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Kuriose Liebhaber. Essays von Volker Ebersbach
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
28.04.2022
ISBN:
978-3-96521-659-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 288 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Literarisch, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/Regency (Regentschaft), Belletristik/Liebesroman/Geschichte/Antike, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/Mittelalter, Belletristik/Biografisch
Klassische Belletristik, Biografischer Roman, Historische Liebesromane, Historischer Roman
Liebe, Sex, Macht, Perikles, Antike, Inzest, Rom, Caligula, Dante Alighieri, Papst Alexander VI., Zöliobat, Zar Peter der Große, Stendhal, Novalis, König Edward VIII, Großbritannien, John F. Kennedy
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Blondine über Dreißig

Eines Tages hat Jacqueline Kennedy die Liebesbriefe satt, die der Hollywoodstar Marilyn Monroe unablässig ins Weiße Haus schickt, vor allem aber die lästigen Anrufe. Wie oft hat sie gesagt, der Präsident sei nicht zu sprechen! Sie macht ein Angebot: Sie gebe Mister Ken frei, wenn die Monroe ins Weiße Haus ziehe und alle Konsequenzen des Skandals trage. Die Hausherrin holt ihre einzige wirklich gefährliche Rivalin auf den Boden der Realität, indem sie deren geheime Hoffnungen bloßstellt, die sicherste Methode, sie zu entwaffnen.

Wie kommt Marilyn Monroe überhaupt zu der Illusion, John F. Kennedy werde mit ihr eine längere, vielleicht dauerhafte Verbindung eingehen? Ihr Künstlername schimmert wie ebenbürtig: Angeblich ist ihre Mutter mit James Monroe verwandt, dem fünften, 1816 gewählten und 1820 wiedergewählten Präsidenten der USA, dem Urheber der nach ihm benannten Doktrin. Aber es bleibt dennoch ein Künstlername, dem der falsche Glanz des Showgeschäfts anhängt. Sie kann ihn nicht verleugnen: Marilyn Miller hieß der Musical Star, der Ben Lyon vorschwebte, als er dem Pin-up-Girl Norma einen Vertrag für seinen ersten Film bei Twentieth Century Fox verschaffte. Gab es geheime Versprechungen, die ihr Hoffnungen machten? Glaubt sie den Präsidenten, indem sie ihn kompromittiert, zu etwas zwingen zu können, was er ihr vorenthält? Verfügt sie aus dem Sinatra-Klüngel, den sie aus dem „Rattennest“ um Peter und Patricia Lawford kennt, über Material, das ihn erpressbar macht? Oder ist sie so überzeugt von ihrer erotischen Wirkung?

Sie entsprach genau seinem „Typ“. Während eines Klinikaufenthaltes wegen seiner Wirbelsäule hatte JFK dasselbe Marilyn-Poster überm Bett wie die Jungs im Koreakrieg. Man kann sich für die männliche Libido keinen größeren Gegensatz vorstellen als Marilyn und Jackie – die Frau vor der Kamera und die Frau hinter der Kamera. Jackie hatte genau den weiblichen Stolz, der Patriarchen verletzt. Herbe Strenge und kritische Sachlichkeit gingen von ihr aus. Marilyn, umgeben vom erotisch freizügigen Flair Hollywoods und dem Parfüm Chanel Nr. 5, war süß, verträumt und aphrodisisch anschmiegsam, „Pfirsich mit Sahne“. Vielen Männern schmeichelte die blonde Venus mit dem Schutzbedürfnis des kleinen vaterlosen Mädchens. Sie wurden nicht müde, in ihr etwas „beinahe Göttliches“ zu entdecken. Ihr zweiter Ehemann Jo DiMaggio war beträchtlich älter als sie, und ihren dritten, Arthur Miller, rief sie gelegentlich „Papa“. Seinem Vater bewahrte sie auch nach der Scheidung eine zärtliche Anhänglichkeit, weil er das Los des Waisenkindes kannte. „In einem Moment“, so erinnert sich Arthur Miller, „besaß sie die Härte der Straße, und dann wieder erhob sie sich zu einer lyrischen und poetischen Sensibilität, die nur wenige Menschen über ihre frühe Jugend hinaus bewahren.“ In ihr steckte etwas von der schönen Sünde Evas und etwas von der Dämonie Liliths, der ersten Frau Adams. Eine Episode aus ihrer Kindheit hört sich wie eine Parabel auf ihr „unschuldig–durchtriebenes“ Wesen an: Während eines Gottesdienstes im Freien sollten alle Mädchen des Waisenhauses zugleich ihre roten Umhänge umwenden, um mit der weißen Seite ihre Wiedergeburt zur Reinheit vorzuführen, doch ein Umhang blieb rot wie die Sünde: „Ich hab‘s einfach vergessen, es war so interessant, die anderen wendeten ihre Umhänge, und ich freute mich, daß sie alle daran dachten, und da hab ich es einfach vergessen.“ Dass es dafür eine Ohrfeige setzte, verstand sie nicht: Denn „Jesus liebt mich, das weiß ich genau“, hatte sie im Kindergarten gelernt. Die vorwurfslose Unterwerfung, die viele Männer von Frauen erwarten, brauchte Marilyn nicht zu spielen: „Manchmal schien sie alle Männer als kleine Jungen zu sehen“, wusste Arthur Miller, „als Kinder mit unaufschiebbaren Bedürfnissen, die zu erfüllen ihre Aufgabe im Leben war.“

Kennedys Schwager Peter Lawford, in dessen kalifornischem Haus am Strand das Sexidol und der Präsident einander trafen, bezeugte Marilyns übertriebene Hoffnungen: „Sie war verrückt nach John.“ Der Satz sagt wenig. Doch er bedeutet viel. „Sie paßten gut zusammen. Beide hatten Charisma und Humor.“ Für Marilyn schlossen echte Liebe und kalte Berechnung einander keineswegs aus. „Wie für die sehr Reichen und die sehr Armen war Geld“, sagte Arthur Miller, „nichts, womit man haushalten mußte, um sich vor einer schwierigen Zukunft zu schützen.“ Die schöne Blondine über Dreißig „bezweifelte, dass ihre Popularität von Dauer sein werde.“ Sie glaubte nicht so recht an ihren von Sydney Skolsky geschaffenen Mythos und sah ein Ende ihrer ungeliebten Filmkarriere als naives, erotisierendes Dummchen kommen. Wenn sie mit der hochrangigen Bekanntschaft einen Lebensplan verband und „daranging, ihr Leben zu ordnen“, dann kannte sie wirklich, wie Arthur Miller befürchtete, wieder einmal „keine Furcht“. Dann wurde ihr die Unfähigkeit, andere „Menschen, die ihr geschadet hatten, zu ver- oder auch nur zu beurteilen“, zum Verhängnis. Dann tanzte sie „am Rande eines Abgrunds“. Denn der Gastgeber und seine Frau, Kennedys Schwester Patricia, wussten genau: „er hatte nur seinen Spaß mit ihr, sie aber verliebte sich ernsthaft in ihn und in das, was er verkörperte – oder sie redete es sich in ihrem depressiven und gedopten Zustand ein.“ Auch Marilyn hatte angefangen, ihre Überforderung und die unausbleiblichen seelischen Krisen mit Cocktails aus Alkohol und Schlaftabletten oder mit echten Drogen zu überspielen. „Marilyns Schlaf war kein Schlaf mehr“, erinnert sich Arthur Miller, „sondern der schwache Pulsschlag eines erschöpften Menschen, der mit einem Dämon rang.“

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