Eine Spielart der Gegenwartsliteratur sowie Reiseberichte aus der Sowjetunion und aus Asien - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
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Und noch was Wichtiges: Auch in diesem Jahr überrascht EDITION digital vom 1. Dezember bis zum 26. Dezember 2025 wieder mit einem speziellen Adventskalender. An jedem dieser Tage steht jeweils ein E-Book aus dem umfangreichen Verlagsangebot zum kostenlosen Download unter edition-digital.de bereit - von Weihnachten weltweit am 1. Dezember 2025 bis Weihnachtsgans Auguste am 26. Dezember 2025.
(Pinnow 28.11. 2025) Nicht immer müssen utopische Romane in fernen kosmischen Welten spielen. Manchmal spielen sie auch auf der Erde wenn auch in immer noch fernen Zeiten. Als das zweite der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 28.11. 2025 bis Freitag, 05.12. 2025) zu haben sind, erstmals veröffentlicht wurde, lag die Handlung des 1975 als Band 124 der Reihe Spannend erzählt im Verlag Neues Leben Berlin erschienenen Wissenschaftlich-phantastischen Romans Magma am Himmel von Carlos Rasch einige Jahrhunderte voraus, genauer gesagt 475 Jahre voraus.
Bei der dünnsten Stelle des Meeresbodens unter dem Südatlantik gegenüber der afrikanischen Küste rütteln um das Jahr 2450 immer wieder Seebeben am Erdmantel. Sie beunruhigen ein Team junger Leute, die einen automatisch arbeitenden Flotationskomplex unweit ihres Standortes zur Gewinnung seltener Rohstoffe aus dem Meerwasser überwachen. Eine Algenfarm wird von diesem bebenartigen Rütteln ebenfalls beeinträchtigt.
Auch die Wissenschaftler an den Universitäten in den afrikanischen Metropolen sind von diesem Novum eines wie im Gleichschritt auftretenden atlantischen Epizentrums alarmiert. Die Lage wird bedrohlich, als radioaktive Strömungen aus dem Bereich dieses Epizentrums auftreten, die von Rissen des Erdmantels über einer gerade neu entstehenden Magmakammer herrühren könnten.
Einige Akademiker glauben unter Sorgenfalten sogar, dass diese Seebeben von einem vor Jahrhunderten verunglückten Atom-U-Boot herrühren oder etwas mit heimlich entsorgten verbrauchten Reaktorbrennstäben zu tun haben. Um Klarheit über solchen Atommüll zu erlangen, einigt man sich, eine Zeitverspiegelung vorzunehmen, bei der eine Chrononautin als unerkannt lebende Späherin einige Jahrhunderte zurück in die Vergangenheit reisen wird, zu Jochen Märzbach aus Die Schatten der Tiefsee.
Carlos Rasch, Autor mehrerer utopischer Bücher, lässt diesmal seine Geschichte statt weit draußen im All auf unserer Erde spielen nach dem Motto: Die Zukunft der Menschheit wird auf Erden realisiert und nicht im All! - Auch sind Zukunftsromane keine prophetischen Voraussagen von neunmalklugen Leuten. Hellseher gibt es nicht. Niemand kennt die Zukunft. Utopien sind nur eine Spielart der Gegenwartsliteratur, in der jetzt lebende Autoren für heutige Leser gegenwärtigen Erkenntnissen entsprechen. Utopien können nur heutige Hoffnungen und Wünsche oder auch Befürchtungen in literarischen, abenteuerlichen Denkmodellen widerspiegeln. Dazu gehen sie von Wahrscheinlichkeiten nahe gesicherter Erkenntnisse aus.
Seit seiner Erstveröffentlichung vor nunmehr 50 Jahren wurden von dem Carlos-Rasch-Roman Magma am Himmel rund 100.000 Exemplare verkauft.
Mit dem heutigen Newsletter setzt EDITION digital zudem die Vorstellung des Werks von Bernhard Kellermann (1879 bis 1951) fort. Auch die beiden heutigen Bücher sind wieder dem 1979 im Verlag Volk und Welt Berlin veröffentlichten Band EINE NACHLESE 1906-1951, Herausgegeben von H. D. Tschörtner unter Mitarbeit von Georg Wenzel, entnommen.
Erstmals 1948 war sein Reisebericht Wir kommen aus Sowjetrussland erschienen. Als Bernhard Kellermann in jenem Jahr Moskau und Leningrad besucht, erlebt er ein Land im Aufbruch: Aus den Trümmern des Krieges erhebt sich ein neues Russland, geprägt von Wiederaufbau, technischem Fortschritt und einem tiefen gesellschaftlichen Wandel. Mit neugierigem Blick und literarischer Präzision schildert er Begegnungen mit Schriftstellern, Arbeitern und Ingenieuren, beschreibt den monumentalen Ausbau der Städte und entdeckt eine Gesellschaft, die sich selbst neu erfindet.
Dieser Reisebericht ist nicht nur ein literarisches Zeitzeugnis, sondern auch ein faszinierender Einblick in das Selbstverständnis der jungen Sowjetunion kurz nach dem Krieg - zwischen Stolz, Fortschrittsglaube und sozialistischem Idealismus.
Ein faszinierendes Zeitdokument, das Reise, Politik und Geschichte auf besondere Weise verbindet, ist auch Abschied von Asien. Mit feinem Gespür für Atmosphäre und historische Entwicklungen beschreibt Bernhard Kellermann seine letzte Reise durch Asien in den 1920er Jahren. Zwischen Peking und Charbin erlebt er ein Land im Umbruch: Auf den Straßen herrscht politische Unruhe, in den Häfen brodelt der Handel, und auf den Schienen rauscht die Zukunft heran.
Sein Abschied von Asien ist kein sentimentaler Rückblick, sondern ein scharfer Blick auf Macht, Kolonialismus und kulturellen Wandel - ein literarischer Reisebericht, der die dramatische Zwischenkriegszeit in eindrucksvollen Bildern festhält.
Erstmals 1980 war als Band 164 der Reihe Spannend erzählt im Verlag Neues Leben Berlin der Roman Strom ohne Brücke von Otto Emersleben erschienen, der im 16. Jahrhundert spielt: Unter wehenden Standarten, im Gepränge ihrer Rüstungen und begleitet von Fanfarenklängen brechen Anfang des Jahres 1540 dreihundertfünfzig Spanier mit einem Tross von dreitausend indianischen Trägern im peruanischen Quito zu einer Expedition auf. Ziel ist das Traumland aller spanischen Eroberer, das Land der Schätze, reich an Gewürzen und Gold, das Land mit den Namen Canela, Eldorado, Curicuri. An der Spitze des Unternehmens steht Gonzalo Pizarro, der jüngste Bruder des berühmt-berüchtigten Konquistadors. Unter großen Entbehrungen und Verlusten gelangt der Zug über die östlichen Anden hinweg bis in die Urwälder des Amazonastieflandes. Hier, am Ufer des Rio Napo, einem Zufluss des Amazonas, lässt Pizarro ein Schiff bauen und schickt es unter dem Befehl seines Stellvertreters Orellana stromab. Es soll so schnell wie möglich mit Proviant für die Zurückbleibenden wiederkehren und sie nachholen. Damit fällt die Entscheidung über das Schicksal der Expedition.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Heute geht es um Moral, um Menschlichkeit und um persönliche Verantwortung.
1944 schrieb Friedrich Wolf Doktor Wanner. Ein Schauspiel: Im Schatten eines süddeutschen Krankenhauses während des Zweiten Weltkriegs entfaltet sich ein dramatisches Ringen um Pflicht, Moral und Menschlichkeit. Der angesehene Chirurg Dr. Paul Wanner kehrt verstümmelt und desillusioniert von der Front zurück. Während er mit den Schrecken des Krieges und seiner eigenen Schuld kämpft, beweist seine Frau Lilli, eine französische Ärztin, außergewöhnlichen Mut: Als stille Saboteurin rettet sie Zwangsarbeiter und riskiert alles für die Entrechteten.
Doch das Krankenhaus wird zum Schauplatz persönlicher Intrigen, ideologischer Gewalt und wachsender Verzweiflung. Die Loyalität zwischen Freunden, die Liebe zu Lilli und das eigene Gewissen geraten in einen unerbittlichen Konflikt. Wie weit darf man gehen, um das Richtige zu tun?
Friedrich Wolfs Meisterwerk Doktor Wanner beleuchtet die Abgründe und Helden des Zweiten Weltkriegs. Es ist ein fesselndes Drama über Verantwortung, Widerstand und die Zerbrechlichkeit des Individuums in einer Welt, die von Grausamkeiten zerrissen wird.
In Magma am Himmel verknüpft Carlos Rasch wissenschaftliche Visionen mit dramatischen politischen Entscheidungen. Die folgende Leseprobe führt direkt in eine Phase höchster Anspannung: Eridaner, Weltpräsident Si Taut und Forscher Jandar ORell ringen um Antworten auf ein uraltes, wieder erwachendes Phänomen im Atlantik. Die Bedrohung ist real, die Zeit knapp und plötzlich steht sogar die Möglichkeit im Raum, einen Menschen aus längst vergangenen Epochen in die Gegenwart zu holen.
Tauchen Sie ein in einen Moment, in dem die Zukunft der Erde an einem einzigen Entschluss hängt.
"Ihr werdet den Ursprung des Phänomens im Atlantik nicht ergründen können, es sei denn, dass ihr einen Vorfahren als Zeugen dieses Ereignisses in diese Zeit holt. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass an der dünnsten Stelle der Erdkruste unter dem Wasser des Atlantiks eine ruhende Kraft aktiviert wird, die aus früheren Zeiten stammt und die zwei Kontinente vernichten soll. Ihr seid bedroht. Sagt uns, was ihr über diese Kraft wisst. Vielleicht können wir euch helfen, sie abzubauen."
"Wir wissen nicht viel. Während des hundertjährigen Strahlungssturmes sind fast alle Angaben dazu verloren gegangen", sagte Jandar O'Rell. "Eine Chrononautin ist deshalb unterwegs, aber nicht exakt angekommen. Wir holen sie zurück. Es stimmt: Wir werden keine Zeit mehr haben, sie noch einmal zur Erkundung in die Vergangenheit zu schicken. Ihr Eridaner habt eben bestätigt, was auch wir errechnet haben. Noch in diesem Jahr, spätestens im nächsten, wird das Mega-Phänomen in Aktion treten. Was ist da nun zu tun?" Diese Frage hatte O'Rell hauptsächlich an Si Taut gerichtet.
Der Weltpräsident liebte es nicht, wenn ihm hastig und unüberlegt geantwortet wurde. Deshalb dachte Si Taut erst einmal nach. Von seinem Platz aus konnte er die Flamme im Foyer gut sehen. Sie schickte ab und zu knisternd einen weißen würzigen Rauchgeist zur Decke. Die Eridaner tauschten ein paar leise Worte mit O'Rell aus. Im Hintergrund des Raumes arbeitete der Bildwürfel und präsentierte neue Informationen aus irgendeinem Teil der Kraterstadt.
Schon in der Zeit vor dem hundertjährigen Strahlungssturm war das Mega-Phänomen im Atlantik bewacht worden. Es war nie zum Ausbruch gekommen, wenn es auch ab und zu in der Tiefe der Erdkruste tüchtig gerumpelt hatte. Zu gern hätte sich Si Taut darin bestärkt gefühlt, dass es auch jetzt noch nicht emporbrechen würde. Aber die Beratung hier auf dem Mauna Kela fand nicht statt, um Beschwichtigungen zu suchen. Plötzlich stutzte Si Taut. Hatte ein Eridaner nicht schon im ersten Satz geäußert, man müsse einen GRUM-Menschen in dieses Jahr holen? Das war doch unmöglich! Es gab nur die Verspiegelung der Gegenwart in die Vergangenheit oder die Bespiegelung der Vergangenheit von der Gegenwart her.
"Wir können niemanden aus der Vergangenheit in diese Zeit holen", sagte Si Taut deshalb.
Die Eridaner und O'Rell wechselten Blicke.
"Wir können es, vielleicht", sagte O'Rell. "Die Gäste wollen uns helfen, so gut sie es vermögen."
In Wir kommen aus Sowjetrussland schildert Bernhard Kellermann seine Eindrücke aus einem Land im Aufbruch direkt beobachtet und lebendig beschrieben. Die folgende Leseprobe führt mitten hinein in seinen Besuch eines Palastes der Pioniere, jener außergewöhnlichen Bildungsstätten, in denen sowjetische Kinder praktische Fertigkeiten, technische Fähigkeiten und künstlerische Ausdrucksformen erlernen. Kellermann zeigt hier anschaulich, wie umfassend und ideenreich diese Einrichtungen junge Menschen auf ihre berufliche Zukunft vorbereiten sollen.
Einen der stärksten Eindrücke haben auf mich in Russland die sogenannten Paläste der Pioniere gemacht.
Was aber ist ein Palast der Pioniere?
Jeder Russe, dem diese Einrichtung von Kindheit an vertraut ist, wird uns ohne Zögern erklären, dass es sich dabei keineswegs um Pioniere oder Soldaten irgendeiner Art handelt, sondern um Erziehungsinstitute für Jugendliche, wie es deren in jeder kleineren und größeren Stadt Russlands gibt. Leningrad besitzt davon acht, und in Moskau befindet sich in jedem Stadtviertel ein solcher Palast der Pioniere, sie sind über das ganze Land verbreitet. Diese Institute haben die Aufgabe, die eigentliche Schule zu ergänzen und junge Menschen, Knaben und Mädchen im Alter von acht bis vierzehn Jahren, in die verschiedensten Berufe einzuführen, sie mit ihnen vertraut zu machen, bis zu dem Grade, wo die fachliche und berufsmäßige Ausbildung beginnt.
Ich habe in Leningrad viele Stunden lang einen Palast der Pioniere besichtigt, der etwa 30 Säle und Unterrichtsräume enthält und in einem ehemaligen Palais des Zaren oder eines Großfürsten untergebracht ist.
Es gibt dort Tischlerwerkstätten mit einigen Dutzenden von Hobelbänken, Schlossereien mit einer Reihe von Drehbänken und allen erforderlichen Werkzeugen, mustergültige Werkstätten für Fotografie. Die Wände des Lehrsaals für Fotografie waren mit entsprechenden Aufnahmen der Schüler geschmückt, Dunkelkammern mit Reihen von Spülbecken zeigten an, dass die Schüler in allen Einzelheiten der Fotografie ausgebildet werden. In einem Saal war eine komplette elektrische Bahn aufgebaut, mit Stellwerken und allen Signalen. Die Schüler konnten die Bahn selbst bedienen und sich einen Einblick in den Betrieb und die Sicherheiten des Bahnverkehrs verschaffen.
Ein Saal war dem Flugzeug gewidmet, verbunden mit einem Raum für den Bau von Flugzeugmodellen. Hier war das von den Schülern konstruierte Modell eines Doppeldeckers zu sehen, das, mit einem Miniaturmotor versehen, den Rekord im Weitflug hält, 200 Kilometer. Gewiss eine beachtliche Leistung!
Hier gab es Säle und Unterrichtsräume für Schiffsbau, Bauwesen, Motoren- und Automobilbau, mit auseinandergenommenen Motoren, für Zeichnen und Malerei, Bildhauerei, für Musikausbildung und Schauspielkunst, für Geografie und Astronomie, für Radio und Telegrafie, wo die Schüler sich mit Telegrafenämtern in Verbindung setzen können kurz, Säle und Unterrichtsräume für alle nur erdenklichen Berufszweige.
In Abschied von Asien beschreibt Bernhard Kellermann mit scharfem Blick die politischen Spannungen und kolonialen Ambitionen im Fernen Osten der 1930er Jahre. Die folgende Leseprobe führt nach Dairen, eine Stadt zwischen großem Anspruch und strategischem Kalkül ein Ort, an dem sich russische Visionen, japanische Machtpolitik und internationale Konflikte überlagern. Kellermann beobachtet präzise, wie hier Stadtplanung, Politik und Geschichte ineinandergreifen.
Dairen. Das einstige russische Dalni. Die Russen hatten seinerzeit offenbar vor, hier eine Art asiatisches San Francisco zu gründen, so großzügig ist das Schema der Stadt angelegt, in das die japanische Siedlung nur langsam hineinwächst. Die Hauptstraßen sind so breit, dass ein Dutzend Automobile bequem nebeneinanderfahren kann. Kais, Docks, Zoll- und Warenschuppen alles funkelnagelneu verschwenderisch und weitblickend angelegt, eine vermutliche Entwicklung von fünfzig Jahren vorausnehmend. Der Naturhafen herrlich, von zwei Inseln und Vorgebirgen blockiert, leicht mit Minenketten abzudichten, leicht zu verteidigen. Die Japaner, Erben des russischen Scharfblicks, lachen sich ins Fäustchen.
Noch ist Dairen natürlich nicht fertig. Aber gerade in der Unfertigkeit verrät sich klar die Anlage, Absicht und Ziel. Dairen ist die Basis Japans in Asien, eine Basis aus Eisenbeton, ausgebaut mit allen Erfahrungen der alten und der neuen Welt, eine Festung von weltpolitischer Bedeutung, wie etwa Singapore und Gibraltar. Von ihren Zinnen aus kann man guten Muts sogar etwas herausfordernd die Blicke schweifen lassen über das ungeheure, fruchtbare Land der Mandschurei, die drei östlichen Provinzen, Schönking, Kizin, Holungkiang. Ein Land, ungefähr doppelt so groß wie Japan selbst, von dreißig Millionen Menschen bewohnt, fähig, hundert Millionen zu ernähren.
Ein großes Ziel!
England freilich hat erklärt, dass es die drei östlichen Provinzen als einen untrennbaren Teil Chinas betrachte. Japan lächelt. Siehe zum Beispiel, um nur ein ganz kleines Beispiel zu nennen: Ägypten.
Japan weiß, dass es in der Mandschurei verhasst ist. Aber, um nur ein ganz kleines Beispiel zu nennen, sind vielleicht die Engländer in Ägypten beliebt?
In Strom ohne Brücke führt Otto Emersleben seine Leser mitten hinein in die dramatische Fahrt des Orellana über den Amazonas ein Abenteuer zwischen Hoffnung, Verzweiflung und den unbändigen Kräften der Natur. Die folgende Leseprobe zeigt einen jener Momente, in denen Menschen und Strom miteinander ringen: gefährliche Strudel, peitschende Gischt und Felsen, die drohen, das Schiff zu zerreißen. Es ist ein packender Ausschnitt aus einem Roman, der historische Expedition und literarische Spannung meisterhaft verbindet.
Zurück! Zurück!
Sanchez sah auf.
Orellana stürzte mit hochrotem Kopf nach mittschiffs. Dort quollen die Omagua durch die Luke an Deck.
Felipillo, dräng sie sofort zurück ins Ruderdeck!
Jetzt war alles aus ...
Sofort zurück! Wenn sie nicht rudern, sind wir verloren.
Felipillo stand unbeeindruckt.
Sie fürchten sich, sagte er. Fürchten das zornige Brüllen des Wassergottes Napo.
Noch einmal schrie Orellana Zurück!, aber die Indios blieben, drängten sich um die Stangen, die noch an Deck lagen, griffen danach.
Der Uferwald war lichter geworden jetzt. Zwischen den Stämmen schimmerten Felsbrocken, schoben sich bis ans Ufer heran.
Strudel erfassten das Schiff, drehten es wieder in seine alte Richtung. Da sah Sanchez, dass voraus auch im Wasser riesige Steine lagen.
Gischt spritzte auf. Schaum flog an Deck.
In der reißenden Strömung tanzte das Schiff, wild und Angst einflößend klang jetzt das Donnern des Flusses im Katarakt.
Wir müssen ...
Orellanas Worte gingen im tosenden Lärm unter.
O Santa Maria, Heilige Muttergottes!
Sanchez schaute sich um, suchte Hernando, aber er sah ihn nicht.
Da ließ plötzlich ein Krachen den Schiffsleib erzittern. Für diesen Augenblick schien sogar das Grollen des Wassers verstummt, sofort aber setzte es wieder ein. Es war jetzt nicht mehr irgendwo, sondern sie waren mittendrin. Sie und das Schiff, das aufstöhnte unter den Stößen der Felsen im Grund, das sich herumwerfen ließ von der gebündelten Kraft des Stromes.
Die Felsen im Wasser wuchsen und wuchsen, und es war nicht die Angst, die Sanchez schließlich aufschauen machte zu ihren Spitzen. Übergroß ragten sie auf neben dem Schiff.
Er sah, wie die Indios den Anprall der Plankenwände gegen die Riesensteine zu mildern suchten mit Balken und prallen Säcken. Holzsplitter flogen, wurden von gischtigen Brechern erfasst und über Bord gespült.
Zu hören war nichts als das Brüllen des Flusses.
O Santa Maria!
Heilige Muttergottes!
Sanchez griff die Stange fester, von der seine Kameraden längst abgeschüttelt waren, und tat es den Indios nach. Die Gesichter der Omagua waren verkrampft, und doch sprach aus ihnen kraftvolle Entschlossenheit.
Der nächste Anprall riss Sanchez zu Boden. Der Balken, den er zwischen Schiffswand und Felsen gehalten hatte, splitterte, aber er hörte es nicht in dem Krachen ringsum. Er spürte nur, wie es ihn wegdrückte und der Stumpf des Balkens ihn dann an der Schulter traf. Blut lief an seinem Arm herunter, tropfte herab auf das nasse Deck und war sofort weggespült von der nächsten Welle.
Sanchez sprang auf. Griff nach einem anderen Balken, den es schräg gegen das Ruderhaus geschleudert hatte. Er hielt ihn außenbords, mit stumpfer Verbissenheit umkrallten seine Arme das Holz.
Und wieder ein Anprall.
Heilige Muttergottes ...
Jetzt sah Sanchez, dass Andreas Durante zur Luke hastete.
Ein Leck? War das Schiff womöglich schon tödlich getroffen? War all ihre Mühe umsonst gewesen?
Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn wieder und wieder warf es das Schiff herum.
Sanchez hielt seinen Platz, wehrte die Felsen ab wie die tausend Köpfe einer Hydra. Und wieder und wieder ...
In Doktor Wanner. Ein Schauspiel entfaltet Friedrich Wolf ein packendes Kammerspiel aus der chirurgischen Abteilung eines süddeutschen Krankenhauses während des Zweiten Weltkriegs. Die folgende Leseprobe führt direkt in den ersten Akt, in dem persönliche Schicksale, medizinische Verantwortung und politischer Druck unaufhaltsam aufeinandertreffen. Zwischen wartenden Patienten, überlasteten Ärzten und den Spannungen der Zeit gewinnt das Drama seine dichte, beklemmende Atmosphäre.
ERSTER AKT
Warteraumecke und Chefarztzimmer der chirurgischen Abteilung eines städtischen Krankenhauses in Süddeutschland. Die Wände sind mit weißer Ölfarbe gestrichen. Blinkende Instrumentenschränke. Alles strahlt von Chirurgie, Asepsis, Wissenschaft. Die Warteraumecke nimmt etwa ein Drittel der Bühne ein; sie ist von dem Chefarztzimmer durch eine gepolsterte Tür getrennt. Dort sitzen um ein Tischchen, in Zeitschriften blätternd, MUTTER BIRKLE, eine korpulente Frau, ihr achtzehnjähriger Sohn FRANZ, der mit dem Kopf ständig nervös schüttelt, und der Klempnermeister EISENLOHR in einer alten Pionieruniform. Im Chefarztzimmer stehen vor einem großen weiß lackierten Schreibtisch in Laborantenkitteln OHM EUGEN und GASTON. Im Hintergrund an einem breiten Fenster, dessen untere Hälfte aus Milchglas ist, hängen an einem Draht mehrere Röntgenfilme; hinter der oberen durchsichtigen Hälfte des Fensters des Zimmers sieht man dichtfallende Schneeflocken.
GASTON (einen Röntgenfilm gegen das Licht haltend): Ob er dafür noch Zeit haben wird?
OHM EUGEN: Pause, mon vieux ich habe ihn gelehrt, Leute, die nichts tun, haben nie Zeit; Leute, die viel arbeiten, haben immer Zeit.
GASTON: Ich meine, weil er morgen zur Front muss.
OHM EUGEN: Muss? Sagen wir: jeder Mann sein eigner Fußball!
GASTON: Nun, nun, Ohm Eugen, der Herr Oberarzt hat sich doch freiwillig gemeldet, obschon er als Chef der Abteilung u. k. ist.
OHM EUGEN: Und dafür setzt man uns als Stellvertreter einen quasi Nichtchirurgen hin, einen SS-Sturmbannarzt; ich kenne die beiden Jungens wie meine Tasche, habe sie in Tübingen zum Physikum und Staatsexamen eingepaukt, war selbst da cand. med. und ewiger Student, Zeiten waren das, mon vieux, Zeiten
Vivat academia, vivant professores,
Pereat diabolus, qui est antiburschicus
Vivat etiam campus mensurae, der Fechtboden, der Tübinger Schlosswein, die Ausritte im Mai ins Neckartal wohin, wohin? Vanitas,-vanitatum. (summt vor sich hin)
Ich hab meine Sach auf Nichts gestellt, Juchhe!
Drum ists so wohl mir in der Welt, Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein, der stoße mit an,
Der stimme mit ein, bei dieser Neige Wein!
Tempi passati! Stecken wir uns eine Träne ins Knopfloch! Was habe ich alter Hund hier noch zu tun?
GASTON: Solange man noch singen kann, Ohm Eugen
OHM EUGEN: Andere Lieder sind das heute, mon pauvre garcon (mit Geste) und auch die Männer und Mädels damals, ja. da schaute ich weniger auf die Leichen des Präpariersaals und in die Lehrbücher der Professoren als in die Augen der Professorentöchterlein trocken ist die Welt geworden, poesielos. lieblos
GASTON: Weil Herr Oberarzt sich an die Front gemeldet hat trotz Madame?
OHM EUGEN: Madame. Madame der Mensch ist heute mit etwas anderem verheiratet, als mit dem Weibe, der Teufel weiß es. Und wo Madames Charme versagt, da endet auch Ohm Eugens Eingriff. Du wartest auf seine Unterschrift?
GASTON (mit Filmen): Einige Diagnosen sind noch zu signieren.
OHM EUGEN: Und meine Krankengeschichten. Er aber schüttelt das alles ab wie der Pudel das Wasser; doch so schnell gehst du Ohm Eugen nicht durch die Lappen, mein Junge! Carpe fugientem!
Während er durch die linke Tür und den Warteraum geht, wird er von den PATIENTEN angehalten
MUTTER BIRKLE: Herr Doktor, ein Wort!
OHM EUGEN: Bin nicht Herr Doktor, bin bloß Ohm Eugen, der ewige Student.
MUTTER BIRKLE: Wie kann ein so alter Herr noch Student sein? Einerlei. Aber mir ists nicht einerlei, wenn mein Franz steh auf, Franz, vor dem Herrn! wenn man den Franz, der bei der Bombardierung das Schütteln bekam und noch zwei Finger dabei verlor, jetzt an die Front schicken will! Was soll denn so ein krankes Kind da draußen, bei Schnee und Eis, wo man keinen Hund vor die Tür jagt? Falls Sie selbst Kinder haben, mein Herr
OHM EUGEN (abwehrend): Nein, nein, danke.
MUTTER BIRKLE: Aber eine Mutter werden Sie doch gehabt haben, mein Herr, und die Gefühle einer alten Mutter
OHM EUGEN: Mater, digna et venerabilis, favete linguis, sparen Sie Ihre Worte für den Herrn Oberarzt!
EISENLOHR (vor ihm): Es bedarf da nicht vieler Worte, mein Herr, ich bin der Spenglermeister Eisenlohr, Sie entsinnen sich, Herr Oberarzt hat meinen doppelseitigen, eingeklemmten Leistenbruch operiert, einen Bruch so groß wie ein Kindskopf, und jetzt soll ich mit einem Pionierbaubataillon nach dem Osten, mitten im Winter, 50 Jahre bin ich alt, war bisher in der Heimat im Einsatz nein, hören Sie mich an ich habe manches Blechdach repariert und manchen Badeofen, auch für den Herrn Krankenhausinspektor Feuchtenbeiner hier, verstehen Sie, ohne Rechnung zu schicken, natürlich; und was ist der Lohn dafür
OHM EUGEN: So schicken Sie ihm in Dreiteufelsnamen doch die Rechnung!
EISENLOHR (erschrocken): Vergessen Sie, was ich sagte, mein Herr, vergessen Sie es
LILLI, im Arztmantel Stethoskop und Perkussionshammer schauen aus der Manteltasche mit einigen Krankenblättern von links.
LILLI (zu Ohm Eugen): Ist Paul schon in seinem Kabinett?
OHM EUGEN: Suche ihn ja selbst.
MUTTER BIRKLE: Wir alle warten auf ihn; ich habe schon ganz geschwollene Füße von all dem Rennen und Warten wegen dem Franz.
FRANZ: Lass es doch, Mutter; ich geh zur Front und fertig! 'ne Handgranate kann ich immer noch weghauen.
MUTTER. BIRKLE (wütend): Und ich kann dir immer noch den Hintern verhauen, du Lauser, und eins aufs Maul geben, du Esel! (zu Lilli) Achten Sie nicht auf den Dummkopf, Fräulein!
OHM EUGEN: Hören Sie. Lilli, die Alte macht Ihnen Komplimente.
(zu Mutter Birkle) Mutter, dies Fräulein ist Frau Doktor.
MUTTER BIRKLE (scheu): Die Frau unseres Herrn Oberarztes?
LILLI (lächelnd): Ist das so schlimm?
OHM EUGEN: Mut, Mutter! Ihr könnt Frau Doktor alles an ihr ärztliches Herz legen; ich alter Hund habe da einen Stein in der Brust. Ut di bene vertant! (links ab)
LILLI: Ihr Sohn ist nervenleidend?
MUTTER BIRKLE: Und hat noch zwei Finger verloren; denken Sie doch, so ein Kind ohne Finger in Feindesland
EISENLOHR: Und ich mit meinen 50 Jahren auf dem Buckel, Frau Doktor, und meinem doppelseitigen, eingeklemmten Leistenbruch, so groß wie ein Kindskopf, und wo ich noch Spezialist bin für Badeöfen und Ventilation, stets gern zu Diensten, falls Frau Doktor einmal das Bedürfnis einer Reparatur haben sollten
LILLI: Vielen Dank, aber ich denke, Sie sollten mit Herrn Oberarzt persönlich sprechen!
Sie geht nach rechts ins Chefarztzimmer, während die DREI im Warteraum wie anfangs sich mit den Zeitschriften beschäftigen und MUTTER BIRKLE zu stricken beginnt
LILLI: Auch Sie warten auf ihn, Gaston?
GASTON: Auf Sie, Madame.
LILLI (leiser): Bitte künftig Frau Doktor!
GASTON: Bien! Aber dann bitte auch Mr. Bruyere!
LILLI: Daccord. Haben Sie den andern schon gesehen, seinen Nachfolger?
GASTON: Es soll ein SS-Arzt sein.
LILLI: Ein Sturmbannarzt, oder so was. Paul hat mich beruhigt, dass es sein alter Schulkamerad ist.
GASTON: Sie sind beruhigt?
LILLI (ablenkend): Sie wollen dem Herrn Oberarzt noch Röntgenfilme vorlegen?
GASTON: Zuerst Ihnen, Frau Doktor, da es Patienten Ihrer Station sind. Hier der Film von Pierre Lequerc mit der starken Abdunklung über der rechten Lungenspitze, offenbar eine Caverne.
LILLI (den Film gegen das Licht haltend): Sie irren, Gaston, pardon, Mr. Bruyere das ist nicht Lequercs Film!
GASTON: Es ist Lequercs Film; lesen Sie bitte Namen und Nummer!
LILLI: Name und Nummer waren mit Kreidestift vermerkt; man konnte sie wegwischen und eine neue Signatur schreiben.
GASTON: Man kann sogar in dem Krankenjournal den neuen Befund eintragen; man ist sogar verpflichtet
LILLI: Verpflichtet
GASTON (leiser): Menschenleben aus dem Krieg zu retten, diesen Krieg abzukürzen mit allen Mitteln, Menschen zu retten, Landsleute, Patrioten.
LILLI (ebenso): Mon dieu, Gaston, ich habe Sie schon einmal gebeten, ich kann da nicht weiter mit; ich verstehe Ihren Patriotismus, ich achte ihn, aber ich selbst bin unpolitisch, gänzlich unpolitisch, ich schwöre es Ihnen, ich bin eine Ärztin und die Frau eines Arztes, verstehen Sie, eines deutschen Arztes
GASTON: Wenn ich nicht irre, Madame, so wurden Sie in Lyon geboren, an der Rhone, in die heute das Blut der Arbeiter fließt, die sich weigern, nach Deutschland verschleppt zu werden
LILLI: Schweigen Sie, um Gottes willen!
GASTON (eindringlich): Sie kennen die sonnigen Hügel um Lyon an der silbergrünen Rhone, die zu den Wein- und Olivenhängen der Provence hinabfließt; Ihr Patient Lequerc träumt davon Tag und Nacht, sein altes Lungenleiden, das in Deutschland zunahm, hat die Macht seiner Träume nicht vermindert. Ob Sie das verstehen, Madame?
LILLI: Und wenn ich es verstehe ich gehe nicht weiter mit Ihnen, Gaston, ich kann nicht, ich will nicht immer wieder die Krankenbefunde und Diagnosen frisieren, damit Ihre Patrioten nach Frankreich zurückgelangen; ich liebe meinen Mann, ich kann nicht länger vor ihm dies doppelte Spiel spielen und ihn betrügen!
GASTON (beobachtend): So müssen Sie ihm die Wahrheit sagen.
LILLI: Sind Sie wahnsinnig!
GASTON: Weshalb?
LILLI: Er müsste es doch melden
GASTON: Und Sie und sich desavouieren.
LILLI: Ah, so rechnen Sie?
GASTON: Tue ich es für mich?
LILLI: Nein, Gaston; aber Überspannen Sie nicht den Bogen!
GASTON: Pardon, Madame, wenn ich zu viel verlangte.
LILLI: Ah, Gaston, geben Sie sich nicht den Anschein eines Bedauerns oder Mitgefühls! In der Mathematik Ihres patriotischen Denkens gibt es solche Dinge nicht. Ich lese dagegen in Ihren Augen die Frage: Wenn er seine Frau wirklich liebte, weshalb hat er sich dann freiwillig an die Front gemeldet? Habe ich recht vermutet, Gaston?
GASTON: Madame sind eine erstaunliche Gedankenleserin.
LILLI (ihn anschauend): Falls aber seine Meldung zur Front in keiner Weise meine Gefühle verletzte?
GASTON: Wie?
LILLI: Falls ich völlig einverstanden wäre mit seinem Fronteinsatz?
GAS ION: In Hitlers Armee Kriegsdienst zu leisten
LILLI: Als Chirurg den Verwundeten dort zu helfen, wo der rechte Platz ist für seine Tatkraft, sein Temperament, seine ärztlichen Fähigkeiten.
GASTON: Ärztlichen Fähigkeiten helfen exzellent, Madame. (leidenschaftlich) Und welchen Verwundeten? Und zu welchem Zwecke? Diese Hitlersoldaten wieder kampffähig zu machen, das heißt wollend oder nicht den Krieg um Monate oder Jahre verlängern, die Länder und auch unser Frankreich in Brandstätten verwandeln. Jede Frau dieser Erde müsste das heute begreifen und sich dagegen stemmen, dass nur ein einziger Hitlersoldat noch an die Front geht!
LILLI (nachdenklich): Vielleicht wenn man so mit ihm spräche?
GASTON: Warten Sie.
LILLI: Sie selbst erklärten, ich müsse ihm die Wahrheit sagen!
GASTON (sie fixierend): Es war eine Art Probe.
LILLI: Worauf?
GASTON: Dass Sie nichts sagten.
LILLI: Sie halten es für unmöglich, dass er uns versteht?
GASTON: Unmöglich! Er ist ein Deutscher, kein Parteimann der Nazis natürlich, da Sie Französin sind, aber ein deutscher Arzt. (dringlich) Wenn wir den Pierre Lequerc und Jean Carpentier noch retten könnten, gute Menschen, gute Franzosen, die hier zugrunde gehen, die man in Frankreich braucht; wenn Sie ihm wenigstens diese Röntgenbefunde noch zur Unterschrift vorlegen
LILLI (gequält): Ich kann nicht, Gaston
STIMMEN von rechts
GASTON (schnell): Madame, wir rechnen auf Sie!
LILLI: Ich werde ihn zu überzeugen versuchen
GASTON: Und uns verraten
LILLI: Still!
Sie nimmt einen der Röntgenfilme und betrachtet ihn gegen das Licht. In den Warteraum sind eilig eingetreten Dr. PAUL WANNER, ein athletisch gebauter Mann, Dr. KLEMM in der Uniform des SS-Sturmbannarztes mit darübergezogenem offenem Arztmantel und der Krankenhausinspektor FEUCHTENBEINER, eine Tonne von Mensch. MUTTER BIRKLE und EISENLOHR springen auf und drängen zu Dr. WANNER.
MUTTER BIRKLE: Endlich, Herr Oberarzt
EISENLOHR (dazwischen.): Herr Oberarzt entsinnen sich bestimmt noch meiner Operation, Klempnermeister Eisenlohr, doppelseitiger, eingeklemmter, kindskopfgroßer Leistenbruch ein klassischer Fall sagte Herr Oberarzt, allerhöchste Zeit, dass wir eingriffen!
Dr. WANNER: Und wie wir eingriffen, Eisenlohr, was? Weg ist der Kindskopf!
MUTTER BIRKLE (erregt): Alles ist weg! Weg sind dem Franz seine beiden Finger steh auf, Franz! ist diese dreizinkige verbogene Gabel noch eine Hand; was soll dieses Kind ohne Hand da draußen an der Front?
Dr. KLEMM: Aha, daher weht der Wind?
MUTTER BIRKLE: Ja, mein Herr, daher weht der Wind, und die Mutter Birkle hat man noch mehr Wind in ihrer Lunge, falls es darauf ankommt.
Dr. KLEMM: Hier herrscht ja ein heiteres Tönchen.
MUTTER BIRKLE: Wenn Sie das ein heiteres Tönchen nennen, mein Herr?
FEUCHTENBEINER (streng): Nehmen Sie sich zusammen, Frau Birkle, dieser Herr ist der kommissarische Stellvertreter des Herrn Oberarztes: so ist die Sache orientierbar!
Dr. KLEMM: Lassen Sie, Herr Inspektor; die Frau soll ruhig sagen, was sie auf dem Herzen hat.
MUTTER BIRKLE: Das ist ein Wort, Herr Stellvertreter! Sie haben ein Herz für eine Mutter; und darum sage ich: Soll dieses Häufchen Elend, dieses Kind mit seiner halben Hand und seinem Wackelkopf da draußen vielleicht die Russen besiegen?
Dr. KLEMM: Es soll und wird, gute Frau! Seien Sie unbesorgt! Der Fronteinsatz wirkt geradezu Wunder auf Nervenschwache, das wissen wir Ärzte! Wenn es zum Sturm geht, da wird der wackligste Kopf festsitzen wie Eisenguss!
FRANZ: Ich werde schon den andern den Mann abhalten, Herr Arzt; ich war beim Fußball Mittelstürmer!
Dr. KLEMM: Bravo, ein guter Junge!
MUTTER BIRKLE: Ein Kindskopf, ein Eselskopf, ein Idiot! (reißt ihn an sich) Franz, mein Kind, mein einziges Kind, ich habe doch niemanden als dich, ich lass dich nicht ganz kaputtmachen, ich lass dich nicht dahin!
Dr. KLEMM (verändert): Führen Sie nicht solche Reden hier, Frau! Ich verbitte mir das! (gegen Eisenlohr) Und auch Sie, was war noch mit Ihnen?
EISENLOHR: Ein vor kurzem operierter doppelseitiger Leistenbruch, so groß wie ein Kindskopf, Herr Stabsarzt.
Dr. KLEMM: Ausgezeichnet! Bewegung im Freien wird die Bauchmuskulatur außerordentlich kräftigen und ein Rezidiv verhüten.
EISENLOHR: Ohne Ihnen nahetreten zu wollen, Herr Stabsarzt, aber ich bin in einem Pionierbaubataillon, wo man schwer heben muss
Dr. KLEMM (scharf): Heben Sie schwer, Mann, heben Sie leicht, heben Sie wie Sie wollen; aber denken Sie ja nicht, dass wir euch einen Krieg zurechtbacken können, wie er euch gerade passt! Wir brauchen heute da vorn jeden Mann und jeden Finger, ob grad oder krumm, groß oder klein, stark oder schwach! Aber was wir nicht brauchen, das sind Heulmeier, Waschlappen und Drückeberger! Ich denke, wir haben uns verstanden!
MUTTER BIRKLE (verzweifelt): Was wird aber aus meinem Jungen, Herr Doktor?
Dr. KLEMM (giftig): Sie haben mich offenbar großartig verstanden, Frau! Herr Inspektor, ich wünsche solche Elemente künftig nicht mehr hier zu sehen! (während Feuchtenbeiner die drei nach links hinausdrängt) Das ist ja ein netter Empfang hier, Paul?
Dr. WANNER: Ich habe mit Absicht nicht eingegriffen, Hans, damit du gleich richtig im Bilde bist.
Dr. KLEMM: Heißen Dank; aber das Bild wird sich hier bald grundlegend ändern, garantiert!
Dr. WANNER: Ich denke, der Krieg dauert einfach zu lange.
Dr. KLEMM: Denkst du
Er geht mit ihm nach rechts ins Chefzimmer, wo LILLI über den Krankenblättern am Schreibtisch sitzt, und GASTON die Röntgenfilme ordnet
Dr. WANNER: Lilli, was gibt's?
LILLI: Einige Nachträge und Unterschriften.
Dr. WANNER: Verzeihung, ich vergaß! (Darstellend) Dr. Hans Klemm, Stabsarzt, mein kommissarischer Stellvertreter, alter Schulfreund, Studienkamerad und Rivale bei manchem Tübinger Bürgertöchterlein mais il ny a pas une motif, detre jalouse, ma chérie und das ist Lilli, meine Gattin und liebe Frau, Assistenzärztin der inneren Abteilung. Dixi!
Dr. KLEMM: Ungemein erfreut, Sie kennenzulernen, gnädige Frau! Paul hat mir bereits von Ihnen erzählt.
LILLI: Paul liebt es, zu übertreiben.
Dr. WANNER: Du wirst selbst feststellen, Hans, ob ich recht habe. Doch ich sehe strenge Zornesfalten auf der Stirn meiner Göttin: du musst verstehen, Hans, Lilli ist im Dienst eine mehr als gewissenhafte Kollegin, sie ist geradezu eine Arbeitsfanatikerin, alles, was sie macht, macht sie fanatisch; sie ist immer
LILLI (mit den Krankenblättern): Es sind 2 ulcus ventriculi und vielleicht noch eine Tbc zur Thorakoplastik auf deine Abteilung zu verlegen.
Dr. WANNER. Und was haben Sie, Gaston?
GASTON: Ich werde warten, bis Frau Doktor
Dr. WANNER: Neue Filme? Geben Sie schon her! (nimmt sie, liest) Pierre Lequerc, Jean Carpentier (hält den einen Film gegen das Licht) Das ist ja eine Bombencaverne Pierre Lequerc Ihre Landsleute, Gaston, scheinen das deutsche Klima schlecht zu vertragen.
Dr. KLEMM: Ihr habt französische Patienten?
Dr. WANNER: Einige Arbeiter aus Lyon.
Dr. KLEMM (auf Gaston): Und dieser?
Dr. WANNER: Gaston ist bei uns Laborant im Röntgenlabor, ein Kriegsgefangener, der schon in Frankreich im Hospital arbeitete; bei unserem Mangel an Spezialkräften, du verstehst.
Dr. KLEMM: Und was macht ihr mit den kranken Franzosen?
Dr. WANNER: Innere oder chirurgische Behandlung, je nachdem.
Dr. KLEMM: Ich glaube, Paul, wir sind da mal wieder verdammt sentimental.
Dr. WANNER: Schließlich sind die Leute hier bei der Arbeit erkrankt.
Dr. KLEMM: Und unsere deutschen Frauen und Jungens an den Werkbänken, die sehen heute auch nicht gerade rosig aus, nur, die beißen die Zähne aufeinander, die jammern nicht bei jedem Dreck; der Franzose aber ist ein Nervenbündel, verweichlicht
GASTON: Pardon, Herr Stabsarzt, der Arbeiter Pierre Lequerc leidet an Tuberkulose; er hat
Dr. KLEMM: Habe ich Sie um Ihre Meinung befragt? Wir sollen wohl bei diesem Mr. Lequerc noch eine Paraffinplombe oder eine Thorakoplastik machen? Und hier bei diesem Mr. Carpentier ein ulcus ventriculi, das kann man nach dem Krieg behandeln, falls es nicht spontan heilt.
LILLI: Wollen Sie es darauf ankommen lassen, Kollege?
Dr. KLEMM (betont): Draußen, Kollegin, fallen gesunde deutsche Männer zu Tausenden, Männer wie die Eichen. Da sollen wir bei unserer Knappheit an Betten und Material aus den französischen Lungen- und Magenkrüppeln so viel Wesens machen?
LILLI: Ich denke, Herr Kollege, wir sind hier in der Klinik vor allem Ärzte, und wenn dieser Franzose für uns arbeitet
Dr. WANNER: Selbstverständlich, Lilli, der Mann muss und wird behandelt werden. Du musst verstehen, Hans
Dr. KLEMM: Verstehe! (zu Gaston) Sie können gehen!
GASTON nach links ab. Kurzes Schweigen
Dr. KLEMM (mit Blick auf Lilli): Falls für die Kollegin irgendwelche Schwierigkeiten bestehen sollten
Dr. WANNER: Unsinn, Hans! Lilli arbeitet bereits drei Jahre mit mir zusammen.
Dr. KLEMM: Eigentlich eine ganz schöne Zeit, sich umzuschalten.
Dr. WANNER (lebhaft): Längst geschehen, Hans, längst geschehen, jede Diskussion überflüssig, nicht wahr, Hexe? Zudem ist Lilli viel zu einsichtig, nicht zu erkennen, in welcher Richtung sich das Rad der Geschichte dreht, und wo die Kraft der Entwicklung liegt.
Dr. KLEMM: Mir scheint, diese Kraft müsste vor allem eine Frau beeindrucken! Nicht bloß die Völker beugen sich endlich dem Naturrecht des Stärkeren, sondern gerade auch die Frauen. Liefern nicht die Geschichte und das Leben hierfür massenhafte Beweise?
LILLI (ihn anschauend): Massenhafte, Herr Kollege.
Dr. KLEMM: Auch Paul wird noch sein Wunder erleben, wenn er seine Kräfte, die hier brach lagen, in der vordersten Linie einsetzen kann.
LILLI: In der vordersten Linie?
Dr. WANNER (schnell): Du musst das nicht so wörtlich nehmen. Lilli; ich werde in einem Frontlazarett als Chirurg arbeiten.
Dr. KLEMM (plump): Bist du nicht Bataillonsarzt in einem Panzergrenadierregiment?
LILLI (erschrocken): Aber Paul sagte mir doch immer
Dr. KLEMM: Halten Sie es nicht für eine Ehre für den Mann, in vorderster Linie zu stehen?
LILLI (erregt): Halten Sie es für eine Schande, wenn eine Frau für das Leben ihres Mannes fürchtet?
Dr. KLEMM: Die deutsche Frau Verzeihung.
Dr. WANNER (dazwischen): Deutscher Mann deutsche Frau. Schluss damit, alter Uhu! Heute ist heut! Du kommst den Abend zu einem Abschiedstrunk zu uns, und du wirst sehen, was für ein wunderbarer fröhlicher und tapferer Kerl Lilli ist! Abgemacht!
FEUCHTENBEINER von links
FEUCHTENBEINER: Gestatten, wenn ich störe?
Dr. WANNER: Was gibts?
FEUCHTENBEINER: Bleibt es bei der Verlegung der drei Inneren auf die Chirurgische?
Dr. WANNER (zu Lilli): Die zwei Magenulcus und die Thorakoplastik?
FEUCHTENBEINER: Die beiden Franzosen und der junge Lämmle.
Dr. KLEMM: Ich verzichte auf die Franzosen.
Dr. WANNER: Moment, Hans! Heute, wenn es auch mein letzter Tag als Chef ist, werde ich selbst die Einteilung vornehmen und mir sogleich die Röntgenbefunde ansehen.
FEUCHTENBEINER: Es sind unsere letzten drei Reservebetten, Herr Oberarzt.
Dr. WANNER: Sie haben mich verstanden, Herr Inspektor! Sie können Herrn Stabsarzt inzwischen das Röntgenkabinett und die orthopädische Abteilung zeigen; ich denke, es interessiert dich, Hans?
Dr. KLEMM: Wie du meinst.
Dr. KLEMM und FEUCHTENBEINER links ab
Dr. WANNER (hat die Röntgenfilme genommen, ohne sie jedoch zu betrachten): Sei etwas klug, Lilli! Hans hat noch etwas den Ton des Sturmbannarztes; und heute ist Krieg! (nahe bei ihr) Das versteht doch meine kluge Hexe? Und zudem eine Hexe kann alles, ist so eine Art Zauberin, die auch mit den stärksten Männern fertig wird!
ULLI (schaut ihn an): Denkst du?
Dr. WANNER: Ich weiß, was meine Hexe will, das geschieht!
LILLI: Du traust mir wirklich viel zu, Paul.
Dr. WANNER: Wieso?
LILLI: Weshalb hast du dich nach vorn gemeldet, zu den Panzergrenadieren?
Dr. WANNER: Man hat mich dahin kommandiert.
LILLI: Weshalb hast du mir aber gesagt, du würdest nur in einem Feld- oder Etappenlazarett arbeiten?
Dr. WANNER: Weil ich dich nicht beunruhigen wollte, Hexe, (leise) weil ich dich liebe.
LILLI: Und doch hast du dich freiwillig von hier weggemeldet?
Dr. WANNER: Ich denke, dieses Thema haben wir hinter uns.
LILLI (nimmt, ihre Erregung verbergend, die Krankenblätter): Ja, dieses Thema haben wir hinter uns.
Dr. WANNER: Mein Gott, Lilli, du weißt doch, ich bin ein passionierter Chirurg. Viele grade der schwersten Schädelsachen und innere Verletzungen kommen gar nicht bis in die Heimat, sondern werden gleich vorn operiert oder gehen dort zugrunde, und hierher kommen nur die leichten Fälle, der Hühnermist; ich aber sitze hier zweitausend Kilometer hinter der Front wie ein verkalkter Mummelgreis
ULLI: Ich verstehe dich ja, Paul
Dr. WANNER: Ich weiß doch
LILLI (umarmt ihn, fassungslos): Solche Angst habe ich um dich, Paul, solche schreckliche Angst!
Dr. WANNER (zärtlich): Was soll mir denn schon passieren, meine gute, liebste, allerliebste Hexe? Ich sitze am Verbandsplatz in voller Deckung; ich werde die Nase schon nicht unnütz herausstecken, das verspreche ich dir. Und übrigens, wie wir gebaut sind! (er reckt sich, wölbt die Brust heraus) Mit ein paar Kugeln und Splittern nehme ich es schon noch auf, und in einem halben Jahr komme ich auf Urlaub.
LILLI: In einem halben Jahr?
Dr. WANNER: Siehst du!
LILLI: In einem halben Jahr das ist schrecklich lang.
Dr. WANNER (lachend): Ach, du meine kleine Hexe! So verliebt bist du noch immer? (drückt sie an sich)
LILLI (sich losreißend): Gar nicht verliebt bin ich!
Dr. WANNER (leise singend): L'amour lenfant de la Bohème et encore plus de la Provence! Unter deinen blonden Haaren, ma chérie, brennt die Sonne der Bouche du Rhone (nimmt wieder die Filme) Was hat meine Hexe für Wünsche heute am letzten Tag meiner hiesigen Macht? (hält die Filme gegen das Licht)
LILLI: Eine Viertelstunde ruhig mit dir zu sprechen.
Dr. WANNER: Heute Abend
LILLI (erregt): Sofort! Augenblicklich!
Dr. WANNER: Capricen, Lilli? Capricen sind keine Wünsche!
LILLI (plötzlich): Gut. (nimmt ihm die Röntgenfilme weg, schaut ihn an) Wünsche muss man unbesehen erfüllen!
Dr. WANNER: Ah, die beiden Franzosen sollen auf die chirurgische Station? Erraten?
LILLI: Erraten.
Dr. W ANNER: Wo sind die Krankenblätter?
LILLI: Hier, (legt sie wieder auf den Tisch)
Dr. WANNER (schreibt die Filme kontrollierend): Pierre Lequerc Walnussgroße Caverne, rechter Oberlappen Paraffinplombe vorgeschlagen oder Entlassung als dauernd arbeitsunfähig Jean Carpentier, Sanduhrmagen, ulcus ventriculi (unterschreibt) Zufrieden?
LILLI (nicht)
Dr. WANNER (lachend): Was die Hexe will, geschieht!
Dr. RITTER, ein kleiner buckliger Mensch, kommt durchs Wartezimmer
Dr. RITTER (eintretend): Verzeihung, Herr Oberarzt, es ist eine Unklarheit wegen der Verlegung auf unsere Station.
Dr. WANNER: Alles sonnenklar.
Dr. RITTER: Ihr Stellvertreter, der Herr Stabsarzt, hat angeordnet
Dr. WANNER: Kinder, wollt ihr mir denn unbedingt am letzten Tag mit jedem Lausedreck die Laune verderben! Kollege Ritter, Sie sind meinem Stellvertreter von vornherein nicht grün, weil Sie selbst mein Nachfolger werden wollten! Hand aufs Herz, stimmt's?
Dr. RITTER: Es wäre zweckmäßig gewesen, diese Frage vorher zu stellen, Herr Oberarzt.
Dr. WANNER: Sie wissen, ich entscheide darüber nicht allein.
Dr. RITTER: Richtig, doch es war Ihnen unbenommen, Herr Oberarzt, Vorschläge zu machen. Und ich frage mich da, nachdem ich fünf Jahre als erster Assistent hier wirkte, nachdem meine Kenntnisse gewiss nicht zurückstehen hinter denen anderer Kollegen
Dr. WANNER (ungeduldig): Unsinn, keine Minderwertigkeitskomplexe, bitte ich mir aus! Die Nasenspitze hoch, und machen Sie sich selbst nicht kleiner als Sie sind, mein Riese! Alles wird wunderbar, Sie Glücksritter!
Dr. RITTER: Ich finde, Sie sind heute in blendender Laune, Herr Oberarzt.
Dr. WANNER: Bin ich immer, im Allgemeinen, richtig, Lilli? Das heißt: Laune? Konstitution, Physis ist das! Mit der Physis fängt alles an! Wir Ärzte müssen unsern Kranken doch von der eigenen Kraft abzugeben haben, was wären wir sonst?
Dr. RITTER: Ich verstehe dann ist der Riese allerdings ein nicht sehr geeigneter Arzt und Abteilungsleiter.
Dr. WANNER: Nun aber Schluss, Kollege, Psychoanalyse ist nicht mein Fach, auch Ihre Stunde wird kommen! Nase hoch! Entschuldigen Sie die Eile! (hebt ihn spielend hoch und setzt ihn an der Tür links nieder) Ich erwarte Sie heute Abend bei mir zu einem Abschiedstrunk!
Dr. RITTER: Vielen Dank, Herr Oberarzt!
LILLI: Sie kommen doch, Kollege?
Dr. RITTER: Gewiss, ich möchte von der Kraft und Laune Ihres Gatten noch möglichst viel profitieren, (links ab)
LILLI: Weshalb hast du ihn so verletzt?
Dr. WANNER: Verletzt?
LILLI: Deiner Konstitution entsprechend hast du den Riesen wohl sogar recht zart behandelt?
Dr. WANNER: Aber, Hexe, verstehe doch wenn ich diesen kleinen ehrgeizigen und etwas aufdringlichen Gnom mein Riese nenne, so bekommt er damit erst einmal den verdienten Klatsch auf die Nase, und zugleich steife ich ihm doch etwas das Kreuz; denn er hört es trotz allem nicht ungern.
LILLI: Du bist wirklich ein großer Menschenkenner, Paul.
Dr. WANNER (streckt sich): Ah, endlich einmal heraus aus all dem Hühnermist, wo man jeden Zentimeter einem auf die Zehen tritt, in die freie Luft, in die Weite!
ERIKA, als Helferin im weißen Schwesternmantel, mit OHM EUGEN von links
ERIKA: Und wenn Sie auf den Händen spazieren gehen, Ohm Eugen, und mit den Füßen Parademarsch dazu trommeln, er hat hundertmal recht!
OHM EUGEN: Mein Kind, ich habe gar nicht die Absicht, auf den Händen zu gehen und mit den Füßen Parademarsch zu trommeln.
Dr. WANNER: Was ist denn in Dreiteufelsnamen wieder los?
ERIKA: Von morgen sollen keine Franzosen oder irgendwelche nichtdeutsche Kranke mehr hier aufgenommen werden!
Dr. WANNER: Gerede!
ERIKA: Nein, Paul, der redet nicht, der neue Chef; (begeistert) da ist jedes Wort ein Schuss, ein Kommando, das sitzt! Der sagt: So ist es und dann ist es so! Pfundig ist das! Der könnte mir sagen, ich solle vom Kirchturm springen, ich täte es!
OHM EUGEN: Weshalb willst du denn unbedingt vom Kirchturm springen?
ERIKA (heftig): Weil ich es satt habe, ewig hier unten zwischen alten Hähnen und Maulwürfen herumzukriechen, während droben die Flugzeuge donnern und draußen an der Front die Panzer krachen! Schluss mit dem fremden Pack hier in der Klinik, das ist doch wieder einmal ein erfrischendes Wort, ein frischer Wind!
Dr. WANNER (nach links): Ich glaube, man muss da ein bisschen nach dem Winde sehn.
ERIKA: Lass ihn, Paul, lass ihn, er ist wunderbar!
DIE BEIDEN schnell nach links ab
LILLI (will ihnen nach)
OHM EUGEN (sie haltend): Bleiben Sie, Lilli, Sie haben da nichts zu tun!
LILLI (erregt): Ich gehöre zu ihm, ich muss doch
OHM EUGEN: Still, Lilli, hören Sie auf Ohm Eugen! Es gibt Momente, da man eingreifen muss, und es gibt Momente, da man nicht eingreifen kann.
LILLI (zögernd): Wann aber ist dieser oder jener Moment, Ohm Eugen? Ich habe heute kein gutes Gefühl.
Das zweite Sonderangebot des heutigen Newsletters stammt von Carlos Rasch, einem der wichtigsten Autoren Wissenschaftlich-phantastischer Romane in der DDR, wie dieses literarische Genre damals hierzulande genannt wurde. Wer war dieser Carlos Rasch? Schon sein Geburtsort ist ungewöhnlich. Denn Carlos Rasch wurde am 6. April 1932 in Curitiba unweit von Sao Paulo und dem Kaffeehafen Santos im brasilianischen Hochland von Parana geboren.
Seine Eltern, aus Ostpreußen und der Magdeburger Börde stammend, kehrten 1938 mit dem sechsjährigen Jungen nach Deutschland zurück. Nach seiner Schulzeit in Ostpreußen lernte Rasch in Köthen Dreher, arbeitete aber schon ab 1951 in Berlin als Reporter und Redakteur bei der staatlichen DDR-Nachrichtenagentur ADN. Er lebte seit 1963 in Falkensee, einem Ort nahe Berlin, ehe er 2000 nach Brieselang bei Nauen zog. Er hatte drei Kinder und fünf Enkel.
Bereits seit 1960 war er schriftstellerisch tätig, ab 1965 freischaffend. In Deutschland und im angrenzenden Ausland veröffentlichte er mehrere utopische Bücher, darunter auch Kinderbuchtexte, die zusammengenommen in 50 Auflagen insgesamt 1,5 Millionen Exemplaren erreichten. Er hielt über 1 200 Lesungen in Schulen, Kindergärten, Jugendklubs und Buchhandlungen sowie in Gewerkschafts- und Stadtbibliotheken. Nach 1990 war Carlos Rasch für die Märkische Allgemeine Potsdam, einem Imprint der Frankfurter Allgemeinen, als fest eingestellter Redakteur tätig. Er verfasste über 3 000 Artikel, Porträts und Gerichtsberichte zu den Anpassungswehen Ostdeutschlands an die Bundesrepublik.
Raschs wichtigste Titel sind die Bücher Asteroidenjäger (1961) mit 148 000 Exemplaren, Der blaue Planet (1963) mit 260 000 Exemplare, Krakentang (1968) mit 110 000 Exemplaren und Magma am Himmel (1975) mit 100 000 Exemplaren. Hinzu kommen noch 1967 die beiden Kinderbücher Mobbi Weißbauch (1967) und Der verlorene Glühstein (1988).
Seine Asteroidenjäger waren auch Vorlage für die deutsch-polnische Koproduktion Signale - Ein Weltraumabenteuer von 1970 in der Regie von Regie Gottfried Kolditz mit Gojko Mitić (Terry), Alfred Müller (Konrad), Piotr Pawłowski (Veikko), Soheir Morshedy (Samira) und Jewgeni Scharikow (Pawel). Das Fernsehen der DDR übertrug dem Autor1973 mehrere Folgen der Serie Raumlotsen, die dann aber wegen des hohen Modellaufwandes nicht in Produktion ging. Rasch hat diese Szenarien in die Erzählungen Absturz beim Prüfungsflug, Raumstation auf Taumelkurs, Verwirrung im Orbit, Tödliche Heimkehr zur Erde, Aktion Meteorstop, Mondmetall umgewandelt. Wie es heißt, soll der Autor nach dem Scheitern des Fernsehprojekts in politische Ungnade gefallen sein, die bis in die 1980er Jahre anhielt.
Raumlotsen erschien schließlich 2009 bis 2011 als vierbändige Ausgabe zusammen mit 19 weiteren Geschichten beim Projekte-Verlag in Halle (Saale). Statt eines Nachwortes versah Carlos Rasch, der am 7. Januar 2021 in Brieselang gestorben ist, jeden Band mit einem Plädoyer für Utopia.
Bei EDITION digital liegen insgesamt 16 E-Books von Carlos Rasch vor. Vielleicht eine Anregung, wieder einmal reinzuschauen und reinzulesen?
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Ob es nächste Woche noch winterlich bleibt? Dann können die nächsten Sonderangebote vielleicht ebenso romantisch wie nachhaltig per Pferdeschlitten abtransportiert werden.
Zu diesen Sonderangeboten gehört auch eine spannende Biografie, die fast eine Autobiografie sein könnte. Die Rede ist von dem erstmals 1991 veröffentlichten Buch Ich, Friedrich II. Das Leben des großen Preußenkönigs nacherzählt von Hans Bentzien.
Friedrich II., auch Friedrich der Große oder der Alte Fritz genannt, war von 1740 bis zu seinem Tode im Jahre 1786 preußischer König, führte die drei Schlesischen Kriege und schaffte die Anerkennung Preußens als fünfte Großmacht neben Frankreich, Großbritannien, Österreich und Russland.
Hans Bentzien beschreibt in dem gut recherchierten Buch Charakter und Lebensweise des bedeutenden Monarchen, immer wieder durch Aussprüche von Zeitgenossen oder aus Originaldokumenten belegt.
Das Buch beginnt mit einer persönlichen Erinnerung des Autors:
Als die Vorbereitungen für die mit erheblichem Aufwand betriebenen 750-Jahr-Feiern 1987 in Berlin begannen, erhielt ich die überraschende Zustimmung zu meinem Vorschlag, einen Fernsehfilm vorzubereiten, der aus der Geschichte Brandenburg Preußens seine Handlung bezog. Man wollte den Vorwurf umgehen, Preußen zu ignorieren, was bis dahin weitgehend der Fall war. Außer in der Biografie Friedrichs II. von Ingrid Mittenzwei und einigen kleineren Arbeiten wurde Preußen bis dahin in der DDR hauptsächlich als Hort der Reaktion und des Militarismus dargestellt. Zur Zerstörung dieser allgemein verbreiteten Auffassung wollte ich einen Beitrag leisten, wozu ich schon einmal, in den sechziger Jahren, Gelegenheit hatte.
Was war geschehen?