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Stefan - Jenseits der Kindheit. von Walter Kaufmann
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
03.07.2012
ISBN:
978-3-86394-560-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 182 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Jüdisch, Belletristik/Politik, Belletristik/Verbrechen, Belletristik/Biografisch, Belletristik/Kurzgeschichten, Kinder-und Jugendbuch/Geschichte/Holocaust, Kinder-und Jugendbuch/Geschichte/Militär und Kriege, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Adoption, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Eltern, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Vorurteile und Rassismus, Kinder-und Jugendbuch/Soziale Fragen/Tod und Sterben
Abenteuerromane, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Kriegsromane, Kinder/Jugendliche: Familienromane, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Kinder/Jugendliche: Historische Romane, Deutschland: Nationalsozialismus (1933–1945), Bezug zu Juden und jüdischen Gruppen, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Tod und Trauer, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Rassismus und Multikulturalismus, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein, Biografischer Roman, Kriminalromane und Mystery, Familienleben
Holocaust, Faschismus, Judenverfolgung, Emigration, Internierungslager, Auschwitz, Australien, Großbritannien
12 - 99 Jahre
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Im Schuppen hockten sie auf Kisten, die Flasche zwischen sich auf dem Boden - fast unberührt noch stand Stefans Glas auf dem Werkzeugregal. Das Zeug schmeckte ihm nicht. Er fand aber auch nichts dabei, dass Sigi trank. So mitteilsam wie jetzt hatte er ihn noch nie erlebt - Stefan schien es, als wäre er in jener Nacht in Ulm dabei gewesen, als wäre auch er aufgeschreckt worden vom Splittern der Haustür oben, dem Getrappel von Stiefeln auf den Kellerstufen, er sah den grellen Schein von Stablampen über die erstarrten Gesichter gleiten, hörte die SA-Leute brüllen: "Da ist das Pack, nun aber los!" Und weil Sigi nicht schnell genug hochkommt, auch das sah Stefan, versetzt ihm der SA-Mann einen Tritt, Sigi prallt gegen die Wand, es reißt ihm die Brille vom Gesicht, und der SA-Mann zertritt die Brille mit dem Stiefelabsatz. Wie ein Blinder tastet sich Sigi aus dem Keller den anderen nach, die Treppe hoch und durch die zertrümmerte Haustür auf die Straße. Sie müssen ihn zu dem Laster führen, der da vor dem Haus steht, und weil Sigi allein nicht zurechtkommt, packen sie ihn und schleudern ihn auf die Ladefläche. "Da hast du dein Fett, du blinder Sack!" Und begreiflich war Stefan auch, dass sie den, der da so hilflos um sich tastet, am wenigsten beachten - der entkommt uns nicht. Und ehe noch das Fahrzeug um die Ecke biegt, hat Sigi die Ladeklappe gepackt, sich hochgestemmt und hinausgeschwungen, ist draußen auf den Füßen gelandet und im Dunkel der Gasse zwischen den Häusern verschwunden.

"Hast du mal einen Blinden an der Bordsteinkante zögern sehen, ehe er sich über den Fahrdamm wagt?"

Stefan nickte.

"Will nur erklären", sagte Sigi, "warum sich gleich ein paar Leute meiner annahmen und niemand auf den Gedanken kam, dass ich auf der Flucht sei. Eben ein Blinder. Das Brüllen der SA-Männer dahinten in der Gasse konnte doch keinem Blinden gelten! Kurzum, ohne sich dessen bewusst zu werden, halfen sie mir unterzutauchen, und zwei Tage später war ich in der Schweiz, von wo ich dann nach England kam." Während er noch sprach, entnahm er seiner Brieftasche ein Foto und hielt es Stefan hin. "Das sind sie - meine Eltern."

Stefan schwieg - er stellte sich die beiden Alten zwischen den kahlen Wänden ihrer Gefängniszellen vor, und er empfand Sigis Qual, als sei sie die eigene. "Du kommst nach deiner Mutter", sagte er schließlich.

Sigi senkte den Blick. Seine Hand war unstet, als er das Foto in die Brieftasche zurückschob. "Und nun lass endlich hören, was dich bedrückt", forderte er.

 

Da gingen so viele Dinge zusammen, und Stefan konnte sie nicht nennen - Sätze aus einem Brief, den die Eltern noch über das Rote Kreuz hatten schreiben können, vor allem aber dieses Foto: der Ausdruck ihrer Augen, und wie gezeichnet der Vater noch war von der langen Haft! Und was hatte es zu bedeuten, dass die Mutter sich mit den Füßen plagte, von geschwollenen Füßen schrieb; wohin musste sie so weit laufen, warum sich so oft und so lange anstellen? "Wir denken immer an Dich und hoffen auf ein Wiedersehen." Wenn er das Foto betrachtete, versagte ihm der Mut.

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