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Im Land der Bogenschützen. Reisebilder aus der Mongolischen Volksrepublik von Kurt David
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
03.05.2023
ISBN:
978-3-96521-908-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 261 Seiten
Kategorien:
Reisen/Veuropa, Reisen/Osten
Klassische Reiseberichte, Reiseliteratur, 1960 bis 1969 n. Chr., Mongolei
Mongolei, Sozialismus, Rundreise, Falkenjagd, Buttertee, Hammelfleich, Sanatorium, Krankenhaus, Schule, Pferderennen, Pferdezucht, Bogenschießen, Ringkampf, Wüste Gobi, Kamele, Altai-Gebirge, Ulan Bator
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Auf der Suche nach neuen Weideplätzen trafen eines Tages die auf immerwährende Wanderschaft angewiesenen Nomaden ein, bauten ihre Filzjurten auf den Sand und in die Hitze. Sturm und karges Leben schreckten sie nicht. Sie hatten sich ihre Heimat nicht aussuchen können.

Und wie anderenorts in der Welt spielten Kinder im Sand. Dazu war kein hölzernes Viereck nötig, und der Sand musste nicht von irgendwo hergeschleppt werden. Wo sie standen, standen sie auf Sand, wo sie saßen, saßen sie auf Sand, wo sie lagen, lagen sie auf Sand und wo sie starben, begrub man sie unter Sand. Der feine mehlige Staub entzündete Augen, verdarb Essen, hielt Tag und Nacht die Treue. So arm Erwachsene und Kinder waren, eins besaßen sie immer: Sand! Er schlich sich in Träume und Lieder.

Manchmal leuchteten plötzlich fettige schwarze Flecke auf. Gerade waren sie noch weiß gewesen, weiß wie das weite Sandmeer der Umgebung. Und bauten Kinder in diesem Sand, in dem fetten schwarzen Sand, Burgen und Berge, weil sie von dem einen wie anderen träumten und diese Dinge nur im Sand Wirklichkeit werden konnten, so geschah es, dass die Sonne diese Kinderbauten und Träume einstürzen ließ. Der Sand zerschmolz.

Die Geburtsstunde mongolischen Erdöls!

Das ist kein Märchen aus der Wüste Gobi.

Der Mann, der mir diese Geschichte erzählt, sitzt in einem beigefarbenen Leinenanzug vor mir. Er hat in diesem Sand gespielt und gelitten. Als Kind wusste er nicht, was die schwarzen Flecke bedeuteten. Heut ist er der Direktor des Erdölkombinats von Dsun-Bajan. Werk und Stadt entstanden in den vergangenen Jahren, liegen fünfzig Kilometer südlich Sajn-Schandas.

Es fällt mir schwer, das Wort „Helden“ niederzuschreiben, weil es in unserer Vergangenheit missbraucht wurde. Ganze Horden politischer Falschmünzer haben es besudelt und benutzen es heute noch als Aushängeschild ihrer schlechten Taten. Der sozialistischen Gesellschaftsordnung blieb es vorbehalten, diesem Wort neuen Glanz zu verleihen. Helden der Arbeit! – Dsun-Bajan ist ein Beispiel dafür.

In Europa würde dieses Städtchen kein Aufsehen erregen. Hier mutet es wie ein Märchen an. Herrliche, meist einstöckige Häuser stehen auf diesem Sand. Ein Griff an den Hahn, und du hast fließendes Wasser. Du hast auch ein gekacheltes Bad, du kannst dich duschen, und im Bad ist auch das, wovon du nicht gern sprichst, aber was du hier in anderen Dörfern in Form von Bretterbuden vorfindest, die von dir immer einen langen Anmarschweg verlangen. Du kannst ins Kino oder Theater gehen. Ein großes, modern eingerichtetes Krankenhaus, ein Sportplatz und Kindergärten sind vorhanden. In Läden wird dir alles angeboten, was du zu einem angenehmen Leben benötigst. Du wirst die Kinder sehen, die im Sand zur Schule waten, aber nicht barfüßig; der Sand ist viel zu heiß. Und weil es überhaupt so heiß ist, möchtest du gern ein Schwimmbad. Bitte! Auch das gibt es in der wasserarmen Gobi. In Dsun-Bajan bauten sich Erdölarbeiter ein schönes großes Bassin. Sowjetische Freunde halfen ihnen dabei; es ist eins der ersten Bäder in der Mongolei. Es fehlt weder an Sprungbrettern noch an einem Sprungturm. Hunderte kleine Düsen, die um das Becken geordnet sind, sprühen wie Springbrunnen frisches Wasser in das Bassin. Und ein Bademeister ist da, dessen Hose fast bis über die Knie reicht, der darüber wacht, dass keiner ungeduscht in das Bad steigt. Er trägt einen großen breitkrempigen Strohhut, den er auch manchmal im Wasser nicht absetzt, wenn er seine Runde schwimmt. Wie eine treibende Sonnenblume sieht er dann im Schwimmbecken aus.

In den Mittagsstunden steht die Luft still. Du wagst kaum zu atmen. Der Sand wirft die Hitze zurück. Fünfundvierzig Grad im Schatten, wobei du dir aber viel Mühe machen musst, willst du mittags einen Schatten finden. Die Straßen sind menschenleer, die Fenster geschlossen und mit blauen Tüchern verhängt. Die Stadt sieht aus, als seien alle Bewohner geflüchtet. Auch das Schwimmbad ist geschlossen. Mensch und Tier haben sich verkrochen. Die Sonne quält unbarmherzig. Mittags wird nur geflüstert, gehaucht, gestöhnt, geseufzt. Die Menschen wirken müde und zerschlagen. Und dann bist du auch mit der Hitze allein, hast Zeit, darüber nachzudenken, unter welchen Qualen Stadt und Werk geschaffen wurden.

Am späten Nachmittag kommen deine Gastgeber und stehen wie auferstanden vor dir. Der Tag, der am frühen Morgen begonnen, am Mittag abgebrochen wurde, wird nun fortgesetzt.

Das ist auch der Arbeitsrhythmus in den heißen Tagen im Erdölkombinat. Der Direktor führt uns zu dem vor der Stadt gelegenen Werk, in dem von fünftausend Einwohnern eintausend arbeiten. Große weiße Tanks, die auf hohen Stahlbeinen stehen, leuchten in der Sonne. Hinter dem Werk ragt ein Wald von Bohrtürmen in den wolkenlosen Himmel. Aus einer Tiefe von achthundert bis zwölfhundert Metern wird das Ol hochgepumpt. In unterirdischen Leitungen strömt es in das Werk. Einer der Gräben ist aufgebrochen: Reparatur. Das Hauptleitungsrohr umgeben viele kleinere Rohre.

„Die Heizung für den Winter“, erklärt mir der Direktor. „Heut fünfundvierzig Grad plus – im Winter fünfundvierzig Grad minus!“ Er lacht, als lache er die Tücken der Natur aus. Schwarze, ölverschmierte Hände legen den kleineren Rohren einen neuen weißen Verband an, die Isolierung. Ein gutes, sonnverbranntes Jungengesicht sieht mich an.

Ich frage, wie alt er ist.

„Siebzehn!“

Und wie viel er verdient.

„Vierhundertfünfzig Tughrik.“

Was er mit dem Geld macht.

„Mein Vater schafft es auf die Sparkasse!“

Worauf er spart.

„Auf eine JAWA!“ Mir war schon aufgefallen, dass dieses rotfarbige tschechoslowakische Motorrad auch hier in der Gobi eine Heimat gefunden hat.

Vierhundertfünfzig Tughrik sind viel Geld. Dafür kann man sich ein Radio „Staßfurt“ kaufen. Neunhundert kostet ein Moped aus unserem Suhl; drei ein paar Socken; fünfundsiebzig ein Gewehr; neunzig ein Paar Stiefel. Für einen Trockenrasierapparat, Schweizer Fabrikat, zahlt man fünfundachtzig Tughrik.

Im Schaltraum des Elektrizitätswerks bedient eine Frau Hebel und Knöpfchen, überwacht Diagrammschreiber und Messuhren, sitzt an einem Pult und notiert Zahlen. Von ihrer Arbeit ist nichts Außergewöhnliches zu berichten. Der Schaltraum sieht aus wie alle Schalträume. Doch die Frau lässt uns nicht gehen, ohne uns vor die Tür geführt zu haben.

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