Der Richtige
In dem Roman „Eine Chance für Biggers“ von Heinz-Jürgen Zierke lernt Martin das Leben kennen – und die Liebe
Die erste Begegnung zwischen einem Mann aus dem Werk und Martin verläuft nicht gerade besonders freundlich: „Martin sah sich um. Zwei Bänke zurück saß ein Mädchen mit kurzem dunklem Haar und einem rundlichen Gesicht. Es blies den Atem gegen die Augenbrauen und tupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn. Ihre Hand war ungewöhnlich groß, es sah aus, als flüstere sie hinter ihr mit geschlossenen Lippen. Martin drehte sich wieder um.
„In welcher Abteilung fängst du an?“ Er musste antworten, der Alte würde doch keine Ruhe geben. „Mal sehen!“ „Kannst dir wohl den Arbeitsplatz aussuchen? Hast gute Freunde, wie?“
„Ach was, ich habe mir da nur so einiges ausgedacht für die Technologie - ich gehe natürlich in die Technologie.“ „Soso, hast also studiert, bist ein unruhiger Kopf, wie? Unser Werk - na, das wirst du schon wissen, die nehmen nämlich nicht jeden bei uns.“
Martin, das ist Martin Biggers, der Neue, der sich freut auf das Werk, in dem er seine Pläne vom Umbau verwirklichen kann – wie er glaubt. Und dass er der Richtige ist …
Der Richtige, um die ganze Fabrik umzukrempeln. Die Fabrik, das ist das Spannbetonwerk. Irgendwo fast am Rande der Welt gelegen. In Pötterdiek. Martin kennt es genau, zumindest vom Papier her genau, „in der Praxis aber nicht besser, als man es nach einer zweistündigen Betriebsbesichtigung kennen kann, von der zudem vierzig Minuten einem Referat über die Bedeutung der Spannbetonmastenherstellung für die Beleuchtung sozialistischer Verkehrswege gehört haben.“
Natürlich merkt man diesem erstmals 1970 im VEB Hinstorff Verlag Rostock erschienenen Buch an, dass es vor nunmehr fast fünfzig Jahren geschrieben wurde, zu einer anderen Zeit, in einem anderen Land. So gibt es zum Beispiel eine Parteileitung und lange, verrauchte Sitzungen. Einer wird als Schichtleiter eingesetzt. Und doch hat die Lektüre dieses Buches ihren ganz besonderen Charme, lässt Erinnerungen wachwerden und spürt damaligen Hoffnungen und Entwürfen einer Zukunft nach , die darauf gesetzt hatte, dass man Altes verbessern kann und automatisieren. Ob das allerdings auch für die Liebe gilt, das muss sich zeigen …
Heinz-Jürgen Zierke wurde 1926 in Marienthal in Pommern geboren. Er war im Zweiten Weltkrieg Soldat, besuchte nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zunächst die Vorstudienanstalt Greifswald und begann danach ebenfalls in Greifswald ein allerdings abgebrochenes Germanistikstudium. Ab 1950 arbeitete er als Dramaturg an den Theatern Greifswald und Stralsund und war von 1962 bis 1966 Chefdramaturg des Staatlichen Folkloreensembles der DDR in Neustrelitz. Seit 1967 als freischaffender Schriftsteller tätig schrieb er vorwiegend historische Romane und Erzählungen. Heinz-Jürgen Zierke lebte seit 2013 in Prenzlau, wo er Ende 2015 starb.
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