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Lindenstraße 28. von Siegfried Maaß
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
25.07.2012
ISBN:
978-3-86394-235-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 290 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Erwachsenwerden, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Politik
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Familienleben, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Einbruch, Bande, Disko, Abbruchhaus, Wohnungspolitik, DDR, Bewährungsstrafe, Liebe, Eltern-Tochter-Konflikt
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Gleich nach Schichtschluss war sie zu Egon gegangen. Mit dem Motorrad fuhren sie dann bei einbrechender Dunkelheit zur Laube hinaus, wo bereits die ganze Gruppe versammelt war und schon ungeduldig auf den Chef wartete.

Vera hatte bisher geglaubt, das Geschehen jenes Abends aus ihrem Gedächtnis verbannt zu haben, doch nun, wieder in der Laube, laufen die Bilder erneut so deutlich vor ihr ab, als wären sie Szenen eines unvergesslichen Films, in dem sie selbst die Hauptrolle spielt. Außer im Spiegel oder im Traum hat sie ihr eigenes Bild noch nie so deutlich gesehen, und je fester sie die Augen schließt, desto gegenwärtiger ist das Geschehen: In Großaufnahme zunächst Egon mit seinem Belmondo-Ausdruck, doch gleich darauf sie selbst – angezogene Schultern unter langem blondem Haar, so dass es aussieht, als sei der Kopf unmittelbar auf dem Rumpf gewachsen. Hat sie nicht sogar einen runden Rücken?

Was habt ihr vor? hört sie sich fragen, wobei sie den Kopf wendet, um alle der Reihe nach ansehen zu können, aber es ist wie verhext, außer sich selbst und Egon kann sie niemand entdecken. Einen hübschen kleinen Einbruch, erwidert Egon, der plötzlich seinen Integralhelm trägt und den Mundschlitz geöffnet hat. Seine Lippen kommen ihr dahinter dick und wulstig vor.

Du spinnst, sagt Vera, und obwohl sie die anderen nicht sehen kann, hört sie deren lautes spöttisches Lachen. Ohne mich, sagt sie und sieht, dass sie sich auf die Kante des Sofas vorschiebt, wie um sofort zum Sprung bereit zu sein.

Nicht ohne dich, sagt einer, der unsichtbar bleibt, aber Vera erkennt ihn an der Stimme. Es ist der Rothaarige, Egons Leibwächter. Der springt, sobald der Chef nur pfeift. Ihr könnt mich doch nicht zwingen, ruft Vera. Aus dem Hintergrund hält ihr dann jemand den Mund zu. Wirst du mal schön flüstern? Egon sorgt mit einer Handbewegung dafür, dass sie aus dieser Maulkorbsituation befreit wird. Du gehörst zu uns, sagt er dann, beschreibt schließlich mit seiner Hand einen weiten Bogen, bis sie flach auf seiner Brust ruht. Zu mir gehörst du, oder etwa nicht?

Aber das mache ich trotzdem nicht mit. Vera sieht, dass sie sich erhebt, langsam, als fiele es ihr schwer. Sie bleibt dann vor Egon stehen, dessen Kopf nun wieder frei ist, der Helm liegt neben ihm auf dem wackligen Tisch.

Schätzchen, sagt Egon, glaubst du, du kannst dich verdrücken, wenn ich es nicht will? Seine Worte locken wieder das spöttische Lachen der anderen hervor, die Vera nicht sehen kann. Ihr kommt es vor, als wäre alles ein einstudiertes Spiel.

Du bist sogar ganz wichtig für uns, sagt Egon, so klein und dünn wie 'n Bleistift, da passt du doch wunderbar durch die Kellerluke.

Wo denn? ruft Vera und spürt schon die Hand, die ihr wieder den Mund verschließen will, darum läuft sie um den kleinen Tisch herum, bis sie an dem mit Pappe verschlossenen Fenster steht. Mit dem Ellbogen prüft sie, ob sie die Pappe hinausdrücken kann, aber Egon bleibt ihre Bewegung nicht verborgen. Versuch's nicht, sagt er, du kommst keine zwei Schritte weit, Schätzchen.

 

Lindenstraße 28. von Siegfried Maaß: TextAuszug