In diesem erhellenden Text geht es um Dionysos und Jesus
Christus. Was haben sie gemeinsam? Was unterscheidet sie aus welchen Gründen?
Und was hat kein Geringerer als Friedrich Nietzsche mit ihnen beiden zu tun? Um
Antworten auf diese Fragen zu geben, holt Ebersbach weit aus, spricht über das
Wesen von Glauben und Autorität:
Religionen sind die Fundamente der Moral. Kein sittliches
Gebot hat Macht über die Seelen der Menschen ohne seine Berufung auf eine
übermenschliche, göttliche Autorität. Ohne das Göttliche ist Moral immer nur
ein Instrument der Macht von Menschen über Menschen. Hat Dionysos eine Moral?
Hat Christus eine Moral? Die Frage nach den erlaubten Genüssen, die sie so
gegensätzlich erscheinen lässt, ist eine Frage der Güterverteilung, ein Herrschaftsproblem.
Alles erlauben ist ebenso einfach wie alles verbieten. Beides ist maßlos,
beides verfehlt die beabsichtigte sittliche Wirkung. Beides ist praktisch
unmöglich. In der strengsten asketischen Auslegung würde die Nachfolge Christi
die Menschheit zum Aussterben verurteilen. Doch auch das allumfassende Bacchnal wäre ihr Ende. Die Verehrung, die den alten
Griechen entgegengebracht wird, gilt vor allem ihrem Streben nach einem Ebenmaß
im Zusammenleben der Menschen. Ein Name dafür war die Demokratie. Man stelle
sich Dionysos und Christus als die beiden Hälften einer einzigen, blutig
gespaltenen Gottheit vor, denke sich ihr Zusammenwachsen. Nietzsche, der früh
die beiden Gestalten gemeinsame Theodizee formulierte, unterschrieb, als er
zerbrach, einen seiner letzten Wahnzettel mit Dionysos, einen anderen mit
Der Gekreuzigte.