Richard, ich muss mit dir was bereden, sagte Herr Haußmann.
Papa blickte mich entgeistert an und meinte zu meinem Lehrer: Hat er was ausgefressen bei dir?
Ach was, es geht mir um den Deutschunterricht. Du weißt ja selber, Richard, unsere Dorfkinder sprechen schlecht, und wer schlecht spricht, schreibt falsch. Auf das schlechte Sprechen ging Papa vorsichtshalber nicht erst ein. Wie viel Fehler macht er denn da so, mein Lieber?
Herr Haußmann fragte mich nach dem letzten Diktat.
Acht.
Das ist der Gipfel, schimpfte Papa, acht Fehler. Er packte mich mit seinen Augen, dass wir eine ganze Zeit nicht voneinander loskamen.
Ich hab Kinder in der Klasse, Richard, sagte Herr Haußmann, die machen in dreißig Wörtern fünfundvierzig Fehler.
Das interessierte Papa überhaupt nicht, Papa interessierten lediglich meine acht Fehler. Und wenn die andern bloß Fünfen schreiben, für mich gilt nur eins: keine Fehler machen.
Acht! Das wird anders werden, Heinz, ganz anders, verlass dich drauf, drohte Papa.
Deshalb komme ich zu dir, Richard.
Schönen Dank, Werner.
Du sollst mir nämlich dabei helfen, Richard.
Darauf kannste dich verlassen, Werner! Und zu mir gewandt, befahl er: Zunächst fällt ab sofort Kino und Fußball weg, klar? Ich nickte vor Schreck.
Papa tat nun so, als wäre das Thema beendet. Er schien zu denken: Haußmann hat mir das von den acht Fehlern gesagt, ich habe meine Sofortmaßnahmen getroffen und eine empfindliche Strafe verhängt.
Doch hier irrte Papa; denn mein Lehrer blieb sitzen. Obwohl Herr Haußmann unsere Klasse erst vor kurzem übernommen hatte, wusste ich, dass er sich mit so einem Ergebnis nicht zufriedengab.
Und da komme ich zu meinem eigentlichen Anliegen, Richard, sagte er.
Ja, auf Herrn Haußmann ist Verlass. Genauso ist er in der Schule. Wenn wir ihn etwas fragen, und er weiß es mal nicht, sagt er ungeniert: Da seh ich zu Hause nach. Und dann sieht er nach und sagt es uns. Schließlich kann ein Lehrer nicht alles wissen; und die so tun und auf alles eine Antwort haben, mögen wir nicht, weil sie uns nicht ernst nehmen und manchmal beschummeln. Herr Haußmann nimmt uns ernst. Er hat auch schon mit unter der Prominentenpalme gestanden. Und nun also hatte er ein Anliegen.
Heinz! Papa winkte mich mit einer energischen Kopfbewegung aus der Stube. Sicherlich vermutete er, dass ihm Herr Haußmann noch einige Geheimtipps geben werde, die ihn befähigten, mir gutes Deutsch beizubringen. Ich verließ die Stube, öffnete die Korridortür, schloss sie wieder, ohne hinausgegangen zu sein, und schlich in die Küche.
Wir haben nämlich einen Guckofen, der in der Wand zwischen Stube und Küche steht. Und der Guckofen hat eine Röhre. Stellt man in der Küche einen Topf in die Röhre, kann man ihn in der Wohnstube herausnehmen. Hätten wir keinen Guckofen, könnte ich das folgende Gespräch nicht in mein Tagebuch eintragen, und damit wäre die Geschichte unvollkommen.
Von nun an übertrug mir die Ofenröhre die weitere Unterhaltung.
Richard, Kino und Fußball allein machens nun auch wieder nicht.
Du meinst, ich müsste mir noch eine strengere Bestrafung einfallen lassen?
Natürlich, dachte ich, Papa ist immer für Steigerungen. Am liebsten hätte ich durch die Röhre gerufen: Wie wärs mit Daumenschrauben und Kompottentzug? Dafür blieb Herr Haußmann vernünftig und sagte: Ich will einen Deutschzirkel einrichten, mein Lieber, und zwar eine Stunde in der Woche. Wärst du einverstanden?
Und ob, frohlockte Papa, meinetwegen drei Stunden, Werner, oder vier!
Herr Haußmann lachte. Hast du denn so viel Zeit, Richard?
Beinahe hätte ich jetzt laut gelacht.
Wieso das?, fragte Papa misstrauisch.
Ich meine natürlich einen Deutschzirkel für die Eltern. Mir gehts um die Eltern. Sie will ich in die Lage versetzen, ihren Kindern helfen zu können.
So.
Und nun schwieg meine Röhre eine Zeit lang. Papa schien die Sache überhaupt keinen Spaß mehr zu machen. Er musste sich erst umstellen. Bisher hatte er sich kühn mit Herrn Haußmann auf einer Linie gehalten, aber nun, das wusste ich, schaltete er um auf Verteidigung.
Also, da soll ich Deutsch lernen! Ideen hast du! Nächste Woche kommt vielleicht einer und verlangt, dass ich Russisch herumquatsche, was?
Bleib doch mal sachlich, Richard.
Deutsch, schimpfte Papa. Bisher bin ich mit meinen Deutsch ganz gut ausgekommen.
Mit meinem Deutsch, heißt das, Richard.
Ach, nein so was, nun fängt der Herr Lehrer wohl schon mit der ersten Nachhilfestunde an?
Wenn Herr Haußmann so weitermacht, dachte ich, schafft er ihn. Dass Papa so weitermacht, dessen war ich sicher. Denn bisher habe ich in meinem Tagebuch die Sprache meines Vaters immer ins Deutsche übersetzt. Dazu war ich natürlich in dieser Eintragung nicht bereit.
Überleg dirs mal in Ruhe, bat Herr Haußmann. Von acht Leuten hab ich die Zusage.
Und die wollen alle von dir Deutsch gelernt bekommen?