Wie aus dem Musikunterricht, fand er und erschrak, als die Melodie abbrach, als wäre Rüdi die Luft knapp geworden. Der Freund lachte und klopfte bedächtig sein Instrument an der Hose aus.
»Das werde ich für dich spielen! Wenn du Champion geworden bist! Aber länger und schöner. Wirst dich wundern!«
Anerkennend tippte Marco Rüdi auf die Schulter und stimmte in dessen Lachen ein. Manches Mal waren sie in einer ähnlichen Lage in einen Lachkrampf geraten, von dem sie sich kaum erholen konnten. Hinterher hatten beide nicht zu erklären gewusst, weshalb sie sich >halb krankgelacht< hatten.
»Ich zeig’ dir was!« Marco ging zu dem Bücherregal, das die halbe Wand neben seinem Bett einnahm. Gegenüber befand sich das »Abteil« seiner kleinen Schwester. Hinter einer Buchreihe zog er eine auffällig bunt bemalte Blechbüchse hervor, die er wie eine Spendenbüchse schüttelte, wobei es metallen zu klimpern und zu scheppern begann. Marco löste den ringförmigen Verschluss, stülpte die Büchse um und ließ dann kleine und große Münzen über den Tisch rollen, wo sie sich verteilten wie Pfützen nach einem heftigen Regen. Erwartungsvoll sah er Rüdi an, weil er annahm, dass der Freund nun seiner Mundharmonika vor Erstaunen einen Fanfarenstoß entlocken würde. Doch Rüdi blickte nur ungläubig auf das Geld.
»So viel schon!«, rief er aus und kniff die Augen zusammen. »Alles gespart?« Sein Gesicht nahm Form und Farbe eines auffälligen Ballons an und für einen Augenblick stellte sich Marco vor, was geschähe, wenn er mit einer Nadel hineinstechen würde ...
Rüdis Frage erinnerte Marco an seine kleine Schwester, die einmal überraschend hinzugekommen war, als er seinen Reichtum begutachtete. Sie hatte fast die gleichen Worte wie Rüdi gebraucht. So kurz wie möglich hatte Marco ihr dann erklärt, dass er jeden Euro, den die Großeltern ihm schenkten, sofort in seine Landsknechtstrommel gesteckt hatte. Auch jedes Geldgeschenk zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Oder die Belohnung für ein gutes Zeugnis. Dann hatte er sich aufrecht gesetzt und wichtig hinzugefügt: »Auch du hast dann jedes Mal etwas bekommen! Aber du hast ja alles immer gleich für Eis oder Schokolade ausgegeben ...«
Voller Neid zählte seine Schwester dann mit ausgestrecktem Zeigefinger die Türme aus Münzen, die Marco errichtet hatte. Schließlich versprach sie dem großen Bruder, ab sofort ebenfalls zu sparen. Gleich morgen wollte sie sich dafür eine Büchse besorgen. Aber schon am nächsten Tag wollte sie davon nichts mehr wissen.
»Reicht es nicht bald?« Rüdi wies auf die Scheine und Münzen. Die Scheine überbrückten die Türme, sodass mehrere kleine Viadukte entstanden waren.
Marco schüttelte den Kopf und versuchte Rüdi zu beschreiben, was sich in der Stadt hinter einer großen Schaufensterscheibe verbarg. Aber bald gab er es auf. Dafür konnte er keine Worte finden. Diese Schönheit konnte er mit Worten nicht beschreiben. Er winkte ab und schlug vor, am nächsten Morgen mit Rüdi in die Stadt zu fahren, um ihm die Maschine, für die er sparte, zu zeigen.
»Das ist mein Geheimnis, davon weißt dann nur du!«
Schließlich waren ihnen nacheinander die Augen zugefallen, sodass sie nur taumelnd in ihre Betten fanden. Im Traum war Marco bei der Meisterschaft bereits mit der neuen Maschine gestartet und hatte danach auf dem obersten Platz des Siegerpodestes gestanden. Mineralwasserfontänen aus lange geschüttelten Flaschen besprühten ihn, sodass er sich wie unter der Dusche fühlte. So erging es jedem Sieger. Nur nahmen die Großen dazu kein Mineralwasser. Tapfer unterdrückte er den Wunsch, ins Trockene zu flüchten, und wandte sich stattdessen der nächsten Dusche zu ... Darüber war er erwacht, erstaunt, in seinem Bett zu liegen.