Die Treppenstufen knarren.
Leise, flüstert Rainer. Ede knurrt etwas Unverständliches. Die Jungen schleichen die Bodentreppe im alten Haus hinauf. Es riecht nach Staub und morschem Holz. Rainer presst seine Faust gegen das Nasenbein. So kann er das Niesen unterdrücken. Vor der eisernen Bodentür lässt Rainer die Taschenlampe aufflammen. Im Haus schlägt eine Tür.
Warum schleichen Rainer und Ede eigentlich die Bodentreppe hinauf? Was haben sie dort zu suchen?
Rainer konnte die Erzählung der alten Frau Melkott nicht vergessen. Stieg er die Treppen hoch, beladen mit Kohleneimern und Kartoffelkörben, holte er im Milchladen für die Familie Lehmann Butter, trabte er im schneidenden Eiswind zum Bäcker, immer erinnerte er sich an die merkwürdige zornige Erzählung der Frau Melkott.
Und eine Fahne war auf diesem geheimnisvollen Boden von Herrn Raguse versteckt worden, vielleicht eine alte, zerschlissene. Vor kurzem hatte Rainer ein Buch gelesen, das ihn sehr packte: Die Fahne von Kriwoj Rog, daran musste er jetzt denken.
Und so war es gekommen, dass Rainer auf dem Weg nach Hause Ede in die Rippen stieß. Wir gehen noch mal zurück. Den Boden gucken wir uns an.
Vorher hatten sie Marion nach Hause begleitet. Sie war sehr müde neben ihnen hergezottelt, klagte aber nicht. Leicht war es eben nicht, die schweren Kohleneimer die Treppen hochzuschleppen, auch wenn Rainer ihr manchmal die schwersten Sachen tragen half.
Aber Marion ist ein Kerl. So änderte sich Rainers Ansicht.
Ede war nicht sehr erbaut von Rainers Vorschlag.
Was soll denn der Quatsch?
Rainer packte Ede am Mantel. Er war von seiner Idee besessen. Quatsch? Du redest Quatsch. Was erzählte die Frau Melkott? Hast du auf deinen Ohren gesessen? Herr Raguse hatte dort in der Nazizeit eine Fahne und vielleicht noch andere Sachen versteckt. Wer weiß was? Vielleicht ist die Fahne noch nicht gefunden? Wir können uns doch mal den Boden ansehen?
Sie standen in der Kälte auf der Straße und pusteten sich ihren Atem in die Gesichter. Der war wie weißer Dampf.
Na, gut, knurrte Ede, ich komm mit!
Rainer schlug Ede auf die Schulter. Edes Mantel war gut gefüttert.
Die Bodentür öffnet sich und quietscht dabei wie eine Straßenbahn in der Kurve.
Der Spalt reicht aus, und die Jungen zwängen sich hindurch. Stockdunkel ist es auf dem Boden. Muffig riecht es und auch nach schlecht brennender Kohle. Der Schornstein muss in der Nähe sein.
Mach die Tür wieder zu, flüstert Rainer. Gut, dass unsere Alten alle so schlecht hören, sagt er erleichtert.
Ede brummt missmutig: Das ist hier vielleicht ein Boden. Sie lassen die Scheinwerfer ihrer Taschenlampen kreisen. Holzverschläge, schmale Gänge dazwischen, brüchiges Mauerwerk, das wohl zum Schornstein gehört, und in den Ecken ein ausrangiertes Sofa, Bettgestelle, eine Hobelbank, uralte Fahrradrahmen.
Wenn wir das alles verkaufen, überlegt Ede und blinkt mit seiner Taschenlampe, da haben wir so einen Platz in der Altstoffsammlung.
Rainer sagt: Und wenns hier mal brennt. So was muss doch verboten sein.
Das ist auch verboten.
Sie tasten sich durch die engen Gänge. Vor jeder Bodenkammer hängt ein dickes Vorhängeschloss.
Sind das Dinger, sagt Rainer, die wiegen ja schon ein Pfund. Sie schleichen weiter und stoßen immer wieder auf Bodenkammern, Verschläge und manchmal auch Schneehäufchen, weil die Dachziegeln undicht sind.
Rainer denkt an die Erzählung der Frau Melkott. Hier oben haben die Nazis suchen müssen. Sicher war das schwer auf so einem Boden. Vielleicht ist die Fahne hier irgendwo verborgen, halbvermodert, ausgeblichen, von Insekten zerfressen. Herr Raguse hatte sie bestimmt hinter irgendeinen Dachsparren, in eine Ecke zwischen den Verschlägen geklemmt.
Ede murrt: Was wollen wir denn hier?
Rainer weiß eigentlich nichts zu antworten. Und weil er nicht zugeben will, dass die Sache nicht gut überlegt ist, sagt er: Da haben wir wenigstens den Boden gesehen. Hier hat sich ja was abgespielt. Nicht in jedem Haus sind solche Sachen passiert. Das ist eben ein besonderes Haus. Haben wir nicht Glück, dass wir so eins erwischt haben?