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Rosamunde, aber nicht von Schubert. Erzählungen von Kurt David
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
03.07.2023
ISBN:
978-3-96521-940-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 149 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Action und Abenteuer/Allgemein, Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Geschichte/Militär und Kriege, Kinder-und Jugendbuch/Gesetz und Verbrechen, Kinder-und Jugendbuch/Kurzgeschichten
Historischer Roman, Familienleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
2. Weltkrieg, Musik, Kriegsgefangenschaft, Nachkriegszeit, Kripo, Flucht, Polizei, Jude, Alter, Chopin, Friedhof, Paris, Schriftsteller, Mozart, Karlsbad, Mongolei, Schlachtschiff Tirpitz
12 - 99 Jahre
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Einen Tag vor seinem siebzigsten Geburtstag kam mein Großvater zu uns und sagte: „Ich gehe mir jetzt ein Haus kaufen.“ Meine Eltern waren von diesem späten Vorhaben derart überrascht, dass Vater, der gesessen hatte, aufstand und Mutter, die am Tisch gestanden hatte, sich setzte. Sie war eben dabeigewesen, den Präsentkorb mit Eiern, Butter, Wurst und einem Päckchen Tabak zu füllen. An den Bügel des Korbes hatte sie eine Weintraube gebunden, und den Draht mit der aus Pappe gestanzten goldenen Siebzig hielt sie noch in der Hand.

„Das heißt, wenn ich’s krieg.“ Der Großvater ließ sich rechts der Tür auf einen Stuhl nieder, aber nur so flüchtig, auf der vorderen Kante des Stuhles. „Es gibt nämlich eine ganze Reihe Leute, die sich dafür interessieren.“ Während er sich mit der einen Hand über die feuchtglitzernde Glatze wischte, zog er mit der anderen die Taschenuhr aus der Hose, streckte den Arm aus und blickte mit zusammengekniffenen Augen aufs Zifferblatt. „Halb acht! Die Versteigerung beginnt um neun.“

„Ein Haus?“, fragte Vater.

„Ein Häuschen“, erwiderte Großvater lächelnd. „Nur ein Häuschen. Und ein Garten drum rum ist auch, und ein Bach läuft vorbei, und im Garten stehen Bäume mit Äpfeln, Birnen, Kirschen, Pflaumen. Was meint ihr, ob ich’s krieg?“

„Wer kann das schon vorher wissen bei einer Versteigerung“, wich Vater aus.

Und Mutter meinte: „Jetzt noch ’n Haus, also ich weiß nicht.“ Sie fädelte den Draht mit der goldenen Siebzig oben in den Bügel des Korbes, bog ihn gerade und schob den Korb zur Mitte des Tisches, wo die Siebzig noch eine Weile zitterte wie Großvaters Finger beim Schreiben des Namens. „Vor zehn Jahren hätte ich es ja verstanden“, sagte sie.

„Vor zehn Jahren hatten wir Inflation und kein Geld“, sagte Großvater. „Und jetzt habe ich etwas beisammen. Was willst du, ich lebe noch!“

Vater wie Mutter schwiegen, und weil ich ihre Bedenken seinerzeit nicht begriff, war ich der einzige, der sich über Großvaters Absicht, ein Häuschen zu kaufen, nicht wunderte, sondern freute. „Kauf’s doch“, flüsterte ich ihm zu, worauf er mich schmunzelnd ansah und sagte: „Ich kauf’s auch, wenn ich’s krieg, Junge.“ Vater und Mutter lächelten nun ebenfalls, aber das war ein anderes Lächeln, eins über meine kindliche Unbefangenheit. Großvater schaute erneut auf die Taschenuhr. „Die Bäume“, fing er wieder an, „die Bäume sind überaltert, tragen nicht mehr viel. Ich werde neue setzen.“

Mutter seufzte.

Und Vater erkundigte sich mit mahnender Stimme, ob Großvater sich denn alles auch richtig gut überlegt hätte.

„In meinem Alter ist man mit Ratschlägen reichlich versorgt“, antwortete Großvater.

„Auf was du so kommst“, sagte Mutter. „Jetzt noch Bäume pflanzen, nein so was!“

„Für die Bäume ist es doch nie zu spät!“, sagte Großvater und fügte hinzu, er würde Halbstamm nehmen, die wüchsen schneller und trügen eher. Abermals holte er die Taschenuhr aus der Hose. „Gleich acht, eine halbe Stunde früher möchte ich schon dort sein.“

Vater wollte jetzt noch wissen, wie hoch der Startpreis auf der Versteigerung sei.

„Tausend“, antwortete Großvater und langte in die linke Brusttasche, als müsste er sich vergewissern, dass die Brieftasche mit dem Geld noch an ihrem Platz war. „Bis zweitausend kann ich mithalten. Dann hat sich’s bei mir ausgesteigert.“ Er erzählte, wie schön das Häuschen sei, dass es fünf Fenster habe, eine große Stube und zwei Dachkammern, aber keine Küche, was ihm nichts ausmache, weil er sowieso keine haben wolle. „Das Dach ist schnell zu reparieren“, sagte er, „und die Haustür muss neu gemacht werden; die ist mit Farbe verpappt, weil immer nur wieder draufgestrichen worden ist. Ich mach das alles mit der Lötlampe runter.“ Und eine Weile darauf sagte er: „Und der Hausstein wackelt vor der Tür, ein Basaltbrocken, also ich sage euch: nicht unter zwei Zentnern. Na ja, den werde ich verkeilen. Dann ist Ruhe für alle Zeiten.“

„Zweitausend ist viel Geld“, sagte Vater. Ich wusste mit meinen neun Jahren freilich nicht, wie viel Geld zweitausend Reichsmark waren, aber ich hatte beobachtet, wie sparsam Großvater war. Nicht einmal Streichhölzer verbrauchte er, wie es üblich war: Er spaltete sich Kienspäne vom Kiefernholz und holte sich mit ihnen das Feuer für die Tabakspfeife aus dem Ofen. Und geraucht hat er getrocknete Brombeerblätter, die er sich aus dem Wald mitbrachte.

„Viel Geld? Aber nicht für alle“, erwiderte er. „Der Schweißmayer will’s nämlich auch!“

„Der hat doch schon drei Häuser“, sagte Mutter. Sie schien das Großvater nicht zu glauben.

„Er will aber vier; siehste doch! Und der wird den Preis hochtreiben!“

Mein Vater und meine Mutter wechselten schweigend einen kurzen Blick. Mir kam das vor, als wäre es ihnen nicht ganz unwillkommen, wenn Herr Schweißmayer das Häuschen bekäme, obwohl sie es diesem Fleischermeister nicht gönnten.

„Vielleicht krieg ich’s doch nicht“, sagte Großvater nachdenklich. „Auf einem Kalenderblatt habe ich mal gelesen: Die Hoffnung ist das Brot des armen Mannes. Herrgott, man will ja auch mal etwas haben vom Leben. Wie viele Jahre habe ich denn in den lehmigen Drainagegräben geschuftet und im Wasser gestanden?“ Und gleich darauf sagte er: „Wie spät?“ Er schaute abermals auf seine Uhr, als misstraute er unserem Regulator über dem Sofa.

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