Ordnung, ebenso feierliche wie unerbittliche Ordnung, bestimmte das Ludwigsluster Leben, ihr war auch die Familie le Fort unterworfen. In Ludwigslust war das 18. Jahrhundert noch ungebrochen lebendig. Das höfische Zeremoniell bestand nach wie vor. Wenn irgendwo in Europa eine fürstliche Persönlichkeit gestorben war, mussten auch die le Forts Hoftrauer anlegen und immer wieder kleine Festlichkeiten absagen.
Die Töchter der hoffähigen Reichsfreiherrnfamilie le Fort hatten natürlich auch zu den Hoffesten zu erscheinen. Gertrud von le Fort musste sogar einmal vis-a-vis vom Regenten Johann Albrecht die zeremonielle Quadrille tanzen. Doch dieser Tanz bedeutete für sie kein Vergnügen, sondern strengen Dienst.
Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte auch ein anderer Geist in Ludwigslust Einzug gehalten, das Zeitalter der Empfindsamkeit als Vorläufer der Romantik mit seiner besonderen Beziehung zur Einfühlung. Es fügte dem Park neue, besonders das Gefühl und nicht mehr nur die Lebensordnung ansprechende Partien mit dem Schweizerhaus und der künstlichen Ruine hinzu und schuf eine Atmosphäre, die man nicht anders als poetisch bezeichnen kann.
Und diese Atmosphäre war es, von der sich die junge Gertrud von le Fort am stärksten einfangen ließ. In diesem Bereich fand sie Identität. Das schlichte, rohrgedeckte Schweizerhaus, um 1790 von der mecklenburgischen Herzogin Louise als eines der ersten Beispiele dieser Gattung erbaut, steht für das bescheidene, in eine empfindsame Naturstimmung eingewobene Idyll und wurde nach sechs Jahrzehnten in der Erzählung Das fremde Kind zum Hintergrund nationalsozialistischer Fememorde.
Ein besonders empfindsamer Akzent mit romantischer Tendenz ist die kleine katholische Kirche, westlich des Schlosses im Park gelegen, das erste und wohl auch schönste Beispiel der Wiederaufnahme gotischer Bauformen im Norden.
Sie spiegelte sich in einem kleinen von Bäumen umringten See, jenseits dessen der Kirchturm stand - damals durften in Mecklenburg katholische Kirchen noch keine Türme auf ihrem Haupt tragen. (Hälfte des Lebens)
In ihrer Autobiografie Hälfte des Lebens erinnert sich Gertrud von le Fort an eine für ihre damalige Lebenswelt charakteristische Anekdote. Die Soldaten des Dragoner-Regiments wurden gemäß der Ordnung des königlich preußischen Militär-Christentums jeden Sonntag in die Kirche geführt. (Hälfte des Lebens) Da Mecklenburg fast ausschließlich evangelisch war, kamen auf die katholische Kirche nur wenige Besucher. Als sich dieses Verhältnis plötzlich änderte, fragte der katholische Geistliche den Regimentskommandeur, wie es denn auf einmal zu den vielen katholischen Soldaten käme, die in letzter Zeit die Messe besuchten. Die Auskunft war verblüffend: es mache sich doch so schlecht, wenn da nur drei bis vier Mann beim Gottesdienst erschienen, er habe daher eine Anzahl Evangelische in die katholische Kapelle abkommandiert, und die seien auch ganz bereitwillig hingegangen.
Im Jahre 1837 hatte Großherzog Paul Friedrich (1837-1842) zum Leidwesen der Ludwigsluster die Residenz allerdings wieder nach Schwerin verlegt, denn das idyllische stille Ludwigslust konnte seine Ansprüche an Repräsentation, Vergnügungen und hauptstädtische Atmosphäre nicht erfüllen. Das Städtchen sollte aber nicht ganz ins Hintertreffen kommen. Der Großherzog hatte vor seiner Übersiedlung nach Schwerin ausdrücklichen Befehl gegeben, die Ludwigsluster Anlagen mit dem gesamten dazu erforderlichen Aufwand zu erhalten.
Ludwigslust entwickelte sich mehr und mehr zu einem Ort, dessen Erscheinungsbild von Pensionären des heimischen Adels und seines Umfeldes bestimmt wurde. Seit 1846 konnte man täglich mit der Eisenbahn nach Berlin und nach Hamburg fahren, und somit war Ludwigslust auch an die große Welt angeschlossen.