Der Reeder Daniel Nicolaus Runge geht auf die Werft und in sein Kontor wie jeden Tag. Von der Werft tönen nur sehr selten Hammerschläge herüber, und es ist ein besonderes Ereignis, wenn auf dem Kontortisch Briefe und Rechnungen warten. Den Reeder Runge scheint das nicht anzufechten. Er sitzt und schreibt, er spricht mit den Schiffszimmerleuten, er geht stolz und aufrecht wie immer.
Gut, so will ich dasselbe tun, denkt Otto, der seinen schweigsamen Vater aufmerksam beobachtet. Des Vaters Verhalten soll ihm Auskunft genug sein. Malen will er, wie er es gewohnt ist, malen, als sei nichts geschehen. Den Bildern soll es gleich sein, unter wessen Dach sie gemalt werden. Hat er im vergangenen Jahr den Bruder gemalt, so will er in diesem schwarzen Jahr die Eltern malen, nicht die Heimkehr der Söhne, wie er es einmal geplant hat. Vielleicht hätte er die Eltern schon früher malen sollen, denn mit ihnen fing schließlich alles an. Aber alles hat seine Zeit, und vielleicht ist er erst jetzt fähig, das Bild der Eltern richtig zu sehen und richtig zu malen.
Er sieht sich im Hause um und richtet sich das größte und hellste Zimmer des oberen Geschosses zum Malen und Zeichnen ein.
Zuerst kommt er sich wie ein frevelhafter Eindringling vor. Dieser Raum war einmal so etwas wie das Heiligtum des Hauses gewesen. Hierher wurden auswärtige Besucher geführt, Kaufleute, Reeder, Kapitäne. Zwei mächtige Danziger Schränke stehen an den Schmalseiten des großen Raumes. Der Vater hatte sie nach einem sehr vorteilhaften Handelsabschluss in Danzig gekauft, es hätten auch noch prächtigere sein können, aber Daniel Nicolaus Runge legte Wert auf solide Einfachheit. In heutigen Zeiten erscheinen sie prächtig genug, findet Otto. Und groß! Es machte ihm keine Mühe, sich darin zum Schlaf auszustrecken. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch, an dem zwölf Personen Platz finden könnten. Am meisten freut sich Otto über die beiden großen Fenster. Vormittags wird er hier das beste Licht zum Malen finden. Den Nachmittag möchte er mit seiner Familie verbringen.
Doch was wird der Vater zu seinem Wunsch sagen, hier oben zu malen? Im Prunkzimmer der Familie Runge? Das sogar den Kindern verschlossen blieb.
Der Vater sagt ja und lächelt sogar dabei. Otto dankt mit herzlichen Worten.
»Lass die vielen Worte«, brummt der Vater. »Maler bist du, und malen sollst du.«