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Tenggeri, Sohn des Schwarzen Wolfs von Kurt David
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
01.06.2023
ISBN:
978-3-96521-930-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 866 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte
Historische Abenteuerromane, Historischer Roman, Mongolei, 12. Jahrhundert (1100 bis 1199 n. Chr.)
Dschingis-Chan, Mongolen, Flucht, Rache, Freund, Feind, China, Buchara, Despot, Mord, Liebe, Krieg, Raubzüge, China, Iran
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„Oh, sie waren wieder sehr freundlich. Schon aus ihren Gesichtern vermochten wir zu sehen“, sagte Gärel, „wie man sich am Hof über deine Figuren gefreut hat. Heut nach Mittag sollst du zu dem Mann kommen, der ein hohes Amt hat und gleich rechts vom Haupttor in einem größeren Zelt sitzt. Er wird dir die Entscheidung des Herrschers mitteilen. Sein Name ist Tschirn.“

„Tschirn“, murmelte Tenggeri.

„Du wirst Schnitzer am Hofe Dschingis-Chans“, rief Oschab fröhlich.

„Und vergessen wirst du uns, wenn du es geworden bist“, meinte Gärel.

„Aber Gärel“, sagte er, „vergessen!“

Oschab hob die Brauen bedenklich und sagte, ob nicht alle, die am Hofe des Chans zu tun hätten, wie stolze Reiher umherstelzten. „Der einfachste Diener, der nicht mehr mit dem Chan zu tun hat, als dass er vor einer Jurte steht, die mit Sätteln des Hofes vollgestopft ist, spreizt sich schon wie ein Pfau und sieht einen an, als wäre man ein bedauernswerter Sperling, dessen höchstes Glück darin besteht, im Staub zu baden.“

„Ich werde euch nicht vergessen“, sagte Tenggeri. „Zudem steht es noch nicht einmal fest, ob er mich nimmt.“

„Das steht noch nicht fest?“ Gärel lachte.

„Das steht so fest wie der höchste Fels am Fluss!“ Oschab blickte hinüber und hinauf zu dem Fels mit den jungen Birken. Saran lächelte, und Tenggeri dachte, nein, es ist noch nichts zu sehen von dem, was ich begonnen habe.

Sie ritten dann fort, und zu Mittag hatten sie ihre Jurte aufgestellt, nahe am Fluss, dicht bei den Blütenbüschen auf einem sanften Hügel mit noch drei anderen Zelten. Die Tür öffnete sich zum Süden. Den Vorhang für Nacht und Kälte hatten sie hochgeschlagen, so dass der Sonnenschein die Jurte golden schmückte. Senkrechtstab und Dachkranz mit Naben leuchteten rot, und wo Saran und Tenggeri ihr Lager hergerichtet hatten, glänzte blaue Seide, blau wie der mongolische Himmel. Das Gras war abgedeckt mit Fellen von Wölfen und Füchsen.

Die Pferde hatten sie noch nicht, und die acht Schafe waren auch noch nicht da.

„Und nun musst du zu Tschirn“, sagte Saran.

„Ich will nicht zu diesem Tschirn! Ich möchte lieber mit dir hinauf zum Fels, um das Bildnis …“

„Aber du musst zu diesem Tschirn, Schwarzer!“, sagte sie hartnäckig.

„Ja.“

„Siehst du!“

Tenggeri und Saran saßen dicht am Senkrechtstab. Der Sonnenschein lag warm auf ihren Leibern. „Ich glaube“, sagte das Mädchen, „es ist egal, ob er dich nimmt oder ob er dich nicht nimmt, Schwarzer. Für uns ändert sich nichts, so nicht und so auch nicht. Wir werden acht Schafe und fünf Pferde und eine Jurte haben. Du wirst immer bei mir sein, und wenn du in einen Krieg ziehen musst, ziehe ich mit, wie viele Frauen mitziehen, Schwarzer.“

Er sagte kein Wort darauf, sondern legte sich zurück, blickte zum Dachkranz und dachte, ich müsste ihr jetzt sagen, dass ich glücklich bin, so glücklich, wie ich es noch nie war. Und er dachte weiter: Glück macht stark! Wer könnte mich besiegen?

Sie sagte auch nichts, sondern legte sich ebenfalls zurück und sah zum Dachkranz hoch. Vielleicht dachte auch sie: Eigentlich müsste ich ihm jetzt sagen, dass ich glücklich bin, so glücklich, wie ich es noch nie war. Und weiter schien sie zu denken: Glück macht stark! Wer könnte uns besiegen?

Aber die Sonne rollte weiter und rechts am Türpfosten vorbei. Plötzlich sagte Saran: „Ich liege schon zur Hälfte im Schatten, Schwarzer! Du musst zu diesem Tschirn!“

Tenggeri stand auf, und dann ritten sie hinüber zur Ordustraße. „Wo willst du hin?“

„Mutter sagen, dass wir von heute an Mann und Frau sind und in einer Jurte wohnen!“

„Tu das, Gazelle!“ Aber er bog noch immer nicht nach links ab, sondern ritt hinter ihr her und sagte: „Ich will mich noch bei Gärel und Oschab bedanken, dass sie so viel für mich getan haben. Heute Morgen war ich unfreundlich.“

Sie nickte.

Er stieg vom Pferd. Saran verschwand mit dem Kleinen zwischen den Jurten.

„Da ist er“, rief Gärel freudig aus. „Siehst du, Oschab, er hat sich besonnen!“

„So kannten wir dich nämlich gar nicht“, bemerkte Oschab.

„Verzeiht, dass ich heut morgen …“

„… Aber Tenggeri! Hör schon auf!“, sagte Oschab.

Gärel erhob sich und kam gebückt auf ihn zu: „Wir waren die ganzen Jahre gut zu dir, Tenggeri, und da wir keine Söhne mehr hatten und …“

„Sei still, Frau“, schimpfte Oschab.

„… Vergiss uns nicht, Tenggeri, wenn du am Hofe bist“, sagte die Frau. „Und jetzt geh zu diesem Tschirn!“

Sie begleiteten ihn zur Tür. Als er die Straße hochgaloppierte, drehte er sich noch einmal winkend um.

„Du siehst, er ist wie früher“, flüsterte Oschab.

„Und ich dachte, das Mädchen …“

„… Wink! Er dreht sich schon wieder um!“

Sie winkten und winkten, und die Frau, die immer so müde und welk aussah, sagte leise: „Du siehst, er dankt uns! Es war wohl das Beste, was wir in unserem Leben getan haben, Oschab: ihn wie einen Sohn zu behandeln und dafür zu sorgen, dass er an den Hof kommt, wo er so gut schnitzen kann wie die Chinesen und Uiguren und Perser und wie sie alle heißen, die beim Chan sind.“

„Du hast recht, Gärel!“ Sie gingen wieder in die Jurte. Sie waren froh, dass alles so gekommen war. Einige Zeit später fiel beiden auf, dass sie nett und zärtlich zueinander waren. Oschab war es, der sagte: „Du bist seit heute Mittag ganz anders. Gärel!“

„Du auch, Oschab!“

Er brummelte etwas, lächelte, sagte nichts.

„Vielleicht kommt es daher, Oschab, dass wir beide so froh sind wie lange nicht!“

„Das wird es sein“, antwortete er und lachte.

Tenggeri hingegen hatte inzwischen das große Haupttor erreicht. Rechts von ihm stand das Zelt mit dem Mann namens Tschirn. An der Tür leuchtete ein rotes Vorzelt als Windschutz. Zwei Wächter standen da mit Schwert, Bogen und Lanze. Abseits von ihnen war eine Stange mit Pferden. Wo die Pferde festgemacht waren, wuchs kein Gras mehr. Die Steine hatten sie herausgescharrt, und so klirrten immerfort die Steine, wenn die Pferde einen kleinen Schritt gingen oder wenn sie erneut scharrten. An diese Stange band auch Tenggeri seinen Braunen.

„Ich will zu Tschirn“, sagte Tenggeri zu den Wächtern, „er wartet auf mich!“

Der rechts gestanden hatte, schlüpfte lautlos durch den roten Windschutz, kam aber gleich wieder und bedeutete Tenggeri mit einer Kopfbewegung hineinzugehen.

Tschirn saß genau unterm Dachkranz im Sonnenschein und auf untergeschlagenen Beinen. Das hohe Seidenkissen glänzte schwarz, sein Gewand gelb, die Samtkappe blau. Auf ihrer Spitze zitterte eine prächtige Pfauenfeder, obgleich Tschirn ganz still saß und nur lächelte.

Zähne hat er so große wie ein Grunzochse, dachte Tenggeri, Augen wie eine Zieselmaus, Ohren wie ein räudiger Fuchs; bei allen Göttern auf und über der Erde: So habe ich mir Tschirn nicht vorgestellt.

„Tritt drei Schritt näher“, sagte Tschirn.

Die Stimme! Wie ein Steppenhund, der sich heiser gebellt hat!

Erst jetzt sah Tenggeri, dass außerhalb des Sonnenkreises im Zeltdunkel Diener und Wächter umherliefen.

„Du bist also Tenggeri?“

„Ja.“ Jetzt wird er gleich fragen, wer mein Vater und meine Mutter waren. „Und du schnitzt?“

„Ja.“ Dann wird er jetzt fragen, wer Vater und Mutter waren. Sage ich „Chara-Tschono“, oder sage ich es nicht?

„Du schnitzt gern, nicht wahr?“

„Sehr gern!“ Ich sage „Chara-Tschono“, jawohl, ich reize ihn. Ihn muss man reizen.

„Man sieht es deinen Figuren an, dass du sehr gern schnitzt!“

Sieh mal, er sieht es meinen Figuren an! Vielleicht ist er besser, als er aussieht? Und er fragt nicht nach Vater und Mutter?

„Ich habe jetzt auch angefangen, einen Kopf in den Fels zu schlagen.“

„Ach!“

Nach diesem „Ach“ bereute es Tenggeri, dass er das gesagt hatte.

„Wer hat dich diese schöne Kunst gelehrt?“, fragte Tschirn.

Tenggeri erzählte es ihm. Als Tschirn erwiderte, Tenggeri beherrsche sie vorzüglich, diese Kunst, war er ein wenig stolz und dachte: Was kann er schon für seine Zähne und Ohren? Er ist gerecht und ehrlich zu mir.

Freundlich sagte Tschirn: „Wer befahl dir, Figuren zu schnitzen, Tenggeri?“

Tenggeri schwieg erschrocken.

„Nun, ich meine es so: Jeder hat in unserem Volk den Platz, den ihm ein Vertrauter des Herrschers zuwies. Ist es so?“

„Ja, aber …“

„Nein, sei still, ich erkläre es dir: Hirten sind jene, die man dazu bestimmt hat, Wächter sind jene, die man damit beauftragte, Krieger sind alle, die man für tapfer befunden hat! Ist es nicht so? Oder ist der Schmied Schmied, ohne dass es ihm befohlen worden wäre? Nähen die Frauen Gewänder, ohne dass es ihnen einer gesagt hat, steht einer irgendwo Wache, ohne dass ihn einer hingestellt hat? Also: Tun nicht alle, was ihnen von den Vertrauten des Chans befohlen ist?“

Tenggeri, Sohn des Schwarzen Wolfs von Kurt David: TextAuszug