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Der Narrenspiegel. Aber auch Das Buch der sieben Künste von Gerhard Branstner
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
05.09.2022
ISBN:
978-3-96521-750-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 238 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Kurzgeschichten
Belletristik: Humor, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Humor, Heiterkeit, lachen, Kurzgeschichten, Aphorismen, lieben, leiden, lästern, loben, lernen, leben
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Gerechter Lohn für schöne Worte*

Ein Dichter hatte auf einen Würdenträger ein überschwängliches Loblied gemacht. Darauf sagte der Würdenträger zu dem Dichter: „Komm morgen zu mir, und ich will dir ein reiches Geschenk machen.“

Am nächsten Tage kam der Dichter schon bei Morgengrauen und wollte das Geschenk abholen. Der Würdenträger aber sagte: „Du hast ein Gedicht geschrieben, das nicht der Wahrheit entspricht, und ich habe ein Versprechen gegeben, das nicht der Wahrheit entspricht. Somit haben wir uns gegenseitig mit schönen Worten erfreut und sind quitt. Was willst du jetzt noch?“

Also: Nicht immer und an allen Orten

gewinnt die Kunst mit schönen Worten

Vom Nutzen der Gleichnisse*

„Weshalb sprichst du immer in Gleichnissen?“, fragte ein Mann seinen Freund. „Die Leute halten dich deshalb für hochmütig und machen sich über dich lustig. Es ist mir allmählich peinlich, dein Freund zu sein.“

„Du gleichst einem Papagei“, erwiderte der Freund und ging seiner Wege.

Der andere lief ihm wütend hinterher. „Wie kannst du mich so beleidigen!“, rief er und bedrohte den Freund mit Schlägen.

„Weshalb bist du so wütend?“, fragte dieser. „Hast du denn überhaupt verstanden, was ich mit dem Gleichnis sagen wollte?“

„Aber das versteht doch jedes Kind“, erwiderte der Gefragte ärgerlich. „Du wolltest damit sagen, dass ich gedankenlos nachplappere, was andere reden; dass ich keine eigene Meinung habe; dass ich leere Worte von mir gebe, ohne zu wissen, was sie bedeuten; dass ich …“

„Siehst du“, unterbrach ihn sein Freund, „wie viele Worte du brauchst, um das zu sagen, was ich mit einem Wort gesagt habe? Eben deshalb spreche ich in Gleichnissen, und jeder kann sie verstehen. Sie sind das Bekannte, durch das wir uns das Unbekannte verständlich machen, indem wir dieses mit jenem vergleichen.“

„Du hast recht“, gestand der andere, „und ich bin stolz darauf, dein Freund zu sein.“

Also: Im Gleichnis liegt verkürzt,

was eine Rede würzt

Belohnung eines schwierigen Talentes*

Ein Derwisch behauptete, mit der Spitze einer Nadel über drei Schritte Entfernung hinweg in das Öhr einer anderen Nadel treffen zu können.

Der König ließ den Mann rufen und forderte ihn auf, seine Kunst vor dem versammelten Hofe zu beweisen. Der Derwisch gehorchte dem Befehl, legte eine Nadel auf den Boden, trat drei Schritte zurück und warf eine andere Nadel mit der Spitze in das Öhr der am Boden liegenden.

Die Hofleute bekundeten ihr Erstaunen, der König aber befahl den Schatzmeister und einen Prügelknecht zu sich und sagte: „Gebt ihm dreißig Silberstücke und dreißig Stockschläge!“

Die Hofleute bekundeten abermals ihr Erstaunen und wussten nicht, wie dieser Widerspruch zu verstehen sei. Da erklärte der König: „Ein Talent soll man belohnen, seine nutzlose Verwendung aber bestrafen.“

Also: ist ein Talent nicht einfach,

so nimm es eben zweifach.

Das alte Lied*

Ein neu eingesetzter Beamter gab für die Würdenträger seines Amtsbereiches ein Fest. Zur Unterhaltung der Gäste trat auch ein Sänger auf, der sich wie folgt vernehmen ließ: „Fort mit dem Alten, herein mit dem Neuen; fort mit dem Unglücksstern, herein mit dem Glücksstern!“

Der Beamte fühlte sich über die Maßen geschmeichelt. „Das ist ein schönes Lied“, meinte er, „es hat mir sehr gefallen.“ „Das war auch die Meinung Eures Vorgängers“, sagte der Sänger stolz.

„Wie!“, rief der Beamte, „singst du dieses Lied jedes Mal bei Ankunft eines neuen Beamten?“

„Es ist das einzige Lied, das ich kenne“, sagte der Sänger.

Also: Das Lob im Allgemeinen

passt immer, will es scheinen

Ein Hühnerdieb rettet einen Brunnenbauer*

Am Rande einer Landstraße, die das Dorf mit der Stadt verband, wurde auf halber Strecke ein Brunnen gebaut. Die Leute freuten sich darüber und lobten den Brunnenbauer, denn bisher konnte man auf diesem Wege keinen Tropfen Wasser bekommen, um seinen Durst zu löschen. Nur wenige Tage danach fiel des Nachts ein Mann in den Brunnen und ertrank. Da schimpften die Leute auf den, der an dieser Stelle einen Brunnen angelegt hatte und forderten seine Bestrafung.

Als sich aber herausstellte, dass der in den Brunnen gefallene Mann ein seit langem vergeblich gesuchter Hühnerdieb war, da lachten die Leute und brachten dem Brunnenbauer einen Korb Eier.

Also: Verschmähe Lob und Tadel nicht,

doch wisse stets: sie ändern sich.

Das unbedachte Lob*

„Meine Schilde sind so fest, dass nichts sie durchbohren kann“, rief ein Händler, der Schilde und Speere auf dem Markt feilbot, „und meine Speere sind so spitz, dass sie alles durchstechen können!“

Da fragt ihn jemand: „Und was geschieht, wenn einer deiner Speere auf einen deiner Schilde trifft?“

Also: Du magst es drehn und wenden –

das höchste Lob kann man nur einem spenden.

Der Mond über der großen Stadt*

Nachdem ein junger Bursche das erste Mal in der Hauptstadt des Landes gewesen war, erzählte er den Leuten seines Heimatdorfes die wunderbarsten Dinge.

„In der Hauptstadt“, sagte er, „sind die Häuser viel schöner und die Straßen viel breiter und die Schulen viel höher und die Schüler viel klüger. Und die Frauen haben mehr Gefühl und die Männer mehr Verstand; und schon die kleinen Kinder sind dort gescheiter als bei uns ein Erwachsener.“

So ging das den ganzen Tag, und allmählich wurde dieses Gerede den Leuten im Dorf lästig. Aber der Bursche wusste immer neue Herrlichkeiten zu berichten.

„In der Hauptstadt ist der Mond viel größer als bei uns“, sagte er eines Tages.

Da wurde es seinem Vater zu viel, und er gab dem Schwätzer eine gewaltige Ohrfeige.

„Und die Ohrfeigen“, sagte der unbeirrt, „sind in der Hauptstadt viel kräftiger als bei uns.“

Also: Das Großmaul

ist selten faul

 

Die größten Zeiten sind mit den kleinlichsten Ärgernissen verbunden. Das kommt daher, dass die große Ordnung der kleinen vorangeht.

 

Geschichte ist das, was sich die Menschen nicht aussuchen können, sowenig sich die Geschichte die Menschen aussuchen kann, von denen sie gemacht wird. Daher kann man die Zukunft nicht nach der gegebenen Beschaffenheit derer beurteilen, die sie vollbringen werden. Die Geschichte hebt ihre Vollbringer auf das Niveau ihrer Taten. Darin besteht ihre Dankbarkeit.

 

Rote werden diejenigen genannt, die sich an den Faden der Geschichte halten.

 

Zum ersten Mal seit ihrer Existenz ist die Menschheit in der wunderbaren Lage, ihre Gegenwart angesichts eines deutlichen Bildes von der Zukunft aufzubauen. Daher erhält aber unser heutiges Werk die Weihe des Zukünftigen, des über unsere Zeit Hinausweisenden; oder umgekehrt; wir holen die Zukunft bereits in unser jetziges Leben herein, und wir können in einem völlig neuen Sinne ausrufen: Bereichert euch! Denn die Zukunft ist unendlich reich, und sie wird nicht ärmer, wenn wir ihr etwas vorwegnehmen.

 

Die Exkremente einer neuen Gesellschaftsordnung sind die Merkmale der alten.

 

Leider gibt es keine Scheuerfrauen der Geschichte, auch keine Müllabfuhr. Der ganze Dreck muss verarbeitet werden.

 

In Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs wird unvermeidlich die Dummheit aufgerührt und bloßgestellt, weil dem schöpferischen Denken entgegengestellt. Daraus entspringt immer wieder die Auffassung, dass es noch nie so viel Dummheit gegeben habe wie gerade heute, obwohl diese optische Täuschung einen Zuwachs an aufrührender Klugheit zur Voraussetzung hat.

 

Das höchste Vergnügen ist das Vergnügen, Zeitgenosse zu sein. Es setzt allerdings voraus, dass uns diese Zeit im Sinne des Wortes gegenwärtig ist.

 

Manche fragen, ob es nicht eintönig sei, nur eine Weltanschauung, nämlich die marxistische, zu besitzen. Bezeichnenderweise wird diese Frage nur von denen gestellt, die sie nicht besitzen.

 

Die marxistische Philosophie ist die erste Wissenschaft, die das volle Bewusstsein ihrer selbst besitzt. Das ist aber identisch mit der Selbsterkenntnis des Menschen, denn die Souveränität der Philosophie ist die geistige Souveränität des Menschen.

Die logische Konsequenz

Nepomuk hörte sich einen Vortrag an. Als der Redner am Ende Beifall klatschte, verbeugte sich Nepomuk höflich.

Das Glück des Tüchtigen

Nepomuk war bei einem Verkehrsunfall zu Schaden gekommen. Als man ihm sagte, dass er von Glück reden könne, noch mit dem Leben davongekommen zu sein, wehrte er bescheiden ob.

Naive und sentimentalische Dichtung

„Ein Genie zu sein“, äußerte Nepomuk einmal, „ist keine Kunst. Wir übrigen dagegen, die wir so tun, als ob wir welche wären, müssen wirklichen Verstand aufbringen.“

 

In Deutschland (und nicht nur in Deutschland) werden Feiertage etc. gewöhnlich am Vorabend begangen, während der Feiertag selbst öde und leer ausgeht. Dieses Bestreben, es schon hinter sich gebracht und nichts mehr vor sich zu haben, ist ein Zeichen mangelnder Lebensart.

 

Die bloße Heiterkeit wird oft der Oberflächlichkeit geziehn.

Der ernsten Oberflächlichkeit jedoch ist sie weit vorzuziehn.

Der arme Mann

Ihm starb das Weib und auch die Kuh,

da war er übel dran.

Die Nachbarn boten als Ersatz

ihm ihre Töchter an.

Er fand vor Weibern keine Ruh,

man wollt’ ihm zehne schenken.

Doch keiner schenkt’ ihm eine Kuh –

das gab ihm viel zu denken.

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