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Eine Sommergeschichte von Günter Görlich
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
28.06.2022
ISBN:
978-3-96521-723-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 398 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Aktuelle Zeitgeschichte, Belletristik/Moderne Frauen, Belletristik/Familienleben
Zeitgenössische Liebesromane, Familienleben, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Liebe und Beziehungen
Berlin, Stralsund, Hiddensee, Familienleben, Liebe, Trennung, Tiefbau, Studium, Moskau
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Später, als sie wieder am Bohren waren, kam Marschke zu Robert, der heute an der Bewegewinde arbeitete, sah ihn eine Weile an und sagte: „Du siehst verdammt unausgeschlafen aus.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte er weiter, legte sich das Schweißgerät zurecht und überließ Robert dem Nachdenken über diese Bemerkung. Bezog sich das auf den gestrigen Abend im Kastanienschuppen mit Monika? Oder hatte Marschke es nur so hingesagt, weil Robert tatsächlich müde war und geistesabwesend. Egal. Hier hatte man zu arbeiten. Wenn’s zu schlimm würde mit der Hitze und der Müdigkeit, dann könnte ein Eimer Wasser helfen. Ein Eimer Wasser – da war er mit seinen Gedanken wieder bei Anke. Vorgestern hatte er sich auch gerade einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen, als sie an der Kommode durch die Bauzaunlücke trat. Im Grunde genommen dachte er ununterbrochen an Anke, hatte ihren Brief eingesteckt, und was Marschke da als Müdigkeit bezeichnet hatte, war einfach Traurigkeit, eine blödsinnige Traurigkeit. Wann hatte er jemals so was verspürt? Noch nie, gestand sich Robert ein, noch nie. Und was war geschehen? Zum Lachen, wenn man’s äußerlich betrachtete: Man kennt seit zwei Tagen ein Mädchen. Man sagt „Sie“ zu dem Wesen. Man hat einen Brief bekommen, einen merkwürdigen Brief, von dem man immer noch nicht weiß, ist das Spaß oder Ernst. Und man kommt nicht los von der Sache, und nun ahnt man, hat schon die Befürchtung, dass es vorbei ist. Deshalb fühlt man sich so …

„Pass auf, Robert!“, schrie Bogner. „Was ist denn los mit dir?“

Man muss sich rausreißen aus der Stimmung, man muss sich konzentrieren. Sonst fliegen einem die Seile um die Ohren, oder sonst was passiert. Doch die Konzentration auf die Arbeit konnte die Traurigkeit nicht verdrängen, sie hielt sich hartnäckig. Die Wände der Baugrube waren heute schmutzig-braun, die Geräte rostig und zerschlissen, Marschke wirkte kleiner als sonst, und seine Perlmuttknöpfe glänzten kaum; Glomm lachte zu laut und riss die blödesten Witze, die es überhaupt gab. Bogners Helm war aufreizend weiß, sehr unnatürlich in dieser Umgebung; Schmidt sah am Stauchbohrer aus wie ein wild gewordener Waldschrat. Und Robert selbst? Er fühlte sich gar nicht in die Landschaft passend, in keine Landschaft anscheinend. Bis dann kurz vor Mittag – die Frische des Gewittergusses war schon wieder aufgebraucht, die Staubfahnen über dem weiten Baugelände wehten wieder – sich mit Motorengedröhn Bertels schweres Seitenwagengespann ankündigte.

Marschke blickte misstrauisch auf, legte sein Schweißgerät aus der Hand, schob die Brille hoch.

„Der kommt ja schon wieder. Der kann’s nicht lassen“, knurrte er.

„Er ist in großer Liebe zu uns entbrannt, der Bertel“, meinte Schmidt.

„Die Prämie wird’s sein“, sagte Bogner, „man will sich doch die Prämie nicht verderben. Völlig klar.“

Bertel fuhr dicht an den Rand der Baugrube heran. Er war nicht allein. Das Irgendwann war zum Jetzt geworden, auf dem Sozius von Bertels Maschine saß Anke. Robert, der vor der Winde gehockt hatte und die Lager ölen wollte, stellte die Ölkanne beiseite und richtete sich auf. Kein Zweifel, dort oben am Rand der Baugrube neben Max Bertel stand Anke.

„Hallo, Leute!“, rief Bertel, „für den Kollegen Robert Weißgerber ist Besuch da. Er soll sich schleunigst heraufbemühen. Wo ist der Kerl?“ Robert lief auf die Leiter zu, hörte aber noch Hermann sagen: „Der Bertel will uns wohl heute auf den Arm nehmen. Hat eine neue Tour.“

Als Robert auf halber Höhe war, rief Schmidt: „Die Dame kennen wir. Klar, das ist das neugierige Mädchen von der Kommode. Auf, Leute, es ist sowieso bald Mittag!“

Robert stieg aus der Baugrube, klopfte sich Lehm und Sand von der Hose und den Händen. Anke trug blaue Leinenhosen und eine rote Bluse. Heute passte der Schutzhelm genau. Bertel hatte ihn bestimmt aus dem zentralen Magazin beschafft. Bertel! Da stand er neben Anke und war, wie es schien, neugierig auf die Begegnung zwischen den beiden. Aber Robert sah nur Anke. Hatte es überhaupt eine Traurigkeit gegeben?

Anke kam ihm entgegen, gab ihm die Hand und sagte: „Da bin ich, Herr Bertel war mir sehr behilflich.“

„Dass Sie mich hier gesucht haben.“ Robert strahlte.

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