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Das Rosenwunder. Erzählung von Volker Ebersbach
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Preis E-Book:
3.99 €
Veröffentl.:
07.12.2021
ISBN:
978-3-96521-580-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 47 Seiten
Kategorien:
Biografie & Autobiografie / Historisch, Biografie & Autobiografie / Religiös, Biografie & Autobiografie / Frauen, Geschichte / Deutschland, Geschichte / Mittelalter
Biografien: historisch, politisch, militärisch, Biografien: Religion und Spirituelles, Europäische Geschichte: Mittelalter, Thüringen, 13. Jahrhundert (1200 bis 1299 n. Chr.), 12. Jahrhundert (1100 bis 1199 n. Chr.), Biografien: allgemein, Gender Studies: Frauen und Mädchen, Europäische Geschichte, Deutschland
Thüringen, Ungarn, Mittelalter, 12. Jahrhundert, Heilige, Eilsabeth, Ludowinger, Armenhospital, Franziskaner, Kreuzzug, König, Kaiser, Papst, Landgraf, Wartburg, Eisenach, Liebe, Tod, Heirat, Religion, Starke Frauen
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Und weil beide, der es sagte und der, der es hörte, erschraken, weil ihr Kichern erstickte, als sie die Landgräfin erblickten, wusste sie, dass sie gemeint war.

Herr Konrad von Marburg hörte zu, sooft sie fragte oder klagte, nannte ihr Tun aber nur dann noch fromm, wenn es den beiden Schwägern nicht missfiel. Oft dehnte er Gebete, die keine Störung duldeten, bedeutend aus und wählte darin Worte, die geeignet waren, mit der Autorität der Bibel die Mildtätigkeit etwas zu zügeln, die sein Beichtkind, wie er meinte, anfallartig überkam. Wollte er gar nicht antworten, erfand er Andachten und Fastentage, gebot Schweigen und legte vor jedem, der sich ihm nahen wollte oder ihm nur in den Weg lief, zu hochgezogenen Brauen, die Augäpfel aufwärts drehend, den Zeigefinger auf die Lippen.

Herrin! hatte er gemahnt. Hütet Eure freigebige Hand! Was wolltet Ihr noch geben, wenn Ihr alles weggegeben habt? Sagtet Ihr nicht selbst einmal – lasst Euch an Euer eigen Wort erinnern: Wer mehr besitzt, hat mehr Macht, Gutes zu tun. Galt Euch das nicht als eben der Grund, aus dem Ihr Euch von Gottes Gnaden nennt? Gebt Ihr zu unbedacht, so schwindet Eure Macht, zu geben.

Das war wohl einzusehen. Einsicht macht allerdings ein doppeltes Gewissen. Gehorchte sie dem geistlichen Seelenführer, plagten sie schwere Träume. Alle die Kranken, Grindigen, Getretenen, Zahnlosen, Ausgemergelten und Siechen reckten nach ihr dürre Arme, knochige Hände mit Fingern, die immer länger wurden, und schlugen ihre Nägel wie Krallen in ihr Herz und schrien, sie wären auch Gottes Ebenbilder wie sie, die Hohe Herrin, und ihre Augen wurden stier und böse, bis sie einander angriffen und zerfetzten und sich mit blutigen Gliedmaßen von Kindern anthropophagisch ihre aufgerissenen Mäuler stopften. Gab sie der Stimme ihres Herzens nach, befiel sie Angst vor allen Menschen, die ihr nahe standen. Seit Ludwig fort war, lauschte sie beim Spinnen immer ängstlicher auf Schritte draußen vor der Kemenatentür, nahm sie nie ohne Herzklopfen Kleider, Schuhe und Strümpfe aus den Schränken, um sie nach Eisenach zu tragen, wo die Zerlumpten sie ihr ergebenst aus den Händen rissen. Und auf die Körbe, die sie im Backgewölbe mit Brotwecken füllte, legte sie die Tücher mit mehr Sorgfalt, damit kein Satter, einfach niemand außer denen, die mit ihrem nagenden Hunger unter dem Burgberg und in den achtundzwanzig Betten des Spitals darauf schon lauerten, auch nur ein braunes Krüstchen davon erspähen konnte.

Nörgelnde Reden hatten die Knechte, die schützend mit ihr zu gehen pflegten, immer schon geführt. Sie mussten tragen helfen, fanden das aber unter ihrer Würde. Neuerdings ließen sie in ihren ärgerlichen oder bissig witzelnden Bemerkungen so den gebührenden Respekt vermissen, dass sie sich fragen musste, wer sie vor solchen Beschützern schützte, und lieber unbegleitet ging. Da ihre Schwäger dies durchaus nicht dulden wollten und sie schon einmal von Reisigen wie eine Gefangene hatten behandeln lassen, war es von Nutzen, sich zu verkleiden, als Marktfrau in grober Wolle, mit Kopftuch oder abenteuerlich zerdrücktem Filz.

Vor ein paar Tagen hatte Herr Heinrich Raspe sie doch erkannt.

– Das ist nicht allein dein Brot, Frau Schwägerin, sondern auch meins! Bring es sofort zurück!

– Sogar das Brot meiner Kinder ist es, Herr Heinrich. Aber sie haben genug.

– Immer verschenken ist nicht besser als das Stehlen.

– Da Ihr nicht sät und erntet, Herr Schwager, wessen Brot esst Ihr also?

– Gut! Mach dich nur arm! Ich sorge nicht für dich.

– Ludwig sorgt für mich.

— Ach, Ludwig, seine Pilgerfahrt, das Kreuz …

– Sag, Heinrich, warum sind, seit Ludwig fortzog auf diese fromme Aventüre, da unten doppelt so viele arm?

– Es ist Gottes Wille.

– Und wenn es Gottes Wille ist, dass sie arm sind, warum soll ich dann nicht mit ihnen arm sein?

Da war Herr Heinrich wortlos weitergeritten und hatte Knechte geschickt, die Frau Elisabeth behutsam fingen und in ihre Kemenate führten, ein Anlass mehr für sie, am Abend von der Tafel wieder nichts zu essen, stumm dazusitzen und außer Wasser nichts zu trinken.

Heute spart sie sich die Mühe der Verkleidung. Sie gibt ihr Kind der Amme, setzt die weinrotsamtene Kappe auf das weiße Gebende, das, übers Haar, über die Ohren und unters Kinn gestrafft, ihr schmales Gesichtchen rahmt, hüllt ihre mageren und gleichfalls schmalen Schultern in den dunkelgrünen Mantel, den die gute Guda, ihre Dienerin, bereithält, hängt sich den Brotkorb mit den sorgsam bedeckten Wecken an den Arm und wandert treppab, über die Höfe, erwidert den Gruß der Wache auf dem Söller, findet das Torhaus offen wie erwartet zu der Stunde und auch das Tor der Vorburg, die Zugbrücke herabgelassen.

Das Rosenwunder. Erzählung von Volker Ebersbach: TextAuszug