Eines Tages lernte ich das Fuchsschwanzmädchen kennen. Ich saß mit Rolf in der neuen Kaffeebar, in der die Bedienung so träge ist, und sie kam herein in einem schneeweißen Segelanzug, angetan mit weißen Schuhen. Sie war braun gebrannt und kam direkt auf unseren Tisch zu.
Mein Herz schlug bestimmt so laut, dass man es am Nachbartisch hören konnte. Ich ärgerte mich darüber.
Sie begrüßte uns und begann zu schwatzen. Ich bin ja auch nicht auf den Mund gefallen, aber das hatte ich noch nicht erlebt; bevor der Ober kam, hatte sie unter Garantie sechstausend Wörter gesagt, fünf Themen behandelt, während Rolf und ich höchstens ein dutzendmal Ja oder Nein sprechen oder mit dem Kopf schütteln konnten, einen größeren Spielraum hatten wir nicht.
Dann referierte sie über die Ausgestaltung der Bar, sie kenne den Maler gut, für die Wandgestaltung habe er eine völlig neue Technik verwendet.
Sie redete mich an, sie übersah mich nicht, ich war nicht etwa Luft für sie. Aber es wäre mir wohler gewesen, sie hätte mich nicht beachtet. Sie hatte einen Eiskaffee bestellt, ließ das schöne kalte Eis schmelzen, redete und rührte nervös in der milchigen Brühe. War das nun meine Konkurrentin?
Mir fiel ein dummer Vergleich ein: wie ein schönes Fischlein in Aspik.
Ich muss zugeben, dass sie gut aussah. Sie trug die langen Haare hochgebunden. Goldene Clips steckten an den Ohrläppchen.
Ihre Anwesenheit provozierte mich.
Sie tat mir nichts. Sie benahm sich sehr loyal, sie kannte Rolf schon lange, und ich wusste nicht, was sie einander bedeuteten. Rolf hatte behauptet, sie sei nicht mehr als eine Freundin aus der Kindheit. Aber Eleonora? Legte sie nicht schon wieder ihre Netze aus? Ich dachte an die Kellnerin aus dem Intelligenzklub, die Angst kroch mich an und hypnotisierte mich.
Ich rief den Ober, bestellte mir einen doppelten Kognak, trank ihn sofort aus und bestellte noch einen. Am Tage trinke ich sonst nie Alkohol, erst recht nicht bei dieser Hitze, aber diesmal tat ich es aus Unsicherheit, und so zeigte sich auch bald die Wirkung.
Ich fläzte die Ellbogen auf den Tisch und starrte das Mädchen an. Heute finde ich es dumm, wie ich mich damals benommen habe, aber damals gab es für mich nur einen einzigen Trost: Sie war älter als ich, viel älter, mindestens fünf Jahre.
Ich schluckte. Die Blonde unterhielt sich mit Rolf über bildende Kunst. Sie hätte vieles anders gemacht in dem neuen Wohnviertel. Die Plastiken stünden falsch.
Sie meckert. Die weiß alles besser, dachte ich.
Ich sagte nichts, trank nur, und nach dem dritten Doppelten sagte ich: »Der Kognak ist patent, direkt Konfekt, da werden einem die unsympathischsten Menschen noch verständlich. Verstehen Sie das, Fräulein Fuchsschwanz?«
»Ich habe dir doch von ihr erzählt, sie heißt Eleonora«, sagte Rolf im Tone eines erfahrenen Krankenpflegers und schüttelte missbilligend den Kopf.
»Ach, richtig, das ältere Fräulein ...«
Rolf wurde unruhig. So kannte er mich noch nicht. »He, he«, sagte er, »was ist mit dir los?«
Eleonora zog pikiert die Brauen hoch. Jetzt sah sie richtig wie eine Eleonora aus. Die Menschen ähneln mit der Zeit ihren Namen, finde ich. Das ist komisch, weil sie sich die Namen ja nicht selber gegeben haben, aber sie gewöhnen sich so sehr an sie, dass sie schließlich so aussehen, wie ihre Namen klingen.
Meine Tante Brunhilde aus Wuppertal zum Beispiel wiegt fast zwei Zentner, und ihre Haare sind chemieblond, und wenn sie in ein Café geht, bestellt sie Torte und Sahne und trinkt hinterher ein Bier, eine Brunhilde eben.
Das ist mit den Hunden ganz ähnlich. Werden die Hunde mit den Menschen alt, so ähneln sie sich, wie ein altes Ehepaar sich ähnelt, das ein langes Leben miteinander gelebt hat.
Also, sie saß wie eine Eleonora da, kühl, steif, glatt und geleckt, schön wie Konfekt in Luxuspackung, hygienisch wie Lavendelseife. Ach, hatte ich eine Wut.
»Hast du zuviel getrunken?«, fragte Rolf.
Sah er das nicht? »Zu wenig, um alles ertragen zu können«, sagte ich.
»Es ist doch hübsch hier«, meinte er.
Ich dachte: Allein gehe ich jetzt nicht 'raus. Ich müsste zwar mal rausgehen, weil meine Blase drückt, aber ich gehe nicht. Ich möchte nicht zum Gespött der Leute werden, und die letzte Abzweigung vor der gläsernen Schwungtür kriege ich bestimmt nicht von allein, da muss einer dabei sein. Und dann erst die frische Luft da draußen.
Nein, das muss hier durchgestanden werden.
»Haben Sie Semesterferien?«, fragte mich die Blonde.
»Nein, Feierabend«, sagte ich.
»Studieren Sie?«
»Natürlich. Herdbuchzucht und Bullenmast«, sagte ich, »ich bin eine Pomeranze vom Lande.«
»Ach, das hätte ich nicht gedacht.«
»Ich habe mich auch sehr fein gemacht heute«, sagte ich. Mein Kleid war in der Achselhöhle dunkel gefärbt, vor lauter Wut schwitzte ich.
»Ich bitte Sie«, sagte Eleonora, »so war das doch nicht gemeint.« Dann wandte sie sich an Rolf. »Deine Freundin scheint ganz einfach fertig zu sein, wer weiß, wie viel Arbeitsstunden sie heute schon hinter sich hat.«
Das hätte ich ihr sagen können. Ich bin verantwortlich für die Versorgung unseres Erntekomplexes. Heute bin ich um vier Uhr aufgestanden, dreimal mit dem Wagen in der Kreisstadt gewesen, und gegen sechzehn Uhr habe ich Feierabend gemacht, um noch in die Stadt zu fahren.
Rolf legte seine Hand auf meinen Arm und drückte ihn und lächelte.
Aber ob er mich begriff? Das glaube ich nicht, ich begriff mich selber nicht. Mit einem Schlage wurde ich sehr müde.
Ich vertrage nicht viel Alkohol. Ein paar Minuten bin ich aggressiv, dann mehrere Stunden todmüde und am nächsten Morgen benebelt. Duhn ist besser als dumm.
Rolf machte mir keine Vorwürfe. Er bestellte eine Taxe und wollte mich nach Hause bringen.
Das wäre noch schöner, dachte ich, so blau bin ich nicht, Mutter würde nur spotten, wenn ich mit dem Wagen käme: Konntest wohl nicht mehr geradestehen. Nein, das Geld konnte Rolf sparen, wir würden mit dem Bus fahren, Hauptsache ist, dass ich ihn an meiner Seite weiß, schon wegen der Kurven. Und ihn in der Kaffeebar zurücklassen, allein mit dem schönen Fisch, nein, auf keinen Fall.