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Die letzte Fahrt der Württemberg. Erzählungen, Erinnerungen von Volker Ebersbach
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
31.01.2022
ISBN:
978-3-96521-612-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 250 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Biografisch, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Literarisch, Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Humorvoll
Biografien: Literatur, Biografischer Roman, Familienleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Heranwachsen, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Kindheit, Jugend, Schulzeit, Bernburg, DDR, Studium, Jena, Leipzig, Ungarn, Till Eulenspiegel, Anekdoten, Humor, Schriftsteller
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Schicksal einer Gymnasialbibliothek

Stempel in den Büchern, die ich aus der Schulbibliothek entlieh, belehrten mich darüber, dass die „Erweiterte Oberschule Karl Marx“ in Bernburg, an der ich das Abitur ablegen wollte, einmal das Herzogliche Carls-Gymnasium gewesen war. Ich sah noch Studienräte aus jener Zeit und erlebte den einen oder anderen im Unterricht. Studienrat Palm, den mehrere Schülergenerationen „Knöppchen“ genannt hatten, weil er kleinwüchsig war und rundlich wirkte, hatte ich ein Schuljahr lang in Latein, den anderen Studienrat für Latein mit Namen Lange, jedoch „Känke“ genannt, hatte ich allenfalls mal als Vertretung. Über ihn vererbte ein Jahrgang nach dem anderen mit dem Namen auch manche Anekdote. Studienrat Kersten, der Vater unseres Klassenlehrers „Mope“ erschien gleichfalls meistens als Aushilfe für erkrankte Lehrer der Fächer Mathematik und Physik.

Als Abiturient und auch in den ersten beiden Studienjahren war ich oft Benutzer der Schulbibliothek, in der ein alter Lehrer freitags eine bestimmte Zeit lang auch andere Benutzer erwartete. Doch meistens blieb ich der einzige. Wozu alte, dicke, schwere Bücher vor den Semesterferien umständlich in der Jenaer Universitätsbibliothek bestellen, wenn sie, und zwar gerade die, die ich als Student der Klassischen Philologie benötigte, in der einstigen Gymnasialbibliothek auch zu haben waren? „Brings nicht gleich wieder!“, sagte der alte Lehrer von einem bestimmten Tag an, und ich fragte mich, was das bedeuten sollte. Es war ja praktisch, wenn ich mit einem Buch, ohne es verlängern zu lassen, bis zum Beginn des neuen Semesters arbeiten konnte. Aber der alte Lehrer sagte: „Nimm dir ruhig Zeit damit!“ Oder er schrieb es gar nicht ins Buch und winkte, als wolle er sich nicht von mir, sondern von dem Buch verabschieden. Mich erschreckte in den Bänden, die ich aus der Universitätsbibliothek Jena mit nach Hause nahm, immer wieder, obwohl ich schon beim ersten Mal begriffen hatte, dass es nur eine Warnung sein sollte, der rote Stempel: „Gestohlen aus den Beständen der Universitätsbibliothek Jena“. Stellte mich der alte Lehrer auf die Probe, wenn ich mir Cicero und Vergil auslieh oder Bände aus Theodor Mommsens Römischer Geschichte und Ludwig Friedlaenders Darstellungen aus der Sittengeschichte des alten Rom? Ich überlegte nicht lange, wie es gemeint war; ich brachte sie alle wieder, Band für Band mit den schwarzen oder braunen Lederrücken und der mehr oder minder ermatteten Goldschrift. Hätte ich den Rat lieber befolgen sollen?

Die Schulbibliothek wurde eines Tages geschlossen; Rentner war der Lehrer lange schon gewesen. Als ich ihn zufällig traf und fragte, zog er eine halb vorwurfsvolle, halb bittere Miene. Der Schulleiter hatte mit all dem feudalistischen und bürgerlichen Kram gemacht, was einem klassenbewussten Genossen einfiel: Ein Lastauto war vorgefahren, die Schinken waren aufgeladen und ins Staatliche Zentralantiquariat Halle gekarrt worden. Welchen Weg die Schätze dann weiter nahmen, wusste gewiss Herr Schalck-Golodkowski, der Devisenbeschaffer des SED-Staates.

Natürlich veräußerte der sozialistische Schulleiter die Antiquitäten, die nicht ihm gehörten, nicht kostenlos. Als Gegenwert erhielt die FDJ der Karl-Marx-Oberschule Dinge, die im Klassenkampf dringend benötigt wurden: Mannschaftszelte für die vormilitärische Ausbildung. Sie sind inzwischen längst verschlissen.

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