut vanillierte Eiweißschaummasse zerlassene, fast abgekühlte Butter einrührt.
Mit den Hymnen der Freiheit erschloss Erich Weinert die leidenschaftliche Lyrik Iwan Frankos für ein deutsches Publikum. Die folgende Leseprobe zeigt, wie in eindringlichen Bildern und kraftvollen Worten das Ringen um Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Hoffnung spürbar wird.
1889
Poem
Surka heiß ich, bin ein armes
Judenmädchen. Gott verlieh mir
Keine Schönheit, bin verwachsen
Und bin hässlich von Gesichte.
Wie sollt auch die arme Surka
Wohlgestalt und Schönheit werden!
Ohne Mütterchen und Vater
Wuchs ich auf bei fremden Leuten,
Die mich prügelten und stießen.
Und so lebt ich zwanzig Jahre.
Lebte? Nein, von einer Schenke
In die andre musst ich kriechen,
Musste Tag und Nacht mich rackern.
Faul und leckrig war die Wirtin
Und der Wirt ein böser Frömmler,
Und die Gäste stolz und kiesig
Alle hatten sich verschworen,
Immer nur die Magd zu hetzen;
Und, gekniffen und gestoßen,
Soll sie nicht zu winseln wagen,
Muss zum dummen Spiel noch lachen
Hinter der Empörung Tränen.
Ja, so lebt ich zwanzig Jahre.
Einmal hört den Wirt ich flüstern:
Wirst du zu mir kommen, Surka,
Nachts, wenn meine Frau verreist ist?
Bin ich unschön auch, verwachsen,
Mein Verstand noch dumm und dunkel,
Kann ich auch nicht lesen, schreiben,
Weiß auch nicht, zu Gott zu beten
Ahnt ich doch im tiefen Herzen,
Was der Wirt von mir verlangte.
Erst gedacht ich fortzulaufen,
Dann der Wirtin zu erzählen.
Doch dann kam mir ein Gedanke:
Ist doch gleich, mein Leben rieselt
Wie das Wasser durch die Sümpfe,
Ohne Glück und ohne Freude!
Sterben werd ich und nichts wissen
Von dem Glück, das alle kennen;
Und wer unfruchtbar ist, soll ja
Auch nicht in den Himmel kommen.
Möcht doch gern ein Kindlein haben.
So ein kleines! Gott im Himmel,
Ach, wie werd ich lieb es haben!
Deine Händchen, deine Füßchen
Werd ich mit den Lippen wärmen!
Mir vom Munde werd ich sparen,
Dass von uns doch eines satt wird.
Mögen sie mich schimpfen, schlagen,
Wenn nur wie ein Menschenkindlein
Meine Blume sich entfaltet!
Ja, so gingen die Gedanken,
Wenn am Fluss ich Wasser schöpfte,
Wusch die Schüsseln in der Küche
Und des Schankwirts Krempel putzte.
Und ich fühlte stark und stärker,
Wie sich unter meinem Herzen
Etwas schon begann zu regen.
Oft versetzt es mir den Atem,
Und es fällt, als wär ich trunken,
Mir die Arbeit aus den Händen.
Sitze mit geschlossnen Augen
Und im Halbschlaf flimmerts, wimmerts;
Ach, es ist das liebe Kleine;
Und ich fühl was Weiches, wie es
Nach der Mama Brüsten zappelt,
Lacht und strampelt mit den Beinchen.
Lange hätt ich so gesessen,
Hätte nicht die Wirtin heimlich
Mich beluchst; sie schrie und zankte,
Und sie schlug mich ohn Erbarmen.
So aus meinem Traum gerissen,
Schau sie an doch ohne Bösheit!
Denn in jenen Tagen hatt ich
Nicht ein Krümchen Hass im Herzen
Aber stolz wie eine Zarin
Hätt zum Weib ich sagen mögen:
Bist du auch die reiche Wirtsfrau,
Ich die Schaffnerin, die ärmste,
Bin doch dir jetzt gleich geworden!
Böse, ich bin Mutter, Mutter!
Als die schwere Stunde nahte,
Kam die Wirtin bald dahinter.
O was war das ein Gezeter!
Und in Schnee und Wind und Kälte
Jagten sie mich aus der Schenke.
Und der Wirt, der vor der Alten
Zittert, wagte nicht zu piepsen;
Doch im Herzen war noch Mitleid,
Spannt die Stute vor den Schlitten,
Brachte mich zur alten Amme,
Gab ihr heimlich ein paar Kronen;
Und er sagte: Surka, Ärmste,
Magst, solang du kannst, hier wohnen;
Und ich werde für dich sorgen.
Fürchte Gott, und nie ein Wörtlein
Sollst du meiner Wirtin sagen,
Dass das Kind von mir ist, hörst du?
Weil die Böse sonst mich umbringt!
Einen Jungen schenkte Gott mir,
Schön und kräftig, wie ein Engel.
Einen Monat bei der Amme
Lebt ich, bin schon wieder munter;
Doch mein Wirt lässt sich nicht blicken.
Alt und arm ist doch die Amme
Und hat selber nichts zu beißen.
Keine Arbeit, keinen Kreuzer
Oh, es ging uns bitter, bitter.
Und die alte Amme sagte:
Siehst doch, Surka, Ärmste, dass wir
Hier nicht länger leben können
Jeder muss ein Nest sich suchen.
Mache zu mein Haus im Winter,
Such im Armenhaus ein Eckchen.
Aber du, pack auf dein Kindchen,
Geh zu deinem Wirt, du Ärmste!
Wenn die Wirtin dich nicht einlässt,
Musst du eben weiterziehen.
Grausam war der Frostwind, beißend,
Und im Feld war Schneegestöber.
Barfuß lauf ich, nichts am Leibe;
Alles hatt ich nur gewickelt
Um das Kind, dass es nicht fröre;
An mich selber dacht ich wenig.
Und ich kam zur Schenke wieder,
Trat zur Tür ein. Doch die Wirtin
Fauchte an mich wie ein Sperber
(Hatte eine neue Magd schon).
Böse keift sie: He, was willst du?
Meinen Lohn mir holen, sagt ich,
Denn ich schaffte hier fünf Jahre.
Oh, da fing sie an zu kreischen:
Sag, du liederliche Natter,
Wessen Kind ist das, du Unzucht?
Meines, sagt ich drauf, und Gottes!
Sagst du nicht, von wem das Kind ist,
Kriegst du Lohn nicht einen Kreuzer!
Niemals werd ichs sagen, niemals!
Marsch, dann aus dem Haus, du Fetzen!
Dass du nie mir vor die Augen
Kommst mit deinem grindgen Bankert!
Fürchtet Ihr nicht Gott, Frau Wirtin?
Sag ich. Seht den Schneesturm draußen;
Und ich bin fast nackt und barfuß.
Habe doch ein kleines Kindchen.
Es wird Nacht, wo soll ich hin denn?
Fort, mein Haus wird nicht besudelt!
Scher dich zu des Teufels Mutter!
Wütend sprang sie auf, die Schlange,
Stieß mich aus der Tür. Da stand ich
Nun im Frost und Schneegestöber.
Wie von Sinnen ging und ging ich;
Ach, so schwer war mirs im Herzen
Wo war nur der Wirt geblieben?
Warum ließ er das geschehen?
Warum sprach er nicht, und warum
Wehrt er nicht der giftgen Natter?
Doch wo komm ich nachts nun unter,
Und an welche Türe klopf ich?
Wohl fünf Jahre in der Schenke
Lebt ich, doch war nie im Dorfe,
Kannte nicht die Leute, die dort
In den grauen Häusern wohnen.
Alle sind mir fremd geblieben,
Alle kamen nur, zu saufen,
Alle nur, die arme Jüdin
Zu beschimpfen und zu schlagen.
Und mir wurde schrecklich einsam.
So als wär im tiefen Wald ich
Unter Wölfen.
Dunkel wird es.
Und das Kind fing an zu weinen.
Da ich fühle, dass die Brust noch
Milch hat, setz ich an den Zaun mich
In den Schnee im dunklen Winkel,
Dass ich seinen Hunger stille.
Und auf einmal fängt das Kleinchen
Fest und gierig an zu saugen
Denn noch fühlt es nicht die Kälte.
Aber rote Bäckchen hat es.
Und es trinkt, mit schwarzen Augen
Blickts mir ins Gesicht und schaut so,
Ganz verständig, so als wollt es
Mir mit seinen Augen sagen:
Brauchst dich nicht zu fürchten, Mama!
Und da war mirs so, als wär es
Um mich mild und hell geworden
Und der Schnee schon weggeschmolzen.
Und es wehten warme Winde,
Und es winkten grüne Zweige
Und mein kleines Englein seh ich
An und kann mich gar nicht sattsehn
Ungemach und Leid vergaß ich
Plötzlich heulten wo die Hunde,
Und der Wind pfiff um die Ohren,
Warf den Schnee mir in die Augen
Und auf einmal kam ich zu mir,
Fühlte, wie mir Händ und Füße
Hart und taub wie Eis geworden.
Auch das Kindlein fror und weinte,
Und so müde wurd ich, müde
Gott im Himmel! Ich erfror ja!
Und in der Minute blitzte
Durch den Kopf mir der Gedanke:
Ja, erfriere, nichts ist besser!
Wirst nicht mehr zu leiden haben.
Doch des Kindes Weinen ging mir
Wie ein Messer durch die Seele;
Schändlich war ja, was ich dachte.
Mag ich selbst zugrundegehen!
Aber warum solls das Ärmste?
Alle Kraft nahm ich zusammen,
Wühlt und grub mich aus der Schneelast,
Denn ich war schon halb verschüttet,
Wickelte mein Kindchen fester
Laufen, doch Gott weiß wohin nur,
Ohne Kräfte. Es zu wärmen,
Drückt das arme Kind ich an mich,
Doch war selbst schon ohne Wärme.
Und es war kein Weg zu sehen.
Ich versackte in den Schneewehn,
Und der Wind schlug ins Gesicht mir
Fühllos stapf ich; und da seh ich:
Dort aus einem Häuschen blinzelt
Ein ganz schwaches Licht im Fenster.
Und auf einmal dacht ich: soll ich
Nicht mein Kindchen dort ins Vorhaus
Unters helle Fenster legen?
Denn hier schliefen noch nicht alle.
Wenn ein Kindlein weint, sie hörens,
Und dann holen sies und wärmens
Und dann lauf ich weg vom Hause,
Bis ich wo im Schnee verende.
Ja, so dacht ich und so tat ich;
Küsste zärtlich sein Gesichtlein,
Das schon angehaucht vom Frost war
Und beweht von kalten Flocken,
Packt es ein, so fest ich konnte;
Heimlich in die Mauernische
Unters helle Fenster schob ichs.
Und ich selber wie im Schlafe
Ging nun, ging nun übers Schneefeld.
Ach, das war ein Weg, ein schwerer!
Und es war, als ob die Beine
Immer schwer und schwerer würden;
Keine Kraft mehr, sie zu heben.
In die Augen schlägt der Wind mir,
Pfeift um mich und richtig hör ich
Wie er Worte pfeift: Unzüchtge
Surka, schändliche, was tust du?
Und da bleib ich stehn Im Herzen
Wie mit Nadeln stichts. Ich lausche
In den Wind, und aus dem Rauschen
Immer wieder, denk ich, hör ich
Wie das Kindlein bitter winselt.
Und ein schrecklicher Gedanke
Fing mir an im Kopf zu wühlen:
Wie nun, wenn sie alle schliefen!
Niemand hört des Kindleins Weinen,
Und mein Kindlein muss erfrieren!
Wie, und wenns die Hunde hören,
Und sie fressen es lebendig!
Und im Schnee versunken steh ich,
Wende mich mit allen Kräften,
Und ich fange an zu schreien:
Rettet mir mein Kind! Zu Hilfe!
Doch ringsum nur taube Leere,
Und der Wind frisst meine Stimme
Wie ein Pferd sich losmacht, reiß ich
Aus dem Schnee mich, laufe, laufe
Nach dem Dorf zurück. Ich strauchle,
Falle, laufe, stürze wieder,
Schrei und weine doch vergebens!
Laufe, unter Qualen lauf ich;
Und mir ists, als ob ich Stunden
Schon gelaufen, Ewigkeiten
Doch das Licht ist nicht zu finden.
Schober seh ich, Weidenbäume,
Höre fern die Hunde bellen,
Hör die tiefen Schleusen gurgeln,
Doch das Haus ist nicht zu sehen!
Nun ergriff mich die Verzweiflung
Und zerriss mir meine Seele.
Plötzlich wie Wahnsinn ras ich,
Und im Toben schrei und heul ich.
Was ist los?, so fragt mich jemand.
Schau mich um und der Gendarm ists!
Seh den Karabiner blinken
Und am Koppel ein Laternchen.
Als ich in der Schenke schaffte,
Hatt ich Angst vor dem Gendarmen,
Aber noch viel mehr der Schankwirt.
Aber hier auf einmal hatt er
Gar nichts Schreckliches mehr an sich.
Vor ihm auf die Knie hin sank ich
Wie vor meinem heilgen Retter.
Herr, so fleht ich, Surka bin ich,
Die dort in der Schenke diente,
Und ich bin mein Kind am Suchen!
Und erzählt ihm alles, alles.
Der Gendarm nahm an der Hand mich.
Führte mich herum im Dorfe,
Bis wir wo ein Lichtchen sahen.
Ist es dieses Haus hier?, fragt er.
Herr, ich weiß nicht, ich will nachschaun!
Ich ging hin o Gott im Himmel!
Ja, es wars, und auch die Nische
Doch das Kindchen war verschwunden!
Und wie leblos stand ich, sagte:
Fort das Kind! Doch da, im Hause
Ward es hell, ich hörte sprechen
Der Gendarm klopft an Wir treten
In die Tür, da hör ich weinen
Schon mein Kindchen. Gott im Himmel!
Konnt ich nur noch schrein, dann fiel ich
Draußen auf dem Flur in Ohnmacht.
Weiß nicht mehr, was dann geschehen,
Nur noch eins, als wenns ein Traum war,
Dass im Bauernhaus ich liege,
Hell die Stube, warm und sauber
Bei mir sitzt die gute Alte,
Sitzt, und traurig wiegt den Kopf sie,
Und ganz leise, leise sagt sie:
Ach, wie dumm doch warst du, Surka!
Warum klopftest du nicht? Sind wir
Solche Hunde wie dein Schankwirt
Und sein Schandweib? Wir sind Menschen!
Sag, ist das erhört, im kalten
Schnee ein Kindchen auszusetzen?
Noch ein Glück wars, dass ich wach war
Und gebetet hab. Da hör ich:
Dort im Vorhaus, unterm Fenster
Kläglich mauzt es wie ein Kätzchen
Wieder kam die Ohnmacht
Hier erst
Kam ich zu mir, im Gefängnis,
Im Spital. Drei Wochen hätt ich,
Sagen sie, verbracht im Fieber
Und nun soll ich vor den Richter.
Mag er richten, meinetwegen!
Ist mir gleich, wie sie mich richten!
Ist mir gleich, wie sie mich strafen!
Stand ich nicht in jener Nacht schon
Vor dem Richter? Überstand ich
Etwa nicht die schwerste Strafe?
Was nun wird soll mich nicht kümmern.
Arbeit hab ich nie gefürchtet;
Und vor nichts im Leben schreck ich,
Hab ich nur mein Kindlein bei mir.
Dafür will ich alles leiden
Einmal sagten sie, sie wollten
Mir das Kind nicht wiedergeben.
Nun, und weil ich so gefiebert,
Haben sies nicht zugelassen.
Denn sie sagen, unaufhörlich
Hätt gerast ich und geschrien,
Immer nur gesucht das Kleine,
Dass der Doktor schließlich sagte:
Gebt das Kind ihr, sonst kann ich mich
Für ihr Leben nicht verbürgen!
Und es ist schon schön gewachsen,
Und sogar schon lächeln kann es.
Seht doch, wie es spielt und zappelt,
Mit den Händchen nach der Brust langt!
Ach, mein einzger Schatz, mein kleiner.
Du mein ausgelassner Wildfang!
Mit Europa im Versmaß zeigt Erich Weinert die ganze Kraft seiner satirischen Nachdichtungen aus den Jahren 1930 bis 1950. In scharfer Sprache, beißendem Humor und poetischer Verdichtung entlarvt er die Absurditäten der faschistischen Ideologie und hält den Mächtigen einen unbarmherzigen Spiegel vor. Die folgende Leseprobe gibt einen Eindruck von dieser literarischen Waffe im Kampf gegen Unterdrückung und Krieg.
ORIENTALISCHES MÄRCHEN DES DEUTSCHEN OBERKOMMANDOS
Nach Samuel Marschak
Der blöde Hakenkreuzkalif
Saß rauchend in Gedanken tief
Und ließ zum Vortrag laden
Seinen Scheherazaden.
Der Schehrazade kommt und spricht:
Hör, Herr, den neusten Frontbericht!
Ein MG hat zu Schutt gemacht
Drei Reihen Festungslinien
Und dreißigtausendhundertacht-
undzwanzig Flugmaschinen!
Im Fluge nahm eine Messerschmitt
Die Stadt Baku, und nahm auch mit
Ein Stück vom Schwarzen Meere
Mit allem Zubehöre.
Ein Mann, der im Zivilstand Clown,
Hat hunderttausend Tanks zerhaun.
Wir nahmen schon beim ersten Stoß
Zwölf mächtige Ruinen
Und auch ein Preiselbeerkolchos
Mit Sä- und Dreschmaschinen
Da unterbrach ihn der Kalif:
Das ist, was ich schon wusste,
Doch sag mir nun mal positiv:
Was haben wir Verluste?
Kalif, ich hab dir nichts verhehlt!
Was du verlorst, an Toten,
Das hab ich einfach zugezählt
Zu dem Verlust der Roten!
Nach Samuel Marschak
Arischen Geblütes Reine
Hat die deutsche Kuh alleine;
Edel ragt das Preußenvieh
Aus der ganzen Zoologie.
Hitler schließt in sein Gebete
Einstein nicht und auch nicht Goethe,
Doch den Ochsen und die Kuh!
/Hahahahohohuhu!/
Denn die Kuh im deutschen Lande
Ist von leuchtendem Verstande,
Wo von Einstein, Goethe man
Nie ein Kalb erwarten kann.
Also lasst uns danach streben.
Dass von heut wir nur noch leben
Edelblütig wie die Kuh!
/Hahahahohohuhu!/
Dass wir leben wie die Kühe,
Dass wir lieben wie die Kühe.
Bis wir dann nach vieler Mühe
Arischblütige Viecher sind.
Dass der Vater auf sein Kind wie
Auf ein Prachtstück schauen mag:
Dieses ist ein echtes Rindvieh!
Ganz nach seiner Eltern Schlag!
Nach Adujew und Kirssanow
Wie ist das Glück mir gewogen?
Fragt Hitler den Astrologen.
Und in das Fernrohr den Blick,
Meldet er Adolfs Geschick:
O Führer! Ich seh ein Geflitter
Vom Steinbock nüber zum Widder!
Doch meldet das Sternbild des Hunds:
Es kommen Erfolge für uns!
Auch Wassermann wird nicht betrügen;
Wir werden in Russland siegen;
Auch steht es im Sternbild des Leun:
Der Sieg ist morgen schon dein!
Und die Sterne, sie wandeln weit,
Wie sie wandeln von Ewigkeit!
Bei uns ist kein Astrolog,
Der uns mit Sternen betrog.
Doch fehlen auch hier die Sterne nicht;
Und die sind von ganz besondrem Licht.
Auf unsrer Falken Flügeln rot
Dem Feinde der Stern des Verderbens droht.
Im Sternbild des Sajzew ist klar zu sehn:
Faschisten müssen zugrunde gehn.
Vom Stern Charitonow ist auch bekannt:
Keine mordende Junkers kommt ins Land.
Und leuchtet Shukow in der Höhe,
Dann ist auch der Tod in der Nähe!
Und die Sterne, sie wandeln weit,
Wie sie wandeln von Ewigkeit!
Mit Am Kai der Hoffnung entfaltet Walter Kaufmann eindringliche Geschichten voller menschlicher Härte und leiser Hoffnung. Die folgende Leseprobe führt mitten hinein in eine beklemmende Szene, in der sich zwischen Abhängigkeit, Gewalt und dem Wunsch nach Nähe die ganze Spannung menschlicher Beziehungen offenbart.
Ja, ja, stimmte sie zu, uns beide hat man schon tüchtig herumgestoßen, was, Ronny?
Wieder war ihm die Kehle wie zugeschnürt. So hatte noch keine Frau zu ihm Ronny gesagt.
Ich hab viel Zeit für dich, Agnes.
So etwas dürftest du zu mir nicht sagen, wandte sie ein, es sei denn, du sehnst dich nach deiner Mutter.
Nein, das ist was anderes, entgegnete er und blickte weg. Und ob es was anderes war - wenn er ihr nur erklären könnte, welche Gedanken ihn des Nachts wach hielten in seinem Schlafraum neben der Veranda. Was war Ed doch für ein Narr, eine Frau wie Agnes nicht zu schätzen!
Er schnipste die tote Fliege zum Fenster hinaus in den heißen Staub. Hinter dem Drahtzaun streckte sich das ausgedörrte Land bis weit hinter den Horizont. Der kahle Eukalyptusbaum im Hof reckte seine dürren Zweige zum wolkenlosen Himmel empor. Der Stamm warf einen tintenschwarzen Schatten über das braunhaarige Kind, das mit einem trägen Hündchen spielte. Er beobachtete Meggy, bis ein Einspänner seine Aufmerksamkeit ablenkte, der inmitten einer Staubwolke auf der Landstraße herankam. Ron wandte sich langsam um. Ed wird gleich da sein.
Agnes Burke stand einen Augenblick regungslos, dann strich sie sich mit nervösen Fingern das volle Haar aus dem Gesicht und befestigte es mit Nadeln. Die Küchenuhr schlug wie eine Warnung.
Er muss Streit gehabt haben, sagte sie, sonst käme er nicht so früh zurück.
Ich verzieh mich besser in mein Zimmer, sagte Ron und ging zur Tür.
Nein, bleib! Es gibt gleich Obstkuchen und Tee.
Er wird wieder Krach anfangen, wie letztens.
Soll er, antwortete sie, ich hab dich lieber in der Nähe, wenn er betrunken ist.
Sie trat ans Fenster und rief das Kind herein, ohne einen Blick auf die Landstraße zu werfen. Dann zog sie mit einem Ruck den Vorhang vors Fenster. Der dünne Stoff hing wie ein brennendes Laken vor dem Sonnenlicht. Sie goss Tee in Porzellantassen, schnitt drei Stück Kuchen ab und stellte sie auf den Tisch. Lang zu, forderte sie ihn auf.
Du machst einen Fehler, sagte er mit einem vorsichtigen Blick, du weißt doch, wie er ist.
Und ob ich das weiß!, rief sie aus, tu nur so, als ob er nicht käme.
Ich hab keine Angst vor ihm, sagte er in einem Ton, der reifer klang, als es seinen sechzehn Jahren entsprach, ich mache mir nur deinetwegen Sorgen.
Schlimmer als bisher kann's nicht mehr werden.
Mein Gott, Agnes! Kopfschüttelnd setzte er sich an den Tisch.
Sie hörten das Klappern von Pferdehufen auf dem spröden Boden des Hofes und das Rollen von Wagenrädern, hörten Ed betrunken vor sich hinmurmeln. Agnes blickte Ron über den Tisch hinweg an. Stirnrunzelnd zerdrückte Ron einen Zigarettenstummel auf einem Teller. Meggy kam in die Küche gelaufen, in die jetzt der Schatten des vor dem Fenster stehenden Wagens fiel. Sie konnten die Umrisse des Pferdeleibes sehen, einen Teil des Wagens und die stämmige, schwankende Gestalt von Ed Burke, wie ein Schattenspiel hinter dem Vorhang.
Wie komisch das aussieht! Meggy lachte.
Setz dich hin und iss, sagte Agnes zu dem Kind.
Sie hörten das Pferdegeschirr klirren, als Ed begann, die Stute auszuspannen. Die ganze Zeit fluchte er grimmig: Verdammte Trockenheit, verdammte Schinderei! Nichts gedeiht, alles verdorrt, sonniges Australien, pah! Gut für fette Kneipenwirte, der Teufel soll sie holen ...
Plötzlich wieherte das Pferd, dann ein zweites, ein drittes Mal, wie ein Tier in einem brennenden Stall. Die Umrisse des Pferdeleibes verschwanden vor dem Vorhang. Sonnenlicht fiel über den Küchentisch und über die gespannten Gesichter von Agnes, dem Kind und von Ron, der seinen Stuhl zurückstieß und den Vorhang aufriss. Ed Burke, stämmig und muskulös, schlug dem Pferd mit einem Holzknüppel aufs Maul. Das Kind schrie.
Lass das Pferd in Ruhe!, rief Ron.
Zur Hölle mit euch allen!, fluchte Ed Burke, wischte sich mit dem Arm übers Gesicht, hielt inne und beobachtete das Pferd, das vor ihm zurückwich. Das Weiße in den Augen des Tieres wurde sichtbar, es bäumte auf und zerrte den Wagen über den Hof. Ed lachte.
Es war dieses Lachen, das Ron den Anstoß gab - Superintendent Morton hatte so gelacht, wenn er die Jungs im Waisenhaus mit der Peitsche schlug; jetzt lachte Burke, während er auf das Pferd einhieb. Grausamkeit und Lachen! Ron sprang mit einem Satz durchs Fenster, stürmte über den Hof. Als er sich auf seinen Boss stürzte, sah er nur noch dessen Gesicht, dieses grobe Gesicht mit dem grausam lachenden Mund, den er treffen wollte mit der Faust, treffen musste. Doch es gelang ihm nicht, das Lachen blieb. Der Adamsapfel in Burkes sehnigem Hals bewegte sich auf und nieder. Noch einmal schlug Ron ins Leere, er glaubte die anfeuernden Rufe der Jungen im Waisenhaus zu hören: Gib's ihm, Ron! Jim Croxton schrie, Tiny Maxwell und Spider Carter und Dave Mooney. Gib's ihm! Dann traf ihn der Holzknüppel hart am Kopf, ein zweites Mal, ein drittes Mal, und er fiel vor Burkes stämmige Beine. Er spürte, wie ihm Burke in die Seite trat, krümmte sich, schnellte hoch und entzog sich Burkes Zugriff mit aller Geschicklichkeit, die er im Ring gelernt hatte. Diesmal traf er den Mund, aber auch der Knüppel traf ihn an der Schläfe, wiederum brach er zusammen. Er hörte Agnes rufen: Genug, genug!, als wäre sie weit weg. Er versuchte aufzustehen, schaffte es aber nur, sich aufzurichten. Burkes Gesicht über ihm begann zu kreisen. Er spuckte es an. Und wieder stieß Burke mit dem Fuß nach ihm.
Zu den Nachdichtungen von Erich Weinert, die in diesem Newsletter vorgestellt werden, gehört auch die eines sowjetischen Liedes, das sowohl unter dem Titel Tschapajews Ende als auch Tschapajews Tod bekannt ist und unter anderen von Ernst Busch kraftvoll interpretiert wurde.
Wer aber war dieser Tschapajew, der in der Sowjetunion, aber auch noch im heutigen Russland als verehrungswürdiger Held gilt.
Wassili Iwanowitsch Tschapajew (* 28. Januarjul. / 9. Februar 1887greg. in Budaika, Ujesd Tscheboksary, Gouvernement Kasan, Russisches Kaiserreich; 5. September 1919 bei Lbischtschensk, heute Tschapajew, Kasachstan) war ein Kommandeur der Roten Armee während des Russischen Bürgerkrieges.
Nach der Oktoberrevolution wurde er im Dezember 1917 zum Kommandeur des 138. Infanterieregiments gewählt und bekam später das Kommando der 2. Nikolajewsker Division und der 25. Schützendivision. Seit dem Januar 1918 war er Kommissar für Innere Angelegenheiten im Kreis Nikolajewsk (heute Oblast Saratow). Von November 1918 bis Januar 1919 studierte er an der Akademie des Generalstabs und ging auf eigenen Wunsch an die Front des Russischen Bürgerkrieges.
Unter seiner Führung verdrängte die 25. Schützendivision im Rahmen der 4. roten Armee im Sommer 1919 die weißen Truppen des Admirals Koltschak aus den Städten Ufa (9. Juni 1919), Uralsk (11. Juli 1919), Buguruslan und Belebei.
Tschapajew fiel am 5. September 1919 bei den Kämpfen um die südrussische Stadt Lbischtschensk. Diese Stadt wurde später in Tschapajew umbenannt und gehört heute zu Kasachstan.
1923 schrieb der russische Schriftsteller Furmanow, ein ehemaliger Kommissar in der Division Tschapajews, einen Roman über Tschapajew mit gleichem Namen.
Und noch zwei Anmerkungen: Um seinen Tod, von dem auch in dem bereits erwähnten Lied die Rede ist, gibt es unterschiedliche Versionen. So heißt es offiziell, er sei von einer Kugel der feindlichen weißen Truppen im Ural ertrunken, andere besagen, er habe es noch ans andere Ufer geschafft, sei aber dann dort seiner Verletzung erlegen. Noch andere behaupten, er sei von einer Frau verraten und danach von den Weißen erschossen worden.
Eine andere Geschichte erzählt von einer Liebesbeziehung des Divisionskommandeurs Tschpajew zu der Frau des Divisionskommissars Furmanow, der später diesen berühmten Roman über ihn geschrieben hat. Und es heißt, wegen dessen Avancen für Furmanows Frau seien dieser und Tschapajew keine Freunde mehr gewesen, hätten sich aber offenbar kurz vor dessen Tod ausgesprochen und wieder versöhnt. Und in seinem Roman Tschapajew habe der Schriftsteller ein sehr freundliches Bild seines ehemaligen Divisionskommandeurs gezeichnet, um diese Versöhnung zu bekräftigen.
Der Roman wiederum war Grundlage für einen berühmten sowjetischen Film von 1934 in der Regie der Brüder Wassiljew mit Boris A. Babotschkinin der Hauptrolle, der in der Sowjetunion außerordentliche Popularität erlangte. Der Weg des legendären Helden Tschapajew von einem draufgängerischen Partisanenführer zum selbstbewussten und disziplinierten Kommandeur der Roten Armee während des Bürgerkriegs von 1919/20. Der Film gehört zu den klassischen Werken der sowjetischen Filmkunst, war einer der größten Erfolge der sowjetischen Filmgeschichte und ist zugleich selbst ein historisches Zeitdokument. Ausgehend von einer betont volkstümlichen Handlung, erfährt die Fabel durch präzise Charakterzeichnungen und die hervorragende Fotografie eine ausgesprochen suggestive Wirkung. Im Leningrader Kino Saturn lief der Film zwei Jahre lang täglich, was einen Rekord in der Geschichte des Kinowesens (in der Sowjetunion) darstellt.
Die deutsche Uraufführung der DEFA-Synchronisation fand am 14. März 1946 statt Tschapajew war damit der erste sowjetische Film, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland uraufgeführt wurde.
1996 erschien Wiktor Pelewins Roman Tschapajew und Pustota (auch übersetzbar als Tschapajew und die Leere; in Deutschland 1999 herausgegeben als Buddhas kleiner Finger), in dem Tschapajew in den verschiedenen historischen und kulturellen Bezügen eine zentrale Rolle spielt. Tschapajews Tod wird im gleichnamigen Lied von W. Solowjow-Sedoi (Musik) und Z. Alexandrowa (Text) beschrieben, das wie erwähnt von Erich Weitert unter dem abweichenden Titel Tschapajews Ende ins Deutsche übertragen wurde. Darüber hinaus existiert in Russland ein mehrteiliges Adventures.
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Dieses Mal werden die nächsten Sonderangebote auf recht konventionelle Weise verschickt per Lastkraftwagen (je nachdem wie viele es werden, in der Einzahl oder in der Mehrzahl
Zu ihnen gehört der Band Der Turm des Todes. Historische Abenteuererzählungen über drei Kontinente und die Weltmeere von Otto Emersleben, der erstmals 1985 im Verlag Neues Leben Berlin in dessen Reihe Spannend erzählt erschienen war.
Mittelasien, Rom, Peru, Beringstraße - in drei Kontinenten und auf den Weltmeeren liegen die Schauplätze der zehn historischen Abenteuererzählungen dieses Bandes. Entdecker, Ketzer und sturmerprobte Kapitäne sind unter ihren Helden zu finden, die Verstrickungen von brutalem Machtstreben und der Sehnsucht nach einer besseren Welt ein immer wiederkehrendes Thema.
Die Titelgeschichte erzählt vom gescheiterten Aufstand der Bewohner von Buchara unter Führung des frommen Handwerkers Machmud Tarabi gegen die mongolische Fremdherrschaft. Auch die Erzählungen um Giordano Bruno, die Weltumsegler Anson und Cook, um Sir Walter Raleigh, Semejka Deshnjow, Ulug Beg und all die anderen Kämpen sind an historische Figuren angelehnt. Doch wird nicht die Wiedergabe dessen angestrebt, was ohnehin in Geschichtsbüchern steht. Vielmehr ist der Ausgangsgedanke: Wie hätte es sein können?