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Am Kai der Hoffnung. Stories von Walter Kaufmann
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
19.05.2013
ISBN:
978-3-86394-569-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 481 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichten vom Meer, Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Action und Abenteuer
Abenteuerromane, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Kuba, Brasilien, Seefahrt, Rassendiskriminierung, DDR, Gewerkschaft, Solidarität
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„Ja, ja“, stimmte sie zu, „uns beide hat man schon tüchtig herumgestoßen, was, Ronny?“

Wieder war ihm die Kehle wie zugeschnürt. So hatte noch keine Frau zu ihm Ronny gesagt.

„Ich hab viel Zeit für dich, Agnes.“

„So etwas dürftest du zu mir nicht sagen“, wandte sie ein, „es sei denn, du sehnst dich nach deiner Mutter.“

„Nein, das ist was anderes“, entgegnete er und blickte weg. Und ob es was anderes war - wenn er ihr nur erklären könnte, welche Gedanken ihn des Nachts wach hielten in seinem Schlafraum neben der Veranda. Was war Ed doch für ein Narr, eine Frau wie Agnes nicht zu schätzen!

Er schnipste die tote Fliege zum Fenster hinaus in den heißen Staub. Hinter dem Drahtzaun streckte sich das ausgedörrte Land bis weit hinter den Horizont. Der kahle Eukalyptusbaum im Hof reckte seine dürren Zweige zum wolkenlosen Himmel empor. Der Stamm warf einen tintenschwarzen Schatten über das braunhaarige Kind, das mit einem trägen Hündchen spielte. Er beobachtete Meggy, bis ein Einspänner seine Aufmerksamkeit ablenkte, der inmitten einer Staubwolke auf der Landstraße herankam. Ron wandte sich langsam um. „Ed wird gleich da sein.“

Agnes Burke stand einen Augenblick regungslos, dann strich sie sich mit nervösen Fingern das volle Haar aus dem Gesicht und befestigte es mit Nadeln. Die Küchenuhr schlug wie eine Warnung.

„Er muss Streit gehabt haben“, sagte sie, „sonst käme er nicht so früh zurück.“

„Ich verzieh mich besser in mein Zimmer“, sagte Ron und ging zur Tür.

„Nein, bleib! Es gibt gleich Obstkuchen und Tee.“

„Er wird wieder Krach anfangen, wie letztens.“

„Soll er“, antwortete sie, „ich hab dich lieber in der Nähe, wenn er betrunken ist.“

Sie trat ans Fenster und rief das Kind herein, ohne einen Blick auf die Landstraße zu werfen. Dann zog sie mit einem Ruck den Vorhang vors Fenster. Der dünne Stoff hing wie ein brennendes Laken vor dem Sonnenlicht. Sie goss Tee in Porzellantassen, schnitt drei Stück Kuchen ab und stellte sie auf den Tisch. „Lang zu“, forderte sie ihn auf.

„Du machst einen Fehler“, sagte er mit einem vorsichtigen Blick, „du weißt doch, wie er ist.“

„Und ob ich das weiß!“, rief sie aus, „tu nur so, als ob er nicht käme.“

„Ich hab keine Angst vor ihm“, sagte er in einem Ton, der reifer klang, als es seinen sechzehn Jahren entsprach, „ich mache mir nur deinetwegen Sorgen.“

„Schlimmer als bisher kann's nicht mehr werden.“

„Mein Gott, Agnes!“ Kopfschüttelnd setzte er sich an den Tisch.

Sie hörten das Klappern von Pferdehufen auf dem spröden Boden des Hofes und das Rollen von Wagenrädern, hörten Ed betrunken vor sich hinmurmeln. Agnes blickte Ron über den Tisch hinweg an. Stirnrunzelnd zerdrückte Ron einen Zigarettenstummel auf einem Teller. Meggy kam in die Küche gelaufen, in die jetzt der Schatten des vor dem Fenster stehenden Wagens fiel. Sie konnten die Umrisse des Pferdeleibes sehen, einen Teil des Wagens und die stämmige, schwankende Gestalt von Ed Burke, wie ein Schattenspiel hinter dem Vorhang.

„Wie komisch das aussieht!“ Meggy lachte.

„Setz dich hin und iss“, sagte Agnes zu dem Kind.

Sie hörten das Pferdegeschirr klirren, als Ed begann, die Stute auszuspannen. Die ganze Zeit fluchte er grimmig: „Verdammte Trockenheit, verdammte Schinderei! Nichts gedeiht, alles verdorrt, sonniges Australien, pah! Gut für fette Kneipenwirte, der Teufel soll sie holen ...“

Plötzlich wieherte das Pferd, dann ein zweites, ein drittes Mal, wie ein Tier in einem brennenden Stall. Die Umrisse des Pferdeleibes verschwanden vor dem Vorhang. Sonnenlicht fiel über den Küchentisch und über die gespannten Gesichter von Agnes, dem Kind und von Ron, der seinen Stuhl zurückstieß und den Vorhang aufriss. Ed Burke, stämmig und muskulös, schlug dem Pferd mit einem Holzknüppel aufs Maul. Das Kind schrie.

„Lass das Pferd in Ruhe!“, rief Ron.

„Zur Hölle mit euch allen!“, fluchte Ed Burke, wischte sich mit dem Arm übers Gesicht, hielt inne und beobachtete das Pferd, das vor ihm zurückwich. Das Weiße in den Augen des Tieres wurde sichtbar, es bäumte auf und zerrte den Wagen über den Hof. Ed lachte.

Es war dieses Lachen, das Ron den Anstoß gab - Superintendent Morton hatte so gelacht, wenn er die Jungs im Waisenhaus mit der Peitsche schlug; jetzt lachte Burke, während er auf das Pferd einhieb. Grausamkeit und Lachen! Ron sprang mit einem Satz durchs Fenster, stürmte über den Hof. Als er sich auf seinen Boss stürzte, sah er nur noch dessen Gesicht, dieses grobe Gesicht mit dem grausam lachenden Mund, den er treffen wollte mit der Faust, treffen musste. Doch es gelang ihm nicht, das Lachen blieb. Der Adamsapfel in Burkes sehnigem Hals bewegte sich auf und nieder. Noch einmal schlug Ron ins Leere, er glaubte die anfeuernden Rufe der Jungen im Waisenhaus zu hören: „Gib's ihm, Ron!“ Jim Croxton schrie, Tiny Maxwell und Spider Carter und Dave Mooney. „Gib's ihm!“ Dann traf ihn der Holzknüppel hart am Kopf, ein zweites Mal, ein drittes Mal, und er fiel vor Burkes stämmige Beine. Er spürte, wie ihm Burke in die Seite trat, krümmte sich, schnellte hoch und entzog sich Burkes Zugriff mit aller Geschicklichkeit, die er im Ring gelernt hatte. Diesmal traf er den Mund, aber auch der Knüppel traf ihn an der Schläfe, wiederum brach er zusammen. Er hörte Agnes rufen: „Genug, genug!“, als wäre sie weit weg. Er versuchte aufzustehen, schaffte es aber nur, sich aufzurichten. Burkes Gesicht über ihm begann zu kreisen. Er spuckte es an. Und wieder stieß Burke mit dem Fuß nach ihm.

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