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Sieben Jahre eines Rennfahrers. Eine Radsportkarriere im Dritten Reich von Herbert Friedrich
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
08.05.2024
ISBN:
978-3-68912-020-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 369 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Sport und Freizeit/Radfahren, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Freundschaft, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Emigration und Immigration, Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Geschäft, Karriere, Berufe, Kinder-und Jugendbuch/Biografisch/Europäisch, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Eltern, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Geschwister, Kinder-und Jugendbuch/Geschichte/Holocaust
Kinder/Jugendliche: Sportromane, Kinder/Jugendliche: Historische Romane, Kinder/Jugendliche: Biografische Romane, Kinder/Jugendliche: Tatsachenromane, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Rassismus und Multikulturalismus
Bahnradsport, Rennfahrer, Weltmeister, Deutscher Meister, Juden, Reichskristallnacht, Profi, Köln, Frankreich, Schweiz, Freundschaft, Widerstandskampf, Faschismus, Nationalsozialismus, Spanien, Judenverfolgung, Freundschaft, Treue, Mord, Liebe, Berufsverbot, Antfaschismus, Flucht, Rassismus, Familienleben
12 - 99 Jahre
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Hinter der Tür redeten sie immer noch, doch war man wohl am Ende, denn da wurden Stühle gerückt. Auch die Stenotypistin hob den Kopf. „Jetzt können Sie bald rein.“ Krone stellte sich ans Fenster, blickte in den Schulhof hinab, wo ein Lehrer Wettläufe veranstaltete, die Kinder schrien Beifall.

Er drehte sich um, weil drei, vier Herren durch das Vorzimmer zur Treppe eilten. In der Tür stand ein Graukopf allein; das musste der Bürgermeister sein. Schon sagte die Spitznasige auch: „Der Herr will zu Ihnen.“

Überrascht musterte Treffkorn den Fremden. Er hatte einen Packen Arbeit auf dem Schreibtisch liegen. Alles war Abwehr in ihm; er war froh, endlich allein sein zu können. Die Amtshauptmannschaft hatte telefonisch rückgefragt wegen der nächtlichen Polizeigeschichte. Er musste diplomatisch vorgehen und brauchte Ruhe. Dieser Mann vor ihm war ihm widerwärtig. Treffkorn öffnete den Mund zu einem „Bedaure. Kommen Sie zur öffentlichen Sprechstunde“.

Da neigte doch der andere ein wenig den Kahlkopf. „Mein Name ist Simon Krone.“ Und dann, um der Sache Gewicht zu verleihen, wucherte er mit seinem Pfunde. „Ich bin der Trainer von Radweltmeister Otto Pagler.“

Es war der Zauberspruch, der für Krone alles bewirkte. Die Bürgermeistershand streckte sich ihm entgegen, die Tür öffnete sich weit, ein Sessel wurde Krone bequem zurechtgerückt, eine Schachtel Silverlind – fünf Pfennige das Stück! – ihm entgegengestreckt. Krone rauchte nicht. Er ächzte zufrieden. Wer hier einmal saß, hatte schon halb gewonnen.

Treffkorn aber, hinter dem eichenen Schreibtisch, forschte im Gesicht des Mannes, der mit dem Namen eines Pagler bei ihm Einlass begehrt hatte. Trainer und Weltmeister – das verfing bei Treffkorn nicht. Aber Pagler. Pagler hatte in der Nacht für zwei seiner Vorderzähne eine Nazifahne verbrannt.

Krone beeilte sich, sein Anliegen so knapp und so eindringlich wie nur möglich darzustellen. Der „Anker“, die Suche nach Pagler. Und die Nacht der langen Messer. Je weiter Krone sprach, desto mehr verspürte er, wie sich Treffkorn ihm aufschloss.

Konrad Treffkorn hörte, was ihm da vorgetragen wurde. Er stützte die Ellbogen auf die Armlehnen seines durchgesessenen Ledersessels. Langsam fiel die Anspannung von ihm ab. Auch er hatte seine Erinnerungen an den vergangenen Abend. Krones Rede weckte in ihm das Echo des eigenen Erlebens. Eigentlich hörte er dem kahlköpfigen Mann auf dem Besucherstuhl nur halb zu. Im Grunde gab er sich mehr diesem Echo hin, weil das alles nicht neu war für ihn, was Krone vorbrachte.

Noch am frühen Morgen hatte Treffkorn Nachrichten über die Verletzten der Nacht gesammelt, neun alles in allem, Blutergüsse und Prellungen.

Christian hatte am meisten gelitten. Soeben hatte er den Gemeinderat hinauskomplimentiert. Sie hatten verlangt, dass er sein Verbot zurücknähme, gewisse Plakate öffentlich anzuschlagen, die für die Hindenburgspende warben. Helft Hindenburg helfen. Der Vater des Vaterlandes, der Junker von Neudeck, zeigte sich als gütiger Geber. Fünf Monate zuvor hatte Hindenburg sämtliche militärähnlichen Organisationen von Hitlers NSDAP verboten. Zwei Monate hatte Hindenburg durchgehalten und dann alle Verbote aufgehoben. Seit Juli verhandelte er mit Hitler. Diesem Hindenburg war nicht zu helfen. Treffkorn hatte seine Hand auf die Plakate gelegt; sie blieben unter Verschluss, so lange er Bürgermeister von Viersdorf war. Und er hatte gleich noch jene dazugetan, die die Bevölkerung aufriefen, für ein neues Segelschulschiff „Niobe“ zu spenden, nachdem das alte mit Mann und Maus im Fehmarnbelt abgesoffen war.

Und da saß ihm einer gegenüber und wollte gegen die Messer angehen. Der Bürgermeister schaute auf seinen Besucher, der mit lebhaften Gesten, Recht fordernd, sein Erlebnis schilderte. Er dachte über den Namen nach, der jüdisch klang. Simon, Simon Krone, vielleicht war er Jude. Nun lauschte er konzentriert, lange, warf knapp eine Frage dazwischen. Dann kam ihm ein Gedanke.

„Lesen Sie das.“ Er schob Krone ein Blatt zu, das offensichtlich durch ein Abzugsgerät vervielfältigt worden war. Krone drehte es ins Licht. Es war das Titelblatt einer kleinen Zeitung. „Die Wahrheit“ stand handgeschrieben darüber. Dann folgten lokale Meldungen für die Viersdorfer. „Löwe im Klee.“ Der Gemeindevertreter Löwe, ein biederer Mann, Zentrumspartei, graste nachts die Kleefelder in der Aue ab, um seinen drei Dutzend Karnickeln das Futter heranzuschaffen. Ganz Viersdorf lachte auf Kosten des Löwen, des stärksten Sprechers für Hindenburg und die „Volksspende Niobe“. Auch so setzte man Gegner matt.

Treffkorn sagte: „Wir werden über die ‚Nacht der langen Messer‘ in diesem Blatt schreiben.“ Fünfhundert Stück für ganz Viersdorf, die Wahrheit über die Vorgänge im „Goldenen Anker“. Es war nicht viel, was Konrad Treffkorn dem Juden Krone zu bieten hatte. Der Viersdorfer Bürgermeister war ein armer Mann, Geld hatten die Hitlerleute.

„Einverstanden“, murmelte Krone.

 

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