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Das Schiff der Verlorenen. Titanic-Roman von Günther Krupkat
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
15.07.2019
ISBN:
978-3-96521-141-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 478 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krimis & Detektivgeschichten/Privatdetektive, Belletristik/Geschichten vom Meer
Meeresgeschichten, Privatdetektiv/Amateurdetektiv, Historischer Roman
Titanic, Schiffsunglück, Eisberge, Tod, Verantwortung, Liebe, Freundschaft, Leid, Juwelendiebstahl
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Von dem, was sich im Maschinenraum abspielte, ahnten die Passagiere nichts. Kaum einer von ihnen beachtete, dass die Lampen etwas schwächer brannten und der Bug des Schilfes sich langsam neigte.

Man lächelte über die Erregung der Leute aus dem Zwischendeck, sprach von Massenpsychose, von ausgelösten Komplexen, wie sie der jüngst bekannt gewordene Sigmund Freud darlegte, und schimpfte über die Übung, die dem Bordball ein unerwünschtes Ende bereitet hatte. Es gab viele, die selbst genaueste Berichte von Auswanderern als „Angsterfindungen“ abtaten, auch von den Vorgängen bei den Booten keine Notiz nahmen und das Fest fortsetzten.

Huxley eilte durch die Gänge des C-Decks. Überall standen ihm sorglos schwatzende Gruppen im Weg; sie bewitzelten die Allzueifrigen, die sich mit den Schwimmwesten abmühten.

Vor der Tür Nummer hundertdrei hielt Huxley inne.

Hier war Bettys Kabine. Ob sie schon bei den Booten war, fragte er sich. Die Tür war angelehnt. Er trat ein.

Offensichtlich hatte Betty die Kabine in aller Hast verlassen. Im Schein des Bettlämpchens sah er sich um. Auf dem Tisch lag eine umgefallene Vase. Zarte Narzissen schwammen zertreten in einer Pfütze am Boden. Der Schrank war geöffnet. Kleider, Wäschestücke lagen verstreut.

Leises Klicken ließ Huxley aufblicken. In einer Verbindungstür stand Cashburn.

„Da sind Sie ja endlich!“, sagte Cashburn ungehalten. „Kommen Sie schon!“

Überrascht folgte Huxley der schroffen Aufforderung. „Mr. Cashburn, wissen Sie, dass …“

„Tür zu!“, zischte der Juwelier. Er hielt die Hände schützend über den Tisch, der mit Kästen, Geräten und allerlei Goldschmiedewerkzeugen bedeckt war

„Wo ist Betty?“, fragte Huxley. „Sie muss sofort zu den Booten.“

„Wegen der Übung, meinen Sie? Lächerlich! Haben Sie den Schmuck?“

„Es ist vielleicht gar keine Übung, Mr. Cashburn!“

„Ihnen scheint der Champagner heute Abend nicht bekommen zu sein, Lord. Geben Sie mir den Schmuck!“

„Hören Sie denn nicht die Sirene? Sie gibt das SOS-Zeichen. Das Schiff ist in Gefahr!“

„Lenken Sie nicht ab. Heraus mit der Halskette!“

Huxley kniff die Augen zusammen. „Was auch geschehen mag, ich will mit Ihnen reinen Tisch machen. Also: erst den Wechsel hierhergelegt, dann erhalten Sie den Schmuck!“

„Oh, Sie misstrauen mir“, stellte der Juwelier spöttisch fest. „Das ist keine gute Basis für eine Partnerschaft, mein Freund.“

„Reden Sie nicht um die Sache herum, Cashburn! Es war so ausgemacht: das Collier von Mrs. Horthcliff gegen den Wechsel.“

Ehe Cashburn etwas erwidern konnte, wurde die Tür vom Gang her aufgestoßen. Connor trat mit zwei Herren ein.

Cashburn sprang vor den Tisch. „Sie haben sich in der Tür geirrt, Mr. Connor. Verlassen Sie bitte sofort meine Kabine!“

„Irrtum Ihrerseits. Inspektor Connor, Scotland Yard.“ Er gab seinen Begleitern einen Wink, worauf diese den verblüfften Juwelier beiseite schoben, um in Augenschein zu nehmen, was auf dem Tisch lag.

Indessen wandte sich Connor an Huxley, der zurückgewichen war. „Haben Sie Mrs. Horthcliffs Halskette diesem …“, er machte eine Kopfbewegung zu Cashburn hin, „diesem Herrn bereits ausgehändigt, Lord Huxley?“

„Nein, ich habe … ich wollte …“ Mehr als ein hilfloses Stottern brachte Huxley nicht hervor.

Connor nickte. „Verstehe.“

Einer der Beamten hob einen großen, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Kasten hoch, worin – in vielen Fächern wohlgeordnet – Brillanten jeder Größe blitzten. „Da ist das Corpus Delicti, Inspektor! Eine reichhaltige Kollektion von Similisteinen bester Qualität. Und hier das erforderliche Werkzeug. Ich glaube, das genügt.“

„Nun, Cashburn?“ Connor betrachtete die Sammlung. „Sprachlos, wie?“

Cashburn verzog den Mund zu einem dünnen Lächeln. „Ich verstehe nicht, was Sie eigentlich wollen. Natürlich ist das eine Similikollektion. Ich reise nach Amerika, um dort Angebote in dieser Ware zu machen. Ist das etwa verboten? Und was die Werkzeuge anbetrifft … Ich bin nun mal Juwelier. Darf ich mich in meinen Mußestunden nicht mit Arbeiten beschäftigen, die in mein Fach schlagen? Ihr Eifer in Ehren, Mr. Connor, doch ich rate Ihnen, bei Recherchen in irgendwelchen dunklen Affären, die sich hier abspielen mögen, vorsichtiger zu sein. Der Name Frank Cashburn hat in London einen guten Klang, bis in die höchsten Kreise, Sir!“

„Auch der Name Huxley ist viel wert“, sagte Connor mit einem Seitenblick auf den jungen Mann, der die Szene atemlos verfolgte, als rolle vor ihm ein Schauspiel ab. Den Gedanken, dass er selber eine verhängnisvolle Rolle darin hatte, vermochte er nicht zu fassen.

„Ihre übereilten Verdächtigungen werden Sie bereuen, Mr. Connor!“, rief Cashburn.

Der Inspektor ließ sich nicht beirren. „Die gestohlenen Edelsteine müssen hier sein. Kabine durchsuchen!“

„Dazu haben Sie kein Recht, Sir!“

„Ich habe das Recht, auf diesem Schiff nach eigenem Ermessen zu handeln, wenn es not tut. Beschweren Sie sich meinetwegen beim Kapitän, er ist informiert.“

Cashburn hieb auf den Tisch und schrie: „Schluss mit dem Geschwätz! Ich will auf Deck! Das Schiff geht unter … da, bitte!“ Er wies zum Gang. Erregte Stimmen, hastige Schritte waren zu hören.

Connor winkte ärgerlich ab, „Lassen Sie den Unsinn, Cashburn!“ Zu den Beamten sagte er: „Beginnen Sie schon mit der Untersuchung!“

Da trat Huxley vor Connor hin und zog die Halskette aus der Tasche. „Hier ist der Schmuck!“ Er sprach, als müsse er jedes Wort wie eine Last von sich schieben. „Mrs. Horthcliff gab in mir … freiwillig, ohne mein Zutun.“

Connor war nicht überrascht. „Das war vor einer knappen Stunde. Warum übergab sie Ihnen den Schmuck?“

„Sie fürchtete wohl, er könne gestohlen werden, und bat mich, dafür zu sorgen, dass der Zahlmeister ihn im Safe verwahrt.“

„Aber Sie taten das nicht.“

„Ich fand keine Gelegenheit dazu. Wegen des Alarms.“

Connor schaute Huxley nachdenklich an. „Hm … Nachdem Sie Mrs. Horthcliff verlassen hatten, wurden Sie von Modley angesprochen. Da sagten Sie ihm kein Wort von diesem Auftrag, nicht wahr?“

„Nein.“

„Sie waren gerade im Begriff, Cashburn das Collier zu bringen, wie es mit ihm vereinbart war.“

Huxley senkte den Kopf und schwieg.

„Mit einem Mal änderten Sie Ihre Absicht. Warum?“

„Ich wusste nicht, was ich tun sollte.“ Huxley fuhr sich verwirrt über die Stirn. „Ich suchte Mr. Modley in der Bar.“

„Sie trafen ihn dort nicht an und gingen schließlich doch hierher, um den Millionenschmuck seiner wertvollsten Brillanten berauben zu lassen – genauso, wie es mit dem Armband von Miss Sullavan und mit Mrs. Gardners Diadem geschehen war!“

„Ich habe ihm den Schmuck ja gar nicht gegeben!“, rief Huxley verzweifelt.

„Weshalb kamen Sie also?“

„Wegen … wegen Miss Flynn.“

„Sie gingen in ihre Kabine, stimmt. Und dann?“

„Miss Flynn war nicht da. Plötzlich stand Mr. Cashburn vor mir und forderte mich auf, zu ihm zu kommen,“

„Was wollten Sie von Miss Flynn?“

„Ich wollte sie bitten, sofort zum Bootsdeck zu gehen.“

„Eine bessere Ausrede fällt Ihnen nicht ein?“

„Das Schiff ist in Gefahr, begreifen Sie doch!“

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