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Der gestohlene Selbstmord. Parabeln von Volker Ebersbach
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Preis E-Book:
3.99 €
Veröffentl.:
07.12.2021
ISBN:
978-3-96521-584-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 51 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Satire
Satirische Romane und Parodie (fiktional), Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Parabel, Gleichnis, Selbstmord, Linkshänder, Marxismus, Parkschein
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GEKAUFTES RECHT

Der Parkschein, den ich aus dem Automaten zog, war hauchdünn und leicht wie eine Feder. Die Handbewegung, mit der ich ihn am Armaturenbrett ablegte, hatte etwas zu viel Schwung. Das Papierchen rutschte dicht an der Windschutzscheibe in einen Schlitz der Belüftung. Ich hatte das Recht, mein Auto hier abzustellen, durch Kauf erworben, konnte es aber niemandem zeigen. Es existierte, aber nicht sichtbar für die einzige Person, die es vielleicht binnen zehn Minuten – länger lässt solch eine Dame selten auf sich warten – würde sehen wollen. Ihrem Gehör konnte sich der Parkschein nicht bemerkbar machen. Vielleicht sollte man einen solchen Parkschein aber noch erfinden. Ergreifen würde sie den Parkschein nicht wollen, nur sehen, deutlich sichtbar hinter der Windschutzscheibe. Schon ihn auf den Kopf oder mit der leeren Seite nach oben hinzulegen, annullierte mein gut bezahltes Recht. Denn im ersten Fall konnte die Politesse es als Schikane auffassen. Sie war ja nicht verpflichtet, sich den Hals zu verrenken. Im anderen Fall war der Parkschein so weiß wie irgendein Zettel. – Also hatte ich das Recht, und ich hatte es auch nicht. Mein Recht steckte unsichtbar in einem Schlitz. Der Philosoph nennt so etwas, glaube ich, dialektisch. Mein Recht steckte einfach in einem falschen Schlitz. Die Münze fällt in einen Schlitz, und der Parkschein fährt aus einem Schlitz. Wie komme ich dazu, noch eine Münze zu opfern für ein Recht, das ich schon gekauft habe?

Mit der äußersten Zinke meines Taschenkamms gelang es mir, den Parkschein aus dem Schlitz zu ziehen. Mein Recht war gerettet! Stolz hörte ich zu, wie meine Frau meine Findigkeit lobte. Wir konnten aussteigen. Gleichzeitig öffneten wir die Wagentüren. Ein Wind, nein, es war nur ein Luftzug – ein Luftzug genügte, so dünn war mein Recht – fuhr über das Armaturenbrett und trug den Parkschein hinaus. Er trug ihn, den Fallbewegungen solcher Wirbel folgend, unter das benachbarte Auto, dessen Fahrer seinerseits ordnungsgemäß das Recht auf ein befristetes Abstellen seines Autos durch Kauf erworben hatte. Mein Recht lag nun unter seinem Recht, und zwar weit hinten in einer schlammigen Pfütze, die es nach ihren eigenen Gesetzen festhielt, meiner Hand, von welcher Seite auch immer, unerreichbar. Der Autobesitzer wusste nicht einmal etwas davon, dass sein Recht auf meinem Recht stand, und er hätte auch nichts davon gehabt und hätte auch nichts für mein Recht unternommen, wenn ihm etwas davon zu Ohren gekommen wäre.

Der gestohlene Selbstmord. Parabeln von Volker Ebersbach: TextAuszug