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Unbequeme Liebe von Günter Görlich
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
10.06.2022
ISBN:
978-3-96521-707-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 370 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Aktuelle Zeitgeschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Moderne Frauen
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Liebe und Beziehungen, Moderne und zeitgenössische Belletristik, Zeitgenössische Liebesromane
Liebe, DDR, NVA, Schule, Lehrer, Mut, Unfall, Lebensretter
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Während der ersten Wochen im neuen Schuljahr war Ingrid der Kollegin Micke kaum begegnet. Ingrid, die für die Mittelstufe ausgebildet worden war, unterrichtete eine zweite Klasse, allerdings nur vorübergehend, wie Horlander sagte, da jemand ausgefallen sei. Hing diese Einstufung mit Frau Mickes überraschender Rückkehr in den Schuldienst zusammen? Horlander hatte das heftig abgestritten.

Und nun war es zu dieser erneuten Auseinandersetzung gekommen. Als sie heute Nachmittag das Lehrerzimmer betrat, saß dort am Konferenztisch Frau Micke. Sie saß sehr aufrecht, eng an die Tischkante gerückt und schrieb. Niemand sonst war im Zimmer. Ingrid zögerte. Aber erst in zwanzig Minuten würde die Turnstunde ihrer Klasse beginnen, die sie besuchen wollte; der Sportlehrer Wagner war einer der wenigen gewesen, die sich ehrlich gefreut hatten, als Horlander sie im Kollegium vorstellte.

Als Frau Micke ihren Gruß vernahm, blickte sie auf. Ihre Kopfbewegung war so, als koste es sie Mühe, Ingrid anzusehen. Mit der gleichen angestrengten Bewegung drehte sie den Kopf wieder weg und schrieb weiter.

Ingrid zog leise einen Stuhl vom Konferenztisch und setzte sich. Es war ihr, als sei überlaut ihr Atem zu hören. Sie wollte diese Vorstellung abschütteln und legte betont geräuschvoll ihre Kollegmappe auf den Tisch. Warum eigentlich dieses beklemmende Gefühl? Was ging denn von der Frau dort aus? Das wie immer kurz geschnittene, sorgfältig frisierte Haar wirkte wie eine Perücke. Und ihre Haltung am Tisch war so starr, dass es einen erbarmen konnte. War es Mitleid, was Ingrid in diesen Minuten empfand? Oder vielleicht nur Neugier?

Sie vertiefte sich in ihre Arbeit, die Durchsicht eines Diktats, das sie aufgegeben hatte und das ihr jetzt als eine zu leichte Aufgabe erschien; sie fand kaum Fehler. „Man soll Kinder nicht unterfordern“, hatte Fred einmal gesagt. „Besonders in den unteren Klassen. In Mathematik verlangen wir im frühen Schulalter oft weitaus mehr als in der Muttersprache."

Ingrid wurde in ihren Überlegungen durch die harten Schritte der Frau unterbrochen, die in ihren hochhackigen Schuhen an dem langen Tisch entlangschritt.

Vielleicht noch befangen von ihren versöhnlichen Gedanken, richtete Ingrid ihren Blick offen auf Frau Micke. Der stieg jähe Röte ins Gesicht. Und plötzlich war wieder dieser feindselige Blick in den grauen Augen, der Ingrid damals im Januar so erschreckt hatte.

Ingrid spürte, die Frau hatte nichts vergessen, und der Kampf, den Horlander hatte aufnehmen wollen und von dem sie einmal geglaubt hatte, er hätte ihn gewonnen, war nicht zu Ende.

Frau Micke sagte: „Wenn ich recht informiert bin, Fräulein Weidt, sprachen Sie vor Monaten in unserem Lehrerkollegium über Ihren Einsatz nach dem Studium. Wollten Sie nicht in einer Landschule eingesetzt werden? Was hat sie eigentlich von Ihrem Vorhaben abgebracht?“

Ingrid wich ihrem Blick nicht aus. „Es hat sich so ergeben."

Jetzt wurde Frau Mickes Gesicht blass. „Ich habe Sie etwas Konkretes gefragt. Das ist keine Antwort.“

„Auf Ihre Frage ist das meine Antwort.“

Frau Micke nahm ihre Handtasche vom Tisch und fingerte unruhig am Bügel.

„Darüber wird noch ein Wort zu sprechen sein. Über das – und über Ihre Moral. Im ganzen Ort wird darüber gesprochen.“

„Wer ist der ganze Ort? Sie?“

Die Frau beugte sich ruckartig vor. „Ich will Ihnen mal sagen, was ich von Ihnen halte. Sie sind ein raffiniertes Luder.“

Mit diesen Worten ging sie aus dem Zimmer, leise, als ginge sie auf Zehenspitzen.

Ingrid blieb am Tisch sitzen und starrte auf die Hefte. Schließlich stand sie auf und trat vor den Spiegel, der über dem Waschbecken angebracht war. Sie sah, dass sich ihre Augen ein wenig gerötet hatten. Sonst war von ihrer Erregung nichts zu bemerken.

In der Turnstunde stellte sie sich abseits und beobachtete wie aus einer weiten Ferne die Übungen der Kinder. Wagner fragte: „Ist Ihnen nicht gut, Kollegin Weidt? Mir fällt schon seit ein paar Tagen auf, dass Sie schlecht aussehen.“

Ingrid erwiderte, dass nichts weiter sei; müde wäre sie, aber das läge daran, dass sie sich an das tägliche Unterrichten erst gewöhnen müsse.

„Also an unserem Klima liegt’s, ja? An unserem wunderbaren Schulklima“, sagte er und lachte.

Sie war noch vor Schluss der Stunde gegangen.

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