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Timo Nimmerschlaf. Ein Märchen aus alter Zeit für Kinder, die nicht gern schlafen von Volker Ebersbach
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
28.04.2022
ISBN:
978-3-96521-661-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 92 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Märchen und Folklore/Allgemein, Kinder-und Jugendbuch/Fantasie und Magie
Kinder/Jugendliche: Fantasy und magischer Realismus, Mythen und Legenden (fiktional), empfohlenes Alter: ab 8 Jahre
Schlafen, Tod, Albtraum, Traum, Kinderbuch, Bäcker, Müller, Stadtwache, Räuber, Nachtwächter, Fährmann, Raubgraf, Flucht, Ratsherr
6 - 9 Jahre
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Mit Traurigkeit in der einen Herzkammer und ein wenig Hoffnung in der anderen verließ Timo Nimmerschlaf seine Heimatstadt und ging in die Fremde. Hoch über den Fluren jubelten in der Mittagssonne die Lerchen und pfiffen die Gabelweihen, die Goldammern sangen ihre Weise in den Büschen, in den frischgrünen Wipfeln des Waldes schlugen die Finken, an den Rinden der Stämme hämmerten die Spechte, wenn sie nicht still im Gezweig saßen und lachten. Es sollte ihn wenig kümmern, ob er am Tag wanderte oder bei Nacht. Die Nacht nach dieser halben Tagereise wurde kühl, die Straßen vereinsamten, der Staub legte sich, und in den Dörfern blieben die Fenster dunkel. Die Felder dufteten nach frischem Tau, der Mond schwamm, eine zunehmende Sichel, mit den Sternen über den stillen Himmel und legte seinen hellen Schimmer auf das Land. Der sinkenden Sonne hatte Timo, zum Abschied winkend, zugerufen: „Schlaf recht gut, liebe Sonne! Ich schlafe nicht.“

Am anderen Tag suchte er Beeren und Pilze, um aufkommenden Hunger zu stillen. Auch hatte er als Kind von anderen Jungen gelernt, in Bächen mit hohlen Händen einen Fisch zu fangen, Feuer zu machen und ihn an einem spitzen Stock zu braten. Ausruhen musste er sich doch zuweilen. Und niemals vergaß er, wenn ihm jemand begegnete oder über den Weg lief, zu fragen, ob ein Mann mit einer blonden jungen Frau vorübergekommen wäre, die sich als Meister Konrad der Schmied und Liliane ausgeben hätten. Fast jeder schüttelte den Kopf. Ein alter Bauer dachte kopfwiegend eine Weile nach, und dann erinnerte er sich an einen kräftigen, hochgewachsenen Mann, der vielleicht das Schmiedehandwerk ausübte, und eine blonde junge Frau. Doch ob er Konrad geheißen habe, wer konnte das wissen? Und welchen Weg er eingeschlagen, wer hätte darauf geachtet? Schon viele Jahre seien seither ins Land gegangen.

Nach einem sonnigen Tag zogen Wolken auf, der Wind fauchte, und es begann zu regnen. Wie wäre es, dachte er, wenn ich mich nach dieser Tagereise verdingte, in einem Kloster, im nächsten Dorf, auf einer Burg oder in einer Stadt. Dann hätte ich wenigstens ein Dach über dem Kopf und einen Bissen zu essen. Ein Bissen Brot, ein wenig Quark, ein Happen Käse oder Grütze, eine Wurstsuppe würden mir genügen, dazu ein Krug Milch, ein Humpen Bier oder ein Glas klares Wasser. Eine Schlafstatt brauche ich ja nicht.

Da erkannte er nicht weit entfernt die Türme einer Stadt. Kurz bevor es geschlossen wurde, erreichte er das Tor. Hier musste er der Wache seinen Namen sagen und die Stadt nennen, aus der er kam. Die Mienen der Wächter hellten sich auf, denn diese Stadt war mit Wiesenheim verbündet.

„Könnt ihr euch“, fragte Timo, „vielleicht erinnern, ob vor einiger Zeit ein Schmied und eine blonde junge Frau durch dieses Tor gekommen sind?“

Die Wächter schauten sich an, und einer nach dem anderen schüttelte den Kopf.

Dann wurde Timo gefragt, was er hier tun wolle. „Mich verdingen und mir ein Stück Brot verdienen“, antwortete er.

„Und welches Handwerk hast du denn gelernt?“, fragte der eine Wächter.

„Keines“, gestand Timo schamhaft. „Könnte ich nicht mit euch die Nachtwachen übernehmen? Ich habe eine besondere Gabe: Ich brauche keinen Schlaf.“

Ungläubig schauten die Wächter ihn und dann einander an. Dann sagte der andere Wächter: „Wir sind vollzählig und haben genug Übung darin, nachts zu wachen. Es gibt aber ein Handwerk, bei dem man sehr früh aufstehen muss. Du könntest den Bäcker fragen, ob er dich als Gehilfen nimmt.“

„Ja! Das würde mir gefallen“, jauchzte Timo. „Denn mich hungert, und Brot habe ich auf meine Reise nicht mitgenommen. Führt mich zur Bäckerei, ich würde am liebsten gleich anfangen.“

„Das geht jetzt nicht“, war die Antwort. „Der Bäcker liegt schon in seinem Bett und schnarcht, weil er so zeitig anfängt. Komm in unsere warme Wachstube und warte, bis die Turmuhr drei schlägt. Dann führen wir dich zu ihm.“

Das Stadttor wurde geschlossen. Timo setzte sich mit den Wächtern in der warmen Wachstube auf eine Pritsche und wartete. Als er ein paar Worte mit ihnen plaudern wollte, waren sie jedoch so fest eingeschlafen, wie er es von Wiesenheim her kannte. Da fing er an, sich zu langweilen und war bald nahe daran, die Schläfer zu beneiden. Aber seine unerhörte Gabe, keinen Schlaf zu brauchen, wollte er nicht preisgeben, war ihm doch eben ein Handwerk angeboten worden, für das er sie gut verwenden konnte. Wer konnte wissen, wofür sie ihm noch von Nutzen sein würde, sobald er weiterzog? So vertrieb er sich mit Gedanken und Betrachtungen die Zeit. Er wagte es nicht, die Schläfer, wie es in Wiesenheim seine Aufgabe gewesen war, aufzuwecken und an ihre Pflicht zu erinnern, denn sie kannten ihn nicht. Er war ihnen fremd. Er war in der Fremde ein Fremder, und von den Ratsherren hatte er ja gehört, wie man Fremdlinge behandelt, die vielleicht Krankheiten einschleppen und den Leuten die Köpfe verdrehen.

Als die Turmuhr drei schlug, stand der eine Wächter auf und gähnte. Er hatte nicht lange fest geschlafen und Timo manchmal angeblinzelt. „Komm mit“, befahl er leise, um seinen Kameraden nicht zu wecken, „und sag niemandem, was du gesehen hast. Auch wenn du wirklich nicht zu schlafen brauchst – wir wollen unseren Broterwerb doch behalten, und du sollst jetzt den deinen bekommen.“

Der Wächter führte ihn ein Stück die regennasse Straße entlang, schob ihn um eine Ecke und dann um noch eine. Dann zeigte er auf ein Licht, das einzige Fenster, das in der Stadt um diese Zeit erleuchtet war. „Klopfe dort an die Tür und sage laut, was du wünschst.“

Timo Nimmerschlaf. Ein Märchen aus alter Zeit für Kinder, die nicht gern schlafen von Volker Ebersbach: TextAuszug